Mittwoch, 21. Dezember 2011

489,2 Mrd. Euro für Europas Banken – die Industriepolitik der EZB


Konzertierte Notenbankenaktion am 15. September, weil Europas Banken die Dollars knapp wurden (1) – konzertierte Notenbankenaktion am 30. November, zwecks Überwindung der Dollarknappheit europäischer Banken (2) – 489,2 Mrd. Euro EZB-3-Jahres-Tender zum Zinssatz von einem Prozent für drei Jahre für europäischen Banken am 21. Dezember, weil Europas Banken im ersten Quartal 2012 insgesamt 220 Mrd. Euro an den Kapitalmärkten neu aufnehmen müssen, die sie dort aber wegen des Vertrauensverlustes schwerlich bekommen werden (3).
Dies ist ein in Kurzform erzähltes Märchen, es heißt: „Liquidität hilft über Vertrauens-verlust im Bankensektor hinweg – denn die Zeit heilt alle Wunden“.
Die Europäische Zentralbank (EZB) unternahm alle diese Schritte, weil die Banken sich untereinander nicht mehr vertrauen bzw. kein Geld mehr leihen. Mit dem 3-Jahres-Tender will sie den Banken zudem auch Planungssicherheit geben sowie einer Kreditklemme, die eine neue Wirtschaftskrise auslösen könnte, vorbeugen. Es wird geschätzt, dass sich die Liquiditätshilfen der EZB für Europas Banken mittlerweile auf insgesamt 750 Mrd. Euro belaufen. (4)
Seit der Lehman-Pleite wird über die Gefahr geredet, die von Großbanken für ganze Volkswirtschaften ausgeht – weil deren Bilanzsumme an das Bruttoinlandsprodukt einiger Industriestaaten heranreicht oder es nicht selten sogar übersteigt. Daran und an dem mangelhaften Risikobewusstsein der Banker hat sich nicht nur nichts geändert. Die Risiken sind – ebenso wie einige Großbanken durch Übernahmen – noch größer geworden. Darauf hat der Internationale Währungsfonds schon im März 2011 hingewiesen (5) sowie etwa auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) (6) – und seitdem hat sich die Lage erheblich verschärft. Die EZB selbst konstatiert jetzt, die Risiken für die Finanzstabilität der Euro-Zone hätten in der zweiten Hälfte von 2011 beträchtlich zugenommen und eine systemische Dimension angenommen so wie zuletzt nach der Lehman-Pleite. (7) Gleichzeitig sind die Aussichten für die globale Wirtschafts-entwicklung laut IWF düster und dessen Direktorin Christine Lagarde rief angesichts dessen sowie protektionistischer und isolationistischer Tendenzen zur weltweiten Zusammenarbeit auf, um eine Depression wie in der ersten Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren zu verhindern. (8) Frau Lagarde hätte den Vergleich mit der ersten Weltwirt-schaftskrise gut um mindestens eine weitere Parallele, die wie damals massiv krisenver-schärfend wirkt, ergänzen können: die in einer Reihe von Staaten verfolgte Austeritäts-politik.
Das ist – auf eine kurze Formel gebracht und wenn man so will – die Bilanz der weltweiten Krisenmaßnahmen seit der Lehman-Pleite im September 2008. Bedenkt man zudem, dass gerade die Notenbanker darauf bedacht waren, die Fehler ihrer Vorgänger in den 30er Jahren nicht zu wiederholen und deswegen auf eine ultra-lockere Geldpolitik setzten, so stellt sich die Frage, was damit wirklich erreicht wurde und zu welchem Preis.
Die EZB rettet in einer Art Dauereinsatz Europas Großbanken. Betrachtet man die Wirksamkeit ihrer seit Oktober 2008 ergriffenen Maßnahmen, so ist die Halbwertszeit der damit erreichten „Systemstabilität“ als ausgesprochen gering einzustufen – sofern bisher überhaupt zutreffend von „Systemstabilität“ gesprochen werden konnte. Pointiert ausge-drückt kann man deswegen fragen, ob das, was die EZB macht, nicht letztlich schlicht als Industrie- bzw. Erhaltungspolitik zu bezeichnen ist. Denn unter dem Strich werden Europas Großbanken am Leben erhalten – so könnte man es zumindest auch sehen. Und die Liquidität fließt sowieso nicht in die Wirtschaft – wo sollte die es angesichts von verbreiteter Nachfrageschwäche und rezessiver Tendenzen investieren -, sondern bleibt im Bankensystem zwecks Löschung der Brände, die schief laufende Wetten und andere waghalsige Geschäfte verursachen.
Diese Sichtweise ist erschreckend, jedoch nicht völlig verkehrt. Die kurzen Abstände zwischen den massiven Interventionen der EZB sind ein starker Hinweise darauf, dass nur an den Symptomen kuriert wird und die Instabilität der Finanzmärkte systemische Ursachen hat – an die sich aber niemand heranwagt. Freilich muss man dann konse-quenterweise auch fragen, inwieweit die EZB überhaupt zuständig ist.
So oder so, die Bereitschaft, das Finanzmarktsystem zu verändern oder, was eher angemessen wäre, gravierend umzubauen, ist am Ende des dritten Jahres nach der Lehman-Pleite nicht vorhanden. 29 Großbanken für systemrelevant für den globalen Finanzmarkt zu erklären, wie es vor ein paar Wochen geschehen ist, macht bei system-bedingter Instabilität jedenfalls wenig Sinn und ist schlimmstenfalls nur eine Bestands-garantie. Zudem liegen mittlerweile auch neuere Erkenntnisse über die Vernetzung des Finanzsektors vor, die auf eine wesentlich höhere Zahl systemrelevanter Finanzmarkt-akteure schließen lassen – die meisten davon mit Sitz in den USA. (9) Das Problem „Too big to fail“ wird mit besonderen Anforderungen an systemrelevante Banken ebenso wenig wie mit fortlaufenden Liquiditätsspritzen gelöst. Natürlich ist es wichtig, den Derivate-handel stärker zu regulieren und mithin einzuschränken. Andererseits gehen die Risiken primär von den wenigen großen Akteuren aus, die den weltweiten Derivatemarkt größtenteils unter sich aufteilen. So vereinen beispielsweise in den USA lediglich fünf Großbanken 95 Prozent (237 Billionen US-Dollar) des gesamten, von US-Banken betriebenen Derivatehandels auf sich. (10)
Eine wesentliche Voraussetzung für Finanzmarktstabilität liegt in der signifikanten Reduktion jener Gefahren, die von sehr großen, systemrelevanten Banken ausgehen. Letztlich wird das nur zu erreichen sein, indem sie ihre Systemrelevanz verlieren, sprich kleiner werden.
Zweifellos müssten die Notenbanken einen Systemumbau mit Maßnahmen begleiten und unterstützen. Zurzeit fehlt den Notenbankenaktionen jegliche Perspektive. Sie führen nirgendwo hin. Der Weg ist das Ziel.

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