Donnerstag, 14. Mai 2009

Die Krise der Ökonomen II: Theorielos glücklich?


Warum gelingt es den Ökonomen bei der Erklärung der Finanzmakt- und Weltwirtschaftskrise und der Suche nach Lösungsmöglichkeiten nicht, echte Fortschritte zu erzielen?


Wenn man einmal einen Blick auf die Szenerie der mit entsprechenden Fragen befassten Ökonomengemeinschaft wirft, dann stellt man zunächst fest, dass sie mehr mit sich selbst denn mit der Lösung der Krise beschäftigt sind. Es wird zwar teilweise heftigst gestritten, was an sich gut ist. Es handelt sich jedoch nicht um einen konstruktiven Streit im Sinne der Auslese der besten Lösung. Vielmehr fällt auf, dass die Ökonomen eigentlich kaum mehr wirklich auf der Grundlage eines theoretischen Fundaments für Lösungen streiten, sondern für ihre Überzeugungen, die ihre Arbeit und sie selbst über viele Jahre geprägt haben.

Ihre Erklärungen, Thesen und Vorschläge für Maßnahmen sind allenfalls noch lose auf irgendwelche ökonomischen Theorien zurück-zuführen. Das ist fatal, weil die Theorie so etwas wie die letzte Zuflucht der Ökonomen und die Empirie ihnen gegenwärtig keine zuverlässige Stütze mehr ist. Denn alle Daten, mit denen empirisch-statistische Forschung arbeitet, sind grundsätzlich Vergangenheitsdaten. Sie sind aufschlussreich, solange sich die Wirtschaft stetig entwickelt, wenn die "Umwelt" also relativ stabil ist. In einer turbulenten Umwelt, d. h. in einer Situation, wie wir sie gegenwärtig erleben, verläuft indes mehr oder weniger nichts mehr so wie in der Vergangenheit. Nicht die Daten an sich sind dann das Problem, sondern die aus Vergangenheitsdaten abgeleiteten Muster und Erklärungen sowie Empfehlungen für Maßnahmen, denn sie tragen nicht mehr. Je größer die Turbulenzen, desto weitreichender ist die Entwertung aus der Empirie abgeleiteter Erkenntnisse und des damit verbundenen Erfahrungswissens.

Für Ökonomen, die so arbeiten - und das sind sehr viele -, ist die Zukunft gegenwärtig in hohem Maße ungewiss. Ihre Prognosen sind nicht mehr als ein Ratespiel.

Hier zeigt sich die Bedeutung und Überlegenheit von Wirtschafts-theorien: Sie erklären unabhängig von konkreten empirischen Daten die Funktionsweise der Wirtschaft. Mehr noch sind sie erst der "Schlüssel" für die Interpretation von empirischen Daten. Dabei gilt: Je besser die Theorie, desto besser und zuverlässiger lassen sich Daten deuten. Das Problem: Es gibt konkurrierende Theorien und alle haben Schwächen, keine ist perfekt.

Manchem Ökonomen ist es in der Vergangenheit gelungen, einen bedeutenden Erklärungsansatz für die Gesamtwirtschaft zu entwickeln, z. B. Adam Smith, David Ricardo, Karl Marx, Joseph A. Schumpeter, Rudolf Hilferding, John M. Keynes und Milton Friedman. Dass heute angesichts der Krise wieder auf alte Theorien - insbesondere Keynes, Smith und Friedman - Bezug genommen wird, wirft eine wichtige Frage auf:

Gibt es keine neuere Wirtschaftstheorie, die nicht lediglich einen Teilbereich, sondern die Wirtschaft insgesamt zuverlässig zu erklären vermag? Schließlich sollte man ja davon ausgehen dürfen, dass es in der Ökonomie als Wissenschaft auch auf diesem Gebiet so etwas wie Fortschritt gegeben hat.

Der Rückgriff auf Theorien der Altmeister ist nämlich insofern proble-matisch, als die wirtschaftliche Realität heute mit jener, welche jene berühmten Ökonomen - auf deren Theorien Bezug genommen wird - vor Augen hatten, als sie ihre Theorien entwickelten, nicht mehr zu vergleichen ist.

Ein Beispiel: Die Weltwirtschaft zur Zeit der ersten Weltwirtschaftskrise, in der Keynes seine Theorie entwickelte, war bei weitem nicht wirtschaftlich so stark verflochten, wie sie es heute ist. Die einzelnen Volkswirtschaften waren viel unabhängiger. Globale Konzerne, wie wir sie heute haben, und Finanzinvestoren, die das wirtschaftliche Geschehen in solch großem Ausmaß beeinflussen können, wie gegen-wärtig, gab es damals nicht. Das Maß der internationalen Arbeits-teilung, der Reifegrad von Industrien, Märkten und Produkten, die Bedeutung des Finanzsektors für die Weltwirtschaft - all das und viel mehr unterscheidet die gegenwärtige Krisensituation von jener in den 20er/30er Jahren. Außerdem hatte Keynes auch eine geschlossene Wirtschaft vor Augen.

Und auch das ist wichtig: Der ersten Weltwirtschaftskrise ging die schwierige und in jedem Falle besondere Phase der Nachkriegszeit des ersten Weltkriegs voraus und der sich anbahnende zweite Weltkrieg hatte einen wie auch immer gearteten, historisch einmaligen Einfluss auf den konkreten Verlauf der wirtschaftlichen Krise.

Ferner sind die Erfahrungen beispielsweise mit dem Keynesianismus zwiespältig: In Deutschland scheiterte die Globalsteuerung in den 70er Jahren grandios. Zu Ludwig Erhards Zeit war der Marktliberalismus überaus erfolgreich. Andererseits führte er sowohl in die erste als auch in die aktuelle Weltwirtschaftskrise.

Aus diesem Grund sind die alten Wirtschaftstheorien nur sehr bedingt tauglich, die gegenwärtige Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise zu erklären. Das zeigt sich auch daran, dass es den Ökonomen gegen-wärtig nicht gelingt, mithilfe irgendeiner dieser mehr oder weniger alten Theorien eine schlüssige Erklärung für die ausgesprochenen Empfehlungen für Maßnahmen abzuleiten. Ob solche, eher auf Überzeugungen beruhenden Empfehlungen für Maßnahmen hilfreich sind, ist äußerst fraglich und sie zu befolgen, könnte sich als schwer-wiegender Fehler erweisen. Das ist es auch, was Ökonomen und Politiker umtreibt.

Jede Zeit hatte ihren Ökonomen. Ohne geeignete Wirtschaftstheorie geht in Krisenzeiten nichts.

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