Wir hatten in den letzten Jahren reichlich
Gelegenheit, Erfahrungen mit großen Krisen wie auch mit dem Krisenmanagement zu
sammeln. Wir hatten eine Finanzmarktkrise, eine Weltwirtschaftskrise und mehrere
Schuldenkrisen. Es ist sinnvoll, einmal eine Art Zwischenbilanz zu ziehen. Die
könnte wie folgt aussehen:
Vier zentrale Lehren aus der Krise
1. Der gemeinsame Nenner all dieser großen Krisen ist, dass es sich dabei in letzter Konsequenz stets um eine krisenhafte Zuspitzung auf Märkten handelte.2. Eine zentrale Lehre aus diesen großen Krisen und deren Bekämpfung ist, dass die Notenbanken sie offensichtlich tatsächlich regelmäßig eindämmen können, wenn sie erstens den Märkten das geben, was sie haben wollen – Unmengen billigen Geldes – und zweitens den Märkten das abnehmen, was sie loswerden wollen, aber nirgendwo loswerden können – zweifelhafte Wertpapiere.3. Eine zweite zentrale Lehre ist, dass sich Krisen auf den Märkten so zwar eindämmen lassen, aber die Probleme, die diese Krisen hervorrufen, damit nicht behoben, sondern noch größer werden, was die Wahrscheinlichkeit neuer, schwerer Krisen erhöht.4. Und schließlich lässt sich festhalten, dass große Krisen auf Märkten offenbar so lange verhindert werden können, wie der politische Wille und die politische Handlungsfähigkeit bestehen, dies zu tun.
Der letzte Punkt ist möglicherweise der wichtigste.
Denn es sind nicht so sehr die Notenbanken, wie man meinen könnte, sondern es ist
die Politik, auf die es ankommt.
Wer das bezweifelt, der möge sich daran
erinnern, dass die Notenbanken – beispielsweise die Fed, aber auch die EZB – in
der Krise bzw. in den verschiedenen Krisenphasen nur die Feuerwehr gespielt
haben oder besser gesagt spielen mussten, weil die Politik gelähmt, zu
zögerlich oder schlicht unentschlossen war. Sie war genau genommen nicht
untätig, sondern hat das Problem der Krisenbekämpfung den Notenbankern immer wieder
vor die Füße gekippt. Schauen Sie nach Japan, wo man unmittelbar erkennen kann,
wo die Musik wirklich spielt: Die Bank of Japan war nicht von sich aus dazu
bereit gewesen, den Markt mit Unmengen billigen Geldes zu fluten, sondern der
damals neue Premier Shinzo Abe hat sie dazu gezwungen.
Warum ist das überhaupt wichtig, fragen
Sie jetzt vielleicht?
Das Risiko eines politischen Blackouts: Krisenauslöser Nr. 1?
Es ist wichtig, weil wir vielleicht begreifen
müssen, was den nächsten großen Crash, die nächste große Krise, die viele schon
lange erwarten und für die es viele Anzeichen gibt, letztlich möglicherweise tatsächlich
auslösen wird: Ein schweres politisches Versagen oder eine Art politischer Blackout.
Das ist eine These und eine ungesicherte
noch dazu, gewiss. Doch gehen Sie einmal einen Moment lang davon aus, dass sie
stimmt, dann ist die Frage, was die nächste Krise auslöst, plötzlich eine
geographische Frage. Die Frage, die dann nämlich zu beantworten wäre, ist: In
welchem wirtschaftlich wichtigen geographischen Raum ist mit einem schweren
politischen Versagen oder einer Art politischem Blackout zu rechnen?
Tatsache ist zunächst einmal, dass es einen
solchen politischen Blackout in den letzten Jahren nicht gegeben hat. Zwar gab
es immer wieder gefährliche Zuspitzungen, aber er wurde letztlich dann doch
jedes Mal abgewendet. Beispielsweise in den USA, wenn sich die
Staatsverschuldung wieder der Schuldengrenze näherte und eine
Zahlungsunfähigkeit drohte oder in Europa, wo in der Eurokrise wegen
Uneinigkeit regelmäßig sehr spät, aber eben doch nicht zu spät gehandelt wurde,
um das Schlimmste zu verhindern, etwa in der Griechenlandkrise.
In welchen wichtigen Wirtschaftsregionen gibt es ein politisches Blackout-Risiko?
Und das ist eine weitere, fünfte zentrale
Lehre aus der jüngeren Krisengeschichte:
5. Wenn es ernst wird und der Druck der Märkte steigt, raufen sich die politischen Kontrahenten und Akteure letztlich doch immer zusammen.
Genau das würde es dann – wenn man bei der
These bleibt – aber auch eher weniger wahrscheinlich erscheinen lassen, dass
die nächste große Krise durch ein schweres politisches Versagen in Europa oder
den USA ausgelöst wird.
Wo aber dann?
Wenn man einmal kurz die wirtschaftlich wichtigsten
Nationen oder Wirtschaftsräume gedanklich bezüglich der Gefahren eines schweren
politischen Versagens durcheckt, dann bleiben nicht viele übrig. Man mag zu dem
Schluss gelangen, dass es gegenwärtig letzten Endes vielleicht nur zwei sind:
China und Japan.
Wieso?
Die Politik als Risikofaktor in Japan
Der japanische Premier hat sich mit seinen
Abenomics und mit seinem provokativen
außen- und verteidigungs-politischen Kurs gegenüber China sehr weit aus dem
Fenster gelehnt. Ob das gut geht, daran gibt es Zweifel. Keine andere
wirtschaftlich bedeutende Region hat sich politisch bedingt derart exponiert.
Wenn sich die Zeichen verdichten, dass die Abenomics nicht den gewünschten
Erfolg bringen, werden die Märkte darauf empfindlich reagieren und dann spielt
auch eine Rolle, dass Japan so hoch verschuldet ist wie kein anderes
Industrieland. Und der außen- und verteidigungspolitische Kurs von Abe könnte
sich als Bumerang erweisen, wenn er sich negativ auf die Exporte in die Region auswirkt
– China ist ein wichtiges japanisches Exportland.
Kurzum, Shinzo Abe hat sehr viel gewagt
und darum steht für Japans Volks- und Finanzwirtschaft auch sehr viel auf dem
Spiel. Ein politischer Blackout droht sicher nicht, ein Fall schweren und
folgenreichen politischen Versagens indes schon.
Politische Blackout-Gefahr in China
In China liegt der Fall anders. Dort ist
es der parteiinterne Machtkampf, von dem die Gefahr eines schweren politischen
Versagens ausgeht, vielleicht auch eines politischen Blackouts.
Staatspräsident Xi Jinping hat sich
vorgenommen, das Wirtschafts- und Wachstumskonzept Chinas umzukrempeln. Vereinfacht
ausgedrückt basiert es bisher auf Exporten, künftig soll das Wachstum vom
Binnenmarkt kommen. Aber das ist nur die halbe Geschichte und vor allem nicht der
entscheidende Teil. Denn pointiert ausgedrückt ist die Geschichte des
wirtschaftlichen Aufstiegs Chinas untrennbar verbunden mit dem finanziellen
Aufstieg der Parteielite und dieser wiederum basiert auf Korruption und
Vetternwirtschaft – auf allen Hierarchieebenen. Korruption ist folglich ein zentraler
Bestandteil des bisherigen Erfolgsmodells Chinas. Sie ist wie der Kitt, der
alles zusammenhält.
Das Problem: Genau gegen diese Korruption
geht Xi Jinping seit Amtsantritt Ende 2012 energisch vor und zwar bis in die
höchsten Parteikreise. Bo Xilai, ehedem Mitglied des Politbüros und ein ernster
Anwärter für den Aufstieg in den obersten Machtzirkel, wurde bereits wegen
Korruption zu lebenslanger Haft verurteilt. Ermittelt wird auch gegen Zhou
Yongkang, der unter dem letzten Staatspräsidenten Hu Jintao Mitglied des „Ständigen
Ausschusses“ des Politbüros und damit des obersten Führungsgremiums Chinas war.
(1) (2) Noch nie ist in China ein Mitglied oder ehemaliges Mitglied des „Ständigen
Ausschusses“ vor Gericht gestellt worden. Es wäre ein Tabubruch.
De facto rüttelt Staatspräsident Xi
Jinping mit seiner Anti-Korruptions-Kampagne folglich an den Grundfesten des wirtschaftlichen
Erfolges Chinas und der Macht der
Kommunistischen Partei. Sein Kurs stellt die Partei vor eine Zerreißprobe, weil
seine Pläne zum wirtschaftlichen Umbau, die Machtbasis und Quelle des Reichtums
der Parteielite, die das Land alleine regiert, zerstört.
Innerhalb der Kommunistischen Partei Chinas
findet deswegen ein zunehmend mit schärfer werdenden Mitteln ausgetragener Machtkampf
statt (3) (4), von dem bedingt durch die drastisch verschärfte Zensur der
Medien sowie des Internets und eines generell härteren innenpolitischen Kurses bisher
nur wenig in Öffentlichkeit und die Außenwelt dringt.
Wie scharf dieser Machtkampf ausgetragen wird,
das lässt sich unter anderem daran ablesen, dass laut Berichten allein zwischen
September 2013 und März 2014 fast 60 Ermittler der für die Korruptionsbekämpfung
zuständigen Abteilung und über 30 Staatsanwälte ermordet wurden oder spurlos
verschwunden sind. Seit seinem Amtsantritt im November 2012 wurden Berichten
zufolge vier Mordanschläge gegen den obersten Korruptionsjäger Wang Qishan
verübt. (5) Wang ist Mitglied des siebenköpfigen „Ständigen Ausschusses“ des
Politbüros, also des obersten politischen Führungszirkels. Zum Schutz der Korruptionsjäger
haben Präsident Xi Jinping und das Militär Anfang April eigens eine
Spezialeinheit mit der Bezeichnung „Leitendes Sonderbüro gegen Gewalt und
Mordversuche“ eingerichtet, die direkt dem Politbüro unterstellt ist. Sie
besteht aus zwei Abteilungen. Eine befasst sich ausschließlich mit der
Untersuchung von Mordversuchen an Wang Qishan. (6) Jetzt wurde berichtet, dass Wang
seit einigen Tagen nicht mehr öffentlich aufgetreten ist. Kein Wunder, dass das
Spekulationen über die möglichen Gründe ausgelöst hat. (7)
Darüber hinaus kostet Xi Jinpings Kampf
gegen Korruption und Verschwendung in der Partei Chinas Volkswirt-schaft massiv Kraft.
Der China-Ökonom der Bank of America in Hongkong beispielsweise schätzt, dass dadurch
das Wirtschaftswachstum allein in diesem Jahr ein Prozent oder knapp 68 Milliarden
Euro niedriger ausfallen wird. (8)
Je unnachgiebiger und weiter Xi Jinping
den Kampf gegen Korruption und damit den Umbau des chinesischen Wirtschaftsmodells
vorantreibt, umso größer wird die Gefahr, dass der damit verbundene
parteiinterne Machtkampf Chinas die politische und wirtschaftliche Stabilität aushöhlt. Bildlich gesprochen sägt
Xi am Ast auf dem Chinas Elite und Wirtschaft gegenwärtig sitzt. Dass ein
solcher Umbau ohne Bruch, ohne Kollaps möglich sein kann, erscheint schwer
vorstellbar. Doch genau darauf scheint Chinas Staatspräsident zu vertrauen.
Fazit
Seit Monaten wird vor den Gefahren der
Immobilienpreisblase und platzender Kredite in China gewarnt. Auch das
schwächelnde Wirtschaftswachstum Chinas wird immer mit Besorgnis gesehen. Denn
beides stellt ein Risiko für die globalen Finanzmärkte und die Weltwirtschaft
dar.
Der Versuch des Abschmelzens der Blase, der
sukzessiven Rückführung der Kreditprobleme auf ein ungefähr-liches Maß und die
Umstellung des Wirtschaftsmodells, ist zweifellos eine heikle Gratwanderung. Bisher
sind Regierung und People´s Bank of China (PBoC) dabei erfolgreich und vor
allem erfolgreicher als viele erwartet haben. Doch die oben angesprochenen
Zusammenhänge sprechen dafür, dass sich die Absturzrisiken sukzessive
vergrößern und zwar unweigerlich. Dabei geht jedoch das größere Risiko vielleicht
nicht von der mangelnden technischen Beherrschbarkeit des Prozesses aus,
sondern von der mangelnden Beherrschbarkeit der zunehmenden politischen oder
besser gesagt innerparteilichen Spannungen.
So betrachtet spricht vieles dafür, dass
das Risiko einer akuten Krise und mithin eines Crashs infolge eines politischen
Blackouts gegenwärtig und auf absehbare Zeit gerade in China besonders hoch ist
und vor allem so hoch wie in keiner anderen bedeutenden, politisch zusammenhängenden
Wirtschaftsregion.
Die These, dass der zentrale Auslöser für die
nächste schwere Krise auf den Märkten letztlich ein schweres politisches
Versagen oder eine Art politischer Blackout sein dürfte, ist provokant und ungesichert.
Andererseits treten Krisen an den Märkten immer plötzlich ein, weil kaum jemand
den tatsächlichen Auslöser im Blick hat. Und im Ernst, welcher Beobachter der
Märkte hat gegenwärtig das Risiko eines politischen Blackouts auf dem
Hauptschirm?
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