Donnerstag, 3. Juli 2014

Der Mindestlohn kommt: Eine Kapitulation vor der Ursachenbekämpfung



Die SPD hatte den Mindestlohn 2013 zum Wahlkampfthema gemacht und nach der Wahl zur zentralen Bedingung für eine Große Koalition. Jetzt kommt er also, der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro – von Ausnahmen abgesehen. Das hat der Bundestag beschlossen.
Die Debatte, ob er die richtige Lösung ist, wird damit gleichwohl nicht beendet sein. Für die Gegner sind Mindest-löhne pointiert ausgedrückt Gift für die freie Marktwirtschaft und kontraproduktiv. Für die Befürworter ist der freie Markt heute kein Garant mehr für faire Löhne, so dass der Staat hier gefordert ist, eine Grenze einzuziehen.

Die Mindestlohn-Entscheidung schüttet ungelöste Probleme einfach zu

Die Frage, wer Recht hat oder ob es nicht auch ganz anders geht, das heißt, ob es eine bessere Lösung jenseits staatlicher Regulierung und blinden Vertrauens auf die Marktkräfte gibt, ist nicht beantwortet, nicht geklärt worden. Die politische Entscheidung für den Mindestlohn ist ein Kompromiss, bei dessen Zustandekommen auf die Klärung der Frage offensichtlich verzichtet werden kann.
Insofern drängt sich der Eindruck auf, dass der Mindestlohn lediglich das Ziehen der Notbremse darstellt, weil man die Probleme, für die er die Lösung sein soll, nicht mehr durchschaut oder nicht den Mut hat, sie wirklich anzupacken.
Denn die eigentlich zu beantwortende Frage lautet, warum der Markt so viele Fälle von prekären Beschäftigungs-verhältnissen hervorbringt. Der gesetzliche Mindestlohn ändert per Vorschrift etwas an den prekären Beschäfti-gungsverhältnissen, ja, aber an den Marktverhältnissen ändert er nichts. Den Schwarzen Peter haben jetzt im Zweifel all diejenigen Unternehmen, für die der Markt diesen Mindestlohn schlicht tatsächlich nicht hergibt. Das Problem hat folglich zwei Seiten, der Mindestlohn adressiert aber nur eine Seite.
Das Problem der niedrigen Löhne und prekären Beschäftigungsverhältnisse soll und darf nicht kleingeredet werden. Aber in einer Marktwirtschaft sollte unter normalen Umständen Wettbewerb dafür sorgen, dass faire Löhne gezahlt werden und vor allem auch Löhne, von denen man leben kann. Wenn das dauerhaft nicht der Fall ist, so wie heute, kann das an den gesetzlichen Rahmenbedingungen liegen und/oder daran, dass der Wettbewerb nicht effektiv funktioniert.

Kostensenkung fördern, Niedriglöhne ernten, Mindestlöhne fordern

Mit der Agenda 2010 und den Hartz-Reformen wurden wesentliche Voraussetzungen für eine Ausweitung der niedrig entlohnten Beschäftigung geschaffen. Beispiele sind Minijobs und die Zeitarbeit. Mindestlöhne sind insofern zum Teil der Versuch, die Folgen der angesprochenen Reformen zu korrigieren anstatt die Reformen selbst.
Zum anderen Teil sind sie eine Kapitulation vor der Frage, unter welchen Voraussetzungen auf wettbewerblichen Märkten überhaupt faire Löhne zustande kommen können – und dies gilt sowohl für die Befürworter als auch für die Gegner von Mindestlöhnen.
Die Gegner unterstellen schlicht, dass Märkte selbstregulierend und effizient sind oder mit anderen Worten prinzipiell effektiver Wettbewerb besteht und insofern auch die Löhne, die jeweils gezahlt werden, fair sind – abgesehen von regelwidrigem Verhalten bzw. Gesetzesverstößen. Die Befürworter schütten dagegen gleich das Kind mit dem Bade aus, weil sie mit der Forderung von Mindestlöhnen das Zustandekommen von angemessenen, fairen Löhnen auf wettbewerblichen Märkten implizit für unmöglich erklären. Intensiver Kostenwettbewerb auf allen wichtigen Märkten, der massenhaft prekäre Beschäftigungsverhältnisse produziert, wird damit von Befürwortern und Gegnern des Mindestlohns nicht nur zur Normalität erklärt, die sie „soziale Marktwirtschaft“ nennen, sondern schlimmer noch, politisch massiv unterstützt und gefördert.
Das ist grotesk und der Mindestlohn ist es so betrachtet letztlich auch.

Märkte sind nicht selbstregulierend – aber wie funktionieren sie dann?

Spätestens seit der Finanzmarktkrise wissen wir, dass Märkte nicht prinzipiell selbstregulierend sind und auch nicht immer effizient. Insofern ist es also nur konsequent zu fragen, ob die beträchtliche Ausweitung prekärer Arbeitsverhältnisse nicht ebenso wie die verbreitete Wachstumsschwäche in erster Linie die Folge eines – volks-wirtschaftlich gesehenineffektiven Wettbewerbs ist.
Eine einfache Kontrollfrage: Nennen Sie bitte einmal einen volkswirtschaftlich bedeuten­den Markt, auf dem heute kein intensiver Kostenwettbewerb herrscht.
Sie werden Schwierigkeiten haben, einen zu finden und genau das ist das Problem.
Heißt das dann aber zugleich auch, dass Wettbewerb immer so ist? Nein, eben nicht.
Jeder redet immer nur von dem Wettbewerb und meint damit implizit, dass es überhaupt nur eine einzige Form von Wettbewerb gibt oder anders ausgedrückt: entweder es herrscht Wettbewerb oder es herrscht kein Wettbewerb. Wirtschaftsliberale Vertreter in der Politik spitzen dies gerne auf den Ausspruch zu, entweder man sei für die Marktwirt­schaft oder dagegen.
Der Ausspruch bringt es eigentlich gut auf den Punkt. Denn er entspricht dem, was die klassische liberale und die neoklassische Wirtschaftstheorie uns lehrt: selbstregulierende, effiziente Märkte, sind Märkte, auf denen Wettbewerb herrscht und dieser ist prinzipiell effektiv. Das Problem ist nur, dass dies – auf die Realität übertragen – nicht stimmt, wie oben bereits angesprochen und das liegt vor allem daran, dass dieses Wettbewerbsver-ständnis der Entwicklung von Märkten nicht gerecht wird und auch nicht gerecht werden kann. Als Blaupause für politisches Handeln in der Realität taugt es deswegen eigentlich ziemlich wenig.

Im Zuge der Entwicklung von Märkten verändert sich der Wettbewerb

Wettbewerb wird entscheidend geprägt von den strukturellen Gegebenheiten auf Märkten, also unter anderem von der Zahl und Größe der Anbieter und Nachfrager, von der Marktransparenz, aber auch von den handlungsleitenden Motiven der Anbieter und Nachfrager. All das ist in der zeitlichen Entwicklung von Märkten Veränderungen unter­worfen und damit ändern sich auch die Voraussetzungen für die Wettbewerbsführung, das heißt: der Wettbewerb verändert sich.
Vereinfacht ausgedrückt bedeutet dies Folgendes:
Auf jungen Märkten ist das Marktpotenzial noch weitgehend unerschlossen, Produkte/ Dienste und Verfahren befinden sich noch am Anfang ihrer Lernkurve, die innovative Dynamik ist infolgedessen hoch (bedeutende Produkt- und Verfahrensinnovationen, innovative Angebotsvielfalt), funktionale und im weitesten Sinne qualitative Faktoren sind wettbewerbsentscheidend.
Gerade deswegen sind auf jungen bzw. dynamisch-innovativen Märkten Wissen und Fertigkeiten der Arbeitskräfte ein ganz entscheidender Faktor im Wettbewerb.
Auf ausgereiften Märkten ist das Marktpotenzial ausgereizt, Produkte/Dienste und Verfahren sind ausgereift (Stichworte: ein bestimmtes Produktdesgin hat sich durchgesetzt, ebenso eine „best practise“, Standardbauteile, gemeinsame Plattformen usw.), die innovative Dynamik des Marktes ist dementsprechend schwach ausgeprägt (Verbesserungsinnovationen), die Kosten sind wettbewerbsentscheidend.
Auf ausgereiften bzw. transparenten, wenig dynamischen Märkten sind folglich nicht das Wissen und die Fertigkeiten der Arbeitskräfte ausschlaggebend, sondern zu welchem Preis Arbeitskräfte für bekannte und standardisierte Prozesse von den Unternehmen „eingekauft“ werden können (Stichwort: Debatte über den „Fachkräftemangel“).
Die Entwicklung von Märkten ist aber keine Einbahnstraße. Aus ausgereiften Märkten können durch eine entsprechende Innovationsdynamik wieder "junge" Märkte werden. Bill Gates hat das beispielsweise mit Microsoft Anfang der 80er bewiesen. Heute hingegen steht Microsoft für einen ausgereiften, oligopolisierten Markt. Frischer Wind ist dort nötig. 

Auf ausgereiften, oligopolisierten Märkten gehen die Löhne in den Keller

Wir haben es heute auf den allermeisten, volkswirtschaftlich und global bedeutsamen Märkten mit gesättigten, ausgereiften und nicht selten unter Überkapazitäten leidenden Märkten zu tun. Auf solchen Märkten herrscht harter Kostenwettbewerb vor, weil es sich um oligopolisierte und von wenigen, großen Unternehmen dominierte Märkte handelt, die im Wesentlichen eines im Sinn haben: Ihre Marktposition erfolgreich zu verteidigen.
Die Politik hilft ihnen dabei, das heißt, sie unterstützt die Unternehmen und Banken bei ihren Bemühungen, international kostenwettbewerbsfähig zu sein und zwar seit vielen Jahren. Dies war z.B. auch schon der Zweck der Agenda 2010.
Angesichts solcher Marktgegebenheiten bzw. der fortgeschrittenen Entwicklung/Aus­reifung vieler Märkte stellt sich Wettbewerb heute – sofern er nicht schon mehr oder weniger ausgeschaltet wurde – überwiegend als harter Kostenwettbewerb dar. Dass die Politik diesen zusätzlich noch massiv fördert, ist kontraproduktiv und macht den Mindestlohn zu einer Farce. Denn unter diesen Bedingungen kann sich auf den Märkten keine dynamische Entwicklung ergeben, die die Voraussetzung für eine Aufwertung des Wissens und der Fähigkeiten der Arbeits-kräfte auf den Märkten und vor allem auch für neues Wirtschaftswachstum wäre. Unter solchen Marktgegeben-heiten gehen die Löhne in den Keller.

Das wirksamste Mittel für faire Löhne ist das Aufbrechen der oligopolistischen Strukturen

Wer will, dass die Abwärtsspirale bei den Löhnen gestoppt wird, der ist insofern gut beraten, in erster Linie auf Veränderungen der verkrusteten oligopolistischen Marktstrukturen und auf eine neue, innovative Dynamik auf den Märkten hinzuwirken, die kleinen und mittelgroßen Unternehmen und Arbeitskräften gleichermaßen wieder deutlich verbesserte Chancen eröffnet, mit ihren Leistungen angemessen erfolgreich zu sein. Denn das ist es, was effektiven Wettbewerb volkswirtschaftlich gesehen ausmacht.
Tatsächlich geschieht jedoch das Gegenteil. In den letzten Monaten wurde eine ganze Reihe von neuen Megafusionen beschlossen und von den Wettbewerbsbehörden genehmigt. Mit effektivem, „freiem“ Wettbewerb hat es nicht mehr viel zu tun, wenn große, globale Märkte nur noch von drei oder vier großen Konzernen dominiert werden. Es ist die Zementierung des Kostenwettbewerbs und des Kostensenkungswettlaufs nach unten und zugleich eine Garantie für die anhaltende Instabilität unseres Wirtschafts- und Finanzsystems.

Fazit

Die Probleme auf dem Arbeitsmarkt sind nicht wegzudiskutieren. Aber Mindestlöhne kurieren nur an den Symptomen. Sie sind keine Lösung, sondern stützen im Ergebnis lediglich die unhaltbar gewordene Form der Wettbewerbsführung von Oligopolisten auf überwiegend ausgereiften, stagnierenden Märkten. Ausbaden müssen das die kleinen und mittelgroßen Unternehmen, die das letzte Glied in der Kette des von oben erzeugten Kosten-drucks sind und diesem nicht ausweichen können und die Masse der Arbeitnehmer – ganz besonders die in Entwicklungsländern.
Es gibt also genau genommen wenig Grund für die Bundesregierung und noch weniger Grund für uns alle, das Gesetz über den Mindestlohn zu feiern.

3 Kommentare:

  1. Der Arbeitsmarkt ist eben keine Kartoffelmarkt. Ein Unternehmen, dass den Mindestlohn nicht zahlen kann, hat auf dem Markt nichts zu suchen.

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    1. ??? Ein sehr qualifizierter Kommentar, der eine sehr gefährliche Tendenz ignoriert. Lies den Artikel bitte noch einmal und versuch Zusammenhänge her zu stellen. MfG

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    2. Der Artikel bewegt sich unbeabsichtigt oder nicht(?!) im Mainstream der neoklassischen Wirtschaftstheorie und versucht diesem Dilemma dadurch zu entkommen, dass der Autor die Funktionalität desselben deshalb in Abrede stellt, weil es heute keine(n) freien Märkte/Wettbewerb gibt. Damit orientiert sich die Argumentation an der Grundthese der Neoklassik, nämlich der "Allgemeinen Gleichgewichtstheorie". Dessen Grundkonzept auf dem Prinzip von Angebot und Nachfrage basiert und als "Tauschwirtschaft" nur Preisnehmer kennt. Diese Grundkonzeption ist aber gleichzeitig die Achillesferse, da sie eine Deus ex machina braucht, die die Preisbildung am Markt erzeugt. Bei A. Smith ist es "the hidden hand" und heute der homo oeconomicus. Damit gleitet das Erklärmuster der Ökonomie ab in die Metaphysik. Denn wenn alle Preisnehmer sind, wer setzt dann den Preis. Damit ist das Glasperlenspiel mit all seinen ökometrischen Figuren nicht widerlegt, aber auch nur noch sehr bedingt realitätstauglich. Insofern ist der Hinweis: der Arbeitsmarkt sei kein Kartoffelmarkt durchaus zutreffend.

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