Vor wenigen Wochen erst hatte Frankreichs
Präsident François Hollande ein Debakel seiner Sozialistischen Partei (PS) bei
den landesweiten Kommunalwahlen miterleben müssen. Die Sozialisten verloren
mehr als 150 Rathäuser an die konservative UMP seines Amtsvorgängers Nicolas
Sarkozy. Der rechtsextreme Front National (FN) von Marine Le Pen, eroberte mehr
als ein Dutzend Rathäuser. Dabei hatte der FN sogar nur in einem Bruchteil,
genauer gesagt in 540 der insgesamt 36.767 Kommunen einen Kandidaten aufgestellt.
Regierungsumbildung als Reaktion auf die Kommunalwahlschlappe
Präsident Hollande hatte den Franzosen
daraufhin gesagt, er habe ihre Botschaft verstanden - und bildete fix die
Regierung um. Der Premierminister Jean-Marc Ayrault hatte seinen Hut nehmen
müssen. Zu seinem Nachfolger bestimmte Hollande mit Manuel Valls, dem
bisherigen Innenminister, ausgerechnet einen Mann, der in der eigenen
sozialistischen Partei umstritten ist und zwar nicht zuletzt deswegen, weil er
dezidierter Befürworter eines Sparkurses zur Sanierung der Staatsfinanzen ist,
der als neoliberal empfunden wird.
Jetzt, noch nicht einmal zwei Monate
später, kassierten Hollandes Sozialisten bei der Europawahl trotz oder gerade
wegen der Regierungsumbildung eine neue und noch härtere Niederlage bei der
Europawahl. Der Front National wurde mit rund 25 Prozent der Stimmen
Frankreichs stärkste politische Kraft auf europäischer Ebene. Nur noch etwa 14
Prozent der Stimmen erhielten die Sozialisten und lagen damit auch weit hinter
der konser-vativen UMP, die einen Anteil von rund 21 Prozent erreicht hat.
Verwirrende TV-Ansprache des Präsidenten zum Europawahl-Debakel
Gestern Abend nun nahm der Präsident in
einer TV-Ansprache an das französische Volk Stellung zur Europawahl. (1) Das
Ergebnis sei kein Grund für einen Kurswechsel in Frankreich, erklärte er. Dabei
ließ er allerdings die Tatsache unter den Tisch fallen, dass er höchst selbst
und noch dazu erst vor wenigen Wochen die Regierung vor allem deswegen umgebildet
hatte, um den Franzosen eine Kurskorrektur zu signalisieren. Manuel Valls die
Regierungsgeschäfte zu übertragen, war ein klares Zeichen gewesen, dass
Frankreich stärker und konsequenter als zuvor auf den in Europas Krisenländern
vorherrschenden Sparkurs einschwenken würde. Diesem Zeichen waren sogleich auch
Taten gefolgt: Die Regierung hatte im April ihr Sparpaket in der
Nationalver-sammlung beschlossen, mit dem zwar auch Unternehmen und private Haushalte
entlastet werden sollen, dass aber bis 2017 Einsparungen im Volumen von rund 50
Milliarden Euro vorsieht. (2)
Unglücklicherweise – für Präsident
Hollande – haben die Ergebnisse der Europawahl in den Krisenländern nichts
deutlicher gezeigt, als dass exakt jene Parteien zum Teil besonders schwere
Einbußen hinnehmen mussten, die sich dem in Brüssel vereinbarten einseitigen
europäischen Spardiktat verschrieben hatten.
Europawahl: Denkzettel für die europäische Krisenpolitik
So wurde etwa die Mitte-rechts-Regierung
Portugals abgestraft. Sie kam nach vorläufigen Angaben nur auf 27,7 Prozent der
Stimmen, während die Sozialisten, die gegen den Sparkurs Sturm laufen, 31,5
Prozent erreichten.
In Spanien blieb die konservative PP von
Premier Mariano Rajoy mit 26 Prozent der Stimmen zwar stärkste Kraft vor den
Sozialisten, die 23 Prozent Zustimmung erhielten. (3) Damit hat die PP jedoch im
Vergleich zur Europawahl 2009, bei der sie satte 42,2 Prozent der Stimmen
bekommen hatte, massive Verluste erlitten. Das gleiche gilt für die
Sozialisten, die, als sie noch an der Regierung waren, Spanien auf den Sparkurs
geführt hatten. 2009 hatten sie bei der Europawahl einen Stimmenanteil von 38,5
Prozent erreicht. In absoluten Zahlen ausge-drückt haben jetzt beide
Volksparteien etwa gleich stark verloren: Die Konservativen 2,6 Millionen
Wähler-stimmen, die Sozialisten 2,5 Millionen Wählerstimmen. Das ist kein
Pappenstiel. Bei der Europawahl 2009 vereinten die beiden großen Parteien rund
80 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich. 2014 kommen sie zusammen nur noch
auf rund 49 Prozent. Gewonnen haben neu gegründete und andere bestehende,
kleinere Parteien, die den Sparkurs scharf kritisieren und zwar –
zusammengenommen – erheblich.
Auch in Irland wurden die beiden Regierungsparteien
für den harten Sparkurs abgestraft. Die konservative Fine-Gael-Partei von
Premier Enda Kenny rutschte von 29,1 Prozent bei der Europawahl 2009 auf jetzt
22 Prozent. Die mitregierende sozialdemokratische Labour-Partei erreichte bei
der Europawahl 2014 nur noch 6 Prozent – 2009 waren es noch 13,9 Prozent
gewesen. Wahlgewinner waren die 2009 noch nicht angetretenen „Unabhängigen“ mit
24 Prozent der Stimmen, aber auch die linksgerichtete Sinn-Fein-Partei, die ihr
Europa-wahlergebnis von 11,2 Prozent (2009) auf 17 Prozent (2014) verbessern
konnte. (4)
In Griechenland ergibt sich ein ähnliches
Bild. Auch hier mussten die regierende konservative Nea Dimokratia (ND) und die
mitregierende sozialdemokratische PASOK, die bei der Europawahl mit einem
Bündnis verschiedener Splitterparteien als „Elia“ (Olivenbaum) angetreten war,
herbe Verluste hinnehmen. Die ND hatte bei der Europawahl 2009 noch einen
Stimmenanteil von 32,3 Prozent, kam dieses Mal aber nur noch auf 22,7 Prozent.
Die PASOK war bei der EU-Wahl 2009 mit 36,6 Prozent die stärkste politische
Kraft in Griechenland. Ihr Bündnis „Elia“ bekam jetzt gerade einmal 8 Prozent
der Stimmen. Wahlsieger war hingegen die Linkspartei Syriza, die sich energisch
gegen den drastischen Sparkurs der Regierung ausspricht. Bei der Europawahl
2009 hatte sie 4,7 Prozent der Wähler auf ihrer Seite, jetzt ging sie mit 26,6
Prozent klar als stärkste Partei aus der Europawahl hervor. Drittstärkste
Partei wurde die faschistische „Goldene Morgenröte“ mit 9,3 Prozent
Stimmen-anteil. (5)
Hollande: Zur richtigen Zeit aufs falsche Pferd gesetzt, aber alles richtig gemacht
Präsident Hollande hat also mit seiner
Regierungsumbildung zum richtigen Zeitpunkt auf die in den Augen vieler Wähler
falsche Politik gesetzt. Der neue Premier Manuel Valls und das frisch
beschlossene Sparpaket werden von den Franzosen als schwer verdaulicher
sozialistischer Schwenk in Richtung neoliberale Austeritätspolitik wahrgenommen
werden, auch wenn der neue Kurs noch davon abweichende Elemente enthält, wie
etwa die anvisierten Entlastungen für Haushalte. Mit dem politischen Programm,
mit dessen Umsetzung Hollande zu Beginn seiner Amtszeit für mehr Wachstum,
Beschäftigung und stabilere Finanzen zu sorgen versprochen hatte, hat dies nicht
mehr allzu viel zu tun.
Bei seiner gestrigen Ansprache zur
Europawahl setzte der französische Präsident dem ganzen noch die Krone auf,
indem er einerseits meinte, das Europawahl-Debakel sei kein Grund, den krisenpolitischen
Frankreichs zu ändern, aber zugleich ankündigte, er wolle sich gleich am
nächsten Tag bei Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs in
Brüssel für einen Kurswechsel in Europa stark machen – weg von der einseitigen
Austeritäts-politik und hin zu mehr Wachstum und Beschäftigung. Doch wie gesagt
hatte er sich gerade erst mit der Regierungsumbildung genau diesem einseitigen
austeritätspolitischen Kurs stärker angenähert.
Decodiert man dieses Hollande´sche
Wirrwarr, dann ist also pointiert ausgedrückt aus des Präsidenten Sicht
Austeritätspolitik für Frankreich der richtige Weg, für Europa aber nicht. Nun
ja, auf diese Interpretation könnte es jedenfalls in den Köpfen der Bürger
Frankreichs überwiegend hinauslaufen – und das wird sie sicher nicht
versöhnlich stimmen.
Hollandes Hauptproblem ist Europas Hauptproblem
Doch eigentlich befindet sich Frankreichs
Präsident seit seinem Amtsantritt auf einem fürchterlichen Schlingerkurs. Fast
hat man den Eindruck, dieser "Kurs" sei Resultat seines Bemühens, der
jeweils lautesten Gruppe seiner Kritiker innerhalb oder außerhalb Frankreichs den
Wind aus den Segeln zu nehmen.
Was François Hollande nun eigentlich
wirklich will, um Frankreich wieder auf Kurs zu bringen, das versteht
inzwischen wahrscheinlich kein Franzose mehr. Er hat Frankeich in einen politischen
Irrgarten geführt, aus dem er nun scheinbar selbst nicht mehr herausfindet.
Jeder neue Schritt, den er unternimmt, so scheint es, bringt den Franzosen und
Frankreichs europäischen Partnern nicht mehr Klarheit, sondern führt im
Gegenteil offensichtlich nur immer noch tiefer in diesen Irrgarten hinein.
Davon profitiert in Frankreich Marine Le
Pen vom Front National. Doch bei genauerer Betrachtung ist das Problem des
französischen Präsidenten lediglich dasselbe wie das der Regierungen in den
europäischen Krisenstaaten, wie die oben exemplarisch genannten Ergebnisse der
Europawahl zeigen.
Es besteht darin, dass in diesen
Krisenstaaten, aber vor allem auf der europäischen Ebene, die den Krisenkurs in
den Mitgliedstaaten vorgibt, noch immer keine echte alternative
krisenpolitische Konzeption existiert, um die wirtschaftlichen, Beschäftigungs-
und finanziellen Probleme zu lösen, die die bisherige einseitige
austeritätspoli-tische Konzeption eher weiter verschärft, in jedem Fall aber
nicht entschärft hat. Das ist es offensichtlich, was die Wähler in Frankreich,
Spanien, Irland oder Griechenland bei der Europawahl mit ihrem Votum vor allem
zum Ausdruck bringen wollten. Nationalistische Tendenzen sind dabei durchaus
ein Teil des Problems.
Die Wählerbotschaft: Jeder hört, was er will, umschifft wird sie gemeinsam
Gemessen an der Reaktion von Frankreichs
Präsident Hollande auf die Europawahl entsteht jedoch nicht der Eindruck, dass
diese Botschaft bei den politischen Entscheidern so wirklich auch angekommen
ist. Bei ihrem Treffen in Brüssel sind die Staats- und Regierungschefs zudem wieder
ein Stück weiter entfernt von den politischen Problemen, die die Europawahl auf
nationaler Ebene verursacht hat. Wenn aber schon der Sozialist Hollande keinen
klaren alternativen krisenpolitischen Kurs in der zweitgrößten Volkswirtschaft
der EU zu finden vermag und in anderen Ländern die großen sozialdemokratischen
und konservativen Volksparteien krisenpolitisch – gemeinsam oder abwechselnd –
am selben Strang ziehen, wie sollten es dann die Staats- und Regierungschefs auf
europäischer Ebene tun können? Und wollen sie es überhaupt?
In erster Linie wollen sie regieren bzw. weiterregieren.
Die kommenden Verhandlungen der europäischen Staats- und Regierungschefs werden
sich deswegen wohl allein darum drehen, wie der in und für Europa
eingeschlagene krisenpolitische Weg trotz des Denkzettels der Wähler für die
beiden großen etablierten Parteiblöcke im Europäischen Parlament fortgesetzt
werden kann. Die Entscheidung, wer neuer Präsident der Europäischen Kommission
wird, ändert am Kurs nichts. Schließlich macht die Kommission die Vorschläge,
aber die Regierungen entscheiden darüber und das Europäische Parlament darf –
in bestimmten Fällen – mitentscheiden.
Einstweilen wird man die politischen
Probleme auf nationaler Ebene halt weiter gären lassen – bis zu den nächsten
Parlamentswahlen. Es war ja nur eine Europawahl. Hollandes´ Problem ist am Ende
dann eben doch wieder kein europäisches Problem – vorerst jedenfalls noch
nicht.
Vorausschauendes Agieren war in der Krise
auch bisher schon keine Stärke der EU.
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