Mittwoch, 28. November 2012

Bankenregulierung, Steuerflucht und Vermögenskonzentration: Was niemand sieht, kann kein Problem sein

Realistisches Bild von Armut und Reichtum in Deutschland

Die Bundesregierung soll den neuen Armutsbericht des Bundesministeriums für Arbeit geschönt haben, um den Anstieg der Einkommens- und Vermögensungleichheit in Deutschland weniger gravierend erscheinen zu lassen. Das war vielleicht die herausragende Meldung des Tages. Die neue, überarbeitete Fassung weist gegenüber der ersten von September 2012 nicht nur entsprechend geänderte Formulierungen auf, sondern es wurden darin auch Fakten weggelassen, wie die Süddeutsche Zeitung anhand von Beispielen darlegt. (1)
So wurde etwa in der Einleitung des 4. Armutsberichtes die Aussage, „Die Privatvermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt“, gestrichen. Ebenfalls weggelassen wurde der Satz „Allerdings arbeiteten im Jahr 2010 in Deutschland knapp über vier Millionen Menschen für einen Bruttostundenlohn von unter sieben Euro.“
Beschönigt wurde z. B. wie folgt: (2)
"Während die Lohnentwicklung im oberen Bereich positiv steigend war, sind die unteren Löhne in den vergangenen zehn Jahren preisbereinigt gesunken. Die Einkommensspreizung hat zugenommen." Diese verletze "das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung" und könne "den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden".
In der neuen Fassung wird stattdessen angegeben, dass sinkende Reallöhne "Ausdruck struktureller Verbesse-rungen" am Arbeitsmarkt seien. Denn zwischen 2007 und 2011 seien im unteren Lohnbereich viele neue Vollzeitjobs entstanden, und so hätten Erwerbslose eine Arbeit bekommen.
Dass manchen Alleinstehenden mit Vollzeitjob der Stundenlohn nicht für die Sicherung des Lebensunterhalts reicht, wurde in der ursprünglichen Fassung als die Armutsrisiken verschärfend und den sozialen Zusammenhalt schwächend gewertet. Stattdessen steht dort nun eher wolkig gehalten, dies sei „kritisch zu sehen“.
Die Bundesregierung hat zu dem Zeitungsbericht Stellung bezogen und die Überarbeitung des Berichts als normalen Prozess der Abstimmung zwischen mehreren Arbeitsebenen, Ressorts und Gutachtern dargestellt. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte heute, der Bericht sei noch nicht fertig und in der endgültigen Fassung werde erkennbar sein, dass er "ein realistisches, problembewusstes Bild über Armut und Reichtum in Deutschland zeichnet“. Zudem habe sich die Spreizung der Einkommen "nicht verstärkt" und es habe zwischen 2007 und 2011 auch einige sehr positive Entwicklungen gegeben, etwa beim Abbau der Arbeitslosigkeit. (3)

Dieser Fall könnte ein gutes Beispiel dafür sein, dass die positive Darstellung der Regierungsarbeit inzwischen viel wichtiger genommen wird als deren nüchterne Bewertung und als damit verbundene Hinweise auf Probleme, die Handeln erfordern.
Apropos „Arm und Reich“ und „Probleme, die Handeln erfordern“ – ein anderer Fall, der in dieses Schema passt, ist das Steuerabkommen mit der Schweiz, das die Bundesregierung auf den Weg und der Bundesrat gerade zu Fall brachte – jedenfalls einstweilen.

Steuerabkommen für Steuergerechtigkeit

Es geht um die ordnungsgemäße Versteuerung von Vermögen Deutscher in der Schweiz und der Schweiz um die Bewahrung des berühmten Schweizer Bankgeheimnisses, das u.a. deutsche Steuerhinterzieher schützt und den heimischen Banken traditionell ausgezeichnete Geschäfte mit vermögenden Kunden beschert. Ferner möchte die Schweiz erreichen, dass Finanzbehörden in Deutschland dieses Bankgeheimnis künftig nicht mehr über den Ankauf von CDs mit Kontodaten ausländischer Kunden bei Schweizer Banken aushebeln können. Besonders nachdrücklich und erfolgreich wurde dieser Weg zuletzt von den Finanzbehörden Nordrhein-Westfalens beschritten.
Das von der Bundesregierung ausgehandelte Steuerabkommen sieht nun vor, dass für das bei Schweizer Banken liegende Schwarzgeld einmalig und rückwirkend für zehn Jahre sowie vor allem unter Wahrung der Anonymität der Steuersünder eine Pauschalsteuer zwischen 21 und 41 Prozent an den deutschen Fiskus abgeführt wird. Künftige Erträge sollen ab 2013 genauso besteuert werden wie in Deutschland. (4)
Die Bundesregierung erhofft sich dadurch Steuereinnahmen von bis zu zehn Milliarden Euro. Die Schweiz hat in dem Abkommen aber lediglich 1,7 Milliarden Euro garantiert. (5)
Hinzu kommt, dass von den Steuerflüchtigen nur jene tatsächlich unter den genannten Bedingungen zur Kasse gebeten werden, die nicht bis zum Jahresende dafür Sorge getragen haben, ihr Vermögen in andere Steueroasen oder Anlageformen zu transferieren. Angesichts der schon seit vielen Monaten sehr öffentlichkeitswirksam geführten Verhandlungen über das Steuerabkommen hatten sie dafür reichlich Zeit.
Norbert Walter-Borjans, SPD-Finanzminister Nordrhein-Westfalens, weist zudem darauf hin, dass Deutschland mit diesem Abkommen künftigen Ermittlungen gegen Steuerflucht in die Schweiz praktisch ein Riegel vorge-schoben würde und von niemandem eine Rechnung aufgemacht worden sei, was dadurch an Steuereinnahmen verloren gehe. Er hat, anders als die Bundesregierung, auch kein Verständnis dafür, Steuersündern einen rabattierten Steuersatz anzubieten und das auch noch nachdem ihnen zuvor die Gelegenheit geboten wurde, ihr Geld vor dem Fiskus in Sicherheit zu bringen. (6)
Wäre das Steuerabkommen mit der Schweiz, wenn es denn - wie von der Bundesregierung gewünscht – doch noch in Kraft träte, ein probates Mittel zur Herstellung von Steuergerechtigkeit und gegen Steuerflucht? Oder ist es von der Bundesregierung lediglich so dargestellt worden?
Apropos „Steuergerechtigkeit“, „Bankgeheimnis“, „Arm und Reich“ und „Probleme, die Handeln erfordern“ soll noch ein weiterer aktueller Fall exemplarisch angesprochen werden.

Effektive Bankenregulierung und Selbstkontrolle ist, wenn …

Es ist der Fall des Gustl Mollath, der seit fast sieben Jahren in der Psychiatrie sitzt, weil ihn die bayerische Justiz für unzurechnungsfähig, gemeingefährlich und für von einem paranoiden Wahnsystem besessen erklärte (7).
Apropos „paranoides Wahnsystem“:
Gustl Mollath (56) hatte Ende des Jahres 2002 Briefe an die Chefetage der Hypo-Vereinsbank (HVB) geschrieben, in denen er diese darauf hinwies, seine Ehefrau, eine Vermögensberaterin der HVB, und andere Bank-Mitarbeiter würden das Geld reicher Kunden illegal in die Schweiz schaffen, verbotenen Insiderhandel mit Aktien sowie andere fragwürdige und hochspekulative Anlagegeschäfte betreiben. (8)
Daraufhin wurde die interne Revision der HVB tätig und erstellte drei Monate später, also Anfang 2003, einen vertraulichen, fünfzehn Seiten umfassenden Bericht, der Mollaths Anschuldigungen in Teilbereichen als „vielleicht etwa diffus“ deklarierte, aber zu dem Ergebnis kam, alle nachprüfbaren Behauptungen hätten sich als richtig erwiesen. Sie fanden über Mollaths Vorwürfe hinaus auch Hinweise auf Beihilfe zur Steuerhinterziehung und Geldwäsche. Zudem stellten die Prüfer fest, Mollath verfüge offensichtlich über Insiderwissen und warnten, es sei nicht auszuschließen, dass er dieses an die Öffentlichkeit bringe. Laut Verteiler, so berichtet die Süddeutsche Zeitung weiter, bekamen auch die HVB-Vorstände Stefan Jentzsch und Wolfgang Sprißler diesen Bericht, der lediglich dazu führte, dass Mollaths Ehefrau und die beschuldigten Mitarbeiter die Bank verließen oder ihnen gekündigt wurde. Schadensersatzforderungen stellte die Bank an sie nicht. Auch sah die HVB in dem Bericht keinen ausreichenden Grund für eine Strafanzeige – er verschwand in der Schublade. (9)
Mollath musste sich im September 2003 vor Gericht Vorwürfen seiner inzwischen von ihm geschiedenen-Ehefrau stellen, sie im August 2001 verprügelt und gewürgt zu haben. Die entsprechende Anzeige, die zu dem Prozess führte, hatte sie aber erst 16 Monate später erstattet. Mollath, der die Tat bestreitet, übergab dem Gericht einen dicken Schnellhefter mit u.a. dem Schriftverkehr mit seiner Frau und der HVB sowie etlichen kopierten Buchungs-anordnungen, die auf unter Decknamen geführte Nummernkonten hinweisen. Die Staatsanwaltschaft lehnte ein Ermittlungsverfahren dennoch ab.
Das Gericht sprach Gustl Mollath letztlich zwar frei, wies ihn aber wegen einer wahnhaften Störung in eine Psychiatrie ein, weil ein Gutachter festgestellt hatte, er sei unkorrigierbar der Überzeugung, dass eine ganze Reihe von Personen aus dem Geschäftsfeld seiner früheren Ehefrau - und diese selbst - in ein komplexes System der Schwarzgeldverschiebung verwickelt seien. (10) Die Einweisung wurde über die Jahre von mehreren Gutachtern und Gerichten bestätigt. Die Ärzte kamen bei den jährlichen Überprüfungen jedes Mal zu dem Schluss, Mollaths Zustand habe sich nicht verbessert und er müsse in der Psychiatrie verbleiben. (11)
Erst Ende 2011, also acht Jahre später, bekam dann die Staatsanwaltschaft den internen Revisionsbericht der HVB aus dem Jahr 2003, weil Fahnder davon gehört und ihn von sich aus von der HVB angefordert hatten. (12)
Erst jetzt, Ende 2012, schlägt der Fall hohe Wellen: Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hat sich eingeschaltet und der Justiz empfohlen, den Fall noch einmal neu zu bewerten, seine Justizministerin Beate Merk (CSU) ist ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, die Opposition im Landtag Bayerns droht mit einem Unter-suchungsausschuss und die Staatsanwaltschaft Nürnberg hat ein weiteres psychiatrisches Gutachten angekündigt, weil die letzte Prüfung schon länger als ein Jahr zurückliegt. (13)
Sicher, der Fall Mollath hat keinen direkten Bezug zur Politik in Berlin, gleichwohl stellen sich aufgrund der aktuellen Presseberichte zu diesem Fall und zu den weiteren, hier angesprochenen Berichten folgende Fragen:

  • Wird das Problem der sich öffnenden Schere zwischen Arm und Reich von Regierungsverantwortlichen in Deutschland wirklich ernst genommen, wenn man sie nicht nur an den Worten misst, mit denen sie ihre Handlungen charakterisieren und bewerten (lassen), sondern an den präzise ermittelten Effekten, die diese zeitigen?
  • Wie ernst können die Bestrebungen für mehr Steuergerechtigkeit und Chancengleichheit – für Privat-personen und Unternehmen (siehe dazu folgende Berichte: (14) (15)) – sein, wenn die angesprochenen aktuellen Berichte eine zutreffende Momentaufnahme unserer politischen Realität ergeben würden?
  • Wie ernst ist es den verantwortlichen Politikern mit der Zügelung und wirksamen Regulierung der Banken?

Was niemand sehen kann, ist nicht selten gerade deswegen ein großes Problem.

Empfohlene Artikel zur aktuellen Entwicklung im Fall Mollath / HVB:

Steuerfahnder-Affäre Hessen

 Neues zur Armutssituation:

4 Kommentare:

  1. Sehr schön geschrieben , jedoch bin ich mir sicher das viele Dinge in diesem Land komplett vorsätzlich geschehen.
    Es gibt keine Lobby für Menschen die nicht 250Tsd. Euro p.a. bekommen.
    Die Schneise Arm / Reich wird noch weiter zunehmen.
    Ganz sicher , dabei ist jedoch eines nicht aus den Augen zu verlieren : die Probleme die hierdurch entstehen steigen jeden weiteren Tag an.

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  2. eines vorweg: tolle zusammenfassung. diese drei themen haben auch mich in den letzten wochen beschäftigt.

    1. es liegt auf der hand, dass solche berichte beschönigt werden. ansonsten kämen die probleme zu deutlich zum vorschein.

    2. ich sehe die schweiz und alle anderen steueroasen als hauptverantwortliche für das gesamte problem der "finanzkrise" und der "eurokrise".

    denn was ist in den letzten jahren passiert: aufgrund von niedrigen steuern für bürger und niedrigen unternehmenssteuern in der schweiz sind länder wie deutschland (und alle andern auch) dazu gezwungen, auch im eigenen land ihre unternehmenssteuern zu senken, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
    in der folge fehlt natürlich geld im eigenen haushalt. die regierung möchte dieses nun wieder vom bürger holen und bedient sich an der mittel- bis unterschicht. damit beginnt auch die teufelsspirale, weshalb die schere von arm und reich immer weiter auseinander geht.
    - doch unternehmenssteuern können in D nicht erhöhrt werden -> befürchtung von abwanderung
    - reichensteuern will man nicht erhöhen -> D wird zu unattraktiv
    --> somit kann dieses problem nie gelöst werden. es dümpelt nur die ganze zeit vor sich hin und wird durch das wirtschaftswachstum beschönigt.


    wieso dies erst jetzt zum problem wird? in der nicht digitalen zeit war der transfer solcher gelder einfach zu aufwänig bzw nur lohnenswert für wirklich große summen. doch nun kann dies automatisiert geschehen und wird somit für die masse aller besserverdienenden zum logischen akt.

    3. der fall mollath bestätigt einmal wieder die absprachen zwischen personen, welche ihre machtposition ausnutzen. der fall geht einher mit den traurigen tatsachen unserer demokratie: machtabsprachen, korruption, medienmacht und vor allem lobbyismus.
    aktuell zeigt der springer verlag einmal mehr, welche unfähigen führungspersonen sich an der spitze dieses verlags befinden.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Leistungsschutzrecht_f%C3%BCr_Presseverleger

    die absolut sinnlose beeinflussung der politik wird hier deutlich.


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    1. Hallo Florian Baumann,

      ja da ist schon was dran, dass Steueroasen sowie Steuerflucht und Steuervermeidung ein von Politikern verursachtes (über entsprechende Rahmensetzung bzw. beharrliches, interessengeleitetes Wegschauen) Problem sind.

      Gerade hier könnte viel bewegt werden, wenn Presse und Medien ihre Informationsfunktion aktiver wahrnähmen.

      In Großbritannien gibt es dafür gerade ein Postiv-Beispiel. Der Guardian hat eine ganze Serie von investigativen Artikeln zum Thema "Offshore Secrets" veröffentlicht, mit denen einiges Licht in das Dunkel von Steuerflucht und Steuervermeidung gebracht wurde.

      Hier die Hauptseite: http://www.guardian.co.uk/uk/series/offshore-secrets

      Unter anderen wurden die Namen von Strohmännern/-frauen aufgelistet, einschließlich der Zahl der Offshore-Firmen, für die sie zeichnen - das sind pro Nase oft Hunderte!!! - und so verdecken helfen, wer als Eigentümer eigentlich dahinter steht und von den diesen Steuervermeidungskonstruktionen profitiert.

      Nicht zuletzt deswegen gibt es in Großbritannien nun auch eine intensive Debatte dabüber.

      Ich finde es bemerkenswert, dass die Presse in England so etwas leistet, aber das ist wohl eine rühmliche Ausnahme.

      Mein Eindruck ist, dass hier bei uns in Deutschland die Leser den Zeitungsverlagen mithin gerade auch deswegen weglaufen, weil sie es leid sind, weichgespülte, oft nur die halbe Wahrheit vermittelnde (und deswegen tendenziöse) Berichte zu lesen. Das liegt wohl weniger an den Journalisten, möchte ich ergänzen, sondern vielmehr an der hohen Marktkonzentration in diesem Bereich, die dazu geführt hat, dass Kosten über die Qualität gestellt werden und nicht mehr gemacht wird, was gut, sondern was möglich ist - und möglich ist einiges, wie - auch ein Beispiel aus England - der Abhörskandal im Medienkonzern von Rupert Murdoch (News of the World etc.) belegt.

      Es gibt immer wieder Ausnahmen, sicher. Aber wer bezahlt schon gerne dafür, fortlaufend schlecht und keineswegs unabhängig informiert zu werden?

      Viele Grüße
      SLE

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  3. danke für den link.

    doch selbst wenn viele sachen aufgedeckt werden, bleibt die logische handlung zur unterbindung in den meisten fällen aus bzw wird ein konstrukt gebildet, welches so verkompliziert oder in die zeitliche länge gezogen wird, dass auch die letzte zeitung keinen artikel mehr darüber bringt, weil das thema schon zu oft kam.
    am beispiel mit dem steuerabkommen wird dies sehr deutlich.

    wie auch immer. in der bevölkerung kommt mehr und mehr der gedanke auf, endlich transparenz in den machtapparat zu bringen. die netzgemeinde tut dies ja schon in form von wikileaks und anderen seiten. politisch drückt sich das sicherlich in der piratenpartei aus. ich hoffe sehr, dass diese weit über 5 % bei der nächsten wahl bekommt und das thema transparenz viel mehr bedeutung bekommt!

    grüße,
    flo

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