Der griechische Regierungschef Alexis
Tsipras hat die letzten Vorschläge der Gläubiger als unannehmbar abgelehnt. Wie
das griechische Parlament bereits gestern beschlossen hat, sollen in einer
Woche die Griechen darüber abstimmen, ob sie dafür sind, diese trotzdem anzunehmen.
Das heißt, ob sie den austeritätspolitischen Sanierungskurs der Troika
fortsetzen wollen. Die EZB hat heute ihre Nothilfen für die griechischen Banken
eingefroren. Die griechische Regierung hat daraufhin entschieden, dass in
Griechenland Börse und Banken geschlossen bleiben und Kapitalverkehrskontrollen
eingeführt werden, um den weiteren Abfluss von Geld zu stoppen.
Man kann also mit gutem Grund sagen, dass
Griechenland und die Gläubiger es mit vereinten Kräften geschafft haben, die
Griechenlandkrise zu eskalieren und das Risiko von Finanzmarktturbulenzen und einer
erneuten Euro-Krise – das laut Gläubigern angeblich gar nicht existiert – heraufzubeschwören.
Wofür das Ganze?
Die Antwort ist, wie so oft, im Grunde
recht einfach und sie lässt sich mit Hilfe eines einzelnen Charts (siehe unten)
verdeutlichen.
Zum Vergrößern bitte Abbildung anklicken!
Die Abbildung zeigt anhand von Daten des
Internationalen Währungsfonds (IWF), wie sich die Staatsschulden und die
Wirtschaftsleistung in Griechenland im Zeitraum von 1998 bis 2014 entwickelt
haben.
Schulden explodiert, Wirtschaft auf Talfahrt, Sanierung gescheitert
Gut zu erkennen ist, dass Griechenland –
gemessen an der Wirtschaftsleistung – seine Staatsschulden bis 2007 eigentlich
noch ganz gut im Griff hatte. Doch mit der Finanzkrise änderte sich das Bild.
Die Staatsschulden explodierten und das Bruttoinlandsprodukt sank seitdem
stetig – wenn auch zuletzt etwas langsamer (laut IWF-Schätzung).
Seit Frühjahr 2010 steht Griechenland
unter der Aufsicht der Troika (Europäische Kommission, EZB und IWF). Seitdem
werden – wenn auch keineswegs prompt und auch nicht vollständig – deren Sanierungsvorgaben
umgesetzt. Es lässt sich also mit Blick auf die Abbildung feststellen, dass
dieser Sanierungskurs die griechische Wirtschaft über die gesamte Zeit hinweg
weiter talwärts geschickt hat. Zugleich sind die Staatsschulden immer weiter
gestiegen. Daran hat auch der Schuldenschnitt von 2012 nichts geändert.
Im Kern geht es nur noch um Gesichtswahrung
Was sagt nun IWF-Chefin Christine Lagarde
heute zu Griechenland und zum Referendum über den geforderten Sanierungskurs: Zwar
seien die Bedingungen, über die abgestimmt werden solle, nicht mehr gültig. Sollten
die Griechen aber mit überwältigendem Votum für einen Verbleib im Euro und eine
Stabilisierung der heimischen Wirtschaft stimmen, wären die Gläubiger zu
weiteren Anstrengungen bereit. (1)
Wären ihre Worte mit einer für die
Öffentlichkeit sichtbaren Einblendung der obigen Abbildung gefallen, jeder
hätte sich wohl gefragt: Wo ist denn die Stabilisierung der griechischen
Wirtschaft, von der Madame Lagarde spricht?
Antwort: Es gibt sie nicht. Auch genau
fünf Jahr nach Beginn der Sanierungsvorgaben der Troika nicht.
Und die Staatsschulden, die mit Hilfe des Troika-Sanierungskonzepts
eigentlich hätten sinken sollen, sind weiter gestiegen.
Worum also geht es eigentlich beim
Schuldenstreit zwischen der griechischen Regierung und den Gläubigern?
Antwort: Um Gesichtswahrung.
So einfach ist das.
Die Euro-Gruppe und der IWF wollen nicht zugeben
müssen, dass ihr Sanierungskonzept nicht aufgegangen ist und auch nicht
aufgehen wird, sondern eine durchaus als desaströs zu bezeichnende Abwärtsspirale
erzeugt hat. Und die griechische Regierung will, dass sie genau das zugeben und
dass das Sanierungskonzept geändert wird. Wie genau der Turnaround in
Griechenland geschafft werden kann, dass scheint sie allerdings auch nicht so
genau zu wissen. Und insofern geht es beim
anberaumten Referendum über den von den Gläubigern geforderten Sanierungskurs
auch für Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras letztlich um
Gesichtswahrung. Sagt das Volk „Nein“ zu den Forderungen der Gläubiger, dann
steht er wenigstens noch politisch gut da. Sagt es „Ja“, dann kann er das als
rationale Begründung dafür angeben, den Forderungen doch noch nachzugeben.
Ungewisse Zukunft der griechischen Regierung
Ob Tsipras und seine Regierung diesen
Sturm allerdings überleben, ist nicht sicher. Der damalige griechische
Regierungschef Giorgos Papandreou hatte Ende 2011 auch überraschend
angekündigt, die Griechen über das geforderte Sanierungspaket abstimmen zu
lassen. Nach massivem politischen Druck aus Europa ruderte er zurück und trat
wenig später von seinem Amt zurück. (2)
Die Zeiten und die Situation in
Griechenland haben sich seit damals verändert, gewiss. Aber Alexis Tsipras
spielt sein Spiel mit höchstem Einsatz. Was ihn am Ende vielleicht noch retten
könnte, wäre, wenn sich seine Warnung vor einer neuen Euro-Krise und
Finanzmarktturbulenzen bewahrheiten.
Wir werden bald sehen, ob er oder die
Gläubiger in dieser Hinsicht recht hatten. Doch unter dem Strich muss man
fragen, ob das alles wirklich nötig gewesen ist. Vernünftig, konstruktiv und im
Sinne Europas ist es in jedem Fall nicht.
Die nun zur Schau gestellte Empörung vieler
Politiker über Griechenland (3) ist insofern auch nichts anderes als der Versuch,
die eigenen Hände in Unschuld zu waschen – für den Fall nämlich, dass es dann
doch noch ganz schlecht ausgeht und fürchterlich teuer wird. Denn dass Tsipras
Nägel mit Köpfen machen würde, war immer klar gewesen. Er hat es wiederholt
gesagt. Offensichtlich hat man ihn auf Seiten der Gläubiger falsch
eingeschätzt. Jetzt ist die Aufregung groß.
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