Montag, 1. Oktober 2012

EADS und BAE Systems – “Mega Merger Mania” führt „Too big to fail“-Debatte ad absurdum

2007: Was war der Auslöser der US-Hypothekenkrise?
Die Pleite von großen Hypothekenbanken wie Countrywide und in der Folge der weltweit viertgrößten Invest-mentbank Bear Stearns.
2008: Was stürzte die weltweiten Finanzmärkte in die Krise?
Die Pleite einer der weltweit größten Investmentbanken, Lehman Brothers.
2009: Was bescherte uns eine weltweite Staatsschuldenkrise?
Die direkte und indirekte Rettung von weltweit führenden Großbanken wie Citigroup, Bank of America, Royal Bank of Scotland u.a., des weltgrößten Versicherungskonzerns AIG, des weltgrößten Automobilkonzerns General Motors und anderer führender Automobilkonzerne.
2012: Wer steht im Verdacht, über viele Jahre hinweg die Referenzzinssätze Libor und Euribor systematisch zum eigenen finanziellen Vorteil zu manipulieren oder wurde bereits überführt?
Etwa zwanzig der weltweit größten Banken, von Barclays, über die Royal Bank of Scotland, Deutsche Bank, Société Générale, UBS, Credit Suisse, Citigroup und JP Morgan, um nur einige zu nennen. Einen größeren Finanzmarktskandal hat es niemals gegeben. Der finanzielle Schaden könnte alle Rekorde brechen, so es möglich sein sollte, ihn überhaupt jemals vollumfänglich zu ermitteln.
2012: Was haben die Verantwortlichen in Wirtschaft, Banken und der Politik daraus gelernt?
……… ?
Just vergangene Woche hat Peer Steinbrück (SPD), inzwischen Kanzlerkandidat der SPD für die kommende Bundestagswahl, medienwirksam sein Konzept zur Bändigung der Finanzmärkte vorgestellt. (1) Unter anderem will er das Trennbankensystem einführen, also die Trennung von Investmentbanking vom herkömmlichen und für die Volkswirtschaft wichtigen Bankgeschäft. Allerdings reicht ihm eine organisatorische Trennung. Eine Aufspaltung von Großbanken fordert er nicht.
Viele Politiker und Fachleute haben schon vor Peer Steinbrück eine Diskussion über „Too big to fail“ angestoßen, also darüber, wie künftig verhindert werden kann, dass Banken zu groß bzw. für das Finanzsystem zu wichtig sind, um sie pleitegehen lassen zu können. Genau das – die systemische Relevanz - war und ist bisher die Begründung für alle Rettungsmaßnahmen von Großbanken gewesen, wobei korrekterweise auch die Rettungs-maßnahmen für Griechenland & Co. zumindest teilweise hinzu gerechnet werden müssen, weil es dabei – anders als verlautbart – vor allem um die Rettung und Stabilisierung von großen Banken geht. Von den Hilfsgeldern sieht beispielsweise Griechenland fast nichts. Sie wandern größtenteils direkt auf die Konten der Gläubiger.
So gesehen wird weiterhin alles für den Erhalt und die Stabilisierung der Großbanken getan – auch seitens der großen Notenbanken, z.B. der EZB, insbesondere mit langfristigen Krediten zu Niedrigstzinsen (Long Term Refinancing Operation (LTRO)) in Billionenumfang und mit Anleiheaufkäufen.
Es kann also bis heute überhaupt keine Rede davon sein, dass irgendetwas unternommen worden ist, um das „Too big to fail“-Problem – im Bankensektor – zu lösen.
Wie wahrscheinlich ist es wohl vor diesem Hintergrund, dass Peer Steinbrücks Forderung jemals umgesetzt werden wird?
Was erschwerend hinzu kommt, ist, dass dieses Problem nur im Bankensektor überhaupt wahrgenommen und – wenn auch ohne großen Nachdruck - diskutiert wird, nicht aber in der Realwirtschaft.
Es gibt viele Märkte, in denen Konzerne so groß und volkswirtschaftlich bedeutsam sind, dass kein Politiker es wagen würde, sie im Krisenfall pleitegehen zu lassen. Denken Sie nur an die heftige politische Kontroverse um Staatshilfen, als Opel und Schaeffler im Zuge der Krise 2008/2009 in Schieflage gerieten. Und wir wissen auch, was nach der Lehman-Pleite im September 2008 geschah: Die anschließende Finanzmarkt- und Weltwirt-schaftskrise hat insbesondere die großen, global aufgestellten Konzerne hart getroffen. Umsatzeinbrüche von 20 Prozent und mehr waren keine Seltenheit und die Regierungen in den Industriestaaten haben mit Konjunkturpro-grammen (z.B. „Abwrackprämie“) sowie direkten und indirekten Rettungsmaßnahmen (z.B. General Motors, Chrysler) primär auf deren Stabilisierung abgezielt.
Die Situation und die mit „Too big to fail“ verbundenen finanziellen Risiken wurden also bis heute nicht entschärft. Das Gegenteil ist der Fall. Im Zuge der Finanzmarktkrise wurden Übernahmen und Fusionen im Bankensektor seitens der Politik nicht nur gefördert, sondern gefordert. Beispielsweise wurden JP Morgan (Bear Stearns, Washington Mutual) und die Bank of America (Countrywide, Merrill Lynch) deswegen auch noch größer. Das gilt für viele Großbanken, auch für die Deutsche Bank.
Und auch dies gilt es in diesem Zusammenhang zu erinnern:
Am 31. August 2008 verkündeten die Allianz und die Commerzbank die Übernahme der Dresdner Bank durch die Commerzbank – am 15. September brach mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers die Finanzkrise aus, in deren Folge auch die Commerzbank mit Staatshilfen gerettet werden musste. Die Verschmelzung von Dresdner Bank und Commerzbank geschah jedoch gerade auch deswegen, weil die Bundesregierung – einschließlich des damaligen BundesfinanzministersPeer Steinbrück (SPD) – davon überzeugt waren, dass Deutschland neben der Deutschen Bank einen zweiten „National Champion“ brauchen könnte, der auf den globalen Finanzmärkten in der ersten Liga mitspielen kann.
Blickt man zudem nur einmal auf die aktuellen Meldungen der letzten Tage, so fällt auf, dass Mega-Fusionen und –übernahmen trotz hoher Unternehmenskonzentration und damit verbundener Schwächung effektiven Wettbewerbs auf vielen globalen Märkten und trotz des „Too big to fail“-Risikos im Krisenfall immer noch an der Tagesordnung sind:
  • Die globale Musikindustrie wurde bisher von nur vier großen Konzernen dominiert. Universal, Sony, Warner und EMI. Jetzt sind es nur noch drei. Denn der Eigentümer der britischen Plattenfirma EMI – bisherige Nummer 4 der Branche, die Citigroup, verkaufte zuerst das EMI-Musikverlagsgeschäft an eine Investorengruppe um Sony und nun auch den Rest von EMI, das Tonträgergeschäft, und zwar an Universal. (2)
  • Der weltgrößte Rohstoffhändler Glencore steht jetzt kurz vor der Fusion mit dem Bergbaukonzern Xstrata, weltgrößter Kohleanbieter. Es ist mit 36 Milliarden Dollar nach der 38 Milliarden Dollar schweren Fusion von Rio Tinto und Alcan im Jahr 2007 die größte Fusion im Rohstoffsektor. Mit der Verschmelzung rücken Glencore und Xstrata im globalen Bergbausektor zur Nummer 4 hinter BHP Billiton, Vale und Rio Tinto auf. (3) Was das wohl für die Preise bedeuten mag?
  • Zusammengehen wollen auch EADS und die britische BAE Systems, die damit zum weltgrößten Unternehmen in der Luft-, Raumfahrt- und Verteidigungstechnik aufsteigen würden. (4) Zwar gestaltet sich dies wegen der Staatsbeteiligungen und der verteidigungspolitischen Relevanz schwierig. Ferner gibt es auch seitens der Politik in Deutschland Bedenken. Diese bestehen jedoch nicht wegen der Größe des fusionierten Mammutkonzerns, Wettbewerbsbedenken oder dem „Too big to fail“-Problem, sondern scheinbar primär weil es noch keine konkreten Zusagen für den Erhalt von Standorten gibt. (5) Grundsätzlich werden seitens der Politik aber vor allem die Vorteile einer solchen Fusion gesehen. (6)
Als Fazit lässt sich deswegen festhalten, dass die von sehr großen Konzernen ausgehenden Gefahren
  • für die Konzerne selbst,
  • für den Wettbewerb und den Arbeitsmarkt
  • für die Markt- und Systemstabilität mit allen daraus erwachsenden finanziellen Risiken für den Staatshaushalt bzw. für die Steuerzahler
trotz der Krisenerfahrungen bei den Entscheidern in Politik und Wirtschaft de facto keine Rolle spielen. Das Streben nach Größe ist ungebrochen.
Was die Politik anbelangt, so lässt sich zudem erkennen, dass „Reden“ und „Handeln“ in eklatanter Weise auseinanderfallen. Über „Too big to fail“ wird debattiert, die Zerschlagung von Konzernen oder die Trennung von Geschäftsbereichen wird immer wieder einmal gefordert. Doch der Entstehung immer größerer Banken und Unternehmen wird nicht nur nicht entgegengewirkt, vielmehr wird dies indirekt und direkt gefördert oder gar gefordert (z.B. spanischer Sparkassensektor, deutscher Krankenkassensektor). Alte Überzeugungen sind infolge der Krise keineswegs über Bord geworfen worden. Ein Umdenken hat nicht stattgefunden.
Wenn morgen durch irgendein signifikantes Ereignis eine neue Finanzmarktkrise beginnt, sind wir darauf nicht besser vorbereitet als wir es im September 2008 waren. Die systemische Stabilität ist jedoch nicht größer, sondern geringer als sie es vor vier Jahren war. Das werden Regierungspolitiker nicht wahrhaben wollen. Doch wer wird es ihnen ein zweites Mal abkaufen, wenn sie reklamieren, die Krise sei nicht vorhersehbar gewesen?

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