Freitag, 15. Juni 2012

Griechenland vor der Wahl: Mediales europäisches Powerplay gegen Syriza und den Kurswechsel


Am Sonntag werden die Griechen ein neues Parlament wählen. In der letzten, am 1. Juni veröffentlichten Umfrage, führte das Linksbündnis Syriza mit 31,5 Prozent deutlich vor der konservativen Nea Dimokratia ND) mit 25,5 Prozent. Seitdem dürfen in Griechenland offiziell keine Umfragen mehr veröffentlicht werden. (1)
Trotzdem war gestern von mehreren Umfragen berichtet worden, die jetzt angeblich auf einen Wahlsieg der Nea Dimokratia hinweisen. Das wurde auch als möglicher Grund für den gestrigen fulminanten Kurssprung um über 10 Prozent an der Athener Börse und um teilweise mehr als 20 Prozent für griechische Bankhäuser angeführt. (2)
Was sich jetzt, so kurz vor der Wahl in Griechenland in Presse und Medien in ganz Europa abspielt, ist nichts anderes als ein mediales, dämonisierendes Powerplay gegen das Linksbündnis Syriza von Alexis Tsipras. In einer solch massiven Form hat es das in Europa wohl noch nicht gegeben. Es wird im Prinzip Stimmung gemacht für die Fortsetzung des zwischen Griechenland und der sogenannten Troika (EZB, EU-Kommission und Inter-nationaler Währungsfons (IWF)) vereinbarten drastischen Sparkonzepts, das das Land immer tiefer in die Krise hat sinken lassen. Und es wird Stimmung gemacht für die potenziell aussichtsreichste, das Sanierungskonzept befürwortende griechische Partei, nämlich für die Nea Dimokratia mit ihrem Spitzenkandidaten Antonis Samaras.
Das ist paradox. Denn es war gerade die Nea Dimokratia, die Griechenland in die aktuellen Schwierigkeiten regierte und die dann 2009 gerade auch deswegen von den Griechen abgewählt worden ist. Damals wählten die Griechen – nach langer Zeit einmal wieder – die PASOK und Giorgos Papandreou an die Regierung, die dann den hinterlassenen Scherbenhaufen aufzuräumen gezwungen war. Es gelang nicht. Griechenland musste finanzielle Hilfen in Anspruch nehmen und am Ende wurde Papandreou gezwungen, die Verantwortung für die Misere zu übernehmen und als Ministerpräsident zurückzutreten. Er machte damit Platz für die von Loukas Papademos geführte Übergangsregierung, die auch nur wenige Monate im Amt war und letztlich nur den Notstand verwaltete. Denn vorangebracht hat sie in Griechenland nichts, wie die Zahlen und Fakten belegen.
Nun sollen also, wenn man der medialen Flut an Berichten und der Athener Börse Glauben schenkt, die Griechen ausgerechnet die Nea Dimokratia an die Regierung wählen wollen. Eine Partei, die ebenso wie die PASOK für Korruption, Vetternwirtschaft, gefälschte Statistiken und katastrophales Missmanagement steht und seit Monaten auch für einen drastischen Sparkurs, den laut Umfragen knapp 90 Prozent der Griechen ablehnen, weil dadurch nichts besser, sondern alles immer noch schlechter geworden ist?
Das ist starker Tobak.
Es ist gut möglich, dass das mediale Powerplay zugunsten der ND und des Sparkonzepts viele außerhalb Griechenlands glauben macht, das Pendel schwinge in Griechenland tatsächlich wieder zurück zur „Vernunft“. Dass es die Griechen in diesem Sinne bei der Stimmabgabe beeinflusst, ist wenig wahrscheinlich. Es könnte im Gegenteil allenfalls die Wut noch steigern und viele dazu bewegen, jetzt erst recht nicht die etablierten Altparteien zu wählen. Denn es ist eine „Vernunft“ aus der Perspektive der Befürworter der Austeritätspolitik in der Euro-Gruppe, nicht eine aus Sicht der Griechen.
Doch das mediale Powerplay ist dennoch verständlich. Die Befürworter der Austeritätspolitik in der Euro-Gruppe fürchten einerseits die Marktreaktionen, wenn Syriza am Sonntag das Rennen macht. Andererseits fürchten sie den Gesichtsverlust, den sie im Falle eines Wahlsieges von Syriza erleiden würden. Denn dann wären sie aller Voraussicht nach gezwungen, sich mit diesen „Linksradikalen“ und deren Beratern an einen Tisch zu setzen und sich von ihnen erklären zu lassen, wie miserabel ihr Krisenmanagement und Krisenkonzept gewesen ist.
Es bleibt dabei: Nicht die Euro-Gruppe und auch nicht Europas Presse und Medien entscheiden die Wahl in Griechenland und sie können ihr Wunschresultat auch nicht herbeireden. Der Versuch allein wird für viele Griechen als Provokation bewertet werden.
Das wissen auch alle. Deswegen bereiten sich auch alle – insbesondere die Notenbanken – auf einen möglichen Wahlsieg von Syriza vor.
Ob deswegen aber, wie zuvor immer wieder als Schreckgespenst an die Wand gemalt, gleich der Weltuntergang eintritt, ist mehr als fraglich.
Freilich werden die Märkte reagieren. Aber das liegt einerseits in der Natur der Sache.
Zum anderen aber haben sich die Finanzmärkte schon lange weitgehend von den wirtschaftlichen Realitäten abgekoppelt. Zu erwarten ist gerade deswegen allerdings, dass die Realität nun die Finanzmärkte, Börsen und insbesondere ein Reihe von Finanzmarktakteuren infolge der Ereignisse in Griechenland wieder einholen könnte.
Das wird hart werden, keine Frage. Aber es hat dann nichts mit Griechenland und dessen weiterer Entwicklung zu tun. Der Auslöser dafür könnte genauso gut auch etwas ganz anderes sein.
Viel spannender ist die Frage, ob nach einem Wahlsieg von Syriza und einer erfolgreichen Regierungsbildung der Internationale Währungsfonds (IWF) im Zuge der dann erfolgenden Neuverhandlungen aus den Hilfen für Griechenland aussteigt. Ohnehin gerät der IWF aktuell wegen seines liberalen, austeritätspolitischen Sanierungs-konzeptes auf einmal mehr auf breiter Front unter Druck. Bereits vor Beginn der Finanzmarktkrise hatten aus diesem Grund immer öfter Länder davon abgesehen, Hilfen beim IWF zu beantragen.
Dass ein Ausstieg des IWF nicht auszuschließen ist, ist gewiss auch ein wesentlicher Grund für die Regierungen der Euro-Gruppe, den European Stability Mechanism (ESM) beschleunigt durch die Parlamente zu bringen, so dass er möglichst rasch seine Arbeit aufnehmen kann. Der ESM ist schließlich – gemessen an den Funktionen, die er hat – eine mit dem IWF vergleichbare Institution, eine Art Europäischer Währungsfonds also. Er könnte bald seine Feuerprobe zu bestehen haben.

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