Dienstag, 22. Juni 2010

EU-Wirtschaftsregierung - echter Lösungsschritt oder Outsourcing der politischen Verantwortung für nationale Krisenpolitik und Sparkonzepte?


Keine Frage, überall auf der Welt haben Regierungen, die in ihrem Land drastische Sparkonzepte ankündigten, einen Sturm der Entrüstung in der Bevölkerung ausgelöst. Die griechische Regierung um Giorgos Papandreou war nicht die erste, die das zu spüren bekam. In Island hatte sich schon lange zuvor gezeigt, was letztlich primär durch verantwortungslose Finanzdienstleister verursachte Staatsschulden bewirken, wenn die Politik dafür am Ende die Bevölkerung mit harten Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen zur Verantwortung ziehen will.
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Ob Island, Griechenland, Portugal, Spanien, Italien, Großbritannien, Deutschland oder Japan - nachdem die Regierungen überall Banken und Konjunktur in einem wahren, die Staatsverschuldung in die Höhe katapultierenden Geldrausch zu retten trachteten, sehen sie nun ihr Heil offensichtlich allein im Gegenteil: im überzogenen Sparen und im Sparen an der verkehrten Stelle. Immer mehr Bürger werden nun gewahr, dass sie es sind, die mit ihren Steuergeldern Bankenrettungen und Konjunk-turpakete finanzieren und sie jetzt, da ihre Regierungen weit mehr dafür aufwendeten als es die Haushaltslage gestattet hätte, tatsächlich auch die Zeche zahlen sollen. Keynesianismus ist, wenn´s trotzdem nicht klappt, könnte am Ende das zynische Fazit dieser Phase des politischen Experimentierens lauten. Denn der Beinahe-Kollaps der europäischen Märkte Anfang Mai, von dem die EZB jüngst berichtete und der EZB und EU-Mitgliedstaaten erneut zu raschen, außergewöhnlichen Stützungs-maßnahmen nötigte, belegt eindrucksvoll, wie nahe Finanzmärkte und Wirtschaft einem Absturz immer noch sind.

Was jedoch in besonderer Weise den Zorn der Bevölkerung schürt, ist die Tatsache, dass die "Geretteten" nach dem Willen der Politiker überall auf der Welt mit einem unverhältnismäßig geringen Beitrag davon kommen sollen und darüber hinaus auch noch ungehindert so weiter machen können wie bisher.

Das bleibt für die Politiker nicht ohne Konsequenzen. Sie werden in Meinungsumfragen und bei Wahlen kräftig abgestraft. Nicht nur das. Immer öfter werden sie auch direkt mit dem Zorn der Bürger konfron-tiert, sei es in Gesprächen, durch eingehende Beschwerdebriefe oder auch ganz allgemein durch Demonstrationen und Initiativen gegen ihre Politik. Die sozialen Spannungen sind da und vor dem Hintergrund drakonischer und ungerechter Maßnahmen beginnen sie sich nicht nur in anderen verschuldeten Staaten zu entladen, sondern auch bei uns.

Es ist völlig klar: Die Entscheidung, die Bürger über harte Maßnahmen zu belasten, aber die Krisenverursacher und die eigene Klientel weitgehend zu schonen, schürt nicht nur soziale Konflikte. Sie stellt auch die Stabilität von Regierungen auf die Probe und ist eine Gefahr für deren Wiederwahl. Denn was in Island geschehen ist, nämlich dass Regierung, Spitze der Bankenaufsicht und Notenbankpräsident infolge des Banken-desasters und der damit verbundenen Folgen auf Druck der Bevöl-kerung zurücktreten mussten, das kann auch in allen anderen Staaten geschehen, wenn den Bürgern plötzlich klar wird, was es konkret für sie bedeutet, für den von anderen angerichteten Schaden gerade stehen zu müssen.

Mehr noch zeigen die Fälle Island und Griechenland, dass sich die Bevölkerung gegen drakonische Maßnahmen nicht nur sperrt, weil sie letztlich die Falschen belasten, sondern auch, weil sie nicht erkennen kann, wie das Land dadurch aus der Misere und aus der Krise geführt werden könnte. Zweifellos sind die Chancen, damit Erfolg zu haben, nicht überall gleich gut. Aber natürlich ist es auch eine Frage des Leidens-drucks. Die Isländer jedenfalls haben den Plan der neuen Regierung für Entschädigungszahlungen an Großbritannien und die Niederlande in Höhe von knapp 4 Milliarden Euro für geprellte Kunden der pleite gegangenen isländischen Bank Icesave abgelehnt. Sie lehnen es ab, für die Versäumnisse der früheren Regierung zu zahlen und halten die von den Gläubigerstaaten aufgezwungenen Belastungen für zu hoch.

Doch Island ist ein winziges Land. Dasselbe dürfte sich deswegen in großen Staaten wohl kaum erreichen lassen. Den Zorn der Betroffenen, also der Bürger, dürfte diese Ohnmacht indes nur noch weiter steigern.

Das alles dürfte auch den Politikern in den Mitgliedstaaten der Europä-ischen Union inzwischen klar geworden sein. Vor diesem Hintergrund bietet eine vor allem von Frankreich und Deutschland gewünschte europäische Wirtschaftsregierung eine Chance. Sie kann aber auch, je nach Ausformung, zu einem Risiko für die EU werden.

Die Chance besteht darin, dass die Mitgliedstaaten eine konstruktive Lösung finden, die Europa den Weg zurück zu Wachstum und Beschäf-tigung finden lässt. Das ist allerdings eine Herkulesaufgabe. Denn es bedeutet zwei Probleme zu lösen, für die seit dem Abgleiten in die Krise noch kein Staat eine Lösung gefunden hat.

Erstens: Die Bankenrettungspakete und die Notenbankmaßnahmen haben nicht die Ursachen der Finanzmarktkrise bekämpft und diese Krise infolgedessen auch nicht nachhaltig beenden, sondern lediglich temporär abmildern können. Der zunehmend wackeligere US-Immo-bilienmarkt und der Beinahe-Kollaps der europäischen Märkte Anfang Mai zeigen dies deutlich. Nach wie vor schlummern hier immense finanzielle Risiken, die nicht beseitigt werden konnten. Zudem gibt es gerade im Bankensektor ungelöste strukturelle Probleme, etwa bedingt durch die Größe von Banken (Too Big To Fail) und die Art der getätigten Geschäfte (klassisches Bankgeschäft und Investmentbanking). Mehr noch sind inzwischen - nicht zuletzt als Folge der ergriffenen Maßnahmen (Staatshilfen/Staatsverschuldung, Liquiditätsschwemme, Niedrigzins-politik) - beträchtliche neue Risiken hinzugekommen und die Gefahr neuer Blasen sowie einer erneuten Verschärfung der Finanzmarktkrise ist bereits wieder erheblich gestiegen.

Zweitens: Die weltweit aufgelegten, in der Summe gigantischen Konjunkturpakete wiederum haben die bestehenden strukturellen Probleme der Realwirtschaft, zum Beispiel Überkapazitäten und kaufkraftbedingte Nachfrageschwäche, nicht gelöst. Sie haben sie nur übertüncht, indem der Staat eingesprungen ist. Laufen die weltweit ergriffenen staatlichen Konjunkturmaßnahmen aus, dann werden diese Probleme wieder zum Vorschein kommen und schlimmer sein als zuvor. Das hat sich beispielsweise nach dem Auslaufen der Abwrackprämie in Deutschland bereits deutlich gezeigt. Der Absatz in Deutschland ist eingebrochen, vor allem bei jenen Modellen, die von der Abwrackprämie profitieren konnten. Nur der Export läuft noch gut. Die leichte Erholung der Realwirtschaft, die seit einiger Zeit medienwirksam konstatiert wird, sie ist im Wesentlichen eine Folge finanzieller staatlicher Fördermaß-nahmen und deswegen nicht nachhaltig.

Es hätte klar sein müssen: Auf diese Weise eingesetzte staatliche Gelder, die die Ursachen nicht adressieren, müssen verpuffen. Fest steht aber auch: Mit Sparen löst man diese Probleme ebenfalls nicht.

Was eine europäische Wirtschaftsregierung für Wachstum und Beschäf-tigung braucht, ist ein tragfähiges wirtschaftspolitisches Konzept oder zumindest ein tragfähiges wirtschaftspolitisches Leitbild, an dem sich die Wirtschaftspolitik in den Mitgliedstaaten orientieren kann. Nur: Wie muss es aussehen? Diese Frage ist bisher unbeantwortet - genau genommen wurde sie noch nicht einmal gestellt. Es steht auch nicht zu erwarten, dass sie in absehbarer Zeit im Zentrum europäischer Bestrebungen stehen wird, so lange immer nur einseitig von Sanierung und Stabili-sierung der Staatsfinanzen durch Sparmaßnahmen und Steuerer-höhungen die Rede ist. Und der Glaube ans Gesundsparen scheint aktuell noch sehr stark zu sein.

Sparen und Steuern erhöhen sind Aufgaben, die für Politiker wesentlich leichter zu lösen sind als in der gegenwärtigen Krisensituation nach den Ursachen der Krise zu suchen, sie zu beseitigen und darüber hinaus für die gesamte Europäische Union ein wirtschaftspolitisches Konzept für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung zu entwickeln. Für die Regierungschefs könnte es angesichts dessen und des Wissens darum, dass Sparpläne in der Bevölkerung heftige Abwehrreaktionen auslösen, was sich bei Wahlen entsprechend niederschlagen dürfte, durchaus verlockend sein, unter dem Etikett "EU-Wirtschaftsregierung" die Verantwortung für nationale Sparprogramme einfach ein Stück weit auf die EU abzuwälzen. Für die Bürger entstünde dann vordergründig der Eindruck, die Vorgaben, die letztlich zu nationalen Einschnitten führen, kämen von der EU-Wirtschaftsregierung in Brüssel - auch wenn das tatsächlich so nicht stimmen würde. Denn in diesem Fall, wie auch in vielen anderen Fällen von Entscheidungen auf europäischer Ebene, haben die Regierungen das letzte Wort. Das heißt: Ohne ihre Zustimmung läuft nichts!

Die EU würde mit einer solchermaßen auf eine Art "Sparpolizei" reduzierten EU-Wirtschaftsregierung zum Sündenbock für eine von den nationalen Regierungen gewollte und selbst beschlossene Austeritäts-politik gemacht werden.

Darin liegt das Risiko einer EU-Wirtschaftsregierung für die EU. Denn liefe es darauf hinaus, dann wäre das brandgefährlich für das gesamte europäische Integrationsprojekt. Die Regierungen würden bei den Bürgern Widerstand und Ablehnung der Europäischen Union für den Versuch auf die Spitze treiben, sich selbst vom Risiko zu befreien, von ihren Wählern für eine verfehlte Krisenpolitik und für hohe, als ungerecht angesehene Belastungen aus Spar-Entscheidungen unmittelbar zur Verantwortung gezogen zu werden, so wie es in Island der Fall war.

Der Verlockung, die EU zum Sündenbock zu machen, sind Regierungen in den zurückliegenden Jahren leider schon allzu oft erlegen. Damit haben sie das im Grundsatz richtige, weil bei entsprechender Ausge-staltung für alle vorteilhafte europäische Integrationsprojekt bei den Bürgern in Misskredit gebracht. Die gescheiterten Volksabstimmungen über die Europäische Verfassung in Frankreich und den Niederlanden, die das Scheitern des Verfassungsvorhabens bewirkten, wie auch die spätere Ablehnung des Vertragswerkes von Lissabon durch die Iren im ersten Anlauf zeigen, welcher Schaden damit für die EU bereits angerichtet worden ist. Die Entrüstung über die Griechenland-Hilfen, die eigentlich nur eine verkappte neuerliche Bankenrettung darstellen, ist jetzt noch hinzugekommen. Eine auf eine "Sparpolizei" reduzierte EU-Wirtschafts-regierung ist kein geeigneter Schritt in Richtung Stabilisierung und Weiterentwicklung des Euro-Raums und der EU. Sie wäre möglicherweise jedoch der Anfang vom Ende des europäischen Integrationsprojekts.

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