Eigentlich hatte es nicht anders kommen
können. Die neuen griechischen Reformvorschläge sind von den Institutionen
alias Troika positiv bewertet worden, aber die Eurogruppe ist wieder einmal
uneins oder genauer gesagt tief zerstritten, so dass die Entscheidung darüber,
wie es mit Griechenland weitergehen soll, weiterhin offen geblieben ist. Der
EU-Sondergipfel wurde deswegen abgesagt. Heute treffen sich nur die Chefs der
Euroländer.
Wolfgang Schäuble geht aufs Ganze
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble
steht weiterhin an der Spitze der Skeptiker. Das Entgegenkommen der
griechischen Regierung bei den Reformvorschlägen hält er nach wie vor für bei
weitem nicht ausreichend. Der Rücktritt des bisherigen, von der Eurogruppe als
extrem provokant empfundenen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis, hat
sich auf die Verhandlungen offenbar ebenfalls nicht positiv ausgewirkt.
Mehr noch hat der Bundesfinanzminister
jetzt mit einem kurzen Positionspapier eine Einigung in noch weitere Ferne
gerückt, weil er darin entweder rasche und umfassende Nachbesserungen der
Reformvorschläge sowie die Einrichtung eines Treuhandfonds fordert, in den Erlöse
aus der Privatisierung von Staatsvermögen im Volumen von 50 Milliarden Euro für
den Schuldenabbau fließen sollen. Oder Griechenland soll für mindestens fünf
Jahre den Euro verlassen – ein Grexit auf Zeit also. In dieser Zeit könne dann
über eine Restrukturierung der Schulden verhandelt werden. Zudem solle das
finanzielle Risiko einer Überbrückungsfinanzierung im Falle des Scheiterns der
Verhandlungen bei Griechenland, nicht aber bei den Gläubigerländern der
Eurogruppe liegen. (1)
Kompromissloser geht es nicht. Ein Streit
in der Eurogruppe war damit vorprogrammiert. Schon lange gibt es in Europa
einige Regierungen, die Bauchschmerzen nicht nur mit dem von der
Bundesregierung in den Schulden-staaten forcierten einseitigen und drastischen austeritätspolitischen
Sanierungskurs haben, sondern auch mit der Art, in der sie dies durchzusetzen bemüht
ist. Deutschland wird als Europas Zuchtmeister gesehen. Und wenn es auch der
Bundesfinanzminister ist, dem dies als finanzpolitischer Hauptakteur angelastet
wird, so ist es die Bundeskanzlerin, die dies geschehen lässt und letztlich zu
verantworten hat.
Die alte europäische Sorge von einem dominanten Deutschland wird heraufbeschworen
Die deutsche Wiedervereinigung beschwor
seinerzeit in den europäischen Nachbarstaaten die Sorge vor einer
Wiedererstarkung Deutschlands herauf, die zu einer Dominanz Europas führen
könnte, die niemand wollte. Die Zustimmung zur gemeinsamen europäische Währung
oder anders ausgedrückt der Verzicht auf die starke D-Mark war deswegen auch
ein Zeichen Deutschlands dafür, dass es keine dominierende Rolle anzustreben
gedachte, sondern sich dem Gedanken der europäischen Einheit verpflichtet
fühlte.
Wolfgang Schäuble bezeichnet sich selbst
als Befürworter Europas. Was für ein Europa aber soll das sein? In jedem Fall
ist er wie kein anderer bestrebt, der Europäischen Union und vornehmlich der
Eurozone einen deutschen Stempel aufzudrücken. Kompromisslos. Es geht so, wie
wir das wollen oder es geht eben gar nicht. Das ist die Botschaft seines
Positionspapiers zur Schuldenproblematik Griechenlands.
Schäuble erweist der Kanzlerin mit seinem Vorstoß einen Bärendienst
Damit hat er der Bundeskanzlerin, die bisher
die Entscheidungen zum Kurs der Krisenpolitik den anderen überließ und selbst
immer nur die Rolle des Moderators übernahm, einen Bärendienst erwiesen. Denn
bei einem solchen Positionspapier gibt es nichts mehr zu moderieren.
Schlägt sich Angela Merkel auf die Seite
ihres Finanzministers, erhebt sie damit unausgesprochen, aber unmissverständlich
den Anspruch auf ein von der Bundesregierung dominiertes Europa und
konterkariert den europäischen Grundgedanken eines Europas, das eben von keinem
Nationalstaat dominiert werden soll. Sind Frankreich und Italien noch bereit,
das zu schlucken? Doch unabhängig davon: Die europäischen Gründungs-verträge haben
genau aus diesem Grund die Einrichtung einer Europäischen Kommission vorgesehen
und sie mit dem alleinigen Initiativrecht ausgestattet. Die Europäische Kommission
sollte den europäischen Integrations-prozess unabhängig von nationalen
Interessen und ganz im Sinne eines übergeordneten gemeinsamen, euro-päischen
Interesses vorantreiben.
All das scheint mit dem Positionspapier
von Wolfgang Schäuble vergessen oder zu Makulatur geworden sein. Zumindest aber
hat er es mit seiner kompromisslosen Haltung im Streit mit Griechenland jetzt definitiv
in Frage gestellt.
Zieht Angela Merkel indes die Notbremse und
entscheidet über den Kopf ihres Finanzministers hinweg für einen Kompromiss
jenseits der Vorschläge desselben, um den Zusammenhalt Europas und eventuell
auch den Euro nicht aufs Spiel zu setzen, dann ist das nicht weniger als ein
freiwilliger Verzicht auf die von ihm implizit einge-forderte Führungsrolle in
Europa.
Steckt die Kanzlerin zurück oder spaltet sie Europa?
Egal wie die Bundeskanzlerin mit der nun
eingetretenen Situation verfährt, sie wird dabei eine bittere Pille schlucken
müssen. Bleibt sie auf der Linie von Wolfgang Schäuble, dann wird sie damit innerhalb
der Europä-ischen Union unweigerlich eine fatale Frontbildung forcieren, die
Europa – politisch und gesellschaftlich – immer mehr entzweit und bei der
Deutschlands Dominanz zunehmend als Bedrohung für den Einheitsgedanken wahrgenommen
wird.
Andererseits werden ihr die Wähler bei all
der Stimmungsmache in den deutschen Medien gegen Griechenland einen milden
Kompromiss zugunsten Athens übel nehmen, weil dann erneut sehr viel Geld
fließen wird, aber es nach wie vor kein Sanierungskonzept gibt, das
sicherstellen kann, dass es nicht erneut umsonst fließt. Griechenland – das Fass
ohne Boden?
Die Krise Griechenlands ist kein exklusives griechisches Problem, sondern insbesondere auch eine europäische Aufgabe
Es ist, wenn man den Gedanken eines
gemeinschaftlichen Europas ernst nimmt, keineswegs allein Griechenlands Schuld,
dass es kein überzeugendes und vielversprechendes Lösungskonzept für eine
ernste Krise gibt, die in dieser Form eben nicht allein in Griechenland
herrscht, sondern ebenso etwa in Portugal und Spanien (2).
Von Beginn an wurde auf europäischer Ebene
aber immer so getan, als sei die Krise in Griechenland ein rein griechisches
Problem, das eben auch nur von Griechenland allein gelöst werden könne. Das war
und ist nicht zutreffend. Die Probleme sind nicht nur, aber in erster Linie eine
Folge der Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise und der Maßnahmen gewesen, die
zu deren „Bewältigung“ gewählt wurden. Die wirtschaftlich schwächeren Staaten
haben all das viel schlechter verkraftet als die wirtschaftlich starken Staaten
innerhalb der Europäischen Union. Die wirtschaftlichen Ungleichgewichte haben
sich dadurch und durch den von Europa gewählten austeri-tätspolitischen „Sanierungskurs“
massiv verstärkt. Der europäische Wirtschaftsraum ist deswegen heute von
erheblich stärkeren wirtschaftlichen Ungleichgewichten geprägt als vor der
Finanzmarktkrise.
In der Griechenlandkrise zeigt sich das Versagen Europas
Wachstum und Beschäftigung sowie eine
ausgewogene Entwicklung des europäischen Wirtschaftsraums zu erreichen, das ist
keine exklusive griechische Aufgabe. Es
ist eine europäische Aufgabe. Es ist – denkt man an die europäischen Verträge –
ganz besonders auch eine Aufgabe der Europäischen Kommission. Es ist höchste
Zeit, dass diese Aufgabe auf europäischer Ebene endlich auch als europäische Aufgabe
wahrgenommen und konstruktiv angepackt wird.
Ohne ein neues Wachstums- und
Entwicklungskonzept für ganz Europa wird es keine Lösung für Griechenland geben
und auch nicht für Portugal und Spanien. Wer die Lösung dieser Aufgabe auf ihre
finanzielle Dimension reduziert, hat das Grundprinzip einer auf Wachstum und
Entwicklung angelegten europäischen Gemeinschaft nicht verstanden. Ohne ein
neues, tragfähiges Wachstums- und Entwicklungskonzept für Europa werden sich
die bestehenden Staatsschuldenprobleme nicht lösen lassen.
In der Griechenlandkrise
zeigt sich insofern auch das Versagen Europas. Herr Schäuble will das jedoch nicht wahrhaben. Denn letztlich wäre es vor allem auch sein eigenes Versagen.
"Deutschland wird als Europas Zuchtmeister gesehen"
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Ja und das ist gewollt! Deutschland dient den Griechen und anderen Schuldensündern als Hassprojektionsfläche. Und zwar ganz einfach um die Wut der Griechen von der griechischen Regierung abzulenken. Auf solche Weise erstickt man mögliche Aufstände, die am Ende noch Radikale an die Macht spülen, im Keime. Schließlich käme kein Grieche je auf die Idee, vor dem Bundestag in Berlin Randale zu machen.
Das ist eine clevere und altbewährte Strategie, jedoch ist es etwas bitter für uns, dass Berlin dafür freiwillig den Allerwertesten hinhält und ohne etwas davon zu haben, außer zunehmenden Hass aus dem eigenen dafür zutiefst erniedrigten Volk.
Das habe ich übrigens schon 2010 vorgeschlagen (aber mit deutschen Exportpolitikern in Hellas) und frage mich, ob alle blind sind, dass das sonst keiner erkennt?