2007:
Was war der Auslöser der US-Hypothekenkrise?
Die Pleite von großen Hypothekenbanken wie
Countrywide und in der Folge der weltweit viertgrößten Invest-mentbank Bear Stearns.
2008:
Was stürzte die weltweiten Finanzmärkte in die Krise?
Die Pleite einer der weltweit größten
Investmentbanken, Lehman Brothers.
2009:
Was bescherte uns eine weltweite Staatsschuldenkrise?
Die direkte und indirekte Rettung von weltweit
führenden Großbanken wie Citigroup, Bank of America, Royal Bank of Scotland
u.a., des weltgrößten Versicherungskonzerns AIG, des weltgrößten
Automobilkonzerns General Motors und anderer führender Automobilkonzerne.
2012:
Wer steht im Verdacht, über viele Jahre hinweg die Referenzzinssätze Libor und
Euribor systematisch zum eigenen finanziellen Vorteil zu manipulieren oder
wurde bereits überführt?
Etwa zwanzig der weltweit größten Banken,
von Barclays, über die Royal Bank of Scotland, Deutsche Bank, Société Générale,
UBS, Credit Suisse, Citigroup und JP Morgan, um nur einige zu nennen. Einen
größeren Finanzmarktskandal hat es niemals gegeben. Der finanzielle Schaden
könnte alle Rekorde brechen, so es möglich sein sollte, ihn überhaupt jemals vollumfänglich
zu ermitteln.
2012:
Was haben die Verantwortlichen in Wirtschaft, Banken und der Politik daraus
gelernt?
……… ?
Just vergangene Woche hat Peer Steinbrück
(SPD), inzwischen Kanzlerkandidat der SPD für die kommende Bundestagswahl, medienwirksam
sein Konzept zur Bändigung der Finanzmärkte vorgestellt. (1) Unter anderem will
er das Trennbankensystem einführen, also die Trennung von Investmentbanking vom
herkömmlichen und für die Volkswirtschaft wichtigen Bankgeschäft. Allerdings
reicht ihm eine organisatorische Trennung. Eine Aufspaltung von Großbanken
fordert er nicht.
Viele Politiker und Fachleute haben schon
vor Peer Steinbrück eine Diskussion über „Too big to fail“ angestoßen, also
darüber, wie künftig verhindert werden kann, dass Banken zu groß bzw. für das
Finanzsystem zu wichtig sind, um sie pleitegehen lassen zu können. Genau das –
die systemische Relevanz - war und ist bisher die Begründung für alle
Rettungsmaßnahmen von Großbanken gewesen, wobei korrekterweise auch die Rettungs-maßnahmen
für Griechenland & Co. zumindest teilweise hinzu gerechnet werden müssen,
weil es dabei – anders als verlautbart – vor allem um die Rettung und
Stabilisierung von großen Banken geht. Von den Hilfsgeldern sieht
beispielsweise Griechenland fast nichts. Sie wandern größtenteils direkt auf
die Konten der Gläubiger.
So gesehen wird weiterhin alles für den
Erhalt und die Stabilisierung der Großbanken getan – auch seitens der großen
Notenbanken, z.B. der EZB, insbesondere mit langfristigen Krediten zu Niedrigstzinsen
(Long Term Refinancing Operation (LTRO)) in Billionenumfang und mit Anleiheaufkäufen.
Es kann also bis heute überhaupt keine
Rede davon sein, dass irgendetwas unternommen worden ist, um das „Too big to
fail“-Problem – im Bankensektor – zu lösen.
Wie wahrscheinlich ist es wohl vor diesem
Hintergrund, dass Peer Steinbrücks Forderung jemals umgesetzt werden wird?
Was erschwerend hinzu kommt, ist, dass dieses
Problem nur im Bankensektor überhaupt wahrgenommen und – wenn auch ohne großen
Nachdruck - diskutiert wird, nicht aber in der Realwirtschaft.
Es gibt viele Märkte, in denen Konzerne so
groß und volkswirtschaftlich bedeutsam sind, dass kein Politiker es wagen würde,
sie im Krisenfall pleitegehen zu lassen. Denken Sie nur an die heftige politische
Kontroverse um Staatshilfen, als Opel und Schaeffler im Zuge der Krise
2008/2009 in Schieflage gerieten. Und wir wissen auch, was nach der
Lehman-Pleite im September 2008 geschah: Die anschließende Finanzmarkt- und Weltwirt-schaftskrise
hat insbesondere die großen, global aufgestellten Konzerne hart getroffen. Umsatzeinbrüche
von 20 Prozent und mehr waren keine Seltenheit und die Regierungen in den
Industriestaaten haben mit Konjunkturpro-grammen (z.B. „Abwrackprämie“) sowie direkten
und indirekten Rettungsmaßnahmen (z.B. General Motors, Chrysler) primär auf
deren Stabilisierung abgezielt.
Die Situation und die mit „Too big to fail“
verbundenen finanziellen Risiken wurden also bis heute nicht entschärft. Das
Gegenteil ist der Fall. Im Zuge der Finanzmarktkrise wurden Übernahmen und
Fusionen im Bankensektor seitens der Politik nicht nur gefördert, sondern
gefordert. Beispielsweise wurden JP Morgan (Bear Stearns, Washington Mutual) und
die Bank of America (Countrywide, Merrill Lynch) deswegen auch noch größer. Das
gilt für viele Großbanken, auch für die Deutsche Bank.
Und auch dies gilt es in diesem
Zusammenhang zu erinnern:
Am 31. August 2008 verkündeten die Allianz
und die Commerzbank die Übernahme der Dresdner Bank durch die Commerzbank – am 15. September
brach mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers die Finanzkrise aus, in deren
Folge auch die Commerzbank mit Staatshilfen gerettet werden musste. Die
Verschmelzung von Dresdner Bank und Commerzbank geschah jedoch gerade auch
deswegen, weil die Bundesregierung – einschließlich des damaligen BundesfinanzministersPeer Steinbrück (SPD) – davon überzeugt waren, dass Deutschland neben der Deutschen
Bank einen zweiten „National Champion“ brauchen könnte, der auf den globalen
Finanzmärkten in der ersten Liga mitspielen kann.
Blickt man zudem nur einmal auf die
aktuellen Meldungen der letzten Tage, so fällt auf, dass Mega-Fusionen und –übernahmen
trotz hoher Unternehmenskonzentration
und damit verbundener Schwächung effektiven Wettbewerbs auf vielen globalen
Märkten und trotz des „Too big to
fail“-Risikos im Krisenfall immer noch an der Tagesordnung sind:
- Die globale Musikindustrie wurde bisher von nur vier großen Konzernen dominiert. Universal, Sony, Warner und EMI. Jetzt sind es nur noch drei. Denn der Eigentümer der britischen Plattenfirma EMI – bisherige Nummer 4 der Branche, die Citigroup, verkaufte zuerst das EMI-Musikverlagsgeschäft an eine Investorengruppe um Sony und nun auch den Rest von EMI, das Tonträgergeschäft, und zwar an Universal. (2)
- Der weltgrößte Rohstoffhändler Glencore steht jetzt kurz vor der Fusion mit dem Bergbaukonzern Xstrata, weltgrößter Kohleanbieter. Es ist mit 36 Milliarden Dollar nach der 38 Milliarden Dollar schweren Fusion von Rio Tinto und Alcan im Jahr 2007 die größte Fusion im Rohstoffsektor. Mit der Verschmelzung rücken Glencore und Xstrata im globalen Bergbausektor zur Nummer 4 hinter BHP Billiton, Vale und Rio Tinto auf. (3) Was das wohl für die Preise bedeuten mag?
- Zusammengehen wollen auch EADS und die britische BAE Systems, die damit zum weltgrößten Unternehmen in der Luft-, Raumfahrt- und Verteidigungstechnik aufsteigen würden. (4) Zwar gestaltet sich dies wegen der Staatsbeteiligungen und der verteidigungspolitischen Relevanz schwierig. Ferner gibt es auch seitens der Politik in Deutschland Bedenken. Diese bestehen jedoch nicht wegen der Größe des fusionierten Mammutkonzerns, Wettbewerbsbedenken oder dem „Too big to fail“-Problem, sondern scheinbar primär weil es noch keine konkreten Zusagen für den Erhalt von Standorten gibt. (5) Grundsätzlich werden seitens der Politik aber vor allem die Vorteile einer solchen Fusion gesehen. (6)
Als Fazit lässt sich deswegen festhalten,
dass die von sehr großen Konzernen ausgehenden Gefahren
- für die Konzerne selbst,
- für den Wettbewerb und den Arbeitsmarkt
- für die Markt- und Systemstabilität mit allen daraus erwachsenden finanziellen Risiken für den Staatshaushalt bzw. für die Steuerzahler
trotz der Krisenerfahrungen bei den
Entscheidern in Politik und
Wirtschaft de facto keine Rolle spielen. Das Streben nach Größe ist
ungebrochen.
Was die Politik anbelangt, so lässt sich
zudem erkennen, dass „Reden“ und „Handeln“ in eklatanter Weise auseinanderfallen.
Über „Too big to fail“ wird debattiert, die Zerschlagung von Konzernen oder die
Trennung von Geschäftsbereichen wird immer wieder einmal gefordert. Doch der Entstehung
immer größerer Banken und Unternehmen wird nicht nur nicht entgegengewirkt,
vielmehr wird dies indirekt und direkt gefördert oder gar gefordert (z.B. spanischer
Sparkassensektor, deutscher Krankenkassensektor). Alte Überzeugungen sind
infolge der Krise keineswegs über Bord geworfen worden. Ein Umdenken hat nicht
stattgefunden.
Wenn morgen durch irgendein signifikantes
Ereignis eine neue Finanzmarktkrise beginnt, sind wir darauf nicht besser
vorbereitet als wir es im September 2008 waren. Die systemische Stabilität ist jedoch
nicht größer, sondern geringer als sie es vor vier Jahren war. Das werden
Regierungspolitiker nicht wahrhaben wollen. Doch wer wird es ihnen ein zweites
Mal abkaufen, wenn sie reklamieren, die Krise sei nicht vorhersehbar gewesen?
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