Sonntag, 29. Juni 2014

Das Risiko eines politischen Blackouts: Beginnt die nächste große Krise in China?



Wir hatten in den letzten Jahren reichlich Gelegenheit, Erfahrungen mit großen Krisen wie auch mit dem Krisenmanagement zu sammeln. Wir hatten eine Finanzmarktkrise, eine Weltwirtschaftskrise und mehrere Schuldenkrisen. Es ist sinnvoll, einmal eine Art Zwischenbilanz zu ziehen. Die könnte wie folgt aussehen:

Vier zentrale Lehren aus der Krise


1. Der gemeinsame Nenner all dieser großen Krisen ist, dass es sich dabei in letzter Konsequenz stets um eine krisenhafte Zuspitzung auf Märkten handelte.
2. Eine zentrale Lehre aus diesen großen Krisen und deren Bekämpfung ist, dass die Notenbanken sie offensichtlich tatsächlich regelmäßig eindämmen können, wenn sie erstens den Märkten das geben, was sie haben wollen – Unmengen billigen Geldes – und zweitens den Märkten das abnehmen, was sie loswerden wollen, aber nirgendwo loswerden können – zweifelhafte Wertpapiere.
3. Eine zweite zentrale Lehre ist, dass sich Krisen auf den Märkten so zwar eindämmen lassen, aber die Probleme, die diese Krisen hervorrufen, damit nicht behoben, sondern noch größer werden, was die Wahrscheinlichkeit neuer, schwerer Krisen erhöht.
4. Und schließlich lässt sich festhalten, dass große Krisen auf Märkten offenbar so lange verhindert werden können, wie der politische Wille und die politische Handlungsfähigkeit bestehen, dies zu tun.

Der letzte Punkt ist möglicherweise der wichtigste. Denn es sind nicht so sehr die Notenbanken, wie man meinen könnte, sondern es ist die Politik, auf die es ankommt.
Wer das bezweifelt, der möge sich daran erinnern, dass die Notenbanken – beispielsweise die Fed, aber auch die EZB – in der Krise bzw. in den verschiedenen Krisenphasen nur die Feuerwehr gespielt haben oder besser gesagt spielen mussten, weil die Politik gelähmt, zu zögerlich oder schlicht unentschlossen war. Sie war genau genommen nicht untätig, sondern hat das Problem der Krisenbekämpfung den Notenbankern immer wieder vor die Füße gekippt. Schauen Sie nach Japan, wo man unmittelbar erkennen kann, wo die Musik wirklich spielt: Die Bank of Japan war nicht von sich aus dazu bereit gewesen, den Markt mit Unmengen billigen Geldes zu fluten, sondern der damals neue Premier Shinzo Abe hat sie dazu gezwungen.
Warum ist das überhaupt wichtig, fragen Sie jetzt vielleicht?

Das Risiko eines politischen Blackouts: Krisenauslöser Nr. 1?

Es ist wichtig, weil wir vielleicht begreifen müssen, was den nächsten großen Crash, die nächste große Krise, die viele schon lange erwarten und für die es viele Anzeichen gibt, letztlich möglicherweise tatsächlich auslösen wird: Ein schweres politisches Versagen oder eine Art politischer Blackout.
Das ist eine These und eine ungesicherte noch dazu, gewiss. Doch gehen Sie einmal einen Moment lang davon aus, dass sie stimmt, dann ist die Frage, was die nächste Krise auslöst, plötzlich eine geographische Frage. Die Frage, die dann nämlich zu beantworten wäre, ist: In welchem wirtschaftlich wichtigen geographischen Raum ist mit einem schweren politischen Versagen oder einer Art politischem Blackout zu rechnen?
Tatsache ist zunächst einmal, dass es einen solchen politischen Blackout in den letzten Jahren nicht gegeben hat. Zwar gab es immer wieder gefährliche Zuspitzungen, aber er wurde letztlich dann doch jedes Mal abgewendet. Beispielsweise in den USA, wenn sich die Staatsverschuldung wieder der Schuldengrenze näherte und eine Zahlungsunfähigkeit drohte oder in Europa, wo in der Eurokrise wegen Uneinigkeit regelmäßig sehr spät, aber eben doch nicht zu spät gehandelt wurde, um das Schlimmste zu verhindern, etwa in der Griechenlandkrise.

In welchen wichtigen Wirtschaftsregionen gibt es ein politisches Blackout-Risiko?

Und das ist eine weitere, fünfte zentrale Lehre aus der jüngeren Krisengeschichte:

5. Wenn es ernst wird und der Druck der Märkte steigt, raufen sich die politischen Kontrahenten und Akteure letztlich doch immer zusammen.

Genau das würde es dann – wenn man bei der These bleibt – aber auch eher weniger wahrscheinlich erscheinen lassen, dass die nächste große Krise durch ein schweres politisches Versagen in Europa oder den USA ausgelöst wird.
Wo aber dann?
Wenn man einmal kurz die wirtschaftlich wichtigsten Nationen oder Wirtschaftsräume gedanklich bezüglich der Gefahren eines schweren politischen Versagens durcheckt, dann bleiben nicht viele übrig. Man mag zu dem Schluss gelangen, dass es gegenwärtig letzten Endes vielleicht nur zwei sind: China und Japan.
Wieso?

Die Politik als Risikofaktor in Japan

Der japanische Premier hat sich mit seinen Abenomics und mit seinem provokativen außen- und verteidigungs-politischen Kurs gegenüber China sehr weit aus dem Fenster gelehnt. Ob das gut geht, daran gibt es Zweifel. Keine andere wirtschaftlich bedeutende Region hat sich politisch bedingt derart exponiert. Wenn sich die Zeichen verdichten, dass die Abenomics nicht den gewünschten Erfolg bringen, werden die Märkte darauf empfindlich reagieren und dann spielt auch eine Rolle, dass Japan so hoch verschuldet ist wie kein anderes Industrieland. Und der außen- und verteidigungspolitische Kurs von Abe könnte sich als Bumerang erweisen, wenn er sich negativ auf die Exporte in die Region auswirkt – China ist ein wichtiges japanisches Exportland.
Kurzum, Shinzo Abe hat sehr viel gewagt und darum steht für Japans Volks- und Finanzwirtschaft auch sehr viel auf dem Spiel. Ein politischer Blackout droht sicher nicht, ein Fall schweren und folgenreichen politischen Versagens indes schon.

Politische Blackout-Gefahr in China

In China liegt der Fall anders. Dort ist es der parteiinterne Machtkampf, von dem die Gefahr eines schweren politischen Versagens ausgeht, vielleicht auch eines politischen Blackouts.
Staatspräsident Xi Jinping hat sich vorgenommen, das Wirtschafts- und Wachstumskonzept Chinas umzukrempeln. Vereinfacht ausgedrückt basiert es bisher auf Exporten, künftig soll das Wachstum vom Binnenmarkt kommen. Aber das ist nur die halbe Geschichte und vor allem nicht der entscheidende Teil. Denn pointiert ausgedrückt ist die Geschichte des wirtschaftlichen Aufstiegs Chinas untrennbar verbunden mit dem finanziellen Aufstieg der Parteielite und dieser wiederum basiert auf Korruption und Vetternwirtschaft – auf allen Hierarchieebenen. Korruption ist folglich ein zentraler Bestandteil des bisherigen Erfolgsmodells Chinas. Sie ist wie der Kitt, der alles zusammenhält.
Das Problem: Genau gegen diese Korruption geht Xi Jinping seit Amtsantritt Ende 2012 energisch vor und zwar bis in die höchsten Parteikreise. Bo Xilai, ehedem Mitglied des Politbüros und ein ernster Anwärter für den Aufstieg in den obersten Machtzirkel, wurde bereits wegen Korruption zu lebenslanger Haft verurteilt. Ermittelt wird auch gegen Zhou Yongkang, der unter dem letzten Staatspräsidenten Hu Jintao Mitglied des „Ständigen Ausschusses“ des Politbüros und damit des obersten Führungsgremiums Chinas war. (1) (2) Noch nie ist in China ein Mitglied oder ehemaliges Mitglied des „Ständigen Ausschusses“ vor Gericht gestellt worden. Es wäre ein Tabubruch.
De facto rüttelt Staatspräsident Xi Jinping mit seiner Anti-Korruptions-Kampagne folglich an den Grundfesten des wirtschaftlichen Erfolges Chinas und der Macht der Kommunistischen Partei. Sein Kurs stellt die Partei vor eine Zerreißprobe, weil seine Pläne zum wirtschaftlichen Umbau, die Machtbasis und Quelle des Reichtums der Parteielite, die das Land alleine regiert, zerstört.
Innerhalb der Kommunistischen Partei Chinas findet deswegen ein zunehmend mit schärfer werdenden Mitteln ausgetragener Machtkampf statt (3) (4), von dem bedingt durch die drastisch verschärfte Zensur der Medien sowie des Internets und eines generell härteren innenpolitischen Kurses bisher nur wenig in Öffentlichkeit und die Außenwelt dringt.
Wie scharf dieser Machtkampf ausgetragen wird, das lässt sich unter anderem daran ablesen, dass laut Berichten allein zwischen September 2013 und März 2014 fast 60 Ermittler der für die Korruptionsbekämpfung zuständigen Abteilung und über 30 Staatsanwälte ermordet wurden oder spurlos verschwunden sind. Seit seinem Amtsantritt im November 2012 wurden Berichten zufolge vier Mordanschläge gegen den obersten Korruptionsjäger Wang Qishan verübt. (5) Wang ist Mitglied des siebenköpfigen „Ständigen Ausschusses“ des Politbüros, also des obersten politischen Führungszirkels. Zum Schutz der Korruptionsjäger haben Präsident Xi Jinping und das Militär Anfang April eigens eine Spezialeinheit mit der Bezeichnung „Leitendes Sonderbüro gegen Gewalt und Mordversuche“ eingerichtet, die direkt dem Politbüro unterstellt ist. Sie besteht aus zwei Abteilungen. Eine befasst sich ausschließlich mit der Untersuchung von Mordversuchen an Wang Qishan. (6) Jetzt wurde berichtet, dass Wang seit einigen Tagen nicht mehr öffentlich aufgetreten ist. Kein Wunder, dass das Spekulationen über die möglichen Gründe ausgelöst hat. (7)
Darüber hinaus kostet Xi Jinpings Kampf gegen Korruption und Verschwendung in der Partei Chinas Volkswirt-schaft massiv Kraft. Der China-Ökonom der Bank of America in Hongkong beispielsweise schätzt, dass dadurch das Wirtschaftswachstum allein in diesem Jahr ein Prozent oder knapp 68 Milliarden Euro niedriger ausfallen wird. (8)
Je unnachgiebiger und weiter Xi Jinping den Kampf gegen Korruption und damit den Umbau des chinesischen Wirtschaftsmodells vorantreibt, umso größer wird die Gefahr, dass der damit verbundene parteiinterne Machtkampf Chinas die politische und wirtschaftliche Stabilität aushöhlt. Bildlich gesprochen sägt Xi am Ast auf dem Chinas Elite und Wirtschaft gegenwärtig sitzt. Dass ein solcher Umbau ohne Bruch, ohne Kollaps möglich sein kann, erscheint schwer vorstellbar. Doch genau darauf scheint Chinas Staatspräsident zu vertrauen.

Fazit

Seit Monaten wird vor den Gefahren der Immobilienpreisblase und platzender Kredite in China gewarnt. Auch das schwächelnde Wirtschaftswachstum Chinas wird immer mit Besorgnis gesehen. Denn beides stellt ein Risiko für die globalen Finanzmärkte und die Weltwirtschaft dar.
Der Versuch des Abschmelzens der Blase, der sukzessiven Rückführung der Kreditprobleme auf ein ungefähr-liches Maß und die Umstellung des Wirtschaftsmodells, ist zweifellos eine heikle Gratwanderung. Bisher sind Regierung und People´s Bank of China (PBoC) dabei erfolgreich und vor allem erfolgreicher als viele erwartet haben. Doch die oben angesprochenen Zusammenhänge sprechen dafür, dass sich die Absturzrisiken sukzessive vergrößern und zwar unweigerlich. Dabei geht jedoch das größere Risiko vielleicht nicht von der mangelnden technischen Beherrschbarkeit des Prozesses aus, sondern von der mangelnden Beherrschbarkeit der zunehmenden politischen oder besser gesagt innerparteilichen Spannungen.
So betrachtet spricht vieles dafür, dass das Risiko einer akuten Krise und mithin eines Crashs infolge eines politischen Blackouts gegenwärtig und auf absehbare Zeit gerade in China besonders hoch ist und vor allem so hoch wie in keiner anderen bedeutenden, politisch zusammenhängenden Wirtschaftsregion.
Die These, dass der zentrale Auslöser für die nächste schwere Krise auf den Märkten letztlich ein schweres politisches Versagen oder eine Art politischer Blackout sein dürfte, ist provokant und ungesichert. Andererseits treten Krisen an den Märkten immer plötzlich ein, weil kaum jemand den tatsächlichen Auslöser im Blick hat. Und im Ernst, welcher Beobachter der Märkte hat gegenwärtig das Risiko eines politischen Blackouts auf dem Hauptschirm?

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