Die SPD hatte den Mindestlohn 2013 zum Wahlkampfthema
gemacht und nach der Wahl zur zentralen Bedingung für eine Große Koalition. Jetzt
kommt er also, der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro – von Ausnahmen
abgesehen. Das hat der Bundestag beschlossen.
Die Debatte, ob er die richtige Lösung
ist, wird damit gleichwohl nicht beendet sein. Für die Gegner sind Mindest-löhne
pointiert ausgedrückt Gift für die freie Marktwirtschaft und kontraproduktiv.
Für die Befürworter ist der freie Markt heute kein Garant mehr für faire Löhne,
so dass der Staat hier gefordert ist, eine Grenze einzuziehen.
Die Mindestlohn-Entscheidung schüttet ungelöste Probleme einfach zu
Die Frage, wer Recht hat oder ob es nicht
auch ganz anders geht, das heißt, ob es eine bessere Lösung jenseits
staatlicher Regulierung und blinden Vertrauens auf die Marktkräfte gibt, ist
nicht beantwortet, nicht geklärt worden. Die politische Entscheidung für den
Mindestlohn ist ein Kompromiss, bei dessen Zustandekommen auf die Klärung der
Frage offensichtlich verzichtet werden kann.
Insofern drängt sich der Eindruck auf,
dass der Mindestlohn lediglich das Ziehen der Notbremse darstellt, weil man die
Probleme, für die er die Lösung sein soll, nicht mehr durchschaut oder nicht
den Mut hat, sie wirklich anzupacken.
Denn die eigentlich zu beantwortende Frage
lautet, warum der Markt so viele
Fälle von prekären Beschäftigungs-verhältnissen hervorbringt. Der gesetzliche Mindestlohn
ändert per Vorschrift etwas an den prekären Beschäfti-gungsverhältnissen, ja, aber
an den Marktverhältnissen ändert er nichts. Den Schwarzen Peter haben jetzt im
Zweifel all diejenigen Unternehmen, für die der Markt diesen Mindestlohn
schlicht tatsächlich nicht hergibt. Das
Problem hat folglich zwei Seiten, der
Mindestlohn adressiert aber nur eine
Seite.
Das Problem der niedrigen Löhne und
prekären Beschäftigungsverhältnisse soll und darf nicht kleingeredet werden. Aber
in einer Marktwirtschaft sollte unter normalen Umständen Wettbewerb dafür
sorgen, dass faire Löhne gezahlt werden und vor allem auch Löhne, von denen man
leben kann. Wenn das dauerhaft nicht der Fall ist, so wie heute, kann das an
den gesetzlichen Rahmenbedingungen liegen und/oder daran, dass der Wettbewerb
nicht effektiv funktioniert.
Kostensenkung fördern, Niedriglöhne ernten, Mindestlöhne fordern
Mit der Agenda 2010 und den Hartz-Reformen
wurden wesentliche Voraussetzungen für eine Ausweitung der niedrig entlohnten
Beschäftigung geschaffen. Beispiele sind Minijobs und die Zeitarbeit. Mindestlöhne
sind insofern zum Teil der Versuch, die Folgen
der angesprochenen Reformen zu korrigieren anstatt die Reformen selbst.
Zum anderen Teil sind sie eine
Kapitulation vor der Frage, unter welchen Voraussetzungen auf wettbewerblichen
Märkten überhaupt faire Löhne zustande kommen können – und dies gilt sowohl für
die Befürworter als auch für die Gegner von Mindestlöhnen.
Die Gegner unterstellen schlicht, dass Märkte
selbstregulierend und effizient sind oder mit anderen Worten prinzipiell
effektiver Wettbewerb besteht und insofern auch die Löhne, die jeweils gezahlt
werden, fair sind – abgesehen von regelwidrigem Verhalten bzw.
Gesetzesverstößen. Die Befürworter schütten dagegen gleich das Kind mit dem
Bade aus, weil sie mit der Forderung von Mindestlöhnen das Zustandekommen von
angemessenen, fairen Löhnen auf wettbewerblichen Märkten implizit für unmöglich
erklären. Intensiver Kostenwettbewerb auf allen wichtigen Märkten, der massenhaft
prekäre Beschäftigungsverhältnisse produziert, wird damit von Befürwortern und
Gegnern des Mindestlohns nicht nur zur Normalität erklärt, die sie „soziale Marktwirtschaft“
nennen, sondern schlimmer noch, politisch massiv unterstützt und gefördert.
Das ist grotesk und der Mindestlohn ist es
so betrachtet letztlich auch.
Märkte sind nicht selbstregulierend – aber wie funktionieren sie dann?
Spätestens seit der Finanzmarktkrise
wissen wir, dass Märkte nicht prinzipiell selbstregulierend sind und auch nicht
immer effizient. Insofern ist es also nur konsequent zu fragen, ob die
beträchtliche Ausweitung prekärer Arbeitsverhältnisse nicht ebenso wie die
verbreitete Wachstumsschwäche in erster Linie die Folge eines – volks-wirtschaftlich gesehen – ineffektiven Wettbewerbs ist.
Eine einfache Kontrollfrage: Nennen Sie
bitte einmal einen volkswirtschaftlich bedeutenden Markt, auf dem heute kein intensiver
Kostenwettbewerb herrscht.
Sie werden Schwierigkeiten haben, einen zu
finden und genau das ist das Problem.
Heißt das dann aber zugleich auch, dass
Wettbewerb immer so ist? Nein, eben
nicht.
Jeder redet immer nur von dem Wettbewerb und meint damit implizit,
dass es überhaupt nur eine einzige Form
von Wettbewerb gibt oder anders ausgedrückt: entweder es herrscht Wettbewerb
oder es herrscht kein Wettbewerb. Wirtschaftsliberale Vertreter in der Politik
spitzen dies gerne auf den Ausspruch zu, entweder man sei für die Marktwirtschaft
oder dagegen.
Der Ausspruch bringt es eigentlich gut auf
den Punkt. Denn er entspricht dem, was die klassische liberale und die
neoklassische Wirtschaftstheorie uns lehrt: selbstregulierende, effiziente
Märkte, sind Märkte, auf denen Wettbewerb herrscht und dieser ist prinzipiell
effektiv. Das Problem ist nur, dass dies – auf die Realität übertragen – nicht
stimmt, wie oben bereits angesprochen und das liegt vor allem daran, dass
dieses Wettbewerbsver-ständnis der Entwicklung
von Märkten nicht gerecht wird und
auch nicht gerecht werden kann. Als
Blaupause für politisches Handeln in der Realität taugt es deswegen eigentlich
ziemlich wenig.
Im Zuge der Entwicklung von Märkten verändert sich der Wettbewerb
Wettbewerb wird entscheidend geprägt von
den strukturellen Gegebenheiten auf Märkten, also unter anderem von der Zahl
und Größe der Anbieter und Nachfrager, von der Marktransparenz, aber auch von
den handlungsleitenden Motiven der Anbieter und Nachfrager. All das ist in der
zeitlichen Entwicklung von Märkten Veränderungen unterworfen und damit ändern
sich auch die Voraussetzungen für die Wettbewerbsführung, das heißt: der
Wettbewerb verändert sich.
Vereinfacht ausgedrückt bedeutet dies
Folgendes:
Auf jungen
Märkten ist das Marktpotenzial noch weitgehend unerschlossen, Produkte/ Dienste
und Verfahren befinden sich noch am Anfang ihrer Lernkurve, die innovative
Dynamik ist infolgedessen hoch (bedeutende Produkt- und Verfahrensinnovationen,
innovative Angebotsvielfalt), funktionale und im weitesten Sinne qualitative
Faktoren sind wettbewerbsentscheidend.
Gerade deswegen sind auf jungen bzw.
dynamisch-innovativen Märkten Wissen und Fertigkeiten der Arbeitskräfte ein
ganz entscheidender Faktor im Wettbewerb.
Auf ausgereiften
Märkten ist das Marktpotenzial ausgereizt, Produkte/Dienste und Verfahren
sind ausgereift (Stichworte: ein bestimmtes Produktdesgin hat sich
durchgesetzt, ebenso eine „best practise“, Standardbauteile, gemeinsame
Plattformen usw.), die innovative Dynamik des Marktes ist dementsprechend schwach
ausgeprägt (Verbesserungsinnovationen), die Kosten sind
wettbewerbsentscheidend.
Auf ausgereiften bzw. transparenten, wenig
dynamischen Märkten sind folglich nicht
das Wissen und die Fertigkeiten der Arbeitskräfte ausschlaggebend, sondern zu
welchem Preis Arbeitskräfte für bekannte und standardisierte Prozesse von den
Unternehmen „eingekauft“ werden können (Stichwort: Debatte über den
„Fachkräftemangel“).
Die Entwicklung von Märkten ist aber keine Einbahnstraße. Aus ausgereiften Märkten können durch eine entsprechende Innovationsdynamik wieder "junge" Märkte werden. Bill Gates hat das beispielsweise mit Microsoft Anfang der 80er bewiesen. Heute hingegen steht Microsoft für einen ausgereiften, oligopolisierten Markt. Frischer Wind ist dort nötig.
Auf ausgereiften, oligopolisierten Märkten gehen die Löhne in den Keller
Wir haben es heute auf den allermeisten,
volkswirtschaftlich und global bedeutsamen Märkten mit gesättigten,
ausgereiften und nicht selten unter Überkapazitäten leidenden Märkten zu tun.
Auf solchen Märkten herrscht harter Kostenwettbewerb vor, weil es sich um oligopolisierte
und von wenigen, großen Unternehmen dominierte Märkte handelt, die im
Wesentlichen eines im Sinn haben: Ihre Marktposition erfolgreich zu verteidigen.
Die Politik hilft ihnen dabei, das heißt,
sie unterstützt die Unternehmen und Banken bei ihren Bemühungen, international kostenwettbewerbsfähig
zu sein und zwar seit vielen Jahren. Dies war z.B. auch schon der Zweck der
Agenda 2010.
Angesichts solcher Marktgegebenheiten bzw.
der fortgeschrittenen Entwicklung/Ausreifung vieler Märkte stellt sich
Wettbewerb heute – sofern er nicht schon mehr oder weniger ausgeschaltet wurde
– überwiegend als harter Kostenwettbewerb dar. Dass die Politik diesen
zusätzlich noch massiv fördert, ist kontraproduktiv und macht den Mindestlohn
zu einer Farce. Denn unter diesen Bedingungen kann sich auf den Märkten keine
dynamische Entwicklung ergeben, die die Voraussetzung für eine Aufwertung des
Wissens und der Fähigkeiten der Arbeits-kräfte auf den Märkten und vor allem
auch für neues Wirtschaftswachstum wäre. Unter solchen Marktgegeben-heiten gehen
die Löhne in den Keller.
Das wirksamste Mittel für faire Löhne ist das Aufbrechen der oligopolistischen Strukturen
Wer will, dass die Abwärtsspirale bei den
Löhnen gestoppt wird, der ist insofern gut beraten, in erster Linie auf
Veränderungen der verkrusteten oligopolistischen Marktstrukturen und auf eine
neue, innovative Dynamik auf den Märkten hinzuwirken, die kleinen und mittelgroßen
Unternehmen und Arbeitskräften gleichermaßen wieder deutlich verbesserte
Chancen eröffnet, mit ihren Leistungen angemessen erfolgreich zu sein. Denn das
ist es, was effektiven Wettbewerb volkswirtschaftlich
gesehen ausmacht.
Tatsächlich geschieht jedoch das
Gegenteil. In den letzten Monaten wurde eine ganze Reihe von neuen Megafusionen
beschlossen und von den Wettbewerbsbehörden genehmigt. Mit effektivem, „freiem“
Wettbewerb hat es nicht mehr viel zu tun, wenn große, globale Märkte nur noch
von drei oder vier großen Konzernen dominiert werden. Es ist die Zementierung
des Kostenwettbewerbs und des Kostensenkungswettlaufs nach unten und zugleich
eine Garantie für die anhaltende Instabilität unseres Wirtschafts- und
Finanzsystems.
Fazit
Die Probleme auf dem Arbeitsmarkt sind
nicht wegzudiskutieren. Aber Mindestlöhne kurieren nur an den Symptomen. Sie
sind keine Lösung, sondern stützen im Ergebnis lediglich die unhaltbar
gewordene Form der Wettbewerbsführung von Oligopolisten auf überwiegend
ausgereiften, stagnierenden Märkten. Ausbaden müssen das die kleinen und
mittelgroßen Unternehmen, die das letzte Glied in der Kette des von oben
erzeugten Kosten-drucks sind und diesem nicht ausweichen können und die Masse
der Arbeitnehmer – ganz besonders die in Entwicklungsländern.
Es gibt also genau genommen wenig Grund für die
Bundesregierung und noch weniger Grund für uns alle, das Gesetz über den
Mindestlohn zu feiern.
Der Arbeitsmarkt ist eben keine Kartoffelmarkt. Ein Unternehmen, dass den Mindestlohn nicht zahlen kann, hat auf dem Markt nichts zu suchen.
AntwortenLöschen??? Ein sehr qualifizierter Kommentar, der eine sehr gefährliche Tendenz ignoriert. Lies den Artikel bitte noch einmal und versuch Zusammenhänge her zu stellen. MfG
LöschenDer Artikel bewegt sich unbeabsichtigt oder nicht(?!) im Mainstream der neoklassischen Wirtschaftstheorie und versucht diesem Dilemma dadurch zu entkommen, dass der Autor die Funktionalität desselben deshalb in Abrede stellt, weil es heute keine(n) freien Märkte/Wettbewerb gibt. Damit orientiert sich die Argumentation an der Grundthese der Neoklassik, nämlich der "Allgemeinen Gleichgewichtstheorie". Dessen Grundkonzept auf dem Prinzip von Angebot und Nachfrage basiert und als "Tauschwirtschaft" nur Preisnehmer kennt. Diese Grundkonzeption ist aber gleichzeitig die Achillesferse, da sie eine Deus ex machina braucht, die die Preisbildung am Markt erzeugt. Bei A. Smith ist es "the hidden hand" und heute der homo oeconomicus. Damit gleitet das Erklärmuster der Ökonomie ab in die Metaphysik. Denn wenn alle Preisnehmer sind, wer setzt dann den Preis. Damit ist das Glasperlenspiel mit all seinen ökometrischen Figuren nicht widerlegt, aber auch nur noch sehr bedingt realitätstauglich. Insofern ist der Hinweis: der Arbeitsmarkt sei kein Kartoffelmarkt durchaus zutreffend.
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