Griechenlands konservativer
Ministerpräsident Antonis Samaras (Nea Dimokratia (ND)) muss sich seit Wochen so
fühlen, als befände er sich zwischen zwei mächtigen Mahlsteinen, die sich
langsam aufeinander zu bewegen. Die Troika (zusammengesetzt aus Experten von
EZB, EU-Kommission und IWF), die weitere Sparmaßnahmen zur Konsolidierung des
Haushalts von ihm fordert, ist der eine Mahlstein. Der andere ist Alexis
Tsipras, der Frontmann der seit Monaten in allen Umfragen stabil führenden
Oppositionspartei SYRIZA und er fordert so ziemlich das Gegenteil, nämlich das
Ende des austeritätspolitischen Kurses à la Troika.
Austeritätskurs in der politischen Sackgasse
Antonis Samaras hat die letzten Wochen scheinbar
versucht, einen Mittelweg zu finden oder vielleicht einfach nur gehofft, er
könne sich irgendwie dadurch lavieren, den Mühlsteinen entkommen. Freilich war
das eine Illusion. Denn der Zeitpunkt, an dem die Mühlsteine ihre Arbeit getan
und das Ende seiner politischen Karriere herbei-geführt haben würden, stand
längst fest: Ende Februar 2015, denn das ist der späteste Termin für die Wahl
eines neuen Staatspräsidenten.
Das Verfahren der Präsidentenwahl in
Griechenland sieht vor, dass maximal drei Abstimmungen im Parlament abgehalten
werden dürfen. In den ersten beiden Abstimmungsrunden gilt ein Kandidat als
gewählt, wenn er 200 Ja-Stimmen erhält. In der dritten Runde sind jedoch nur
noch 180 Stimmen erforderlich. Kommt die erforderliche Mehrheit auch in der
dritten Abstimmungsrunde nicht zustande, müssen das Parlament innerhalb von
zehn Tagen aufgelöst und Neuwahlen angesetzt werden. (1)
Das Problem: Die Opposition will seit der
Europawahl und den Kommunalwahlen im Frühjahr, die für beide Regierungsparteien
ein Desaster waren, vorgezogene Neuwahlen, die die Regierung bisher aus
naheliegenden Gründen keinesfalls wollte. Aus Sicht der Opposition ist
infolgedessen die Präsidentenwahl der schnellste Weg dorthin. Weil die
Regierung den Zeitpunkt für die Wahl des neuen Präsidenten selbst festlegt, war
angesichts der schlechten Wahlergebnisse im Frühjahr und der schlechten Zustimmungswerte
in Umfragen eigentlich klar gewesen, dass die Galgenfrist ausgenutzt und die
Abstimmung so lange wie möglich hinaus gezögert werden würde. Bis Ende Februar
eben.
Doch die unausweichlichen Verhandlungen
mit der Troika über die Freigabe der letzten Tranche aus dem Rettungsprogramm,
das Ende des Jahres ausläuft, haben Samaras in eine schier ausweglose Situation
gebracht. Denn die Troika-Experten sehen eine milliardenschwere
Finanzierungslücke und forderten deswegen im Gegenzug für die Freigabe der
dringend benötigten Finanzmittel die Zusage weitere Sparmaßnahmen, die Samaras
aber partout nicht geben wollte.
Das Samaras-Rettungsprogramm: Neue Sparmaßnahmen erst nach der Wahl
Er wollte es nicht, weil er dann –
vorgezogene Neuwahlen im Februar vor Augen – den Zorn der Wähler hätte fürchten
müssen. Nur leider braucht Griechenland eben auch die Finanzhilfe und deswegen
stecken die Verhandlungen mit der Troika fest.
Nachdem jedoch klar war, dass die Euro-Gruppe
die letzte Tranche trotzdem noch vor Jahresende überweist und zwecks
erfolgreicher Beendigung der Verhandlungen mit der Troika das griechische
Rettungsprogramm einfach „technisch“ um zwei Monate verlängert, hat sich für
Samaras die Ausgangslage gravierend geändert. (2)
Es hat sich für ihn dadurch bedingt die Chance
aufgetan, den beiden Mühlsteinen zu entkommen, indem er die erste Abstimmung
über den neuen Präsidenten auf den 17. Dezember vorzieht. (3) Sollte es dann
wie erwartet auch bei der für den 29. Dezember angesetzten dritten
Abstimmungsrunde nicht die
erforderliche Mehrheit geben, müsste das Parlament umgehend aufgelöst werden.
Die von der Opposition geforderten Neuwahlen würden dann Ende Januar oder
Anfang Februar abgehalten werden und damit in jedem Fall vor Ablauf der „technischen“
Verlängerung des Rettungsprogramms. (4)
Das aber heißt nichts anderes, als dass Samaras
Regierung die Möglichkeit hat, erst nach der Neuwahl des griechischen
Parlaments in die von der Troika kategorisch geforderten zusätzlichen
Sparmaßnahmen einzu-willigen.
Die Zwischenzeit kann er dazu nutzen,
Syriza zu dämonisieren. Die Finanzmärkte, die bedingt durch die Ankündigung der
vorgezogenen Präsidentenwahl ohnehin schon höchst nervös geworden sind und eine
neue Finanzmisere in Griechenland befürchten, werden ihm dabei ebenso helfen
wie die führenden Köpfe der Euro-Gruppe und der Europäischen Kommission.
Wie viel Restvertrauen in die Samaras-Regierung haben die Griechen noch?
Die Griechen befinden sich wieder in
derselben Lage wie im Juni 2012. Damals mussten sie zum zweiten Mal innerhalb von
nur wenigen Wochen ein neues griechisches Parlament wählen und in den Umfragen
lag auch damals die linksgerichtete Partei Syriza deutlich vor der Nea
Dimokratia von Antonis Samaras.
Doch das ist jetzt zweieinhalb Jahre her.
Viel mehr Griechen als damals geht es
heute sehr schlecht und sie wissen auch warum. Die von Troika mit der
amtierenden Regierung ausgehandelten „Sanierungsmaßnahmen“ sind für sie allesamt kein Segen gewesen. Samaras
weiß das. 35,7 Prozent der griechischen Bevölkerung bzw. 3,9 Millionen Menschen
in Griechenland waren laut Eurostat 2013 arm oder von Armut und sozialer Ausgrenzung
bedroht. Diese Zahl ist seit Beginn der Griechenlandkrise Ende 2009 Jahr für
Jahr gestiegen, um insgesamt über 900.000. (5) Eine Analyse des griechischen
Parlaments für das Jahr 2013 geht von viel höheren Zahlen aus. Demnach lebten
im Jahr 2013 2,5 Millionen Griechen unterhalb der Armutsgrenze und weitere 3,8
Millionen waren Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Das sind zusammen 6,3
Millionen Menschen bzw. etwa 60 Prozent. (6) Viele, vor allem jüngere Menschen
haben das Land verlassen, weil sie dort keine Arbeit finden und keine Zukunft
mehr sehen. Viele andere können nirgendwo anders hin.
Das ist die Situation zweieinhalb Jahre
nach der letzten Parlamentswahl in Griechenland und fast fünf Jahren
Krisenpolitik unter den Vorgaben der Troika-Experten.
Es ist deswegen keine Frage, dass die
Ausgangsbedingungen und auch die Chancen im Falle einer Neuwahl des Parlaments
heute ganz andere sind als im Juni 2012. Es mag zwar sein, dass genauso wie
damals über die Medien und die Reaktionen der Finanzmärkte eine Drohkulisse entsteht
oder aufgebaut wird, damit die Griechen nicht „falsch wählen“ (7). Es ist
allerdings angesichts der Erfahrungen, die die Griechen machen mussten, sehr fraglich,
ob sie sich bei der Wahlentscheidung heute genauso stark wie damals davon beeinflussen
lassen würden.
Angst vor der Ungewissheit nach einem Regierungswechsel
Sicher, die meisten Griechen werden
Neuwahlen nicht entgegenfiebern. Denn die Wahlentscheidung wird in jedem Fall
eine sehr schwer zu treffende sein. Niemand springt gerne ins kalte Wasser, ins
Ungewisse und ungewiss ist definitiv, ob es einer von Syriza gebildeten
Koalitionsregierung besser oder nicht vielleicht noch schlechter gelingt, die
vielfältigen Probleme des Landes zu lösen. Bisher gibt es jedenfalls in keinem
europäischen Mitgliedstaat (und auch in keinem anderen Industrieland außerhalb
der EU) eine funktionierende Alternative zur austeritätspoli-tischen
Krisenpolitik. Im Gegenteil, selbst Frankreich ist jetzt auf diesen Kurs
eingeschwenkt. Kann man es also den Griechen verübeln, wenn sie zweifeln, ob
ausgerechnet einer Syriza-Regierung dieses Kunststück gelingt?
Sollten sie jedoch im Falle von Neuwahlen die
Samaras-Regierung tatsächlich abwählen, dann hätte dies mit Sicherheit eine
Signalwirkung für die anderen europäischen Krisenstaaten, die bisher denselben
krisenpolitischen Kurs verfolgen. Die etablierten Parteien haben in vielen Mitgliedstaaten
erheblich an Rückhalt bei den Wählern verloren. Neue oder zuvor unbedeutende Parteien
befinden sich im Aufwind. Die Europawahl hat das sehr deutlich gemacht. Ein
Politikwechsel in Griechenland wäre deswegen möglicherweise der Anfang vom
politischen Ende des europäischen Top-Down-Krisenmanagements der bisherigen Art,
für das die Troika steht.
Europa wird sich dann etwas Neues
einfallen lassen müssen. Eigentlich, das heißt vor dem Hintergrund der
Erfahrungen mit der Austeritätspolitik in anderen, insbesondere südeuropäischen
Ländern, hätte es das schon lange tun sollen. Doch offenbar bedarf es für diese
Erkenntnis erst des Drucks einer neuen Eurokrise und schwerer Erschütterungen
des politischen Systems. Und Generalstreiks sowie Massenproteste wegen der
Sparpolitik gibt es jetzt nicht nur in Griechenland, sondern beispielsweise auch
wieder in Italien und neuerdings in Belgien.
Natürlich wird Antonis Samaras ebenso wie
die Euroretter hoffen, dass sein Parteifreund mit beruflicher Erfahrung bei der
Weltbank, als griechischer Minister und zuletzt auch als EU-Kommissar in
Brüssel, Stavros Dimas (73) (8), bei genügend oppositionellen Abgeordneten gut
ankommt. Denn dann gäbe es gar keine vorgezogenen Neuwahlen und all seine
politischen Probleme wären gelöst – bis zur nächsten regulären Wahl 2016 oder
bis die Mehrheit im Parlament verloren geht, weil erneut Abgeordnete die
Regierungspolitik nicht mehr mittragen wollen.
Das Déjà-vu des Giorgos Papandreou
So oder so ist die Präsidentenwahl ebenso
wie ein mögliche Neuwahl des Parlaments nichts anderes als eine Abstimmung über
den Sanierungskurs der Troika.
Nicht nur, aber ganz sicher gerade auch für
Giorgos Papandreou (PASOK) muss das ein starkes Déjà-vu-Gefühl auslösen.
Er hatte als Griechenlands
Ex-Ministerpräsident nach Verhandlungen über ein hartes Sparprogramm Ende
Oktober 2011 angesichts massiver Proteste und erheblichem Unmut in den eigenen
Reihen kurzentschlossen verkündet, die griechische Bevölkerung über das Sanierungsprogramm
abstimmen zu lassen (9) – und damit an den Finanzmärkten und in der Euro-Gruppe
schwere Turbulenzen ausgelöst (10). Das ist ihm nicht gut bekommen. Er ruderte nach
erheblichem politischen Druck umgehend zurück und nur drei Tage später machte
er den Weg frei für eine technokratische Übergangsregierung (11), die vom
ehemaligen EZB-Vizepräsidenten und damaligen Harvard-Professor Lucas Papademos
geführt werden und den Sanierungsprozess sicherstellen sollte. (12)
Das war Ende 2011. Jetzt, Ende 2014,
befindet sich Griechenland wieder in derselben Situation und muss dieselbe
Entscheidung treffen. Das sollte allen Griechen, aber vor allem den
Euro-Rettern, die doch damals so überzeugt vom zügigen Erfolg ihres
Sanierungskonzeptes waren, zu denken geben.
Solange keine Partei konkret vorschlägt den Euro zu verlassen, ist es EGAL wer dort an der Macht ist. Die Syriza wird sich auch nur am Topf bedienen und den "Anderen" die Schuld geben.
AntwortenLöschenDas mag sein. Allerdings sollte Syriza-Chef Tsipras auch nicht unterschätzt werden. Wer weiß schon, was er sich alles einfallen lässt oder plant. Er wird nicht alle Karten auf den Tisch legen. Dann wären Neuverhandlungen mit der Euro-Gruppe von vornherein wenig sinnvoll.
LöschenDie am Ende vielleicht entscheidende Frage ist, ob er eine Alternative zu den Finanzhilfen der Euro-Gruppe und des IWF hat oder im Ernstfall auftun kann. Denn die Umsetzung eines alternativen krisenpolitischen Konzepts wird ohne finanzielle Hilfe nicht möglich sein.
Grüße
SLE