Freitag, 13. Juli 2012

Moody´s stuft Italiens Bonität herab: Wild-West-Rating und das Libor-/Derivate-Kartell


Nun hat also die US-Ratingagentur Moody´s Italiens Bonität zum zweiten Mal in diesem Jahr herabgestuft – gleich um zwei Stufen, nämlich von A3 auf Baa2. Zudem beließ die Ratingagentur den Ausblick auf „negativ“. (1) Das heißt: keine Besserung in Sicht. Und das obwohl Premier Mario Monti die Sanierung der Staatsfinanzen sowie gegen Korruption und Steuerhinterziehung energisch vorantreibt und auch wachstumsfördernde Maßnahmen nicht vergisst.
Moody´s begründet die Herabstufung und den negativen Ausblick mit dem Vertrauensverlust Italiens auf den Kapitalmärkten sowie mit der sich verschlechternden wirtschaftlichen Entwicklung, die es wahrscheinlicher mache, dass die Einsparungsziele verfehlt würden. (2)
Die Herabstufung ist zumindest kurz- bis mittelfristig quasi die Garantie für eine weitere Verteuerung der Schuldenfinanzierung Italiens über die Kapitalmärkte bzw. für steigende Bond-Zinsen und Risikoprämien – allen weitreichenden Beschlüssen des jüngsten EU-Gipfels zum Trotz, die, auf Druck von Mario Monti und des spanischen Regierungschefs Mariano Rajoy, unter anderem darauf abstellen, genau dies zu verhindern.
War es das also schon wieder – die Bruchlandung der Euro-Retter nach vorübergehendem Erfolgsgefühl?
Nicht ganz.

Rating wie im Wilden Westen

Zum einen wirkt nach, was gerade erst David Jacob, der frühere Leiter der Abteilung für die Beurteilung von Derivaten bei Standard & Poor´s, in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Bloomberg sagte: Es liege außerhalb des traditionellen Kompetenzgebiets der Ratingagenturen, Staatsanleihen zu bewerten, meint er. „Da geht es um Politiker, es geht um Abgeordnete, es geht nicht um das Kreditrisiko”, wird Jacob zitiert. Und weiter. „Ich verstehe nicht, wie eine Ratinggesellschaft ein besseres Verständnis dafür haben soll als Sie oder ich oder irgendjemand anderes.” (3)
Jacob erklärte auch, er habe in seinem Bereich versucht sicherzustellen, dass S&P-Analysten die Standards bei den Bewertungen nicht auf Anfrage von Bankern lockerten: „Vorher hat es sich angefühlt wie im Wilden Westen, das haben wir abgestellt. Aber natürlich hat das dem Geschäft nicht gut getan.” (4)
Last but not least merkte er an, dass alle Ratingagenturen für die Bewertung ein Schema von mit Zahlen kombi-nierter Buchstaben verwendeten (siehe dazu hier (5)), darunter aber etwas ganz anderes verstünden. Bei S&P bedeute das beste Rating AAA, der Emittent eines Papiers sei „extrem stark”, während AAA-Bonds bei Moody's als „höchste Qualität” bezeichnet werden. “Wenn man dieselben Buchstaben benutzt und vollkommen unter-schiedliche Dinge damit meint, werden die Bezeichnungen nutzlos.” (6)
Da kommen Fragen auf: Wie aussagekräftig sind die Länderratings wirklich, etwa das von Moody´s für Italien? Wie unabhängig und objektiv sind diese Ratings?

Banking wie im Wilden Westen

Zum anderen ist da der Zins-Skandal.
Wie erst jüngst von mir thematisiert (7), wird mittlerweile von Finanzaufsichts- und Kartellbehörden weltweit wegen des Verdachts der Manipulation des Libor-, des Euribor- wie auch des Tibor-Referenzzinssatzes gegen etwa zwanzig Großbanken ermittelt. (8) (9) Diese Referenzzinssätze werden durch Befragung von Großbanken er-mittelt. Dabei melden die Großbanken täglich an die jeweilige Institution die Zinssätze, zu denen sie Refinan-zierungsgeschäfte mit anderen Banken tätigen würden. Für den Libor melden dies – abhängig von der Währung, auf die sich der Zins bezieht – bis zu 18 in London ansässige Banken an den Bankenverband British Bankers´ Association (BBA). (10) Für die Ermittlung des Euribor melden 43 Banken, darunter auch 11 deutsche Institute (11), an den für die Berechnung zuständigen Europäischen Bankenverband (EBF). Für die Berechnung der Libor-Zinssätze werden jeweils die gemeldeten vier höchsten und niedrigsten Zinssätze ausgeschlossen. Bei der Berechnung der insgesamt 15 verschiedenen Euribor-Zinssätze finden jeweils die sechs höchsten und niedrigsten gemeldeten Zinssätze keine Berücksichtigung. (12)
Libor, Euribor und Tibor sind für zahlreiche Finanzprodukte maßgeblich, insbesondere für Derivate, wobei Zinsderivate (Swaps, Futures) den Löwenanteil ausmachen. Außerdem orientieren sich zahlreiche Fondspro-dukte, Immobilienkredite, Sparverträge und variabel verzinsliche Anleihen daran und mithin auch Dispokreditzins-sätze. (13) (14)
Das Volumen der Finanzprodukte, die auf dem Libor basieren, wird auf 350 000 bis 800 000 Milliarden Dollar geschätzt (15) (16), beim Euribor reichen die Schätzungen – allein für die Derivate - von 250 000 bis 350 000 Milliarden Dollar (17) (18).
Ein Beispiel für die Relationen:
Laut dem jüngsten Bericht des Office of the Comptroller of the Currency (OCC) zum Derivatehandel amerika-nischer Banken für das erste Quartal 2012 kamen Zinsderivate auf einen Anteil von 81 Prozent, was einem Volumen von 183.742 Milliarden Dollar entspricht. Was man dabei wissen muss, ist, dass lediglich fünf US-Groß-banken rund 95 Prozent des Derivatehandels des US-Bankensektors auf sich vereinen: JPMorgan Chase, Bank of America, Morgan Stanley, Citigroup und Goldman Sachs. (19)
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Der – im Falle von Barclays bereits nachgewiesene – Vorwurf der ermittelnden Behörden lautet, dass Banker ein Kartell gebildet haben, um die Referenzzinssätze in eine Richtung zu lenken, die den Wert ihrer eigenen Derivate-positionen steigerte und dass sie des Weiteren systematisch zu niedrige Zinsen gemeldet zu haben.
Ein Blick auf die Zusammensetzung der Libor-Panels – denn es gibt nicht nur eines, sondern insgesamt zehn (für zehn Währungen) – beim britischen Bankenverband BBA und damit auf die Banken, die an der Bildung und mithin mutmaßlich an der Manipulation des Libor-Zinssatzes beteiligt sind, ist an diesem Punkt der Betrachtung durchaus interessant. In der Tabelle sind die Banken in der Reihenfolge der Anzahl der Panels, in denen sie vertreten sind, aufgeführt. Insgesamt sind 21 Banken beteiligt – allerdings in unterschiedlich starkem Umfang. (20)
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Spätestens an diesem Punkt der Analyse kommt man nicht mehr umhin, die Probleme die gerade die Euro- Krisenstaaten wegen der fortlaufend steigenden Zinsen und Risikoprämien bei der Finanzierung ihrer Staatsan-leihen auf den Märkten haben, auch im Zusammenhang mit dem Zinsskandal zu sehen. Denn den Libor, Euribor und Tibor kann keine Bank allein manipulieren. Es handelt sich offensichtlich um ein systemisches Problem.
Wenn man es tut, kann aber auch das Wirken der Ratingagenturen nicht mehr ganz aus der Betrachtung herausgehalten werden. Denn bereits die US-Hypothekenkrise hat gezeigt, dass die großen drei Ratingagenturen noch bis kurz vor Ausbruch der Krise Finanzprodukte mit Top-Noten bewerteten, die sich dann jedoch praktisch über Nacht als hoch toxisch und damit wertlos erwiesen. Die Ratings hatten es den Banken überhaupt erst ermöglicht, solche strukturierten Produkte gewinnbringend zu vertreiben.
Vor dem Hintergrund dessen, was nun im Zusammenhang mit dem Zinsmanipulations-Skandal sukzessive ans Licht kommt (siehe dazu den CFTC-Bericht über Barclays (21) sowie Simon Johnson (22)), ist es insofern nicht mehr angebracht, den Zusammenhang zwischen dem profitorientierten Fehlverhalten von Großbanken und den zinsrelevanten Ratings von Ratingagenturen auszublenden. Denn das hieße, den Kopf in den Sand zu stecken, während das Haus brennt.
Selbstredend geht es dieses Mal nicht um hochtoxische Produkte. Zinsmanipulation ist eine andere Form des Betruges. Die Folgen haben indes erneut eine globale Dimension und sind nicht weniger verheerend. Die Branche hat ihre „Innovativität“ einmal mehr unter Beweis gestellt, Politik und Aufsicht hingegen einmal mehr wie wenig sie in der Lage sind, dies bereits im Ansatz unmöglich zu machen und wie schwer sie sich tun, es zu stoppen, um den Schaden wenigstens in Grenzen zu halten.
Wie viele Lektionen brauchen sie noch? Können wir überhaupt noch eine weitere Lektion verkraften?
Simon Johnson ist unter anderem auch mit Blick auf den jüngst eingetretenen milliardenschweren Spekulations-verlust bei JPMorgan Chase der Auffassung, dass Banken wieder klein genug werden müssen, um sie scheitern lassen zu können. (23) Peter Radford sieht mit Blick auf die katastrophale Wirkungskette des Treibens der Banken das Aufspalten der Großbanken als notwendig an. (24) Das sehe ich auch so. Schon aus meiner wettbewerbstheoretischenPerspektive heraus bin ich überzeugt, dass beide Recht haben. In diesem Punkt muss etwas geschehen, ob nun durch eine Deckelung der Bilanzsumme oder durch Aufspaltung. Die Schmerzgrenze ist erreicht – nicht nur für Italien.

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