Montag, 27. April 2009

Ökonomie-Blog: Anwort an "veblen"

Den führenden Ökonomen gelingt es nach wie vor nicht, die Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise schlüssig zu erklären. Die Unsicherheit ihrer Prognosen bezüglich der weiteren Entwicklung und probater Gegenmaßnahmen ist weiterhin hoch. Nichts hat bisher die Talfahrt der Wirtschaft stoppen oder spürbar verlangsamen können. Deswegen wird unter Ökonomen teilweise heftigst gestritten.


Ökonomie-Blog von Harald Uhlig

Ich habe mich bis vor kurzem im Ökonomie-Blog von Prof. Harald Uhlig in der Online-Ausgabe des Handelsblatts an der Diskussion über Probleme der Ökonomen, die Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise zu erklären und zu lösen, beteiligt. Es ist eine offene, sachliche und deswegen auch interessante Diskussion.

Seit dem 3.04.2009 habe ich Probleme, in den Handelsblatt-Blogs - einschließlich dem von Harald Uhlig - unter meinem Namen Kommentare einzubringen.

Mir wurden in der Diskussion im Uhlig-Blog zum Thema „Will Renate Ohr zurück in die Steinzeit?“ von einem Teilnehmer Fragen gestellt, die ich aus diesem Grund dort nicht mehr beantworten konnte.

Ich möchte die Antworten nicht schuldig bleiben und sie den anderen Teilnehmern und Lesern des Blogs zugänglich machen, weswegen ich sie nun hier gebe.



Zum Diskussionszusammenhang:

Zuletzt war es dort darum gegangen, ob gegenwärtig in der Volkswirtschaft eine typisch keynesianische Situation vorliegt, was ich am 01.04.2009 negiert und auch begründet hatte und zwar wie folgt:

Stefan L. Eichner kommentiert:

@veblen und Dirk Ehnts

Auch ich bin der Auffassung, dass die Tragfähigkeit des theoretischen Fundaments das zentrale Problem des Ordoliberalismus und ähnlicher liberaler Argumentationslinien ist. Der Charme des Ansatzes liegt m. E. andererseits darin, dass er eine Alternative zu neoklassischen Ansätzen bietet, weil er Wettbewerb - den „Motor“ der Marktwirtschaft - ganz anders definiert. Das halte ich für wichtig.

Man muss ja ganz einfach sehen, dass Wirtschaftspolitik – denken sie etwa an Ludwig Erhard – nur erfolgreich sein kann, wenn sie in der Lage ist zu erkennen, was in einer konkreten Wirtschaftslage getan werden muss, damit der „Motor“ der Marktwirtschaft rund läuft. Die Frage nach den Voraussetzungen ist nicht trivial – auch wenn heute eigentlich jeder zu wissen glaubt, wie Wettbewerb funktioniert und funktionieren muss. Aus einem liberalen Wettbewerbsverständnis heraus ergeben sich diesbezüglich Antwor­ten, die sich nicht unerheblich von jenen unterscheiden, die man aus Sicht eines neoklas­sisch abgeleiteten Wettbewerbsverständnisses bekommt.

Tatsache ist aber, dass wir bis heute nicht wirklich sicher wissen, welche Voraussetzun­gen erfüllt sein müssen, damit wirksamer Wettbewerb herrscht, das heißt, ein Wettbe­werb, der das bewirkt was gemeinhin von ihm erwartet wird und weswegen die Markt­wirtschaft als Ordnung bevorzugt wird: eine prosperierende Wirtschaft, Wachstum, wirt­schaftliche Entwicklung.

Tatsache ist auch, dass sowohl das liberale als auch die im Kern aus der neoklassischen Theorie abgeleiteten Wettbewerbsauffassungen gravierende Schwächen haben.

Nun sagen Sie - und Herr Ehnt und viele andere -, wir haben eine typische keynesia­nische Situation. Mit Geldpolitik allein wird man der Krise nicht beikommen können, das sehe ich auch so. Doch Keynes Theorie, dass der Staat temporär einspringt, selbst Nach­frage generiert, auf diese Weise die Abwärtsspirale durchbricht und die Wirtschaft wieder stabilisiert, setzt doch etwas ganz wesentliches voraus, nämlich, dass – ich gebrauche wieder mein Bild - der vorliegende Typus von „Wirtschaftsmotor“ voll funktions- und voll leistungsfähig ist.

Wenn dieser Motor jedoch einen „Konstruktionsfehler“ hat, dann können Sie soviel Benzin hinein schütten wie Sie wollen – er wird dennoch nicht wieder richtig ans Laufen kom­men.

Ich habe den starken Eindruck, gegenwärtig wird der Fehler begangen zu glauben, die Weltwirtschaftskrise sei eine Konsequenz der Finanzmarktkrise. Ich bin sicher, dass dies nicht der Fall ist. Ich glaube, wir haben hier zwei verschiedene Probleme. Denken Sie z. B. nur einmal an die Autoindustrie: Gravierende Absatzprobleme gab es dort schon lange vor Ausbruch der Finanzmarktkrise. Auf einer Reihe von anderen, global bedeutsamen Märkten herrschen sehr ähnliche Verhältnisse vor, das heißt es gibt eindeutig Sättigungs­tendenzen, die Unternehmenskonzentration ist weit fortgeschritten - die Märkte werden von einer geringen Zahl sehr großer Unternehmen dominiert -, es herrscht ein sehr harter Preis- und Kostenwettbewerb, wirklich signifikante, den Markt belebende Innova­tionen treten nicht auf u.a.

Ich nehme nicht für mich in Anspruch, dass ich Recht habe, aber ich glaube unter diesen Voraussetzungen werden Konjunkturprogramme nicht die gewünschten Erfolge zeitigen können. Ich halte es für mehr als unwahrscheinlich, dass wir auf den globalen Märkten auch nur annähernd wieder zu den bisherigen Umsatzvolumina zurückgelangen werden können. Und das ist ein gravierendes Problem für alle Großunternehmen: sie brauchen diese Umsatzvolumina, um überleben zu können – und mit ihnen die in hohem Maße von ihnen abhängigen Zulieferer und Dienstleister.

Ich glaube, das Problem ist, dass der „Motor“ tatsächlich einen Konstruktionsfehler auf­weist. Die Wirtschaftspolitik hat sich über viele Jahre an einem Wettbewerbsideal orien­tiert, welches in der Realität nicht das bewirkt, was die zugrundeliegende Theorie ver­spricht, sondern langfristig zu instabilen Märkten führt. Das Problem wird nicht so einfach zu beheben sein – jedenfalls nicht durch Konjunkturprogramme, die im Kern darauf gerichtet sind, den bisherigen Motor wieder auf seine alten Drehzahlen zu bringen. Und es ist auch nicht ausreichend, wenn auch unabdingbar, die Finanzmärkte wieder in Gang zu bringen.

MFG


Der Teilnehmer "veblen" erklärte daraufhin im Blog am 02.04.2009, er könne mir noch nicht ganz folgen und bat mich, meine Position zu verdeutlichen. Er formulierte dazu fünf Fragen:

1) Worin genau sehen Sie den entscheidenden „Konstruktionsfehler“ der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung?

2) Ist es die einseitige Ausrichtung auf "internationale Wettbewerbsfähigkeit"?

3) Ist das gemeint, wenn Sie vom derzeitigen Wettbewerbsideal sprechen?

4) Und sind Sättigungstendenzen nicht auch eine Frage der Einkommensverteilung?

5) Und zuletzt, zu welchen Lösungsvorschlägen kommen Sie?


Meine für den 03.04.2009 im Uhlig-Blog als Kommentar vorgesehene Antwort an "veblen" lautet wie folgt:

Lieber veblen,

zunächst einmal möchte ich mich bei Ihnen noch für den Link zum Artikel in der Zeit bedanken. Das ist das schöne an einer Diskussion – man wird auf Dinge aufmerksam, die man bisher noch nicht gesehen, an die man bisher selbst noch nicht gedacht hat. Vielen Dank also.

Ich kann gut verstehen, dass es nicht ohne weiteres nachvollziehbar ist, was ich ge­schrieben habe. Also fange ich einfach einmal an und versuche etwas genauer darzu­legen, was ich meine.

Sie haben Recht, es hat schon sehr viel mit der „internationalen Wettbewerbsfähigkeit“ zu tun. Und ich denke auch, dass es etwas mit der Einkommensverteilung zu tun hat – allerdings muss ich zugeben, dass ich mich mit diesem Thema nie vertieft auseinander­gesetzt habe. Ich habe immer eher den Wettbewerb im Blick gehabt.

Die auf vielen global bedeutsamen Märkten vorliegenden Gegebenheiten, die ich oben rudimentär skizziert habe, muss man als Resultat einer Entwicklung sehen, wobei Wirt­schafts- und Wettbewerbspolitik durchaus entscheidend dazu beigetragen haben. Schließlich geben Sie einmal die Grenzen vor, innerhalb derer Wettbewerbsaktionen, aber z. B. auch Fusionen und Übernahmen erlaubt sind. Ferner gestaltet die Wirtschaftspolitik die gesetzlichen Rahmenbedingungen und fördert die Entwicklung auch aktiv, beispiels­weise über spezifische Forschungsförderungsprogramme.

Woran orientiert sich aber die Wirtschaftspolitik? Woher will sie wissen, dass das, was sie tut, zu einer günstigen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung beiträgt?

Nun habe ich ja gesagt, das Wettbewerb der Motor der Marktwirtschaft ist und insofern ist völlig klar, dass die Wirtschaftspolitik eine klare Vorstellung davon haben muss, unter welchen Voraussetzungen Wettbewerb – im gesamtwirtschaftlichem Sinne – optimal arbeitet.

Liberale Ökonomen sehen als zentrale Voraussetzung lediglich die „Freiheit“ der Akteure an – lediglich die Vorgabe von Regeln werden als notwendig erachtet. Ökonomen, die ein im Kern aus der neoklassischen Theorie abgeleitetes Wettbewerbsverständnis haben, gehen weiter. Sie definieren z. B. auch die ideale Marktstruktur – nicht exakt, wie bei der „vollkommenen Konkurrenz“, aber immerhin als Set von Marktmerkmalsausprägungen, wobei diese innerhalb von Grenzen durchaus unterschiedlich ausfallen können. So wird beispielsweise das Oligopol als Ideal angesehen, aber es wird nicht genau festgelegt, welche Zahl von Akteuren ideal ist.

In den 60er Jahren hat sich endgültig und auf breiter Front die Auffassung durchgesetzt, dass man – anders als liberale Ökonomen glauben – die Voraussetzungen für idealen Wettbewerb (im dargelegten Sinne) doch relativ genau bestimmen kann und u. a. das Oligopol die bevorzugte Marktform ist. Dabei spielt die Hypothese von der grundsätz­lichen Überlegenheit der Großunternehmung, Innovationen und technischen Fortschritt hervorzubringen, eine zentrale Rolle.

Was dann – gerade auch in Deutschland nach dem Wechsel von Ludwig Erhard zur großen Koalition und Karl Schiller – stattfand, ist, dass seitens der Wirtschaftspolitik aktiv die Förderung der Entstehung entsprechender Gegebenheiten auf den Märkten ins Auge gefasst wurde – woran sich bis heute nichts geändert hat. Sehr schön bringt dies z. B. ein Dokument der Europäischen Kommission von 1970 zum Ausdruck, das sogenannte „Colonna-Memorandum“ (KOM (70), 100 endg., Brüssel, den 18.03.1970, insb. Abschnitt „Einleitung und Grundgedanken“, S. 20 ff.) Ich habe dazu einmal einen Aufsatz ge­schrieben (Orientierungen,101, 03/2004).

Die Intention dieses Dokuments war, eine europäische Industriepolitik zu initiieren – was damals scheiterte, weil es einerseits ordnungspolitische Vorbehalte gab, andererseits die Regierungen nicht bereit waren, Kompetenzen abzugeben. Das ändert aber nichts daran, dass zu dieser Zeit gerade das Thema „internationale Wettbewerbsfähigkeit“ hoch aktuell war und sich alle europäischen Staaten damit befassten, wie die eigene internationale Wettbewerbsfähigkeit verbessert werden könnte. Ein wesentlicher Punkt war dabei, dass allgemein die Auffassung bestand, dass die Unternehmensgrößen in Europa im Vergleich zu denen in den USA zu klein wären. Das wurde im Rahmen einer Studie für die Kommis­sion (zu den Ergebnissen siehe Colonna Memorandum) festgestellt.

Seit den 60er Jahren wurde der in dieser Zeit beginnende Unternehmenskonzentrations­prozess wirtschaftspolitisch gefördert, wobei insgesamt Großunternehmen in den Fokus rückten, kleine und mittelständische Unternehmen hingegen eher vernachlässigt wurden. Grund dafür war die oben beschriebene Wettbewerbsauffassung – die ja aus den USA stammt (J. M. Clark brachte das Thema in der US-Politik schon 1938 auf).

Es geht dabei um den sogenannten „funktionsfähigen Wettbewerb“ („workable competi­tion“). Die Hypothese, welcher dieser Wettbewerbsauffassung zugrunde liegt, ist, dass volkswirtschaftliche Effizienz, Innovation und Wachstum am besten gefördert werden, wenn auf Märkten eine geringe Zahl von Großunternehmen existiert. Die Vorstellung war unter Ökonomen nie unumstritten – besonders liberale Ökonomen lehnten sie ab, wie ich oben schon im Zusammenhang mit Ordoliberalismus und Ordnungspolitik erklärte. Auch ich sehe bei dieser Wettbewerbsauffassung gravierende Schwächen. Eine ist, dass diese Vorstellung eine statische Marktsicht hat, die Entwicklung von Märkten also völlig aus­blendet.

Das heißt, wenn man sich die Marktbedingungen anschaut, die gemäß dieser Wettbe­werbsvorstellung als ideal angesehen werden, und man sich behelfsweise einmal das Marktphasenkonzept vor Augen führt, um die Marktentwicklung als Aspekt einzubringen, dann beschreibt dieses Wettbewerbsideal, was als maßgeblich für die „internationale Wettbewerbsfähigkeit“ angesehen wird, einen Zustand, den man im Phasenkonzept in der späten Reife- oder gar Stagnationsphase wiederfindet.

Das Problem dabei ist, dass es gemäß des „funktionsfähigen Wettbewerbs“ wirtschafts- und wettbewerbspolitisch angemessen ist, eine solche Marktsituation – innerhalb gewis­ser Schwankungsbreiten – dauerhaft zu erhalten. Das bedeutet aber im Grunde, dass man damit die Marktentwicklung nicht fördert, sondern behindert.

In den 80er Jahren flammte die Debatte um die „internationale Wettbewerbsfähigkeit“ erneut auf und dieses Mal stieg die Politik richtig ein – denken Sie etwa an die Popularität der „Industriepolitik“ in der Regierung Gerhard Schröder oder auch Nicolas Sarkozy. Alles dreht sich – gerade auch jetzt – um die „national champions“. Interessanterweise hat gerade auch Paul Krugman mit seiner neuen Handelstheorie Argumente geliefert, weiter in diese Richtung zu gehen. Indem man nicht mehr die nationalen, sondern die internationalen Märkte betrachtete, gab es Gründe, noch größere Unternehmenseinheiten auf den Märkten zuzulassen.

Dass einseitig Großunternehmen und Effizienzsteigerungen in den Blick genommen wur­den, hat sich nicht nur auf den Wettbewerb auf diesen Märkten ausgewirkt, sondern auch die Einkommensverteilung massiv beeinflusst. Die auf breiter Front verfolgte Kostensen­kungsstrategie – z. B. auch unterstützt durch die Agenda 2010 - hat über die Jahre die Kaufkraft der privaten Haushalte massiv ausgehöhlt. Wir haben ja auch seit einiger Zeit schon eine sehr schwache Binnennachfrage. Aber wie gesagt, mit diesen Aspekten habe ich mich nie wirklich beschäftigt.

Was wir derzeit aber m. E. erleben, ist, dass jene Märkte, auf denen schon (zu lange) die vermeintlich ideale Marktsituation vorherrscht, mit der Überbetonung der Effizienz, kip­pen. Auslöser dafür war in der Tat die Finanzmarktkrise – sie hat die ohnehin vorhandene Entwicklung auf den Märkten massiv beschleunigt. „Wirksamer“ Wettbewerb findet auf diesen Märkten im Prinzip schon lange nicht mehr statt. Insofern denke ich auch, dass das Ideal vom „funktionsfähigen Wettbewerb“, sofern es über einen langen Zeitraum ver­folgt wird, mehr und mehr Märkte an den Rand der Rückbildungsphase führt und damit zu instabilen Märkten. Das ist der „Konstruktionsfehler“. Daran können die Notenbanken nichts ändern und auch Konjunkturprogramme nicht.

Was meines Erachtens nun unternommen werden müsste, ist, die neben den Großunternehmen existierende zweite Säule der Gesamtwirtschaft, die kleinen und mittelgroßen Unternehmen, in den Mittelpunkt der Wirtschaftspolitik zu rücken. Vor allem müssen dynamisch innovative KMU gefördert werden, damit wieder eine innovative Dynamik in die Märkte kommt und auch neue Märkte entstehen. Nur diese zweite Säule kann jetzt die Gesamtwirtschaft wieder stabilisieren helfen.

MFG



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