In der Diskussion in der Kommentarspalte
wurde die Frage der Hintergründe des Ukraine-Konflikts aufgeworfen. In einem Artikel auf German-Foreign-Policy.com vom 25. Juli (1) werden die geopolitischen
Hintergründe der Ukraine-Krise aus Sicht des Leiters des Moskauer Carnegie
Centers, Dimtri Trenin, dargelegt. Er kommt zu harten Urteilen, obwohl er nicht
als west-kritisch gilt.
Dimitri Trenins‘ Analyse der geopolitischen Hintergründe des Ukraine-Konflikts
Aus seiner Sicht hat der Westen nach den
Umbrüchen von 1989-1991 Russland stets ausgegrenzt, Vorkehrungen gegen den
Wiederaufstieg getroffen und seine Machtsphäre systematisch ausgeweitet. Die EU
und die USA, so sein Vorwurf, haben in der UkraineKrise diplomatische Schritte
Russlands nicht erwidert und dadurch Chancen für eine friedliche Lösung
zunichte gemacht.
In Reaktion darauf entstehe nun eine neue
Mächtekonkurrenz ähnlich der Mächterivalität des 19. Jahrhunderts,
prognostiziert Trenin. Es handle sich allerdings weniger um ein neues „Great
Game“, nicht um einen ideologisch begründeten, weltumfassenden Systemkonflikt.
Vielmehr entstehe eine traditionelle Mächtekonkurrenz. Diese sei allerdings
asymmetrisch und hochgradig ungleich. Deutschland sei bereits zu einer
eindeutigen Führungsmacht der Europäischen Union aufgestiegen und entwickle
sich zu einer Großmacht in Eurasien. Deutschland trete nun in den Kreis der
Großmächte neuen Typs ein. Die Interaktion dieser Mächte mit den USA, die nicht
mehr Hegemon sind, aber doch Führungsmacht bleiben, werde die kommende
Weltordnung prägen, die eine Weltordnung mit Mächterivalität sein wird, glaubt
Trenin. (2)
Wird sich Trenins‘ geopolitische Prognose
bewahrheiten?
Deutsche Führungsrolle in der EU: keine sichere Sache mehr
Ganz klar hat, wie Trenin sagt, Kanzlerin
Merkel in der EU die Führungsrolle bereits inne. Allerdings wird diese nach der
Europawahl wieder herausgefordert und Jean-Claude Juncker ist als neuer
Präsident der Europäischen Kommission – anders als alle vier Amtsvorgänger
(seit 1995: Jacques Santer, Manuel Marín, Romano Prodi und José Manuel Barroso)
eine starke Persönlichkeit. Er wird gewiss nicht alles so machen, wie Angela
Merkel und die anderen Regierungen der wirtschaftlich starken
EU-Mitgliedstaaten es wollen. Genau das ist wohl auch der zentrale Grund für
die Vorbehalte des britischen Premiers Cameron und der Bundeskanzlerin gegen
den von ihnen selbst aufgestellten konservativen Spitzenkandidaten für die
Europawahl gewesen.
Kanzlerin Merkel kann die Führungsrolle
jedoch ohnehin sehr wahrscheinlich nur so lange behaupten, wie allein
Deutschlands Wirtschaft innerhalb der EU stark ist sprich nicht (auch) in eine
Wirtschaftskrise abrutscht. Letzteres ist allerdings mit Blick auf die ungelösten
Probleme in der Europäischen Union gut möglich und durch die US- und die EUSanktionen
gegen Russland wird es sogar noch wahrscheinlicher.
Hinzu kommt, dass die Stärke der deutschen
Wirtschaft inzwischen durchaus empfindlich von den Geschäften in China abhängt.
Insofern spielen einige Risikofaktoren eine wesentliche Rolle, nämlich dass
1. sich die chinesische Wirtschaft spürbar abkühlt,2. ein Platzen der chinesischen Immobilien- und Kreditblase ebenso wenig auszuschließen ist wie das Scheitern des Versuchs einer bruchfreien Umstellung des chinesischen Wachstumsmodells,3. das chinesische Wachstumsmodell von Wachstum durch Exporte auf Wachstum durch Binnen-nachfrage umgestellt wird, was die Absatzperspektiven ausländischer Konzerne verschlechtert, weil dieses Modell nur dann wirklich gut funktionieren kann, wenn gerade chinesische Firmen die Nachfrage auf sich ziehen können und die erzielten Gewinne im Land bleiben und dass4. China wie kein anderes Land an der Erreichung der Ziele der BRICS-Staaten interessiert ist und sich deswegen entscheiden könnte, Russland im über Sanktionen ausgetragenen Ukraine-Konflikt mit dem Westen zu unterstützen.
Kanzlerin Merkel will von USA als Partner auf Augenhöhe akzeptiert werden
Mit Blick auf die USA und Großbritannien
strebt Merkel – so wie Trenin im GermanForeign-Policy-Artikel sagt –
offensichtlich eine Mitsprache in internationalen Angelegenheiten auf
Augenhöhe mit den USA an und nichts anderes.
Das hat bereits ihr Verhalten zu Beginn
des NSA-Skandals gezeigt. Sie hat nie wirklich nachdrücklich versucht,
Aufklärung zu betreiben. Das zeigt auch die Tatsache, dass sie keinerlei
Interesse zeigte, Snowden als Zeugen nach Deutschland zu holen und zu befragen.
Stattdessen hat sie in dieser Frage den USA von Beginn an signalisiert – gerade
auch durch die Hinzuziehung einer renommierten US-Kanzlei für ein
entsprechendes Gutachten zu den möglichen Konsequenzen einer Anhörung Snowdens
vor dem NSA-Untersuchungsausschuss in Deutschland –, dass sie die USA nicht
bloßzustellen beabsichtigt, sondern von Washington (endlich) als
gleichwertiger, vertrauensvoller Partner akzeptiert werden will.
Bei ihrem jüngsten Treffen mit Obama in
Washington bezeichnete er sie vor der Presse im Rosengarten des Weißen Hauses
als seine beste Freundin. Das war ihr sichtlich unangenehm und auch nicht das,
was sie hören wollte. Denn damit erkannte Obama zwar ihre Bündnistreue an,
behandelte sie aber wieder nur wie die Vertreterin einer den USA
untergeordneten Macht.
Trenin könnte durchaus Recht haben, dass
sich im Zuge der oder besser gesagt im Wege des westlich betriebenen
Ukraine-Konflikts eine neue Mächteordnung herausbildet, bei der die USA nicht
mehr Hegemon, aber trotzdem noch Führungsmacht der Gruppe mächtiger westlicher
Staaten bleibt, zu denen Deutschland hinzutritt. (letzter Absatz im
German-Foreign-Policy-Artikel (3)).
In diesem Sinne ist es durchaus auch
schlüssig, wenn sie Putin fortlaufend in derselben Weise wie die USA öffentlich
unter Druck setzt, obwohl sie weiß, dass der Preis, den sie für die Erreichung
einer solchen geopoli-tischen Zielsetzung bezahlen muss, erhebliche negative
wirtschaftliche Konsequenzen für Deutschland und die EU sein dürften. War sie
wegen der zu erwartenden wirtschaftlichen Nachteile bisher bei der Verhängung
von EU-Sanktionen immer noch eher bremsend aufgetreten, so hat sie nach dem
Absturz des Fluges MH17 diese Zurückhaltung offensichtlich aufgegeben, weil
sich dies angesichts des Verlaufs der medialen Schlammschlacht zwischen den USA
und Russland nicht mehr umgehen lässt, ohne Gefahr zu laufen, in eine
Oppositionsrolle zur US-Regierung zu geraten.
Die BRICS-Staaten und die Ukraine-Krise
In Trenins‘ Sicht der geopolitischen
Folgen der Ukraine-Krise im Artikel von German Foreign Policy spielen
allerdings die BRICS-Staaten als neuen Machtfaktor und insbesondere auch China
offenbar keine Rolle. Sie sind jedoch auch im Zusammenhang mit der
Ukraine-Krise geopolitisch betrachtet ein unzweifelhaft wichtiger Aspekt. Denn
einmal ist Russland ein wichtiges Mitglied in der Gruppe dieser Staaten und vor
allem auch für China selbst. Zweitens sollen die jüngst gegründete
BRICS-Entwicklungsbank sowie der ebenfalls beschlossene eigene Währungsfonds
ein Gegengewicht zur von den USA dominierten Institutionen Weltbank und
Internationaler Währungsfonds bilden. Alles, was Russland gegenüber dem Westen
schwächt, schwächt auch den BRICS-Staatenverbund.
Bisher haben die übrigen BRICS-Staaten
Russland im Ukraine-Konflikt nur mäßig offen unterstützt, sondern eher im
Hintergrund. Die Art des Vorgehens des Westens im Ukraine-Konflikt fordert aber
den Verbund der BRICS-Staaten zunehmend heraus und stellt auch dessen Anspruch
in Frage, eine neue politische Kraft auf dem globalen Parkett zu sein und zwar
eindeutig nicht nur in internationalen finanziellen Angelegenheiten, wie die Deklaration von Fortaleza, dem Ort des jüngsten BRICS-Gipfels, zeigt (4).
Die besondere, aber zwiespältige Rolle Chinas
China und Russland sind zwar eigentlich
Rivalen, aber sie haben auch starke gemeinsame Interessen und sind
wirtschaftlich sowie finanziell Kooperationspartner. Präsident Xi Jinping hat
anders als seine Vorgänger eine stärkere Kooperation mit den USA versucht, ist
damit aber inzwischen innenpolitisch, das heißt innerhalb der Kommunistischen
Partei Chinas und vor allem beim Militär, gerade wegen des Verhaltens der USA
im Inselstreit mit Japan und in der Ukraine-Krise auf erhebliche Widerstände
gestoßen. Was er zunächst erkennbar angestrebt hatte, war eine Weltordnung, in
der sich die USA und China stärker kooperieren und sich die Führungsrolle
teilen und das heißt insbesondere, dass die USA China die Führungsrolle im
asiatisch-pazifischen Raum überlassen.
Davon kann aber keine Rede mehr sein.
Genau das bringt China in Bezug auf seine Haltung und Politik im Zusammenhang
mit dem Ukraine-Konflikt in eine schwierige Lage.
Beijing kann nicht mehr ohne Probleme im
Hintergrund bleiben und ein gewisses Maß an Neutralität wahren, sollte sich der
Konflikt zwischen dem Westen und Russland weiter verschärfen. Gelingt es dem
Westen, gegenüber Russland die Oberhand zu gewinnen, dann wird das das
Verhältnis zwischen Moskau und Peking sowie auch die BRICS-Gruppe und ihre
Vorhaben, an deren Realisierung China mehr als allen anderen liegt, zumindest
schwer belasten. Gelingt es indes Russland, im Ukraine-Konflikt die Oberhand
über den Westen zu gewinnen, so wie es Russland im G8-Streit um Maßnahmen gegen
Syrien wegen des Giftgaseinsatzes gelungen ist, steht China plötzlich einem
weltpolitisch viel stärkeren Kooperationspartner innerhalb der BRICS-Gruppe
gegenüber.
Freilich will Xi Jinping sich nicht
zwischen Russland und den USA entscheiden müssen. Doch außer den angesprochenen
Problemen hat er auch mit erheblichen innenpolitischen Problemen zu kämpfen und
befindet sich in einem heftigen innerparteilichen Machtkampf, bei dem noch
nicht sicher ist, ob er ihn wirklich auch gewinnt. Über dieses Problem habe ich
hier im Blog bereits geschrieben. (5)
Neue Mächtekonkurrenz oder neue Blockbildung?
Vor diesem Hintergrund ist Trenins‘
Annahme, es könnte sich eine neue interaktive Kooperation bzw. Konkurrenz
westlicher Mächte ergeben, in der die USA ihre Führungsrolle behalten, die des
Hegemons aber verlieren, mit einem Fragezeichen zu versehen. Wenn sich die
Dinge im Ukraine-Konflikt, im Inselstreit im Ostchinesischen Meer sowie
innenpolitisch in China negativ für Xi Jinping, Russland und die BRICS-Staaten
entwickeln, dann könnte Trenin mit seiner These Recht haben.
Der Westen und speziell die EU sind jedoch
wirtschaftlich und für die Generierung von Wirtschaftswachstum stark auf den
chinesischen Markt und die Schwellenländer angewiesen. Im Falle einer für den
Westen und Europa sehr ungünstigen Entwicklung der angesprochenen Konflikte,
könnte ein wichtiger Teil der westlichen Wachs-tumsperspektiven jedoch verloren
gehen. Deswegen ist es nicht ausgeschlossen, dass sich die Dinge anders
entwickeln und sich eine geopolitische Ordnung herausbildet, in der sich ein
wirtschaftlich und finanziell angeschlagener westlicher Block, einem politisch
vom Westen emanzipierten, stärker werdenden und mit neuen wirtschaftlichen
Perspektiven ausgestatteten östlich-lateinamerikanischen Block gegenüber sieht.
Die G7 haben bereits klar an Bedeutung verloren. Die neuen BRICS-Institutionen
schwächen sie weiter.
In dieser Perspektive, das heißt bei der
Herausbildung zweier neuer Machtblöcke und einer Situation, die mit der des
Kalten Kriegs nicht mehr zu vergleichen wäre, wird die Machtverteilung sehr
stark von der künftigen wirtschaftlichen und finanziellen Stärke abhängen. (6)
In dieser Hinsicht befindet sich der Westen allerdings im günstigsten Fall in
einer Position der Verteidigung des Status Quo.
Ein weiterer, sehr gewichtiger Aspekt: Solle es dem Westen jemals gelingen in Moskau eine pro-westliche Regierung zu installieren, dann müsste Peking befürchten, dass diese vergrößerte Allianz dann ihrerseits Peking unter Druck setzt. Natürlich ist die chinesische Wirtschaft bedeutender als die russische, aber eine Allianz der Nordhalbkugel gegen China hätte natürlich auch einige Hebel in der Hand.
AntwortenLöschenEs ist also rational zumindest ein Zweckbündnis mit Russland zu schmieden.
Kann mir jemand sagen was das soll?
AntwortenLöschen"Das Weiße Haus hat Russland am Dienstag offiziell beschuldigt, im Jahr 2008 eine landgestützte nukleare Mittelstreckenrakete getestet zu haben und damit jenen Abrüstungsvertrag verletzt zu haben, der den Kalten Krieg im Jahr 1987 beendet hatte. Die Amerikaner verlangen, dass die Russen alle solchen Waffen „in einer überprüfbaren Weise vernichten“ müssten."
Jetzt haben wir 2014! Tun die nur so oder sind sie wirklich so blöde?
Nein, über die Gründe kann man nur spekulieren.
LöschenTatsache ist, dass die USA seit dem Absturz von MH17 fortlaufend und in rascher Folge neue schwere Vorwürfe gegenüber Russland erheben. Es hat den Anschein, dass jetzt eben auch andere Sachen ausgegraben werden, die nicht unmittelbar etwas mit der Ukraine und MH17 zu tun haben, um öffentlich Druck auf Russland zu erzeugen.
Auf Quereschuesse hat ein Kommentator es vielleicht treffend mit einer Metapher auf den Punkt gebracht. Ich zitiere:
"Diese Gesellschaft (die USA, Anmerk. SLE) gleicht einem alternden Boxweltmeister, der seine besten Tage längst gesehen hat, in den Seilen hängt und immer wilder um sich schlägt."
Übrigens hat jetzt ein OSZE-Mitglied, das am Absturzort tätig ist, gegenüber CBC News gesagt, die vielen Löcher im Cockpit-Bereich von MH17 sähen aus wie Maschinengewehreinschüsse (ab Minute 6):
https://ca.news.yahoo.com/video/osce-monitor-mh17-disaster-022200968.html
Viele Grüße
SLE