Montag, 4. Mai 2009

Wirtschaftspolitik für die "National Champions": Erfolgsstory mit Krisengarantie


Vier Dekaden Wirtschaftswachstum - die Erfolgsstory eines Wirtschaftsmodells

Ende der 60er Jahre setzte sich in den führenden europäischen Staaten die Auffassung durch, dass die heimischen Unternehmen zu klein seien, um im internationalen Wettbewerb gegen die US-Konzerne bestehen zu können. Seit dieser Zeit wurde in Europa der Unternehmenskonzentrationsprozess quer durch alle Branchen wirtschafts-politisch gefördert. Das Ziel: Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, Innovation, Wachstum und Beschäftigung.

In den 80er Jahren wurde erkannt, dass es aufgrund der zunehmenden Globalisierung der Märkte für die Erreichung dieses Ziels nicht mehr ausreichte, lediglich die nationalen Märkte zu betrachten. Die Europäische Gemeinschaft startete die Binnenmarkt-Initiative, um einen einheitlichen großen Markt zu schaffen, der es den europäischen Unternehmen ermöglichte die Produktion auszuweiten, Skaleneffekte zu erzielen und darüber hinaus ihre Kosten zu senken. Zugleich wurde von der Europäischen Kommission das Projekt "Technologiegemeinschaft" gestartet, welches der Startpunkt einer europäischen Forschungs- und Technologiepolitik war. Kooperative Spitzenforschung sollte gefördert werden, damit die europäischen Leader gemeinsam an den Grundlagen für innovative, international wettbewerbsfähige Produkte arbeiten konnten.

Beide Initiativen zusammen stellten den Einstieg in eine europäische Industriepolitik dar. Das Ziel: Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Beschäftigung. Der eingeschlagene Weg zu diesem Ziel: Förderung von Kooperationen, speziell auch in F&E, Fusionen sowie generell Effizienzsteigerung, sprich Kosten-senkung.

Die 90er Jahre standen in der EU ganz im Zeichen dieser industriepolitischen Strategie und führten zu zahlreichen Megafusionen, gerade auf den im globalen Wettbewerb und für die europäischen Volkswirtschaften bedeutsamen, großen Märkten. Es war eine erfolg-reiche Strategie. Die Konzerne wurden zum zentralen Standbein der Volkswirtschaften. Sie verzeichneten ein enormes Wachstum. Die volkswirtschaftliche Kehrseite des auf dem Wege der Kostensenkungsstrategie erzielten Unternehmenswachstums: Die Beschäftigung ging annähernd quer durch alle Branchen zurück, die Kaufkraft blieb hinter dem Wachstum zurück.

Nach dem Platzen der New-Economy-Blase wurde dieser Weg konsequent und sogar noch nachdrücklicher fortgesetzt, weil Regierungschefs wie etwa Tony Blair und Gerhard Schröder Industriepolitik zur Chefsache erklärten.

Das ignorierte Ende des Erfolgsmodells

2008/Anfang 2009: Es gibt neue Fusionen, Megafusionen und viele Übernahmen. Die Kosten werden weiter gesenkt. Nunmehr allerdings bedingt durch die sich vertiefende Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise. Quer durch alle Branchen sind die Märkte eingebrochen, eine Trendwende ist nicht in Sicht, die Talfahrt setzt sich trotz gigantischer Konjunkturprogramme auch 2009 fort - wenn auch vorerst vielleicht verlangsamt. Besonders betroffen sind global operierende Konzerne und Zulieferer. (1) Jetzt ist von Notübernahmen die Rede, speziell im Bankensektor (z. B. Bear Stearns, Merrill Lynch, Washington Mutual, Sachsen LB). In anderen Branchen, etwa der Automobilindustrie, zeichnet sich eine ähnlich Entwicklung ab.

Es ist offensichtlich, dass in den führenden Staaten wirtschaftspolitisch bis heute kein echter Kurswechsel vorgenommen worden ist. Mehr noch wird dies scheinbar noch nicht einmal wirklich erwogen. (2) Die beschlossenen Konjunkturprogramme erreichen ein historisch einmaliges Rekordvolumen. Die Wirkung ist ungewiss, aber die Stoßrichtung ist nur allzu klar: Die bestehende Wirtschaftsstruktur soll erhalten, das über Jahrzehnte erfolgreiche Modell der Wirtschaft wieder auf Erfolgskurs gebracht werden. (3)

Der eingeschlagene Weg wird im Prinzip unverändert fortgesetzt. Dass er nicht in Frage gestellt wird, ist vielleicht ein Zeichen fehlender Selbstreflexion der Verantwortlichen. Vielleicht ist es Verdrängung, vielleicht wird schlicht der Kopf in den Sand gesteckt, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Dabei ist längst klar: Das Modell des auf Konzernen und Effizienzsteigerungen beruhenden Wirtschaftswachstums hat 40 Jahre lang getragen, aber jetzt ist es kollabiert.

Es ist wirklichkeitsfremd davon auszugehen, dieses über einen Zeitraum von vier Dekaden in den Industriestaaten aufgebaute Modell oder Wirtschaftssystem könne wiederbelebt und zu den bisherigen Rekordumsätzen und -wachstumsraten zurückgeführt werden. (4) Finanzinvestoren und Banken haben dieses System in den vergangenen Jahren mit gigantischem Einsatz angetrieben und aufgebläht. Die Kostensenkungs-schraube wurde bis zum Anschlag gedreht, für mehr Wachstum - jetzt geht es nur noch darum, die Kosten den schrumpfenden Märkten anzupassen. Weiter geht es auf diesem Wege nicht, sofern Wachstum oder eben wirtschaftliche Entwicklung und Beschäftigung das Ziel sind. Das müsste eigentlich jedem Verantwortlichen klar sein.

Neuorientierung: Wider die Elefantenhochzeit

Die Stabilisierung der Wirtschaft wird ohne einen Paradigmenwechsel nicht mehr zu erreichen sein. Der Abschied vom alten Erfolgsmodell tut Not. Denn die Konzernsäule mit der einseitigen Kostensenkungsstrategie trägt die Gesamtwirtschaft bald nicht mehr. Jede weitere Mega(not)fusion schwächt jedoch den Wettbewerb und damit das markt-wirtschaftliche Grundgerüst ganz empfindlich. Und dasselbe gilt für Konjunkturpro-gramme, die auf den Erhalt des konzernbasierten Wirtschaftsmodells gerichtet sind. (5)

Die Fortsetzung des wirtschaftspolitischen Kurses in der Krise beinhaltet deswegen eine nicht zu unterschätzende Gefahr: All jene unternehmerischen Kräfte, welche die Wirtschaft wieder stabilisieren und Garant für eine neue dynamische Wirtschaftsent-wicklung jenseits der schwer angeschlagenen globalen Märkte sein können, werden erstickt. Echter Wettbewerb, der dynamisch innovative Leistung belohnt, wird zugunsten der vermeintlichen Rettung angeschlagener Konzerne ausgeschaltet. (6) Wenn sich allerdings am Ende herausstellen sollte, dass der Rettungsversuch gescheitert ist, dann kollabiert mit der Konzernsäule auch die Gesamtwirtschaft, weil nicht nur keine Energie in den Aufbau einer alternativen Säule investiert wurde, die die Wirtschaft tragen helfen könnte, wenn die globalen Märkte weiter einbrechen, sondern weil jene unternehme-rischen Kräfte, die dafür nötig sind, sogar noch weiter geschwächt worden sind.

Auf vielen, von einer geringen Zahl von Großunternehmen dominierten Märkten existiert bereits schon länger kein echter, volkswirtschaftlich wünschenswerter Wettbewerb mehr. (7) Das gilt etwa für den Bankensektor. Wenn alle Maßnahmen der Notenbanken mehr oder weniger wirkungslos verpuffen, dann ist dies nur noch damit zu begründen, dass die Finanzmärkte zumindest in Teilen - etwa dem Kreditmarkt - nicht mehr funktionsfähig sind. (8) Auf dem Automobilmarkt wurden indes enorme Überkapazitäten aufgebaut und Autos hergestellt, die immer weniger den Wünschen der Kunden entsprachen - wie sich jetzt zeigt. (9) Auch das hat wenig mit echtem Wettbewerb zu tun.

Megafusionen sind keine Lösung für diese Probleme, genauso wenig wie es eine Lösung ist, auf einem über den Bug sinkenden Schiff nach hinten zu laufen. Sie werden lediglich dazu führen, dass sich die Probleme weiter zuspitzen.

Was wir brauchen, sind Märkte, auf denen verstärkt auch wieder kleinere, flexible und dynamisch innovative Unternehmen zum Zuge kommen und erfolgreich sein können. (10) Sie lassen Nischen und auch neue Märkte entstehen, die Potenzial für neues Wachstum haben. Das ist jedoch nicht möglich, wenn der Staat dazu beiträgt, dass echter Innovationswettbewerb zugunsten von Konzernen ausgeschaltet wird, deren Märkte so oder so schrumpfen werden.

Links:
(1)   Unternehmensinsolvenzen: Die Pleitewelle rollt (v. 24.08.09);
(1)   Studie: Mehrheit der großen Unternehmen kämpft weiter ums Überleben (v. 12.07.09);
(1)   Ifo-Studie: Konzerne klagen über schwere Kreditklemme (v. 28.05.09);
(1)   Autoindustrie: Globaler Dominoeffekt (v. 14.12.08);
(1)   Autozulieferer: Mit Vollgas in den Abgrund (v. 11.12.08);
(2)   Finanzpolitik: Steueroase Deutschland (v. 31.08.09);
(2)   Mittelstandsbank: US-Regierung lehnt Hilfe für CIT ab (v. 16.07.09);
(2)   Trotz Krise keine Änderung bei Banken: Londons Finanzhaie lecken wieder Blut (v. 02.07.09);
(2)   HRE-Misere: "Das würde kein Vorstand überleben" (v. 01.07.09);
(2)   Bad Bank: Bund kommt Privatbanken weit entgegen (v. 01.07.09);
(2)   Koalitionseinigung: Bad Banks ohne Steuerlast (v. 26.06.09);
(2)   Forsche US-Banken: "Lieber Timmy ..." (v. 15.06.09);
(2)   Liqui-Moly-Chef: Mittelstand wird veralbert (v. 27.05.09);
(2)   Konzerne bevorzugt: Hilfst du mir, helf´ ich dir (v. 06.02.09);
(3)   Umfrage zu Konjunkturprogrammen: Mittelständler fühlen sich benachteiligt (v. 14.09.09);
(3)   Konzerne und Kurzarbeit: Koalition erlässt Unternehmen Sozialbeiträge (v. 17.06.09);
(3)   "Lex Opel" könnte Steuerzahler 1,8 Milliarden Euro kosten (v. 10.06.09);
(3)   Rettungsfonds: Das 100-Milliarden-Risiko (v. 04.03.09);
(4)   William R. White: Konjunktur: Es wird nicht wieder "normal" (v. 02.09.09);
(5)   Vodafones Expansionsstreben: T-Mobile-Verkauf schwächt Wettbewerb (v. 30.06.09);
(5)   Megafusion Xstrata/Anglo American: Xstrata-Pläne stoßen auf Widerstand (v. 22.06.09);
(5)   Folgen der Finanzkrise: Ackermann warnt vor Banken-Giganten (v. 18.06.09);
(5)   Barclays und BlackRock schmieden weltgrößte Investmentbank (v. 16.06.09);
(5)   Arcandor: Gegenwind für Kaufhausfusion (v. 11.06.09);
(5)   Banken müsen zurechtgestutzt werden (v. 15.05.09);
(5)   US-Wettbewerbshüter: Zu groß zu sein, bedeutet zu scheitern (v. 12.05.09);
(6)   Liqui-Moly-Chef: Mittelstand wird veralbert (v. 27.05.09);
(7)   Fünf Anbieter sind zuviel: Jammerlappen in der Mobilfunkbranche (v. 30.06.09);
(7)   Studie: Verbraucher sind die Verlierer der Strommarkt-Liberalisierung (v. 25.06.09);
(8)   Umfrage: Banken knausern mit Unternehmenskrediten (v. 30.06.09);
(9)   Düstere Prognose: Experten warnen vor drastischem Absturz der Autoindustrie (v. 02.07.09);
(9)   Autoindustrie: Globaler Dominoeffekt (v. 14.12.08);
(10) Niall Ferguson: Finanzkrise: "Ein großartiges Jahr, um eine Bank zu gründen" (v. 01.02.09)

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