Seit gestern wird es immer wieder in allen
Nachrichten berichtet:
Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr
Finanzminister Wolfgang Schäuble halten den Ausstieg Griechenlands aus dem Euro
für nahezu unausweichlich, sollte die linksgerichtete Syriza Ende Januar an die
Regierung gewählt werden und wie angekündigt die Austeritätspolitik beenden. Für
die Währungsunion wäre das nach ihrer Auffassung verkraftbar. (1)
Gründe für die Haltung der Bundesregierung zu Griechenland
Begründet wird diese Zuversicht in die
Stabilität der Währungsunion mit
- den Fortschritten, die die Eurozone seit dem Krisenhöhepunkt 2012 gemacht habe,
- der begrenzten Ansteckungsgefahr für andere Euro-Länder, weil Portugal und Irland als saniert gelten,
- dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), der ein schlagkräftiger Rettungsmechanismus sei und mit
- der Bankenunion, die für die Sicherheit großer Kreditinstitute sorge. (2)
Die Begründung auf dem Prüfstand
Nur damit es keine Missverständnisse gibt:
Die europäischen Verträge sehen keine Möglichkeit vor, ein Land aus der
Währungsunion oder der Europäischen Union auszuschließen. Auch der freiwillige
Ausstieg eines Mitgliedstaats ist vertraglich nicht vorgesehen. Zudem will auch die Syriza keinen Ausstieg aus
dem Euro.
Darüber hinaus ist bezüglich der
Begründung Folgendes festzuhalten:
Zu 1)
Die Fortschritte, die die Eurozone seit dem Krisenhöhepunkt gemacht hat, sind
genau genommen überaus bescheiden. Das zeigen nicht zuletzt die immer neuen,
massiven Interventionen der EZB. Wenn überhaupt von Stabilität gesprochen wird,
dann wird dies in der Regel von allen Fachleuten und auch von der EZB selbst
mit dem Hinweis getan, dass diese fragil ist und die Eurozone noch längst nicht
die Gefahrenzone verlassen hat. Im Wesentlichen profitiert der Währungsraum
noch immer vom Versprechen, das der EZB-Präsident Mario Draghi im Sommer 2012
gab, nämlich alles zu tun, um den Euro zu bewahren. Dieses Versprechen beendete
alle Spekula-tionen gegen den Euro und auf ein Auseinanderbrechen der
Währungsunion schlagartig und zwar bis heute.
Zu 2)
Die Annahme, die Ansteckungsgefahr für andere Länder sei gering, steht ebenfalls
auf sehr wackeligen Füßen. In einer Reihe von Euro-Ländern ist die
wirtschaftliche und finanzielle Lage nach wie vor sehr angespannt. Mehr noch
haben sich infolgedessen unter anderem in Spanien, Italien, Frankreich und
Portugal die politischen Gewichte in ähnlicher Weise wie in Griechenland
verschoben und zwar weg von den etablierten, großen Volks-parteien. Es ist
insofern nicht nachvollziehbar, woher die Bundesregierung jetzt die Gewissheit
nimmt, dass sich dort nicht dieselbe Situation ergibt, die sich jetzt in
Griechenland einzustellen ankündigt. Schließlich geht es auch dort um die
zunehmende Ablehnung des austeritätspolitischen Sanierungskonzepts und in
einigen dieser Euro-Länder (Portugal und Spanien) stehen bereits in diesem Jahr
Parlamentswahlen an.
Mehr noch hat sich gerade auch die
Bundesregierung schon einmal, nämlich zu Beginn der Euro-Krise im Jahr 2010, mit
der Annahme verschätzt, von Griechenland gehe keine Ansteckungsgefahr für
andere Euro-Länder aus. Nachdem Griechenland damals auf den Märkten unter Druck
geraten war, folgten recht bald Portugal, Spanien und auch Italien. Portugal
musste gerettet werden und Spanien erhielt Milliarden zur Rettung seiner
Banken.
Zu
3) Die Euro-Retter hatten während der europäischen Schuldenkrise (Anfang 2010
bis Mitte 2012) bezüglich der von ihnen beschlossenen Maßnahmen stets
angenommen, dass sie ausreichten, um die Finanzmärkte zu beruhigen und die Euro-Krise
zu beenden. Dies erwies sich jedoch wiederholt als Irrtum. Das gilt nicht
zuletzt für den ESM und seinen Vorgänger EFSF (Europäische
Finanzstabilisierungsfazilität). Denn obwohl diese mit erheblichen finanziellen
Mitteln ausgestatteten Maßnahmen eingerichtet wurden, spitzte sich die
Euro-Krise weiter zu und konnte schließlich erst im Sommer 2012 beendet werden,
nämlich durch das bereits erwähnte Versprechen von Mario Draghi. Es ist
insofern sehr optimistisch von der Bundesregierung anzunehmen, der ESM sei
schlagkräftig genug, um möglicherweise durch Griechenland ausgelöste neue Turbulenzen
der Eurozone verhindern oder auffangen zu können.
Zu
4) Die Feuertaufe der Bankenunion steht
noch aus. Die Annahme, sie schütze große europäische Kredit-institute
wirksam, ist insofern eine rein theoretische und damit ungesicherte Annahme.
Einladung an Euro-Spekulanten
Vor diesem Hintergrund könnte die
Verlautbarung der Bundesregierung, ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro
wäre für die Währungsunion verkraftbar, von den Finanzmarktakteuren als
Einladung zur Spekulation gegen den Euro und auf ein Auseinanderbrechen der
Eurozone aufgefasst werden. Das würde bedeuten, dass auf den Ausstieg der
nächstschwächsten Euro-Länder gewettet werden könnte. Es dürfte dann einmal
mehr an der EZB hängen bleiben, die Situation wieder unter Kontrolle zu
bringen.
Mario Draghi wird sich über diese
offensichtlich als Wahlkampfhilfe für die konservative Nea Dimokratia des
Premiers Antonis Samaras gedachte Stellungnahme der Bundesregierung nicht
gerade gefreut haben, um es einmal vorsichtig auszudrücken. So etwas zu
proklamieren, ist angesichts der Verfassung der Eurozone ein Spiel mit dem
Feuer.
Keine konstruktive politische Debatte zur Krisenbewältigung
Davon abgesehen findet nach wie vor keine
konstruktive Debatte über Griechenland (sowie über andere europäische
Krisenländer) und die Sinnhaftigkeit der Austeritätspolitik statt, weil weder alle
zentralen Ursachen der Dauerkrise Griechenlands (und anderer Mitgliedstaaten)
noch alle grundsätzlichen Handlungsoptionen offen und fair thematisiert werden.
Das ist ein grundsätzliches Hemmnis für
die Überwindung der europäischen Schuldenkrise und der latenten Euro-Krise.
Zentrale Hemmnisse für die Bewältigung der Griechenlandkrise
Im Wesentlichen steht Griechenland bei der
Überwindung seiner Krise vor folgenden gravierenden administrativen,
wirtschafts- und marktstrukturellen Problemen:
- unzureichende, ineffiziente Verwaltungsstrukturen,
- ein ineffektives, ungerechtes Steuersystem
- hohe Importabhängigkeit als Folge einer unterentwickelten Industrie und einer auf sehr wenige Branchen gestützten Wirtschaft,
- kaum international wettbewerbsfähige Branchen als Folge der vorherrschenden markstrukturellen Gegebenheiten auf den globalen Märkten (Dominanz weniger, sehr großer Konzerne).
Die Optionen Griechenlands
Als grundlegende diskussionsfähige Optionen,
die aus diesen Problemen resultierende ökonomische und finanzielle Misere
anzugehen, können unabhängig von der Frage der praktischen Umsetzbarkeit und der
Erfolgsaussichten die im Folgenden genannten gelten:
- Austeritätspolitik (das heißt: „Abwertung nach innen“),
- Währungsabwertung – was den Ausstieg aus dem Euro und die Rückkehr zur Landeswährung bedeuten würde (oder die Einrichtung einer Parallelwährung),
- Schutzzölle (von der Wirkung her dasselbe wie eine Währungsabwertung), um die Entwicklung einer griechischen Industriestruktur durch Schutz vor überlegenen großen, internationalen Konzernen zu ermöglichen.
Zur Frage der vertraglich bedingten Handlungsmöglichkeiten
In diesem Zusammenhang ist festzuhalten,
dass die europäischen Verträge weder
einen Ausstieg aus dem Euro noch die
Erhebung von Schutz- bzw. Importzöllen ermöglichen. So betrachtet ist
Austeritätspolitik alternativlos.
Fraglich ist allerdings, inwieweit diese,
auf herrschenden, aber letztlich mangelhaften wirtschaftsliberalen Annahmen
basierenden vertraglichen Begrenzungen des Lösungsraums für die Krise in
Griechenland und anderen europäischen Mitgliedstaaten (auf Austeritätspolitik) überhaupt
noch ökonomisch und politisch sinnvoll sind. Denn offensichtlich führt die
Austeritätspolitik nicht zur Lösung, sondern zur weiteren Verschärfung genau jener
Sorte von Problemen, die den Zusammenhalt der Währungs- und der Europäischen
Union ernsthaft gefährden.
Ein Statement, das niemandem hilft und Europas fragile Stabilität riskiert
Die Bundesregierung hat aus dieser
Perspektive betrachtet mit der Einschätzung, der Ausstieg Griechenlands aus der
Währungsunion sei verkraftbar, nur Benzin ins ohnehin schon lodernde Feuer
geschüttet.
Vor allem aber hat sie es getan, obwohl sie an den politischen Verschiebungen
in Griechenland schon gar nichts mehr
ändern und damit insofern auch nichts
mehr erreichen kann.
Denn Fakt ist, dass es im griechischen
Parlament keine Mehrheit mehr für die Austeritätspolitik gibt und im
beginnenden Wahlkampf in Griechenland außer der konservativen Nea Dimokratia
keine Partei mehr bereit ist, diesen Kurs noch rückhaltlos zu unterstützen. Selbst
Evangelos Venizelos, Parteichef der bisherigen Regierungspartei PaSoK, hat
jetzt nochmals explizit seine Bereitschaft betont, nach der Wahl auch mir der
linksgerichteten Syriza Verhandlungen über eine Regierungskoalition zu führen.
(3)
Ob die PaSoK allerdings überhaupt noch
wird mitreden können, ist indes fraglich geworden. Denn dasselbe haben auch
Vertraute von Ex-Premier Giorgos Papandreou gesagt (4), der gestern zusammen
mit anderen ehemaligen PaSoK-Mitgliedern eine neue Partei namens „Bewegung
demokratischer Sozialisten“ (5) aus der Taufe gehoben hat. (6)
Das zeigt, dass in der griechischen
Politik keine Partei mehr auf Samaras Sieg setzt. Dass die Nea Dimokratia bei
der Wahl gar die absolute Mehrheit erreichen könnte, ist gemäß aller Umfrage
praktisch ausgeschlossen.
Damit ist aber bereits jetzt klar, dass es
in Griechenland eine Fortsetzung der Austeritätspolitik wie gehabt selbst dann
nicht geben wird, wenn die von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble mit ihrer
Aussage unterstützte Nea Dimokratia die Wahl am 25. Januar tatsächlich gewänne.
Laut Umfragen sieht es danach nicht aus.
Warum haben Angela Merkel und Wolfgang
Schäuble es also getan? Und warum hat die SPD nichts dazu zu sagen?
Die Euro-Krise ist eine Geschichte
massiver Fehler im europäischen Krisenmanagement. Die EZB hat ein ums andere
Mal die Kohlen aus dem Feuer holen müssen. Es wäre keine Überraschung, wenn
sich das Statement der Bundesregierung als nahtlose Fortsetzung dieser
Geschichte erweist.
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