Dass gerade der Finanzsektor in den USA
seit 1979 bei den Top-Einkommen eine so starke Aufwärtsentwicklung verzeichnet
(siehe Teil 5.1) wirft die Frage auf, wie sich diese enorme Steigerung erklären lässt.
Philippon und Reshef (2008) sind dieser
Frage in einer Analyse des Ausbildungs- und Lohnniveaus im US-Finanz-sektor
nachgegangen und zwar unter Auswertung von Daten für den Zeitraum 1906-2006. (1)
Abbildung 33
veranschaulicht zunächst die Entwicklung der relativen Löhne und der relativen
Ausbildung (relativ zu Löhnen und Ausbildung in der US-Wirtschaft) im
US-Finanzsektor.
Interessant ist einmal, wie hoch die
Übereinstimmung der beiden Kurven ist, was nichts anderes bedeutet, als dass
Ausbildungs- und Lohnniveau im US-Finanzsektor in engem Zusammenhang stehen.
Nicht erst heute, sondern schon zwischen 1909 und 1933 war der US-Finanzsektor
geprägt von hochqualifizierten Arbeitskräften, deren Anteil dort 17
Prozentpunkte über dem der US-Wirtschaft lag. Und es war ein Hochlohnsektor,
der seinen Beschäftigten im Durchschnitt mindestens 50 Prozent mehr zahlte als
die Wirtschaft (Philippon/Reshef (2), S. 8).
Zweitens und vielleicht noch interessanter
ist jedoch der U-förmige Verlauf der Kurven, der nicht nur zeigt, wie stark
sich Ausbildungslevel und Lohnniveau der Beschäftigten im US-Finanzsektor
verändert haben, sondern auch, dass beides in der jüngeren Vergangenheit auf
das Level der 30er Jahre zurückgekehrt ist. Das wirft auch ein Schlaglicht auf
die heute viel kritisierte Computerisierung des Sektors, die offensichtlich weit
weniger entwicklungs- und erfolgsentscheidend ist als gemeinhin angenommen.
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Der steile Rückgang ab Mitte der 30er Jahre war eine unmittelbare Folge der damals vorgenommenen strengen Regulierung des US-Finanzsektors. Mitte der 50er Jahre bis Ende der 70er Jahre blieben Ausbildungs- und Lohnniveau niedrig. Ende der 70er befand sich das Lohnniveau im US-Finanzsektor ziemlich genau auf dem des Rests der US-Wirtschaft (Philippon/Reshef (3), S. 8). Auch das ist bemerkenswert. Danach begann der steile Aufstieg.
In der Studie wurde deswegen auch der
Frage nachgegangen, ob und inwieweit die Löhne im US-Finanzsektor angemessen
waren bzw. sind. Zu diesem Zweck wurde eine Benchmark-Zeitreihe erstellt, die
auf historischen Daten zu Ausbildungserträgen, Philippons und Reshefs
Schätzungen der relativen Ausbildung im US-Finanz-sektor und der Annahme
basiert, dass das relative Risiko des Jobverlustes 1990 ähnlich hoch war wie in
den 30er Jahren. (Philippon/Reshef (4), S. 26).
Das Ergebnis ist in Abbildung 34 „Actual and
Benchmark Relative Wages in the U.S. Financial Industry“ veranschaulicht.
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Sowohl in der Phase zwischen Anfang der
20er bis Ende der 30er Jahre als auch ab den frühen 90er Jahren haben sich die tatsächlichen
relativen Löhne weit vom Benchmark entfernt. Nach einer Überprüfung infrage
kommender möglicher Gründe dafür gelangen die Autoren in der Studie zu dem
Schluss, dass einerseits die
Veränderung der relativen Löhne im US-Finanzsektor Teil einer durchaus
effizienten Marktreaktion auf das veränderte wirtschaftliche Umfeld ist. Anderseits schätzen sie den Anteil an
den tatsächlichen relativen Löhnen, denen im US-Finanzsektor keine Leistung
gegenübersteht und der deswegen eine pure Rente darstellt, für die Zeit ab den
späten 90er Jahren (bis 2006) auf 30-50 Prozent. So betrachtet waren die
Beschäftigten im Finanz-sektor zu diesem Zeitpunkt (bereits) deutlich
überbezahlt.
Aufschlussreich hinsichtlich der Art von
Geschäften, die in diesem Zusammenhang seit den frühen 80er Jahren eine
zunehmend hohe Bedeutung erlangt haben, ist die von den Verfassern der Studie
vorgenommenen Diffe-renzierung der Entwicklung der relativen Löhne nach
Subsektoren der US-Finanzindustrie. Unterschieden werden:
- Credit Intermediation – also das klassische Kreditgeschäft,
- Insurance – Lebens- und Eigentumsversicherung und
- Other Finances – wozu u.a. Wertpapiere, Rohstoffe, Risikokapital, Private Equity, Hedgefonds und Investmentbanken gehören.
Aus Abbildung 35
„Relative Wages of Financial Subsectors“
geht hervor, dass die relativen Löhne in der Hochphase der US-Finanzindustrie
bis Mitte der 30er Jahre auf ähnlich hohem Niveau lagen. Der zuvor schon
verdeutlichte starke Anstieg der relativen Löhne ab den frühen 80er Jahren und
deren Explosion ab Anfang/Mitte der 90er Jahre geht indes eindeutig allein auf
das Konto des Subsektors „Other Finance“.
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Das ist nicht überraschend, wenn man
berücksichtigt, wie bedeutsam Private Equity Gesellschaften, Hedgefonds und
Investmentbanken als Spieler auf den Finanzmärkten geworden sind und wie stark
auch Großbanken sich auf deren Kerngeschäft verlegt haben – mit teils fatalen
Konsequenzen. Vor allem aber ist dabei auch an die ebenso explosionsartige
Entwicklung des Geschäfts mit Derivaten zu denken, die ebenfalls Ende der
70er/Anfang der 80er Jahre einsetzte.
Wie aus den Daten in Tabelle 4 zu ersehen ist, hat sich das nominale Volumen der
auf dem globalen Markt gehandelten Derivate von 1980 bis Ende 2011 beinahe
versiebzigfacht, während sich die Weltwirtschaftsleistung (Welt-BIP) im
gleichen Zeitraum lediglich annähernd versiebenfacht hat. Genau das
verdeutlicht auch die zunehmende Ablösung nicht nur der Einkommen, sondern des
ganzen Finanzsektors von der Realwirtschaft.
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Zwischenfazit
Die Top-Einkommen sind zwar durch die
Krise 2007 und 2008/2009 eingebrochen und das gilt auch für die im
Finanzsektor. Aber sie haben sich ebenso wie die Börsen und die
Finanzmarktakteure wieder erholt und dürften auf das Vorkrisenniveau
zurückgekehrt sein (vgl. dazu auch Abbildung 12 in Teil 3). Für die Börsen gilt dies definitiv. Es ist insofern kaum
überraschend, dass die oben zitierten Forscher Bakija, Cole und Heim in ihrer
Analyse der Ursachen der hohen Einkommensungleichheit in den USA zu dem
Ergebnis gelangen, dass innerhalb der Gruppe der Top-1-Prozent die
Top-Verantwortungsträger der Wirtschaft und die Spitzenkräfte in der
Finanzwirtschaft eine Hauptrolle bei der Einkommenskonzentration spielen und
neben steuerlichen Aspekten die Entwicklung an den Börsen als wesentliche
Einflussgröße erkennen. (Bakija et al. (5), S.27)
Dass im Finanzsektor solche Top-Einkommen
realisiert wurden und erneut realisiert werden können, liegt daran, dass die
Politik nicht nur nichts gegen jene Art von riskanten Geschäften, die diese
hohen Einkommen erst ermöglichen, unternommen hat. Vielmehr war und ist sie
nach wie vor bestrebt, den Finanzsektor dieser Prägung und damit letztlich auch
das riskante und krisenauslösende Geschäft zu erhalten und zu fördern.
Pointiert ausgedrückt fluten dafür die
Notenbanken die Märkte praktisch unbegrenzt mit billigem Geld, während die
Regierungen sich für die Rettung von Banken sowie für die Stabilisierung der
Märkte dieser Prägung hoch verschuldeten. Europa tut dies nun auch erneut,
nämlich über den Umweg von Rettungspaketen für Krisen-staaten. Denn letztlich
geht es auch in der Schuldenkrise wieder in erster Linie darum, die
Finanzmärkte zu stabilisieren und Banken vor einer Schieflage zu bewahren.
Abbildung 36
zeigt für ausgewählte Länder, dass die Staatsschuldenquote überall und nicht
nur in den europäischen Schuldenstaaten nach dem (durch Derivate ausgelösten)
Kollaps des US-Hypothekenmarktes im Jahr 2007 und ganz besonders nach der
Pleite der Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 in die Höhe schoss.
Es ist wichtig sich das vor Augen zu führen. Denn zynisch gewendet bedeutet es
im Kern, dass dies zu einem nicht unerheblichen Anteil letztlich der Preis
dafür ist, das Geschäft und insbesondere auch den exzessiven, zum großen Teil
nicht mehr auf die Realwirtschaft bezogenen Derivatehandel im Finanzsubsektor
„Other Finance“ auf dem erreichten hohen Level zu erhalten und die damit
verbunden Top-Einkommen bzw. Renten zu ermöglichen.
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Und noch ein wesentlicher Punkt kommt
hinzu: Der weltweite Derivatemarkt ist heute hoch konzentriert. Kaum mehr als
zwanzig Großbanken machen das Geschäft annähernd unter sich aus. Nimmt man die
Daten des Office of the Comptroller of the Currency (OCC) für das Engagement
von US-Banken am Geschäft mit Derivaten nur in den USA Stand Ende 2011, so
entfallen davon knapp 95 Prozent auf lediglich fünf US-Großbanken. Und diese
fünf US-Großbanken hielten auf Holdingebene gemessen am nominalen Volumen der
Derivate Stand Ende 2011 alleine knapp 45 Prozent aller – laut BIS-Daten –
weltweit gehandelten Derivate (siehe dazu Tabelle 5). (6)
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Das heißt mit anderen Worten, dass der
Kreis der Top-Profiteure der Krisenpolitik in der Finanzwelt keineswegs auf die USA beschränkt, aber in letzter
Konsequenz möglicherweise dennoch relativ klein ist.
Wenn in Europa vor diesem Hintergrund eine
Bankenunion im Verbund mit einem Europäischen Stabilitäts-mechanismus (ESM)
realisiert wird, der – so wie bisher geplant – auch Banken retten und dabei
weitestgehend außerhalb jeglicher parlamentarischen Kontrolle agieren sowie
nach eigenem Ermessen Finanzmittel dafür einsetzen kann, dann beinhaltet dies
ein großes Risiko. Denn es besteht dann durchaus die Möglichkeit, dass auf
diesem Wege in Kontinentaleuropa eine Art Offshore-Struktur für den
europäischen Bankensektor entsteht, vergleichbar etwa mit der Londoner City,
die das Tor für die angesprochenen riskanten, aber höchst einträglichen
Geschäfte auch in der Euro-Zone noch viel weiter und vor allem unumkehrbar
öffnet. Dass eine starke europäische Bankenaufsicht geschaffen werden soll, ist
zunächst eine Absichtsbekundung und angesichts der diesbezüglich noch völlig
unklaren Regelungen wenig beruhigend. Hinzu kommt die Frage, inwieweit sich die
heutigen Finanz-marktstrukturen überhaupt noch wirksam kontrollieren lassen. Die
Krise und die anhaltende Instabilität der Märkte weisen auf das Gegenteil hin
Entwicklung und man denke beim Stichwort „Regulierungserfolge“ nur an die
Finanz-plätze USA und Großbritannien - Libor-Manipulationsskandal,
Geldwäscheskandal, Derivate-Spekulationsverlust-Skandal bei JP Morgan … .
So gesehen sieht es keineswegs danach aus,
als würden die Profiteure dieser Entwicklung und der Krise auf der Einkommens- und auf der Vermögensebene an den
Kosten der Krise beteiligt, obwohl dies vor dem Hintergrund der
vorausgegangenen Analyse durchaus möglich und auch sinnvoll wäre. Im Gegenteil
sieht es sehr danach aus, als würden sie dabei unterstützt, das Erreichte nicht
nur zu bewahren, sondern zu mehren – mithilfe derselben Strukturen, die die Krise
ausgelöst haben und jederzeit wieder auslösen können.
In Teil 6 sollen die empirisch
abgestützten Facetten der Einkommens- und Vermögenskonzentration in einen
Erklärungszusammenhang eingeordnet werden, wobei es vor allem um die in
Teil 1 gestellte Frage geht, ob die Einkommens- und Vermögenskonzentration
letztlich als eine zentrale Krisenursache angesehen werden kann.
Und noch ein wesentlicher Punkt kommt hinzu: Der weltweite Derivatemarkt ist heute hoch konzentriert. Kaum mehr als zwanzig Großbanken machen das Geschäft annähernd unter sich aus. Nimmt man die Daten des Office of the Comptroller of the Currency (OCC) für das Engagement von US-Banken am Geschäft mit Derivaten nur in den USA Stand Ende 2011
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