Montag, 25. Juni 2012

Politische Integration Europas: Krisennotwendig oder „Regieren leicht gemacht“?


Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat sich jetzt für eine aus seiner Sicht notwendige weitere politische Integration der EU-Mitgliedstaaten stark gemacht.
Das heutige Europa sei selbst für politisch Interessierte nur schwer zu durchschauen und er fordert deswegen einen deutlichen institutionellen Umbau der EU und eine bessere demokratische Legitimation von Entscheidungen. Bislang hätten in Europa die Mitgliedstaaten fast immer das letzte Wort. Das könne nicht so bleiben. In wichtigen Politikbereichen müssten mehr Kompetenzen nach Brüssel verlagert werden, ohne dass jeder Nationalstaat die Entscheidungen blockieren könne. Unter anderem möchte er die Europäische Kommission zu einer echten Regierung weiterentwickeln, den Präsidenten durch alle europäischen Bürger direkt wählen lassen und das Europäische Parlament stärken. "Das Europa der Zukunft wird kein föderaler Staat nach dem Vorbild der USA oder der Bundesrepublik sein. Es wird eine eigene Struktur haben. Das ist ein hochspannender Versuch.“ Das sagte Schäuble in einem Interview und prophezeit, dass deswegen die Deutschen in einigen Jahren über ein neues Grundgesetz werden abstimmen müssen. (1)
Der Hintergrund für seine Äußerungen sind die europäische Schuldenkrise und die Schwierigkeiten, ihr auf der Grundlage der bestehenden europäischen Verträge wirksam und ohne lange zeitliche Verzögerungen begegnen zu können. Andererseits gibt es auf die Frage, wie man die Krise am besten in den Griff bekommen kann, auch im nunmehr dritten Krisenjahr und damit nach langen Debatten noch immer weder eine einmütige noch eine überzeugende Antwort. Sie ist im Gegenteil heute heftiger umstritten als je zuvor. Denn Europa rutscht immer tiefer in die Krise – trotz aller ergriffenen Maßnahmen.
Gesetzt den Fall es käme alsbald zum geforderten institutionellen Umbau und zur Verlagerung von wichtigen Kompetenzen nach Brüssel, was änderte dies an der Uneinigkeit in der Frage der Krisenbekämpfung? Wüssten die Verantwortlichen in Brüssel dann auf einmal, was alles zu tun ist, um der Krise wirksam zu begegnen?
Und was wäre das dann für ein Europa?
Um diese Frage zu beantworten, muss man einmal zurückblicken.
Noch bis Ende der 70er Jahre war Europa im Wesentlichen eine Agrargemeinschaft. Erst zu Beginn der 80er Jahre begann es das zu werden, was es heute ist: eine Wirtschaftsgemeinschaft. Was man dabei wissen muss, ist, wie es auf europäischer Ebene gelang, den europäischen Integrationsprozess in Schwung zu bringen und den auch damals unwilligen nationalen Regierungen Kompetenzen abzuringen. Die Europäische Kommission – damals noch Kommission der Europäischen Gemeinschaften – entwickelte mit dem Binnenmarktprojekt und dem Projekt einer europäischen Technologiegemeinschaft zwei Vorhaben, die speziell für die führenden Großunter-nehmen im Gemeinschaftsraum interessant waren und Europa zu einer verbesserten internationalen Wettbe-werbsfähigkeit gegenüber den USA und Japan verhelfen sollte. Es ging einerseits um technologische Wettbe-werbsfähigkeit speziell bei Spitzentechnologien und andererseits um die Schaffung eines großen, harmonisierten, einheitlichen europäischen Binnenmarktes – eine zentrale Voraussetzung für Kostensenkung und die Erzielung von Skalenerträgen und damit ebenfalls für die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Großunternehmen. Auch wenn es damals offiziell nicht so genannt wurde, so war das nichts anderes als klassische Industriepolitik.
Nebenbei bemerkt war es unter anderem gerade auch Paul Krugmans Theorie des strategischen Handels, für die er den Nobelpreis erhielt, die eine so verstandene Industriepolitik zugunsten der National Champions“ bzw. „European Champions“ nahelegte.
Ende der 80er Jahre wurden mit der Verabschiedung der „Einheitlichen Europäischen Akte“ die bestehenden Verträge geändert und entsprechende Kompetenzen nach Brüssel verlagert. Ohne das Interesse und die Unterstützung seitens der Großindustrie wäre es nicht dazu gekommen. Das Europäische Parlament erhielt damit erstmals überhaupt Entscheidungsbefugnisse, wenn auch nur in sehr begrenztem Umfang.
Mit dem Maastrichter Vertrag wurden 1993 nicht nur die bestehenden Gemeinschaftsverträge unter einem Dach zusammengefasst und um weitere Kompetenzen erweitert, sondern vor allem auch die rechtliche Grundlage für die Verwirklichung der Währungsunion geschaffen.
Auch die Währungsunion und die Osterweiterung der Europäischen Union waren vor allem unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten interessant. Eine gemeinsame Währung bietet für transnational tätige Unternehmen und für Banken unter Kostengesichtspunkten sowie auch aufgrund wegfallender Währungsrisiken erhebliche Vorteile. Mit der Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten in die Europäische Union konnten die im globalen Wettbewerb stehenden europäischen Unternehmen deren Märkte leichter und umfassender für sich erschließen und mithin weitere Kostenvorteile (u.a. wegen geringeren Lohnkosten) generieren. Davon profitierten auch die Erweiterungsstaaten.
Die treibende Kraft für den europäischen Integrationsprozess war immer die aus den Integrationsschritten erwachsende wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit – aus Sicht des primär adressierten Teils der Wirtschaft wie auch der Nationalstaaten.
Dieses Konzept geht seit der Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise nicht mehr auf. Es war eine Erfolgsstory, ist es aber nicht mehr. Es gibt massive Ungleichgewichte und sich vertiefende Krisen in den Schuldenstaaten, die auf die gesamte EU ausstrahlen. Dennoch wird daran festgehalten oder besser gesagt es wir nicht hinterfragt. Die wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit ist weiterhin, das heißt auch beim Krisenmanagement, der entscheidende Gradmesser und zwar im Sinne von: „Was würden wir verlieren, wenn ...?“ Wenn es Schwierigkeiten beim Krisenmanagement gibt, dann vor allem deswegen, weil es keine Kompromissformeln mehr gibt, bei denen alle profitieren oder sich ihres Profits sicher sein können, weil niemand weiß, ob das Konzept am Ende wieder aufgeht. Das fängt bei der Finanztransaktionssteuer an und hört bei der Frage des Wachstums- und Sanierungs-konzeptes für Schuldenstaaten auf.
Vor diesem Hintergrund ist es heikel darauf zu setzen, der Krisendruck müsse nur groß genug sein, dann würde auch der nächste Integrationsschritt getan werden. Ein weiter integriertes Europa, das auf ökonomische Vorteile zielt, sie aber nicht mehr zu generieren weiß, wird letztlich keinen Bestand haben können. Nicht zuletzt deswegen, weil es nicht dazu konzipiert wurde, ein Europa für die Bürger zu sein. Was sind Europas Werte? Wer sieht und versteht sich heute als Europäer? Was haben die Politiker dafür getan? Europa, was ist das überhaupt?
Ewald Nowotny, österreichischer Zentralbankpräsident und EZB-Mitglied, hat Anfang der Woche mit einem Vergleich vor der strikten Sparpolitik gegen die Schuldenkrise gewarnt, was überrascht, weil die EZB im Rahmen der Troika genau diesen Kurs fordert. Ähnliche Maßnahmen hätten zum Aufstieg der Nationalsozialisten Anfang der 1930er Jahre geführt, sagte er. Der in den 1920er Jahren begonnene Sparkurs habe Massenarbeitslosigkeit, den Zusammenbruch der Demokratie und die Machtübernahme durch die Nazis zur Folge gehabt. Der Artikel trug bezeichnenderweise die Überschrift „EZB-Mitglied irritiert mit NS-Vergleich“. (2)
Bundesminister Schäuble hat solche Bedenken offensichtlich auch nicht. Er bezeichnete den institutionellen Umbau zu einem politisch integrierten Europa als einen hochspannenden Versuch. Kaum jemand dürfte sich indes gerne ein politisch integriertes Europa vorstellen wollen, wenn es aufgrund seiner Krisenpolitik einen ähnlichen Weg wie einst die Weimarer Republik genommen haben wird. Entscheidungen rascher und einfacher treffen zu können, macht sie nicht besser.

1 Kommentar:

  1. Die sogenannte "Integration Europas" die Herr Schäuble meint, ist, dass die Staaten der EU weitere Kompetenzen an die EU abgeben sollen, damit nicht wie in Griechenland die lästige Demokratie den Geschäftsinteressen der Gläubiger im Wege steht wenn demnächst die große Privatisierungswelle durch Europa rollt.

    Was diese Integration nicht bedeutet ist, dass man sich die Legimitation für die EU Gesetzgebung beim EU Bürger abholt und eine Demokratisch verfasste EU schafft.

    Unter den Mäntelchen der Krisenintervention wird der Sommerschlussverkauf der Demokratie vorbereitet.

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