Dienstag, 31. Juli 2012

Europäische Bankenaufsicht: mit Mario Draghi und Banken am runden G30-Tisch?


Die EZB muss bis Ende Oktober Fragen beantworten, die der Europäische Bürgerbeauftragte Nikiforos Diaman-douros formuliert hat um zu klären, ob ihr Präsident Mario Draghi durch die Mitgliedschaft in der „Group of Thirty“ einem Interessenkonflikt unterliegt. Er geht damit einer Beschwerde der Anti-Lobby-Gruppe „Corporate Europe Observatory“ nach. (1)
Welche Funktion hat der Europäische Bürgerbeauftragte und wer oder was ist die „Group of Thirty“?
Was der Europäische Bürgerbeauftragte tut, ist schnell erklärt. Er untersucht Beschwerden von EU-Bürgern, Unternehmen und Organisationen in Fällen, in denen Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der EU nicht vorschriftsmäßig handeln, die Grundsätze einer ordentlichen Verwaltungspraxis missachten oder gegen die Menschenrechte verstoßen und trägt damit zur Aufdeckung von Missständen bei. Er kann vermittelnd tätig werden, um eine gütliche Einigung zu erreichen und Empfehlungen zur Lösung des Problems aussprechen. Wird seine Empfehlung von der entsprechenden Stelle abgelehnt, kann er dem Europäischen Parlament einen Sonder-bericht vorlegen, damit dieses die erforderlichen politischen Maßnahmen ergreift. (2)
Die „Group of Thirty“ (G30) wurde 1978 auf Anregung der Rockefeller Foundation gegründet. Es ist ein privates, internationales Gremium mit Sitz in Washington, das sich aus führenden Personen aus dem privaten und öffent-lichen Sektor des Finanzwesens und der Wissenschaft zusammensetzt, sich regelmäßig trifft und das Ziel verfolgt, das Verständnis internationaler wirtschaftlicher und finanzieller Fragen zu vertiefen, Auswirkungen privat-wirtschaftlicher und politischer Entscheidungen zu untersuchen und Handlungsoptionen von Marktteilnehmern und Politik zu erörtern. Die Gruppe nimmt für sich in Anspruch, die gegenwärtige und künftige Struktur des globalen Finanzsystems durch unmittelbar an die Entscheidungsträger in Politik und Praxis gerichtete, umsetzbare Empfehlungen zu beeinflussen. Finanziert wird es von Stiftungen, Banken, Unternehmen, Zentralbanken, Fonds sowie Privatpersonen. (3) (4)
Mitglieder sind aktuell unter anderen: (5)
  • Paul A. Volcker - Chairman Emeritus, Group of Thirty; Former Chairman, Federal Reserve System
  • Jacob A. Frenkel - Chairman of the Board of Trustees, Group of Thirty; Chairman, JPMorgan Chase International
  • Jean-Claude Trichet - Chairman, Group of Thirty; Former President, ECB; Honorary Governor, Banque de France
  • E. Gerald Corrigan - Managing Director, Goldman Sachs Group, Inc.; Former President, Federal Reserve Bank of New York
  • Guillermo de la Dehesa Romero - Director, Grupo Santander; Former Deputy Director, Banco de Espana
  • Mario Draghi - President, European Central Bank; Former Governor, Banca d'Italia; Former Chairman, FSB
  • William C. Dudley - President, Federal Reserve Bank of New York; Former Partner and Managing Director, Goldman Sachs
  • Martin Feldstein - Professor of Economics, Harvard University; President Emeritus, National Bureau of Economic Research
  • Roger W. Ferguson, Jr. - President and CEO, TIAA-CREF; Former Chairman, Swiss Re America Holding Corporation
  • Gerd Häusler - CEO, Bayerisch Landesbank; Former Managing Director and Member of the Advisory Board, Lazard and Company
  • Philipp Hildebrand - Senior Visiting Fellow, Blavatnik School of Government, Oxford University; Former Chairman of the Governing Board, SNB
  • Mervyn King - Governor, Bank of England; Former Professor, London School of Economics; Fellow, The British Academy
  • Paul Krugman - Professor of Economics, Princeton University; Former Member, Council of Economic Advisors
  • Guillermo Ortiz - President and Chairman, Grupo Financiero Banorte; Former Governor, Banco de Mexico; Chairman of the Board, Bank for International Settlements
  • Kenneth Rogoff - Professor of Public Policy and Economics; Harvard; Former Chief Economist, International Monetary Fund
  • Lawrence Summers - Charles W. Eliot University Professor at Harvard University; Former Director, National Economic Council; Former President, Harvard University; Former US Treasury Secretary
  • Lord Adair Turner - Chairman, Financial Services Authority; Member of the House of Lords, United Kingdom
  • David Walker - Senior Advisor, Morgan Stanley International, Inc.; Former Chairman, Securities and Investments Board
  • Axel A. Weber - Chairman, UBS; Former Visiting Professor of Economics, Chicago Booth School of Business
  • Yutaka Yamaguchi - Former Deputy Governor, Bank of Japan; Former Chairman, Euro Currency Standing Commission
  • Zhou Xiaochuan - Governor, People's Bank of China; Former President, Chinese Construction Bank; Former Asst. Minister of Trade
Die Beschwerde gegen Draghis Mitgliedschaft in der „Group of Thirty“ begründet die Anti-Lobby-Gruppe „Corporate Europe Observatory“ wie folgt: Zwar seien keine Einzelheiten zur Rolle Draghis bekannt, weil das Gremium unter Ausschluss der Öffentlichkeit tage. Doch stelle schon die Teilnahme einen Interessenkonflikt dar. Der Beschwerdeführer Kenneth Haar erklärte ergänzend: „Wir fürchten, dass Draghi als Mitglied der Group of Thirty seine Ansichten mit großen Investmentbanken abstimmt“. Zudem spiele die EZB auch bei der Regulierung der Banken eine Rolle. (6)
Die Angelegenheit ist gleich in mehrfacher Hinsicht brisant.
Einmal befindet sich die Euro-Krise erneut in einer kritischen Phase, was dann ja auch Draghi erst jüngst dazu veranlasste öffentlich zu versichern, die EZB würde im Rahmen ihres Mandats alles tun, um den Euro zu erhalten. Die Märkte interpretierten das als Ankündigung einer neuen Runde des Ankaufs von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt und nun wird erwartet, dass auch Taten folgen. Unglücklicherweise hat er damit aber auch einen neuen heftigen politischen Streit über die Rolle der EZB in der Euro-Krise entfacht. Ein deutscher Politiker ging so weit, Draghis Äußerungen als Beitrag zur wachsenden Verunsicherung der Märkte zu werten und folgerte: "Wenn das so weitergeht, wäre Draghi natürlich eine Fehlbesetzung bei der EZB." (7)
Das alles vereinfacht Draghis Situation nicht. Denn in jedem Fall entsteht durch den neuerlichen Streit der Eindruck eines EZB-Präsidenten, der in der Politik europaweit keinen uneingeschränkten Rückhalt hat. Jetzt kommen zu den Zweifeln am Kurs des EZB-Präsidenten auch noch Zweifel an seiner Unabhängigkeit hinzu.
Egal was die EZB jetzt tut, es wird im Lichte des Streits über die Rolle der EZB, des EZB-Präsidenten und der Beschwerde sowie der damit verbundenen Untersuchung gesehen werden.
Ganz besonders schwer dürfte diese Angelegenheit aber auch die Diskussion über die neue Rolle der EZB im Rahmen der angestrebten Bankenunion belasten. Alle Politiker haben bisher angesichts des unerwartet starken Widerstands gegen die Bankenunion und vor allem gegen direkte Hilfen an Banken aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) nachdrücklich betont, dass letzteres erst dann geschehen könne, wenn eine einheitliche europäische Bankenaufsicht mit klaren, weitreichenden Befugnissen geschaffen worden sei. Und diese Rolle sollte die EZB übernehmen – gerade weil sie vertraglich abgesicherte Unabhängigkeit von der Politik genießt.
Wie aber steht es mit der Unabhängigkeit, wenn an der Spitze der EZB ein Mann steht, der zugleich mit Investment- und Geschäftsbankern an einem Tisch sitzt, um Empfehlungen auszuarbeiten, die die gegenwärtige und künftige Struktur des globalen Finanzsystems betreffen? Und was bedeutet das für die Bankenunion und den ESM?
Die Verkettung der Ereignisse hätte für den EZB-Präsidenten nicht unglücklicher sein können. Wenn es das Ziel Draghis und der Euro-Retter war, die Finanzmärkte zu beruhigen und die Euro-Krise zu entschärfen, dann ist das jedenfalls gründlich danebengegangen.
Sehr wahrscheinlich haben viele bis heute noch nie etwas vom Europäischen Bürgerbeauftragten gehört. Das dürfte sich geändert haben.

1 Kommentar:

  1. Herzlichen Dank für diesen Beitrag. Bei ARD online und diversen anderen Portalen liest man wenig darüber...

    AntwortenLöschen