Nun hat also die US-Ratingagentur Moody´s
Italiens Bonität zum zweiten Mal in diesem Jahr herabgestuft – gleich um zwei
Stufen, nämlich von A3 auf Baa2. Zudem beließ die Ratingagentur den Ausblick
auf „negativ“. (1) Das heißt: keine Besserung in Sicht. Und das obwohl Premier
Mario Monti die Sanierung der Staatsfinanzen sowie gegen Korruption und
Steuerhinterziehung energisch vorantreibt und auch wachstumsfördernde Maßnahmen
nicht vergisst.
Moody´s begründet die Herabstufung und den
negativen Ausblick mit dem Vertrauensverlust Italiens auf den Kapitalmärkten
sowie mit der sich verschlechternden wirtschaftlichen Entwicklung, die es
wahrscheinlicher mache, dass die Einsparungsziele verfehlt würden. (2)
Die Herabstufung ist zumindest kurz- bis
mittelfristig quasi die Garantie für eine weitere Verteuerung der
Schuldenfinanzierung Italiens über die Kapitalmärkte bzw. für steigende
Bond-Zinsen und Risikoprämien – allen weitreichenden Beschlüssen des jüngsten EU-Gipfels
zum Trotz, die, auf Druck von Mario Monti und des spanischen Regierungschefs
Mariano Rajoy, unter anderem darauf abstellen, genau dies zu verhindern.
War es das also schon wieder – die
Bruchlandung der Euro-Retter nach vorübergehendem Erfolgsgefühl?
Nicht ganz.
Rating wie im Wilden Westen
Zum einen wirkt nach, was gerade erst David
Jacob, der frühere Leiter der Abteilung für die Beurteilung von Derivaten bei
Standard & Poor´s, in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Bloomberg sagte:
Es liege außerhalb des traditionellen Kompetenzgebiets der Ratingagenturen,
Staatsanleihen zu bewerten, meint er. „Da geht es um Politiker, es geht um
Abgeordnete, es geht nicht um das Kreditrisiko”, wird Jacob zitiert. Und weiter.
„Ich verstehe nicht, wie eine Ratinggesellschaft ein besseres Verständnis dafür
haben soll als Sie oder ich oder irgendjemand anderes.” (3)
Jacob erklärte auch, er habe in seinem
Bereich versucht sicherzustellen, dass S&P-Analysten die Standards bei den
Bewertungen nicht auf Anfrage von Bankern lockerten: „Vorher hat es sich
angefühlt wie im Wilden Westen, das haben wir abgestellt. Aber natürlich hat
das dem Geschäft nicht gut getan.” (4)
Last but not least merkte er an, dass alle
Ratingagenturen für die Bewertung ein Schema von mit Zahlen kombi-nierter
Buchstaben verwendeten (siehe dazu hier (5)), darunter aber etwas ganz anderes verstünden.
Bei S&P bedeute das beste Rating AAA, der Emittent eines Papiers sei
„extrem stark”, während AAA-Bonds bei Moody's als „höchste Qualität” bezeichnet
werden. “Wenn man dieselben Buchstaben benutzt und vollkommen unter-schiedliche
Dinge damit meint, werden die Bezeichnungen nutzlos.” (6)
Da kommen Fragen auf: Wie aussagekräftig
sind die Länderratings wirklich, etwa das von Moody´s für Italien? Wie
unabhängig und objektiv sind diese Ratings?
Banking wie im Wilden Westen
Zum anderen ist da der Zins-Skandal.
Wie erst jüngst von mir thematisiert (7),
wird mittlerweile von Finanzaufsichts- und Kartellbehörden weltweit wegen des
Verdachts der Manipulation des Libor-, des Euribor- wie auch des
Tibor-Referenzzinssatzes gegen etwa zwanzig Großbanken ermittelt. (8) (9) Diese
Referenzzinssätze werden durch Befragung von Großbanken er-mittelt. Dabei melden
die Großbanken täglich an die jeweilige Institution die Zinssätze, zu denen sie
Refinan-zierungsgeschäfte mit anderen Banken tätigen würden. Für den Libor melden
dies – abhängig von der Währung, auf die sich der Zins bezieht – bis zu 18 in
London ansässige Banken an den Bankenverband British Bankers´ Association (BBA).
(10) Für die Ermittlung des Euribor melden 43 Banken, darunter auch 11 deutsche
Institute (11), an den für die Berechnung zuständigen Europäischen
Bankenverband (EBF). Für die Berechnung der Libor-Zinssätze werden jeweils die
gemeldeten vier höchsten und niedrigsten Zinssätze ausgeschlossen. Bei der
Berechnung der insgesamt 15 verschiedenen Euribor-Zinssätze finden jeweils die
sechs höchsten und niedrigsten gemeldeten Zinssätze keine Berücksichtigung. (12)
Libor, Euribor und Tibor sind für
zahlreiche Finanzprodukte maßgeblich, insbesondere für Derivate, wobei Zinsderivate
(Swaps, Futures) den Löwenanteil ausmachen. Außerdem orientieren sich
zahlreiche Fondspro-dukte, Immobilienkredite, Sparverträge und variabel
verzinsliche Anleihen daran und mithin auch Dispokreditzins-sätze. (13) (14)
Das Volumen der Finanzprodukte, die auf
dem Libor basieren, wird auf 350 000 bis 800 000 Milliarden Dollar geschätzt
(15) (16), beim Euribor reichen die Schätzungen – allein für die Derivate - von
250 000 bis 350 000 Milliarden Dollar (17) (18).
Ein Beispiel für die Relationen:
Laut dem jüngsten Bericht des Office of the
Comptroller of the Currency (OCC) zum Derivatehandel amerika-nischer Banken für
das erste Quartal 2012 kamen Zinsderivate auf einen Anteil von 81 Prozent, was
einem Volumen von 183.742 Milliarden Dollar entspricht. Was man dabei wissen
muss, ist, dass lediglich fünf US-Groß-banken rund 95 Prozent des
Derivatehandels des US-Bankensektors auf sich vereinen: JPMorgan Chase, Bank of
America, Morgan Stanley, Citigroup und Goldman Sachs. (19)
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Der – im Falle von Barclays bereits
nachgewiesene – Vorwurf der ermittelnden Behörden lautet, dass Banker ein
Kartell gebildet haben, um die Referenzzinssätze in eine Richtung zu lenken,
die den Wert ihrer eigenen Derivate-positionen steigerte und dass sie des
Weiteren systematisch zu niedrige Zinsen gemeldet zu haben.
Ein Blick auf die Zusammensetzung der
Libor-Panels – denn es gibt nicht nur eines, sondern insgesamt zehn (für zehn
Währungen) – beim britischen Bankenverband BBA und damit auf die Banken, die an
der Bildung und mithin mutmaßlich an der Manipulation des Libor-Zinssatzes beteiligt
sind, ist an diesem Punkt der Betrachtung durchaus interessant. In der Tabelle
sind die Banken in der Reihenfolge der Anzahl der Panels, in denen sie
vertreten sind, aufgeführt. Insgesamt sind 21 Banken beteiligt – allerdings in
unterschiedlich starkem Umfang. (20)
Spätestens an diesem Punkt der Analyse
kommt man nicht mehr umhin, die Probleme die gerade die Euro- Krisenstaaten
wegen der fortlaufend steigenden Zinsen und Risikoprämien bei der Finanzierung
ihrer Staatsan-leihen auf den Märkten haben, auch im Zusammenhang mit dem
Zinsskandal zu sehen. Denn den Libor, Euribor und Tibor kann keine Bank allein
manipulieren. Es handelt sich offensichtlich um ein systemisches Problem.
Wenn man es tut, kann aber auch das Wirken
der Ratingagenturen nicht mehr ganz aus der Betrachtung herausgehalten werden. Denn
bereits die US-Hypothekenkrise hat gezeigt, dass die großen drei Ratingagenturen
noch bis kurz vor Ausbruch der Krise Finanzprodukte mit Top-Noten bewerteten, die
sich dann jedoch praktisch über Nacht als hoch toxisch und damit wertlos erwiesen.
Die Ratings hatten es den Banken überhaupt erst ermöglicht, solche
strukturierten Produkte gewinnbringend zu vertreiben.
Vor dem Hintergrund dessen, was nun im
Zusammenhang mit dem Zinsmanipulations-Skandal sukzessive ans Licht kommt (siehe
dazu den CFTC-Bericht über Barclays (21) sowie Simon Johnson (22)), ist es
insofern nicht mehr angebracht, den Zusammenhang zwischen dem
profitorientierten Fehlverhalten von Großbanken und den zinsrelevanten Ratings von
Ratingagenturen auszublenden. Denn das hieße, den Kopf in den Sand zu stecken,
während das Haus brennt.
Selbstredend geht es dieses Mal nicht um
hochtoxische Produkte. Zinsmanipulation ist eine andere Form des Betruges. Die
Folgen haben indes erneut eine globale Dimension und sind nicht weniger
verheerend. Die Branche hat ihre „Innovativität“ einmal mehr unter Beweis
gestellt, Politik und Aufsicht hingegen einmal mehr wie wenig sie in der Lage
sind, dies bereits im Ansatz unmöglich zu machen und wie schwer sie sich tun,
es zu stoppen, um den Schaden wenigstens in Grenzen zu halten.
Wie viele Lektionen brauchen sie noch? Können
wir überhaupt noch eine weitere Lektion verkraften?
Simon Johnson ist unter anderem auch mit
Blick auf den jüngst eingetretenen milliardenschweren Spekulations-verlust bei
JPMorgan Chase der Auffassung, dass Banken wieder klein genug werden müssen, um
sie scheitern lassen zu können. (23) Peter Radford sieht mit Blick auf die
katastrophale Wirkungskette des Treibens der Banken das Aufspalten der
Großbanken als notwendig an. (24) Das sehe ich auch so. Schon aus meiner wettbewerbstheoretischenPerspektive heraus bin ich überzeugt, dass beide Recht haben. In diesem Punkt muss etwas
geschehen, ob nun durch eine Deckelung der Bilanzsumme oder durch Aufspaltung. Die
Schmerzgrenze ist erreicht – nicht nur für Italien.
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