Samstag, 14. Januar 2012

Neun auf einen Streich: S&P-Rating, die Euro-Zone oder wer wem vertrauen kann

Standard & Poor´s hat gestern die Kreditwürdigkeit von Frankreich und Österreich um eine Stufe von AAA auf AA+ heruntergesetzt. Das Rating von Malta, der Slowakei und Sloweniens wurde ebenfalls um jeweils eine Stufe zurückgenommen. Die Bonität von Italien, Spanien, Portugal und Zypern verschlechterte sich um zwei Stufen. (1)
 
Am Donnerstag hatte das Handelsblatt berichtet, dass auch Fitch angekündigt hat, nach Abschluss einer laufenden Überprüfung und Neubewertung der Risiken könnte noch im Januar die Kreditwürdigkeit einiger Euro-Staaten herabgestuft werden. (2) Es könnte also bald noch dicker kommen.

Ebenfalls am Freitag wurde berichtet, der US-Präsident Barack Obama habe in einem Brief an den Präsidenten des Repräsentantenhauses, John Boehner, eine weitere Anhebung der US-Schuldengrenze um 1,2 Billionen Dollar verlangt, weil dies nötig sei, um Zahlungsverpflichtungen nachkommen zu können. (3) Die aktuelle Schuldengrenze von 14,3 Billionen Dollar wurde allerdings bereits im Frühjahr letzten Jahres überschritten. Bereits Ende November hatte die US-Staatsverschuldung die Schwelle von 15 Billionen US-Dollar überschritten (4) und ist somit allein zwischen Juni und Ende November um 700 Milliarden Dollar gestiegen. Der Kongress hat nun 15 Tage Zeit, um auf Obamas Aufforderung zu reagieren.

Für Großbritannien sieht es in puncto Gesamtverschuldung – also die Schulden von Staat, Wirtschaft, Finanzsektor und Haushalten zusammengenommen – selbst im Vergleich zu den USA dramatisch aus, wie Steve Keen jüngst sehr schön dargelegt hat: Die Verschuldung von Privatwirtschaft und privaten Haushalten liegt nach offiziellen Daten im Vereinigten Königreich zusammengenommen bei 450 Prozent, wobei allein 250 Prozent auf den Finanzsektor entfallen. (5) Nach Daten von Morgan Stanley sieht es sogar noch schlechter aus. Die Ratingagentur gibt für Staat, Wirtschaft, Finanzsektor und Haushalte in Großbritannien einen Gesamtschuldenstand von 950 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) an, wobei die Schuldenquote des britischen Finanzsektors alleine mit 600 Prozent des BIP veranschlagt wird. (6) Dagegen nehmen sich die Schulden von Staat (81 Prozent), Realwirtschaft und Haushalten (knapp über 100 Prozent bzw. knapp unter 100 Prozent des BIP) bescheiden aus. Gleichwohl bekommt Großbritannien von den großen drei Ratingagenturen nach wie vor die Top-Bonitätsnote.
 
Gemäß der Daten des Internationalen Währungsfonds ergibt sich für nachfolgend aufgeführte EU- und Industriestaaten bezüglich der Staatsschuldenquote (Staatsverschuldung in Prozent des Bruttoinlandsproduktes) folgendes Bild (Daten Stand September 2011) (7) (8):

  • Frankreich:         86,81 Prozent
  • Deutschland:      82,64 Prozent
  • Österreich:         72,33 Prozent
  • Italien:              121,07 Prozent
  • Malta:                 66,26 Prozent
  • Slowakei:           44,94 Prozent
  • Slowenien:         43,64 Prozent
  • Spanien:             67,42 Prozent
  • Portugal:           106,03 Prozent
  • Zypern:               63,96 Prozent
  • Japan:               233,10 Prozent
  • Großbritannien:   80,76 Prozent
  • USA:                 100,05 Prozent
Dazu muss berücksichtigt werden, dass in der Euro-Zone sowohl erhebliche Stützungsmaßnahmen zur Sicherung der Staatsfinanzen kriselnder Euro-Staaten ergriffen wurden als auch Maßnahmen zur Eindämmung der Staatsverschuldung. In den Vereinigten Staaten ist bisher nichts dergleichen geschehen. Stattdessen wurde im Zuge der Finanzmarktkrise Jahr für Jahr schlicht die Schuldengrenze angehoben – noch 2006 lag sie bei knapp 9 Billionen Dollar. (9) Kommt der US-Kongress der Forderung Obamas nach, womit gerechnet wird, steigt sie 2012 auf 15,5 Billionen Dollar.
 
Vor dem Hintergrund der Entwicklung fällt es zunehmend schwer nachzuvollziehen, nach welchen Kriterien die großen Ratingagenturen Standard & Poors, Moody´s und Fitch Bonität von Staaten bewerten – zumal sich gezeigt hat, dass im Krisenfall die Staaten auch für die Schulden des Finanzsektors geradestehen müssen.

Für Ratingagenturen sind ebenso wie für die Finanzmärkte Glaubwürdigkeit und Vertrauen entscheidende Geschäftsgrundlagen. Doch beides geht mit jedem weiteren schwer nachvollziehbaren und deswegen umstrittenen Rating sukzessive verloren. Die große Aufmerksamkeit und Aufregung, die Ratingentscheidungen bezüglich Staatsanleihen seit Monaten in Presse und Medien erhalten bzw. entfalten, indizieren unerschütterliches Vertrauen in die Bonitätsurteile, sind aber trügerisch. Denn vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit Top-Ratings für strukturierte Wertpapiere, die sich im Zuge der US-Immobilienkrise massenhaft als toxisch herausstellten, werden Investoren sich zunehmend die Frage stellen müssen, inwieweit sie bei Anlageentscheidungen noch auf die Ratings der großen Ratingagenturen vertrauen können – sofern sie nicht gesetzlich dazu verpflichtet sind. Ein gebranntes Kind scheut bekanntlich das Feuer und die Nervosität an den Finanzmärkten ist aufgrund der fragilen Stabilität hoch. Wo die größten Risiken liegen, ist keineswegs ausgemacht.

Damit ist die Lage auch für Ratingagenturen kritisch. Ist das Vertrauen erst einmal weg, wird es für Ratingagenturen schwierig werden, es wieder zurückzuerlangen. Bedeutungsverlust wäre damit vorprogrammiert.

5 Kommentare:

  1. Gute Analyse. Vor allem im Vergleich zu UK springt ins Auge, dass Frankreich und Österreich zu negativ gerated werden. Die Fundamentaldaten rechtfertigen dies nicht, im Gegenteil. Der immer wieder angeführte Grund, den französischen Banken gehe es wegen der Schuldenkrise in Griechenland und anderswo schlechter als den deutschen, zieht nicht; beim letzten europäischen Stresstest kam heraus, dass die deutschen Institute viel mehr frisches Kapital brauchen. Die Wachstumsraten sind in beiden Ländern ähnlich, der Schuldenstand auch. Deutschland erhöht 2012 die Neuverschuldung, Frankreich will sie senken. mehr auf http://lostineurope.posterous.com/perverser-paukenschlag

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  2. Frage an den Author:

    Warum wird bei den USA nur die öffentliche Verschuldung des Bundes (100,05%) gerechnet (Bundesstaaten ca. 2,6 Bil Dollar, Gemeinde und Städte ?), bei den anderen Ländern jedoch die komplette öffentliche Verschuldung (Deutschland z.B. ca. 64% entfallen auf den Bund)?

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  3. @ Anonym

    Gute Frage. Ich bin dieser Frage bisher nicht nachgegangen und kann sie daher auch nicht beantworten. Die USA sind jedoch ein Staatenbund und insofern auch von der Rechtskonstruktion wohl nicht mit der von Nationalstaaten wie Deutschland mit seinen Bundesländern vergleichbar. Wie was statistisch erfasst wird, dafür gibt es zudem keine einheitlichen, allgemein akzeptierten Standards. Die Statistiken sind nationale und sie sind historisch gewachsen. Vergleichbarkeit hat man erst nach und nach versucht herzustellen. Exakt vergleichbar sind viele Daten streng genommen dennoch nach wie vor nicht. Man sieht das beispielsweise auch bei der Erfassung der Arbeitslosigkeit sehr deutlich. In den Vereinigten Staaten gibt es einmal unterschiedliche Definitionen (U3 und die weiter gefasste U6) und sie basiert zudem nicht auf exakten Zählungen, wie etwa in Deutschland, wenn ich richtig informiert bin.

    Wie heißt es so schön: Trau keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast. Darin sind die USA m.E. sowieso besonders gut.

    Gruß
    SLE

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    1. @SLE

      Danke für die Antwort!

      Nichtsdestotrotz sind die USA ein einheitlicher Wirtschaftsraum - mehr als die EU - und es müsste bei Schuldenvergleichen (zumindest mit der EU) von gleichen Voraussetzungen ausgegangen werden.

      Wenn man jetzt zu den US-Bundesschulden noch ca. vier Billionen dazu zählt (allein die von Ländern, Städten und Gemeinden ausgegebenen Anleihen machen 3,7 Billionen Dollar aus), wären die USA nicht mit 100%/BIP sondern mit ca. 125%/BIP verschuldet (EU ca. 85%/BIP)!

      Gruß Palo

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  4. Ja, so sieht es wohl tatsächlich aus. Jetzt hauen Sie das bitte am besten einmal der europäischen Presse um die Ohren. Vielleicht verstehen die das dann ja. ;-)

    Im Übrigen bin ich jetzt mal gespannt auf die Bilanzen der US-Großbanken, die in der kommenden Woche zur Veröffentlichung anstehen - insbesondere auf die der Bank of America.

    Gruß und schönen Sonntag noch
    SLE

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