Die Briten haben sich mehrheitlich (51,7 Prozent)
für das Ausscheiden aus der Europäischen Union entschieden - und sie haben
damit letztlich doch alle überrascht.
Denn dass die Briten sich wirklich für den
Brexit entscheiden würden, wer hatte das vorher ernsthaft glauben wollen?
Immerhin war klar gewesen, dass ein Brexit mit erheblichen Risiken und vor
allem auch Nachteilen verbunden sein würde. Das war in den letzten Wochen auch
und ganz besonders in Großbritannien immer wieder dargelegt und kommuniziert
worden. Ganz abgesehen von den wirtschaftlichen Folgen, denen für den Handel,
aber natürlich vor allem auch für die Bedeutung des Finanzplatzes London, der
bisher als Finanzdrehscheibe der EU fungiert, könnte als Folge des
Volksentscheids nun durchaus auch wieder der Zusammenhalt der Königreichs auf
die Probe gestellt werden. Auch das war vorher klar gewesen. Denn
Separationsbestrebungen gibt es schon länger in Großbritannien und zwar nicht
nur in Schottland.
Das ganze Ausmaß der Folgen des Brexit-Votums ist noch nicht abzuschätzen
Die tatsächliche Tiefe der Zäsur und die Reichweite
des Brexit-Votums aber sind gegenwärtig selbst für Experten sicherlich ähnlich
schlecht abzuschätzen wie seiner Zeit im Falle der Pleite der Investmentbank
Lehman Brothers. Das hat vor allem auch damit zu tun, dass niemand genau sagen
kann, wie lang und verzweigt die Dominosteinkette ist, deren erster Stein nun
mit dem Votum der Briten gefallen ist. Es können und werden jetzt viele weitere
Entscheidungen getroffen werden, von Nationen (z.B. China, Russland),
Institutionen, Unternehmen, Banken, Finanzmarktakteuren und natürlich von
Anlegern, die mithin negative Konsequenzen verstärken. Wie an den Finanzmärkten
und insbesondere an den Börsen darauf reagiert werden wird, ist zudem auch
abhängig vom gerade erreichten Level des Panikmodus oder der Beruhigung.
Heute hat es an den Märkten bereits
heftige Reaktionen gegeben. Doch es ist nicht auszuschließen, dass das nur ein
Vorgeschmack auf neue, tiefere Einbrüche am Montag gewesen ist, weil vielen bis
dahin die Dimension des Ereignisses klarer geworden sein dürfte.
Ein Rückschlag für die EU vergleichbar mit dem Scheitern der EU-Verfassung 2005
Bereits heute schon ist jedoch klar, dass
das Brexit-Votum ein Desaster für die Europäische Union und eine Quittung für das
miserable Krisenmanagement der Staats- und Regierungschefs und der Europäischen
Kommission ist, insbesondere im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise.
Machen wir uns nichts vor: Der Rückschlag ist
vergleichbar mit dem der bei Referenden in Frankreich und den Niederlanden 2005
gescheiterten europäischen Verfassung. Die Implikation ist nicht weniger
vernichtend: Es scheint, als habe die EU seit damals ihre Hausaufgaben nicht
gemacht. Wo ist das damals versprochene bürgerfreundlichere Europa? Die
Entscheider in Brüssel – und dazu gehört nicht zuletzt David Cameron selbst –
müssen sich heute mehr als damals die Frage gefallen lassen, worin ihre politische
Leistung für Europa besteht, wenn die Bürger es in Referenden ablehnen.
Darüber hinaus ist es eine Ironie, dass
Europas Top-Verantwortliche in der Hochphase der Griechenlandkrise leichtfertig
den „Grexit“ herbeizureden riskierten, weil der für die EU angeblich zu
verkraften gewesen wäre und man nun den Brexit bekommen hat, den man nicht
wollte, aber an dem sich die EU – alles einberechnet, vor allem auch mögliche
weitere Referenden und die Bewertung an den Finanzmärkten – durchaus
„verschlucken“ könnte. Ist der Brexit der Anfang vom Ende der EU? An den
Märkten wird diese Frage von nun an eine Rolle spielen. Das ist klar. Mario
Draghi und seine Kollegen im EZB-Rat werden darüber keineswegs glücklich sein.
Neue Chaostage an den Märkten
Das alles wirft kein gutes Licht auf die
europäische Führungsrolle der deutschen und französischen Regierung und wie sie
diese bisher genutzt haben. Die EU, daran kann kein Zweifel mehr bestehen,
befindet sich in einem besorgniserregenden Zustand. Es ein Zustand, der nach Zerfall
zu riechen begonnen hat.
Das Brexit-Votum ist nichts anderes als eine
krachende Ohrfeige der britischen Bevölkerung für die Regierungen der größten
Mitgliedstaaten, die bisher den Kurs der EU vorgegeben haben. Allerdings haben
sich die britischen Wähler gerade auch selbst geohrfeigt. Es dauert allerdings
sicher noch eine Weile, bevor ihnen das bewusst wird.
Das Desaster – das der EU und das an den
Finanzmärkten – ist mit dem heutigen Tag ganz sicher noch nicht abgehakt. Es
hat gerade erst begonnen. Am Sonntag, bei den Neuwahlen in Spanien, könnte es
sich weiter vergrößern. Der gerade erst bekannt gewordene Skandal um ein
Mitglied der konservativen, geschäftsführenden Regierung von Mariano Rajoy
könnte dazu führen, dass Spanien bald von einem Linksbündnis regiert werden
wird, das den austertitätspolitischen Kurs Brüssels strikt ablehnt. Es wäre ein
weiterer Schlag für die EU und er hätte das Potenzial, für neue, zusätzliche
Unruhe an den Märkten zu sorgen.
Keine Frage, am Montag dürfte es an den Börsen
erneut sehr spannend werden oder wie es so schön heißt: There is more to come.
"Das alles wirft kein gutes Licht auf die europäische Führungsrolle der deutschen und französischen Regierung und wie sie diese bisher genutzt haben." Welche Regierung?? Meinen Sie etwa die machthabend Politniki?
AntwortenLöschenJa, schon richtig. Man glaubt mithin die leben und wirken eigentlich gar nicht in dieser Welt, aber sie selbst glauben es.
LöschenViele Grüße
SLE