Sonntag, 12. Juli 2015

Schäubles Vorschlag eines Grexits auf Zeit: Ein Bärendienst für die Bundeskanzlerin



Eigentlich hatte es nicht anders kommen können. Die neuen griechischen Reformvorschläge sind von den Institutionen alias Troika positiv bewertet worden, aber die Eurogruppe ist wieder einmal uneins oder genauer gesagt tief zerstritten, so dass die Entscheidung darüber, wie es mit Griechenland weitergehen soll, weiterhin offen geblieben ist. Der EU-Sondergipfel wurde deswegen abgesagt. Heute treffen sich nur die Chefs der Euroländer.

Wolfgang Schäuble geht aufs Ganze

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble steht weiterhin an der Spitze der Skeptiker. Das Entgegenkommen der griechischen Regierung bei den Reformvorschlägen hält er nach wie vor für bei weitem nicht ausreichend. Der Rücktritt des bisherigen, von der Eurogruppe als extrem provokant empfundenen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis, hat sich auf die Verhandlungen offenbar ebenfalls nicht positiv ausgewirkt.
Mehr noch hat der Bundesfinanzminister jetzt mit einem kurzen Positionspapier eine Einigung in noch weitere Ferne gerückt, weil er darin entweder rasche und umfassende Nachbesserungen der Reformvorschläge sowie die Einrichtung eines Treuhandfonds fordert, in den Erlöse aus der Privatisierung von Staatsvermögen im Volumen von 50 Milliarden Euro für den Schuldenabbau fließen sollen. Oder Griechenland soll für mindestens fünf Jahre den Euro verlassen – ein Grexit auf Zeit also. In dieser Zeit könne dann über eine Restrukturierung der Schulden verhandelt werden. Zudem solle das finanzielle Risiko einer Überbrückungsfinanzierung im Falle des Scheiterns der Verhandlungen bei Griechenland, nicht aber bei den Gläubigerländern der Eurogruppe liegen. (1)
Kompromissloser geht es nicht. Ein Streit in der Eurogruppe war damit vorprogrammiert. Schon lange gibt es in Europa einige Regierungen, die Bauchschmerzen nicht nur mit dem von der Bundesregierung in den Schulden-staaten forcierten einseitigen und drastischen austeritätspolitischen Sanierungskurs haben, sondern auch mit der Art, in der sie dies durchzusetzen bemüht ist. Deutschland wird als Europas Zuchtmeister gesehen. Und wenn es auch der Bundesfinanzminister ist, dem dies als finanzpolitischer Hauptakteur angelastet wird, so ist es die Bundeskanzlerin, die dies geschehen lässt und letztlich zu verantworten hat.

Die alte europäische Sorge von einem dominanten Deutschland wird heraufbeschworen

Die deutsche Wiedervereinigung beschwor seinerzeit in den europäischen Nachbarstaaten die Sorge vor einer Wiedererstarkung Deutschlands herauf, die zu einer Dominanz Europas führen könnte, die niemand wollte. Die Zustimmung zur gemeinsamen europäische Währung oder anders ausgedrückt der Verzicht auf die starke D-Mark war deswegen auch ein Zeichen Deutschlands dafür, dass es keine dominierende Rolle anzustreben gedachte, sondern sich dem Gedanken der europäischen Einheit verpflichtet fühlte.
Wolfgang Schäuble bezeichnet sich selbst als Befürworter Europas. Was für ein Europa aber soll das sein? In jedem Fall ist er wie kein anderer bestrebt, der Europäischen Union und vornehmlich der Eurozone einen deutschen Stempel aufzudrücken. Kompromisslos. Es geht so, wie wir das wollen oder es geht eben gar nicht. Das ist die Botschaft seines Positionspapiers zur Schuldenproblematik Griechenlands.

Schäuble erweist der Kanzlerin mit seinem Vorstoß einen Bärendienst

Damit hat er der Bundeskanzlerin, die bisher die Entscheidungen zum Kurs der Krisenpolitik den anderen überließ und selbst immer nur die Rolle des Moderators übernahm, einen Bärendienst erwiesen. Denn bei einem solchen Positionspapier gibt es nichts mehr zu moderieren.
Schlägt sich Angela Merkel auf die Seite ihres Finanzministers, erhebt sie damit unausgesprochen, aber unmissverständlich den Anspruch auf ein von der Bundesregierung dominiertes Europa und konterkariert den europäischen Grundgedanken eines Europas, das eben von keinem Nationalstaat dominiert werden soll. Sind Frankreich und Italien noch bereit, das zu schlucken? Doch unabhängig davon: Die europäischen Gründungs-verträge haben genau aus diesem Grund die Einrichtung einer Europäischen Kommission vorgesehen und sie mit dem alleinigen Initiativrecht ausgestattet. Die Europäische Kommission sollte den europäischen Integrations-prozess unabhängig von nationalen Interessen und ganz im Sinne eines übergeordneten gemeinsamen, euro-päischen Interesses vorantreiben.
All das scheint mit dem Positionspapier von Wolfgang Schäuble vergessen oder zu Makulatur geworden sein. Zumindest aber hat er es mit seiner kompromisslosen Haltung im Streit mit Griechenland jetzt definitiv in Frage gestellt.
Zieht Angela Merkel indes die Notbremse und entscheidet über den Kopf ihres Finanzministers hinweg für einen Kompromiss jenseits der Vorschläge desselben, um den Zusammenhalt Europas und eventuell auch den Euro nicht aufs Spiel zu setzen, dann ist das nicht weniger als ein freiwilliger Verzicht auf die von ihm implizit einge-forderte Führungsrolle in Europa.

Steckt die Kanzlerin zurück oder spaltet sie Europa?

Egal wie die Bundeskanzlerin mit der nun eingetretenen Situation verfährt, sie wird dabei eine bittere Pille schlucken müssen. Bleibt sie auf der Linie von Wolfgang Schäuble, dann wird sie damit innerhalb der Europä-ischen Union unweigerlich eine fatale Frontbildung forcieren, die Europa – politisch und gesellschaftlich – immer mehr entzweit und bei der Deutschlands Dominanz zunehmend als Bedrohung für den Einheitsgedanken wahrgenommen wird.
Andererseits werden ihr die Wähler bei all der Stimmungsmache in den deutschen Medien gegen Griechenland einen milden Kompromiss zugunsten Athens übel nehmen, weil dann erneut sehr viel Geld fließen wird, aber es nach wie vor kein Sanierungskonzept gibt, das sicherstellen kann, dass es nicht erneut umsonst fließt. Griechenland – das Fass ohne Boden?

Die Krise Griechenlands ist kein exklusives griechisches Problem, sondern insbesondere auch eine europäische Aufgabe

Es ist, wenn man den Gedanken eines gemeinschaftlichen Europas ernst nimmt, keineswegs allein Griechenlands Schuld, dass es kein überzeugendes und vielversprechendes Lösungskonzept für eine ernste Krise gibt, die in dieser Form eben nicht allein in Griechenland herrscht, sondern ebenso etwa in Portugal und Spanien (2).
Von Beginn an wurde auf europäischer Ebene aber immer so getan, als sei die Krise in Griechenland ein rein griechisches Problem, das eben auch nur von Griechenland allein gelöst werden könne. Das war und ist nicht zutreffend. Die Probleme sind nicht nur, aber in erster Linie eine Folge der Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise und der Maßnahmen gewesen, die zu deren „Bewältigung“ gewählt wurden. Die wirtschaftlich schwächeren Staaten haben all das viel schlechter verkraftet als die wirtschaftlich starken Staaten innerhalb der Europäischen Union. Die wirtschaftlichen Ungleichgewichte haben sich dadurch und durch den von Europa gewählten austeri-tätspolitischen „Sanierungskurs“ massiv verstärkt. Der europäische Wirtschaftsraum ist deswegen heute von erheblich stärkeren wirtschaftlichen Ungleichgewichten geprägt als vor der Finanzmarktkrise.

In der Griechenlandkrise zeigt sich das Versagen Europas

Wachstum und Beschäftigung sowie eine ausgewogene Entwicklung des europäischen Wirtschaftsraums zu erreichen, das ist keine exklusive griechische Aufgabe. Es ist eine europäische Aufgabe. Es ist – denkt man an die europäischen Verträge – ganz besonders auch eine Aufgabe der Europäischen Kommission. Es ist höchste Zeit, dass diese Aufgabe auf europäischer Ebene endlich auch als europäische Aufgabe wahrgenommen und konstruktiv angepackt wird.
Ohne ein neues Wachstums- und Entwicklungskonzept für ganz Europa wird es keine Lösung für Griechenland geben und auch nicht für Portugal und Spanien. Wer die Lösung dieser Aufgabe auf ihre finanzielle Dimension reduziert, hat das Grundprinzip einer auf Wachstum und Entwicklung angelegten europäischen Gemeinschaft nicht verstanden. Ohne ein neues, tragfähiges Wachstums- und Entwicklungskonzept für Europa werden sich die bestehenden Staatsschuldenprobleme nicht lösen lassen.
In der Griechenlandkrise zeigt sich insofern auch das Versagen Europas. Herr Schäuble will das jedoch nicht wahrhaben. Denn letztlich wäre es vor allem auch sein eigenes Versagen.

1 Kommentar:

  1. "Deutschland wird als Europas Zuchtmeister gesehen"
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    Ja und das ist gewollt! Deutschland dient den Griechen und anderen Schuldensündern als Hassprojektionsfläche. Und zwar ganz einfach um die Wut der Griechen von der griechischen Regierung abzulenken. Auf solche Weise erstickt man mögliche Aufstände, die am Ende noch Radikale an die Macht spülen, im Keime. Schließlich käme kein Grieche je auf die Idee, vor dem Bundestag in Berlin Randale zu machen.

    Das ist eine clevere und altbewährte Strategie, jedoch ist es etwas bitter für uns, dass Berlin dafür freiwillig den Allerwertesten hinhält und ohne etwas davon zu haben, außer zunehmenden Hass aus dem eigenen dafür zutiefst erniedrigten Volk.

    Das habe ich übrigens schon 2010 vorgeschlagen (aber mit deutschen Exportpolitikern in Hellas) und frage mich, ob alle blind sind, dass das sonst keiner erkennt?

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