Freitag, 24. Juni 2016

Die neue Brexit-Realität: Politischer und wirtschaftlicher Scherbenhaufen für die EU, neue Chaostage an den Märkten



Die Briten haben sich mehrheitlich (51,7 Prozent) für das Ausscheiden aus der Europä­ischen Union entschieden - und sie haben damit letztlich doch alle überrascht.
Denn dass die Briten sich wirklich für den Brexit entscheiden würden, wer hatte das vor­her ernsthaft glauben wollen? Immerhin war klar gewesen, dass ein Brexit mit erheb­lichen Risiken und vor allem auch Nachteilen verbunden sein würde. Das war in den letzten Wochen auch und ganz besonders in Großbritannien immer wieder dargelegt und kommuniziert worden. Ganz abgesehen von den wirtschaftlichen Folgen, denen für den Handel, aber natürlich vor allem auch für die Bedeutung des Finanzplatzes London, der bisher als Finanzdrehscheibe der EU fungiert, könnte als Folge des Volksentscheids nun durchaus auch wieder der Zusammenhalt der Königreichs auf die Probe gestellt werden. Auch das war vorher klar gewesen. Denn Separationsbestrebungen gibt es schon länger in Großbritannien und zwar nicht nur in Schottland.
Freilich, die Meinungsumfragen hatten darauf hingedeutet, dass es knapp werden würde und natürlich haben sich alle – besonders die Finanzmarktakteure und die Notenbanken – auf den Fall der Fälle vorbereitet. Aber hierbei geht es zunächst um Krisenmanagement, um die Bewältigung der unmittelbaren Auswirkungen des Wahlausgangs, um den Erhalt der Finanzmarktstabilität angesichts der für Brexit-Fall erwarteten Turbulenzen.

Das ganze Ausmaß der Folgen des Brexit-Votums ist noch nicht abzuschätzen

Die tatsächliche Tiefe der Zäsur und die Reichweite des Brexit-Votums aber sind gegen­wärtig selbst für Experten sicherlich ähnlich schlecht abzuschätzen wie seiner Zeit im Falle der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers. Das hat vor allem auch damit zu tun, dass niemand genau sagen kann, wie lang und verzweigt die Dominosteinkette ist, deren erster Stein nun mit dem Votum der Briten gefallen ist. Es können und werden jetzt viele weitere Entscheidungen getroffen werden, von Nationen (z.B. China, Russ­land), Institutionen, Unternehmen, Banken, Finanzmarktakteuren und natürlich von Anlegern, die mithin negative Konsequenzen verstärken. Wie an den Finanzmärkten und insbesondere an den Börsen darauf reagiert werden wird, ist zudem auch abhängig vom gerade erreichten Level des Panikmodus oder der Beruhigung.
Heute hat es an den Märkten bereits heftige Reaktionen gegeben. Doch es ist nicht aus­zuschließen, dass das nur ein Vorgeschmack auf neue, tiefere Einbrüche am Montag gewesen ist, weil vielen bis dahin die Dimension des Ereignisses klarer geworden sein dürfte.

Ein Rückschlag für die EU vergleichbar mit dem Scheitern der EU-Verfassung 2005

Bereits heute schon ist jedoch klar, dass das Brexit-Votum ein Desaster für die Europä­ische Union und eine Quittung für das miserable Krisenmanagement der Staats- und Regierungschefs und der Europäischen Kommission ist, insbesondere im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise.
Machen wir uns nichts vor: Der Rückschlag ist vergleichbar mit dem der bei Referenden in Frankreich und den Niederlanden 2005 gescheiterten europäischen Verfassung. Die Implikation ist nicht weniger vernichtend: Es scheint, als habe die EU seit damals ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Wo ist das damals versprochene bürgerfreundlichere Europa? Die Entscheider in Brüssel – und dazu gehört nicht zuletzt David Cameron selbst – müssen sich heute mehr als damals die Frage gefallen lassen, worin ihre politische Leistung für Europa besteht, wenn die Bürger es in Referenden ablehnen.
Darüber hinaus ist es eine Ironie, dass Europas Top-Verantwortliche in der Hochphase der Griechenlandkrise leichtfertig den „Grexit“ herbeizureden riskierten, weil der für die EU angeblich zu verkraften gewesen wäre und man nun den Brexit bekommen hat, den man nicht wollte, aber an dem sich die EU – alles einberechnet, vor allem auch mögliche weitere Referenden und die Bewertung an den Finanzmärkten – durchaus „verschlucken“ könnte. Ist der Brexit der Anfang vom Ende der EU? An den Märkten wird diese Frage von nun an eine Rolle spielen. Das ist klar. Mario Draghi und seine Kollegen im EZB-Rat werden darüber keineswegs glücklich sein.

Neue Chaostage an den Märkten

Das alles wirft kein gutes Licht auf die europäische Führungsrolle der deutschen und französischen Regierung und wie sie diese bisher genutzt haben. Die EU, daran kann kein Zweifel mehr bestehen, befindet sich in einem besorgniserregenden Zustand. Es ein Zustand, der nach Zerfall zu riechen begonnen hat.
Das Brexit-Votum ist nichts anderes als eine krachende Ohrfeige der britischen Bevölke­rung für die Regierungen der größten Mitgliedstaaten, die bisher den Kurs der EU vor­gegeben haben. Allerdings haben sich die britischen Wähler gerade auch selbst geohr­feigt. Es dauert allerdings sicher noch eine Weile, bevor ihnen das bewusst wird.
Das Desaster – das der EU und das an den Finanzmärkten – ist mit dem heutigen Tag ganz sicher noch nicht abgehakt. Es hat gerade erst begonnen. Am Sonntag, bei den Neuwahlen in Spanien, könnte es sich weiter vergrößern. Der gerade erst bekannt ge­wordene Skandal um ein Mitglied der konservativen, geschäftsführenden Regierung von Mariano Rajoy könnte dazu führen, dass Spanien bald von einem Linksbündnis regiert werden wird, das den austertitätspolitischen Kurs Brüssels strikt ablehnt. Es wäre ein weiterer Schlag für die EU und er hätte das Potenzial, für neue, zusätzliche Unruhe an den Märkten zu sorgen.
Keine Frage, am Montag dürfte es an den Börsen erneut sehr spannend werden oder wie es so schön heißt: There is more to come.

2 Kommentare:

  1. "Das alles wirft kein gutes Licht auf die europäische Führungsrolle der deutschen und französischen Regierung und wie sie diese bisher genutzt haben." Welche Regierung?? Meinen Sie etwa die machthabend Politniki?

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    1. Ja, schon richtig. Man glaubt mithin die leben und wirken eigentlich gar nicht in dieser Welt, aber sie selbst glauben es.

      Viele Grüße
      SLE

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