Montag, 11. Januar 2016

Die Chinakrise oder die Angst vor dem nächsten großen Crash - eine Analyse



Auch heute, am ersten Handelstag der neuen Woche, sind in China die Börsenkurse wieder eingebrochen. Der Shanghai Composite verlor 5,33 Prozent, der CSI 500 gab sogar 6,72 Prozent nach und auch in Hongkong rutschte der Hang Seng mit 2,76 Prozent tief ins Minus. Die Krisengefahr in China ist nicht gebannt und das Regime in Peking erweckt nicht den Eindruck, diese Gefahr ausräumen und die Märkte beruhigen zu können.

Die Sorge um China ist die Sorge um die tatsächliche Robustheit der westlichen Marktwirtschaften

Dabei richten sich die Sorgen der Anleger an den weltweiten Börsen weniger auf die chinesischen Aktien als vielmehr auf die sich weiter eintrübenden wirtschaftlichen Perspektiven in China. Was die hohe Unsicherheit noch weiter verstärkt, ist die Informationspolitik der Führung in Peking. Unter dem Präsidenten Xi Jinping wurde die Zensur in China sukzessive drastisch verschärft und dadurch bedingt die tatsächlichen Probleme sowie vor allem deren Ausmaß verschleiert. Was sehr viele inzwischen befürchten, ist, dass es um die chinesische Wirtschaft sehr viel schlechter steht als offiziell zugegeben wird und nun die enorme Nachfrage Chinas, die in den letzten Jahren die Weltwirtschaft und insbesondere auch die Schwellenländer stabilisiert hat, dauerhaft verloren gehen könnte.
Vielleicht könnte man es sogar noch etwas pointierter ausdrücken: Chinas Krise enthüllt eigentlich nur die Krise, in der die ganzen westlichen Marktwirtschaften schon seit spätestens 2008 stecken.
Der Westen hat seine Finanzmarktkrise nur durch die Flut billigen Geldes übertüncht und die westliche Realwirtschaft hat ihre Krise mit dem Boom in China kompensiert. Diese Kompensation droht nun fortzufallen, weil Chinas Wirtschaft selbst auf Talfahrt gegangen ist. Offiziell heißt es aus Peking zwar, die Bremsspuren der chinesischen Wirtschaft seien eine normale Folge der angestrebten Umstellung des Wirtschaftsmodells von der Fokussierung auf Exporte von kostengünstig erstellten Erzeugnissen auf Binnennachfrage und innovative Produkte. Doch es bestehen anhaltende und mehr noch zunehmende Zweifel daran, dass diese Umstellung ohne gravierenden Einbruch bewerkstelligt werden kann.
Das ist die vielleicht beste Erklärung für die immer wieder neu ausbrechenden Turbulenzen an Chinas Börsen und die dadurch bedingten Kurseinbrüche an den weltweiten Börsen.

Kontrollverlust in China, Kontrollillusion im Westen?

All das mündet in die letztlich wirklich entscheidende Frage, nämlich ob Chinas Probleme außer Kontrolle geraten und damit den nächsten großen globalen Crash auslösen, den viele schon lange prophezeien.
Keine Frage, die Flut billigen Geldes der Notenbanken, die Rettung der Großbanken und groß angelegte Konjunkturprogramme haben den Absturz von Finanzmärkten und Weltwirtschaft, der auf den Crash der Börsen nach der Lehman-Pleite folgte, gestoppt und sogar eine Erholungsprozess eingeleitet. Doch kaum jemand bezweifelt ernsthaft, dass lediglich eine sehr fragile Stabilität erreicht worden ist. Zwar haben sich die Aktienkurse an den Börsen längst über das Vorkrisenniveau hinaus erhöht. Doch das Wirtschaftswachstum ist weltweit schwach geblieben.
Und damit wird auch wieder die Frage neu aufgeworfen, die viele nach dem Crash von 2008 für längst beantwortet gehalten haben: Haben wir wirklich verstanden, was solche Mega-Crashs wie den von 1929 und 2008 auslöst und wie sie verhindert werden können?

Die Ursachen der Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise 2008/2009 wurden nie vollständig ergründet

Lassen Sie uns ehrlich sein: Sowohl die Notenbanken als auch die Regierungen sowie vor allem aber auch die führenden Ökonomen wurden von der Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise 2008 nicht nur überrascht, sie waren zunächst völlig ratlos. Was auf diese Phase der Ratlosigkeit folgte, war nichts anderes als eine Politik der Experimente. Eine grundlegende Analyse der Ursachen der Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise ist bis heute nicht erfolgt. Es ist ja irgendwie gut gegangen – bis jetzt jedenfalls. Die Finanzmarktkrise wurden als Folge unverantwortlicher Zockerei der Banken und als alleinige Ursache der Weltwirtschaftskrise angesehen und abgeschrieben.
Als dann das Schlimmste gebannt war, wollte sich bei den Entscheidern niemand mehr mit der Frage auseinandersetzen, ob das wirklich die richtige Erklärung für die große Krise gewesen ist. Die europäische Schuldenkrise trug ebenfalls dazu bei, dass die Krise von 2008/2009 nie wirklich aufgearbeitet wurde. Es waren ja „neue“ oder genauer gesagt Folge-Probleme zu lösen.
Doch die Anleger und Investoren haben das alles nicht vergessen. Mit den Problemen Chinas kommen die alten, unbeantworteten Fragen nun wieder ins Bewusstsein. Was aber sind die Antworten? Und wie real ist die Gefahr eines neuen großen, globalen Crashs? Es macht Sinn, sich damit zu beschäftigen bevor das Kind wieder in den Brunnen gefallen ist.

Was sind die Ursachen der Krisenanfälligkeit? Woraus resultiert die Gefahr eines großen Crashs?

Für die Beantwortung beider Fragen kommt es auf die Perspektive an, aus der man auf die Situation auf den globalen Finanzmärkten und in der Weltwirtschaft schaut oder anders ausgedrückt worauf genau man schaut, was man als zentrale Ursachen für eine mögliche neue große Krise ausmacht. Plakativ ausgedrückt geht es dabei um die Suche nach der Mutter aller Probleme und zwar sowohl auf den Finanzmärkten als auch in der Realwirtschaft.
Beide Sphären haben jeweils eigene, voneinander unabhängige, aber eben auch gemeinsame Probleme. Beispiele dafür sind die Risiken des Derivatehandels, des Kreditgeschäfts und die großangelegte Manipulation von Zinsen und Währungen. In der Realwirtschaft sind Probleme unter anderem die erkennbare Sättigung von Märken und, wie der VW-Abgasskandal deutlich machte, ebenfalls Manipulationen.
Dass es spezifische eigene, aber auch gemeinsame Probleme gibt, ist ein wichtiger Punkt. Ein weiterer wichtiger Punkt auf der Suche nach den zentralen Ursachen für Instabilität und für einen daraus möglicherweise folgenden neuen großen Crash ist, dass sich die Entwicklung auf den Finanzmärkten zwar weitgehend von der realwirtschaftlichen Entwicklung entkoppelt hat. Aber Finanzmärkte und Realwirtschaft brechen im Falle einer ernsten Krise beide gemeinsam massiv ein. So geschah es nach 1929 und auch nach 2008.
Damit wird der Blick speziell auf die gemeinsamen Probleme gelenkt.

Die Frage nach der „Mutter“ aller Probleme der globalen Märkte

So betrachtet ist die Frage nach der Mutter aller Probleme, die chronische Instabilität und latente Krisenanfälligkeit verursacht, eigentlich leicht zu beantworten:
Die globale Finanz- und die globalen realwirtschaftlichen Märkte sind ausgereifte, gesättigte und mit – insbesondere auch als Folge hoher und weiter steigender Einkommens- und Vermögenskonzentration – rückläufiger Nachfrage kämpfende Märkte, die jeweils von nur noch sehr wenigen, sehr großen Banken bzw. Konzernen beherrscht werden.
Zusammenfassend resultiert in dieser Perspektive das Risiko eines neuen großen globalen Crashs aus der Kombination ausgereifter, stagnierender Märkte und sehr hohen Konzentrationsgraden (Unternehmenskonzentration sowie Einkommens- und Vermögenskonzentration) sowie den daraus resultierenden massiven Ungleichgewichten, einschließlich jener zwischen den Volkswirtschaften weltweit.
Die Flut billigen Geldes der Notenbanken und die in den letzten Jahren starke chinesische Wirtschaft haben diese nach wie vor bestehenden und sich weiter zuspitzenden Probleme nicht ausgeräumt, sondern deren Lösung lediglich in die Zukunft verschoben. Mit den aktuellen Turbulenzen in China infolge des sich stark abschwächende Wachstums der chinesischen Wirtschaft brechen diese ungelösten weltwirtschaftlichen Probleme wieder auf. Mehr noch beginnt sich abzuzeichnen, dass die Geldflut der Notenbanken 2008/2009 zwar das Schlimmste verhindert, aber andererseits die Fallhöhe der Finanzmärkte noch deutlich erhöht hat.
Das lässt sich mit einem Blick auf die langfristige Entwicklung- der Einkommens- und Vermögenskonzentration sowie der Unternehmenskonzentration/zunehmenden Dominanz weniger, immer größerer Unternehmen (als Folge von Mega-Fusionen und Übernahmen) verdeutlichen.

Vermögenskonzentration

Abbildung 1 veranschaulicht wie sich das globale Privatvermögen zwischen 2000 und 2015 entwickelt hat. 2000 und 2007 markieren Jahre des Einbruchs an den Börsen. Gut zu erkennen ist, dass das Platzen der New-Economy-Blase 2000 nach Vermögensschätzungen der Credit Suisse eine nur geringe Reduzierung des globalen Privatvermögens nach sich zog, im Unterschied zum Börsencrash von 2008.
Abbildung 1: Zum Vergrößern bitte Abbildung anklicken!
Viel wichtiger erscheint aber die Tatsache, dass das globale Privatvermögen – abgesehen von den beiden Rücksetzern – über den gesamten Zeitraum bis 2014 immer weiter angestiegen ist. 2015 ist es gegenüber dem Vorjahr erstmals wieder gesunken. Allerdings ins dabei zu berücksichtigen, dass sich die Vermögensschätzung der Credit Suisse auf die Mitte des Jahres 2015 bezieht. Es ist gut möglich, dass die Schätzung noch korrigiert werden muss. Der erste größere Börsencrash in China erfolgte erst im August 2015 und er vernichtete Kapital in Höhe mehrerer Milliarden.
Die Zunahme des globalen Privatvermögens nach 2008 muss vor dem Hintergrund der Tatsache bewertet werden, dass es sich erstens zu einem großen Teil in Händen weniger befindet (hohe Vermögenskonzentration) und zweitens auch regional sehr stark konzentriert ist. Der in Abbildung 1 veranschaulichte Anstieg des globalen Privatvermögens nach 2008 bedeutet insofern einen weiteren Anstieg der Vermögenskonzentration generell sowie vor allem auch regional.
Um die regionale Vermögens-Entwicklung und (indirekt) Konzentration in den zehn Ländern mit dem größten Privatvermögen geht es in Abbildung 2.
Abbildung 2: Zum Vergrößern bitte Abbildung anklicken!
Wie schon in Abbildung 1 sind auch hier die Jahre 2000 und 2007 rot hervorgehoben. Über den Säulen ist zudem ausgewiesen, um wie viel sich das Privatvermögen in den zehn Ländern zwischen 2008, also dem Jahr des Börsencrashs, und 2015 prozentual ausgedrückt vergrößert oder reduziert hat. Da das Privatvermögen in US-Dollar angegeben wird, spielen Währungseffekte natürlich eine Rolle. Japan hat seine Währung im Zuge der „Abenomics“ stark abgewertet. Gerade auch deswegen ist das Privatvermögen in Japan stark geschrumpft. Bei den in der Abbildung aufgeführten Ländern der Euro-Zone ist zu berücksichtigen, dass der Euro zuletzt gegenüber dem Dollar an Wert verloren hat.
Davon abgesehen lässt sich jedoch konstatieren, dass sich der in Abbildung 1 veranschaulichte Anstieg des globalen Privatvermögens um 59,997 Billionen Dollar zwischen 2008 und 2015 vor allem aus dem Anstieg in den reichsten Ländern erklärt. So vergrößerte sich das Privatvermögen in Großbritannien um 5,98 Billion, in China um 10,071 Billionen und in den USA sogar um unglaubliche 33,684 Billionen Dollar. Das heißt, in diesen drei Staaten erhöhte sich das Privatvermögen im angegebenen Zeitraum zusammengerechnet um 49,735 Billionen Dollar.
Die USA, China und Großbritannien sind Länder mit bekanntermaßen sehr hoher Vermögenskonzentration. (1) Das bedeutet, zwischen 2008 und 2015 hat sich die Vermögenskonzentration regional sowie unter den Reichsten nochmals signifikant erhöht. Anders ausgedrückt haben sich die ungleiche Verteilung des globalen Privatvermögens bzw. die Ungleichgewichte in der Vermögensverteilung nach 2008 erheblich vergrößert.
Das zeigt sich exemplarisch auch beim Blick auf die langfristige Entwicklung des Anteils der reichsten 1 Prozent und der reichsten 0,5 Prozent der US-Amerikaner am gesamten Privatvermögen in den USA, die in Abbildung 3 dargestellt ist.
Abbildung 3: Zum Vergrößern bitte Abbildung anklicken!
Wie zu erkennen ist, ist die Vermögenskonzentration bei den reichsten 1 Prozent der US-Amerikaner bis 2012 auf über 40% gestiegen, der Anteil der reichsten 0,5 Prozent am privaten Gesamtvermögen in den USA auf rund 35 Prozent. Aus Abbildung 2 oben ist ersichtlich, dass es in den USA in den Jahren 2013-2015 sogar einen sprunghaften Anstieg bei den Privatvermögen gegeben hat. Das lässt aufgrund der hohen Vermögenskonzentration in den USA darauf schließen, dass sich dort insbesondere das Vermögen der reichsten 1 und 0,5 Prozent nochmals kräftig vergrößert hat.
Gedanklich lassen sich folglich die entsprechenden Kurven in Abbildung 3 nach 2012 bis 2015 nach oben verlängern womit sich die Vermögenskonzentration in den USA bis 2015 stark an die historisch bisher einmaligen Verhältnisse angenähert haben dürfte, die dort Ende der 20er Jahre, das heißt vor dem großen Börsencrash von 1929, herrschten.

Unternehmenskonzentration

Eingangs wurde bereits angesprochen, dass die globalen Märkte nicht nur ausgereift und weitgehend gesättigt sind. Vielmehr wurde auch darauf hingewiesen, dass sie meist von nur wenigen, sehr großen Unternehmen/Banken dominiert werden. Betrachtet man das Geschehen auf dem Markt für Fusionen und Übernahmen (Mergers & Acquisitions (M&A)) sowie speziell auch die vielen Megafusionen in den letzten 25 Jahren sowie insbesondere auch in 2015 (Beispiele: Pfizer – Allergan (113 Mrd. Dollar, Dell – EMC (67 Mrd. Dollar), Anthem – Cigna (54,2 Mrd. Dollar), dann lässt sich feststellen, dass sich diese Dominanz weiter vergrößert hat und auf noch weniger Großkonzerne verteilt. Das heißt, ein immer größerer Anteil der auf den Weltmärkten generierten Umsätze und Gewinne fällt bei einer kleiner werdenden Zahl sehr großer, börsennotierter Konzerne an.
Betrachtet man den Zeitraum 1990 bis 2015, dann lassen sich regelrechte Fusionswellen differenzieren, wobei diese im Takt der großen Börsencrashs beginnen bzw. enden. Das geht aus Abbildung 4 hervor, in der für die einzelnen Jahre jeweils das angekündigte Volumen an Fusionen und Übernahmen in US-Dollar angegeben ist.
Abbildung 4: Zum Vergrößern bitte Abbildung anklicken!
Die Daten legen nahe, dass die Fusionswellen ein Indikator für das Risiko von Börsencrashs sind. Wie schon in den vorangegangenen Abbildungen sind auch hier die beiden Krisenjahre 2000 und 2007 als Höhepunkte in einem Entwicklungsabschnitt rot hervorgehoben. Nach den Daten von Thomson Reuters markiert das Jahr 2015 beim Gesamtwert der angekündigten Fusionen und Übernahmen einen neuen Allzeitrekord.
Das muss nicht notwendigerweise bedeuten, dass die Fusionswelle 2016 mit einem neuen großen Crash bricht. Nimmt man jedoch die Fusionswellen als Crash-Indikator, dann ist das Crash-Risiko bis Ende 2015 in jedem Fall deutlich gestiegen.
Nachvollziehen lässt sich dies mit der einfachen Überlegung, dass – angesichts weitgehend gesättigter globaler Märkte – die Stabilität oder das Wohl und Wehe der globalen Wirtschaft 2016 in noch höherem Maße als jemals zuvor von einer sehr kleinen Zahl sehr großer Konzerne abhängt, die sich zudem überwiegend in nur wenigen Volkswirtschaften ballen.
Damit wird zugleich das Ausmaß der Abhängigkeit ganzer Volkswirtschaften von wenigen Konzernen klar und wie nahe, angesichts der anhaltenden Instabilität und hohen Krisenanfälligkeit der globalen Wirtschaft und Finanzmärkte, wirtschaftliche Prosperität und wirtschaftlicher Absturz heute beieinander liegen. Abrupt eintretende, tiefe Krisen sind damit vorprogrammiert.
Die hohe Vermögenskonzentration in den USA (siehe Abbildung 3) korrespondiert offensichtlich mit den Fusionswellen (Abbildung 4) und der Entwicklung an den Aktienbörsen. Abbildung 1 verdeutlicht, dass das globale Privatvermögen mit dem Crash von 2008 massiv einbrach und in dem bis heute anhaltenden Aufschwung an den Börsen wieder erheblich angestiegen ist. Die Aktien profitierten dabei von der Flut billigen Geldes der großen Notenbanken. Die Vermögenden wiederum profitierten von der steigenden Unternehmenskonzentration oder genauer gesagt davon, dass infolge der Welle von Fusionen (speziell Megafusionen) und Übernahmen ein immer größerer Anteil der weltweit erwirtschafteten Gewinne auf eine immer kleinere Zahl von (börsennotierten) Unternehmen entfällt.
Doch der Anstieg der Aktienkurse und das externe Unternehmenswachstum (durch M&A) finden keine Entsprechung in der Entwicklung des globalen Wirtschaftswachstums. Der Anstieg der Aktienkurse lässt sich folglich nicht ohne weiteres aus den allgemeinen Gewinnperspektiven ableiten, sofern man dabei auf die Trends beim globalen Wirtschaftswachstum rekurriert, wie die in Abbildung 5 dargestellten Wachstumsraten für die EU, die G7-Länder und Großbritannien im Zeitraum 2003 bis 2015 belegen.
Abbildung 5: Zum Vergrößern bitte Abbildung anklicken!
Aus den Fusionswellen resultiert auch kein erkennbarer positiver Effekt beim globalen Wirtschaftswachstum. Im Gegenteil erklärt sich die neue, 2009 angelaufene Fusionswelle offensichtlich gerade aus dem geringen und in den letzten Jahren tendenziell weiter zurückgehenden Markt- und Wirtschaftswachstum, speziell auch in den Schwellenländern. Es geht dabei folglich nicht um die Verbesserung der Chancen im internationalen Wettbewerb zur Generierung von Gewinnen auf wachsenden Märkten. Vielmehr geht es um Vergrößerung des Marktanteils auf gesättigten Märkten durch Zukäufe bei gleichzeitiger Realisierung von Kostenersparnissen.
Die neue Fusionswelle ist insofern ein Hinweis auf ein taktisches Vorgehen, bei dem sich verschlechternde Umsatz- und Gewinn-Wachstumsperspektiven auf den Weltmärkten kaschiert werden. Letztlich werden vor allem Kostensenkungspotenziale realisiert und damit der Zeitpunkt herausgeschoben, an dem sich die eintrübende gesamtwirtschaftliche bzw. weltwirtschaftliche Lage erkennbar in den Bilanzen niederschlägt.
Insofern verschleiert die aktuelle Fusionswelle die sich verschlechternden wirtschaftlichen Perspektiven von Unternehmen auf den globalen Märkten. Auch die Anleger tragen dazu bei. Denn an den Börsen wird sie direkt oder indirekt positiv gewertet, was sich in steigenden Aktienkursen widerspiegelt. Zudem hat auch die Flut billigen Geldes, die hauptsächlich in Finanzanlagen, aber eben nicht, wie von den Notenbanken angestrebt, in die Realwirtschaft geströmt ist, die Aktienkurse beflügelt. Die Entwicklung der Aktienkurse an den Börsen hat sich zunehmend von den realen weltwirtschaftlichen Perspektiven abgekoppelt und das ist ein Problem, wie Abbildung 6 veranschaulichen soll.

Einkommenskonzentration, Fusionswellen und große Börsencrashs

Die Abbildung 6 zeigt die langfristige Entwicklung der Einkommenskonzentration in den USA sprich den Anteil der Top-1- und der Top-0,5-Porzent der Einkommenspyramide am gesamten Einkommen in den USA. Es ergibt sich eine ähnliche Entwicklung wie bei den Top-Vermögenden in den USA (siehe Abbildung 3). Allerdings gibt es bei den Top-Einkommen viel stärkere Schwankungen.
Abbildung 6: Zum Vergrößern bitte Abbildung anklicken!
In die Darstellung zu den Top-US-Einkommen wurden nachträglich die Fusionswellen sowie auch große Börsencrashs eingezeichnet (vergleiche dazu auch (2) und (3)).
Gut zu erkennen ist, dass Top-Einkommensanteilsspitzen (in den USA) abgesehen von einer Ausnahme (1984-1989) immer mit Höhepunkten von Fusionswellen zusammenfielen und der Anstieg des Anteils der Top-Einkommen sowie die Fusionswellen, wiederum abgesehen von einer Ausnahme (1969), jeweils mit einem Börsencrash endeten.
Mehr noch zeigt die Abbildung 6, dass die Fusionswellen seit Anfang der 80er Jahre in kurzen Abständen aufeinander folgten. Das heißt aber vor allem auch, dass die Unternehmenskonzentration bzw. die Dominanz weniger, sehr großer Konzerne auf den globalen Märkten seit Mitte der 80er bis heute immer weiter gestiegen ist. So etwas hat es historisch betrachtet in dieser Form noch nicht gegeben.
Es wäre voreilig, vor diesem Hintergrund den nächsten großen Crash für 2016 prognostizieren zu wollen. Möglicherweise setzt sich die Fusionswelle auch 2016 noch fort. Eventuell kühlen sich die Aktienmärkte weltweit vorübergehend erst einmal nur etwas ab und beim Anstieg der Einkommens- und Vermögenskonzentration gibt es gegebenenfalls eine Pause. Dennoch ist die über die letzten Dekaden enorm gestiegene Konzentration bei Unternehmen, Einkommen und Vermögen in Verbindung mit ausgereiften, überwiegend gesättigten globalen Märkten bei zugleich steil und über das Vorkrisenniveau von 2007 hinaus gestiegenen Aktienkursen ein klarer Hinweis auf eine sehr hohe Crashgefahr für die globalen Märkte.
Die Situation, die sich durch die beschriebenen Konzentrationsprozesse inzwischen ergeben hat, ist gleichbedeutend mit massiven, in dieser Form bisher nicht gekannten Ungleichgewichten auf verschiedenen Ebenen der Weltwirtschaft. Und sie ist gleichbedeutend mit einer sehr hohen systemischen Instabilität, bei der globale Stabilität und globaler Crash nur einen Wimpernschlag weit auseinander liegen.
China könnte der Auslöser eines neuen großen, globalen Crashs sein. Vielleicht aber auch nicht. In Jedem Fall kann das Unvermögen des zentralistischen chinesischen Regimes, die Turbulenzen an den chinesischen Börsen, die Kapitalflucht und die wachsenden Probleme der chinesischen Wirtschaft in den Griff zu bekommen, als ein Zeichen dafür gewertet werden, dass das Umsteuern weltweit problematisch geworden ist.
Insofern ist es aber auch sehr fraglich geworden, ob Notenbanker und Regierungen weltweit in der Lage sind, eine neue Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise, die sie bis jetzt nicht kommen sehen, abzuwenden oder sie, so wie 2008/2009, zu stoppen, wenn sie bereits abrupt mit einem großen Crash begonnen hat.
Schaut man sich dazu nochmals Abbildung 6 an, dann können einem daran große Zweifel kommen.

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