Montag, 12. Dezember 2016

"Internet & Soziale Medien" schlägt "Mainstream-Medien": Harte Zeiten für Politiker, Chance für die Demokratie



Ist es nicht paradox? Nachdem die US-Demokraten gehackt und so im Wahlkampf bloß­gestellt worden sind, reiten die US-Geheimdienste auf der als Fakt verkauften These herum, Russland stecke dahinter und habe die US-Wahl beeinflusst. Und schwupp, schon springen Politiker der etablierten deutschen Parteien flugs und in bester Nachkriegstradition – bei allem was man sagt und tut, immer erst zu schauen, was die Amerikaner machen – auf diesen Zug auf. (1) So scheint es jedenfalls.

Russlands Cyberkrieg gegen demokratische Parteien im Westen?

Mit Rückendeckung der eigenen Geheimdienste äußern deutsche Politiker nun die Sorge, auch der Bundestagswahlkampf 2017 könnte von Russland beeinflusst und manipuliert werden. Befürchtet werden „gezielte Infiltration von außen mit dem Ziel der Manipulation von Fakten oder Meinungen“ (Wolfgang Bosbach (CDU), „Verzerrungen und Lügengeschichten“ (Rolf Mützenich (SPD)), „dass von Russland gesteuerte Online-Medien Fehldeutungen und Falschinformationen verbreiten“ (Christian Lindner (FDP)) und „dass Hackerangriffe auf Parteien und Fraktionen und Desinformationskampagnen zunehmen werden“ (Stephan Mayer (CSU)). (2)
Allein bewiesen wurden die Behauptungen von den US-Geheimdiensten und Sicherheitsfirmen bisher nicht. Darauf hat beispielsweise James Bramford, Autor des Buches „The Shadow Factory: The Ultra-Secret NSA From 9/11 to the Eavesdropping on America“ und Kolumnist bei „Foreign Policy“ in einer Analyse ausdrücklich hingewiesen. (3)
Ein wichtiges Argument Bramfords ist unter anderem, dass die Analyse der Hackerattacke gegen die US-Demokraten, die von einer darauf spezialisierten Firma im Auftrag der Partei durchgeführt wurde, viel zu kurz und damit oberflächlich gewesen ist, um angesichts der sehr diffizilen und komplexen Aufgabe, die Hacker zu identifizieren, schon nach ein paar Wochen den Schuldigen präsentieren zu können. Viele andere Internetsicherheitsfirmen hätten sich zudem einfach dieser Einschätzung angeschlossen. Doch während die US-Geheimdienste, namentlich der oberste US-Geheimdienstkoordinator James Clapper, Russland als Schuldigen bezeichneten, habe das FBI dies bemerkens­werterweise nicht getan. (4)
In einer weiteren Analyse befasst sich Bramford mit der Auswertung der bisher gesam­melten Hinweise. Er kommt zu dem Schluss, dass sie nicht auf Russland, sondern viel eher auf einen zweiten und bisher unentdeckten Edward Snowden bei der NSA hinweisen. (5)

Trump: CIA-Vorwürfe sind lächerlich – wahr oder falsch?

Nachdem zum Wochenende von namentlich nicht genannten CIA-Mitarbeitern erneut der Eindruck erweckt worden ist, alles deute darauf hin, dass Russland die US-Wahl beeinflusst habe (6), hat es dem designierten neuen US-Präsidenten Donald Trump offensichtlich gereicht. Er erklärte die CIA-Vorwürfe in einem Interview auf Fox News am Sonntag für nach wie vor unbewiesen und mehr noch für „lächerlich“. Jede Woche kämen die US-Demokraten mit einer neuen Ausrede für ihre Wahlniederlage, so sein Fazit. (7)
Das mag ein wenig überspitzt sein, doch so ganz falsch scheint Trump damit nicht zu liegen. Als der FBI-Direktor James Comey kurz vor der Wahl ankündigte, die Ermittlun­gen zu Clintons-E-Mail-Affäre würde aufgrund neuer E-Mail-Funde wieder aufgenommen, wurde dies von den US-Demokraten als Versuch der Wahlbeeinflussung hingestellt, obwohl Comey in seiner langen Karriere über die Parteigrenzen hinweg einen Ruf als integre Persönlichkeit erworben hat. Mehr noch fordert nun der demokratische Senator Harry Reid eine Untersuchung, weil er glaubt, der FBI-Direktor halte Informationen über die behauptete Einmischung Russlands in die US-Wahl zurück. (8)

Wer anderen eine Grube gräbt …

Was in den USA seit Monaten vor und nach der Wahl stattfindet, hat inzwischen zunehmend mehr etwas von Verfolgungswahn oder Verschwörungstheorie und zwar auf Seiten der Trump-Gegner, die sich allerdings zum Teil in seiner eigenen Partei befinden. Der Alarmismus dort wirkt ebenso überzogen wie hier, auf dieser Seite des Atlantiks und speziell in Deutschland.
Wenn in den USA trotz der schwachen Faktenlage Russland für schuldig erklärt wird, die US-Wahl beeinflusst zu haben, damit Trump gewinnt, dann ist es schon ein wenig befremdlich, wenn deutsche Politiker nun mit Blick auf die Bundestagswahl dieselben Befürchtungen äußern, so als wäre die Sache in den USA längst klar. Zudem gibt es in Deutschland überhaupt keinen starken „Populisten“, der tatsächlich eine realistische Chance haben könnte, die Bundestagswahl zu gewinnen.
Was soll man also dazu sagen? Willkommen im „postfaktischen Zeitalter“, das von Journalisten der traditionellen Medien und eben jenen Politikern ausgerufen wurde, die damit eigentlich das Verhalten von Populisten und ihren Anhängern meinten, nicht sich selbst. Willkommen in der Ära also, in der angeblich nicht mehr die Fakten zählen, sondern Emotionen (9) und in der „Fake News“ bzw. Lügengeschichten verbreitet werden. Wie wahr!
Doch denken Politiker etablierter Parteien, wenn sie in diesem Zusammenhang von einer „verwilderten politischen Kultur“ sprechen (10), auch an die nicht geringe Zahl von Fällen, in denen sie selbst Fakten ignorieren oder in denen Parteimitglieder beispielsweise ihren Doktortitel durch Abschreiben erschlichen (Plagiate-Skandal) oder ihren Lebenslauf aufpolierten (11)? Wohl eher nicht.

„Postfaktisch“ als Retourkutsche für „Lügenpresse“

Insofern überrascht es ebenso wenig, dass die Gesellschaft für deutsche Sprache in den Refrain der Journalisten und Politiker einstimmte und den auf Anhänger von „Populisten gemünzten Begriff „postfaktisch“ postwendend zum Wort des Jahres 2016 kürte, womit sie allerdings nur nachvollzog, was ein paar Wochen zuvor auf internationaler Ebene („post truth“ als Wort des Jahres) vorgekaut worden war. (12)
Das sieht möglicherweise nicht ganz zufällig nach einer Art Retourkutsche der Vorwürfe aus dem den etablierten Parteien gegenüber kritisch eingestellten Teil der Bevölkerung aus, der den Begriff „Lügenpresse“ aus der Taufe gehoben hatte, um so mangelnde Objektivität und behauptete Falschmeldungen der Mainstreammedien anzuprangern. Diese Bezeichnung war nach der höchst umstrittenen, einseitigen Berichterstattung der deutschen Medien im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise aufgekommen. Die Botschaft hier: Nicht die Medien berichten falsch, sondern ihr erkennt die „Fakten“ nicht an.

Die Wahrheit über Demokraten und Populisten

Inzwischen werden all jene, die sich zu Sprechern dieser Bevölkerungsteile machen und bei Wahlen antreten, von den traditionellen Parteien als „Populisten“ bezeichnet. Dabei geht es meist um eher junge Protestparteien, was aber, wie der Fall Donald Trump zeigt, keineswegs ein Muss ist. Es ist, wie der Historiker Michael Wolffsohn es jüngst sehr treffend bezeichnete, eine „Populismus-Keule“, mit der politische Gegner – ebenso wie zuvor über viele Jahre hinweg mit der „Faschismus-Keule“ – einfach, rasch und effektiv ausgeschaltet werden sollen. (13)
Genau genommen, so Wolffsohn, geht es dabei um den Versuch der Abgrenzung der Demokraten, die sich als die Guten, als die Elite verstehen, von den Populisten, die sie als „die Bösen“, den Pöbel erkannt wissen wollen. Das Dumme dabei ist, dass es in jedem Volk immer beides gibt und nicht nur die Demokraten Sprachrohr und Anhänger der Volksherrschaft sind, sondern auch die Populisten, was den Historiker zu folgendem Fazit bringt: „Wer Volksherrschaft (Demokratie) will, kann Populismus, der Volkssorgen thematisiert, nicht ablehnen, ohne sich selbst in grundsätzliche Widersprüche zu manövrieren und als Anti-Demokrat zu entlarven.“ (14)

Der fatale Fehler der alteingesessenen Parteien

Was nun bei Wahlen und Referenden geschieht, ist insofern folgerichtig. Das Volk, so Wolffsohn, bemerkt die elitäre Herablassung, weil seine Worte, Sorgen und Ängste nicht thematisiert, sondern diffamiert werden, wie Hillary Clinton im US-Wahlkampf unter Beweis stellte, als die die Trump-Anhänger als „deplorables“ (frei übersetzt: „Pöbel“) bezeichnete. Und sie rächen sich dafür in den USA, in Europa und anderswo auf ihre demokratische Weise, indem sie immer häufiger „Populisten“ ihre Stimme geben. (15)
Dass Populisten und ihre Anhängerschaft sowie ihr Treiben, ihre Aussagen, Vorwürfe und Wahlentscheidungen mit dem Attribut „postfaktisch“ belegt werden, wird von diesen lediglich als eine starke Provokation wahrgenommen werden. Denn es passt in das von Wolffsohn beschriebene Bild von den elitären, herablassenden Demokraten und dem ungebildeten, uneinsichtigen „Pöbel“. Das war also keine gute Idee, sondern eher ein Offenbarungseid und ein weiterer Grund für einen Denkzettel bei der nächsten Wahl.

Nicht jeder kann seine Meinung eloquent anhand von Fakten artikulieren

Das ist noch nicht alles. Denn allein die Tatsache, dass nicht alle Menschen sprich Wähler Zahlen, Daten und Fakten souverän analysieren und deren Essenz und Bedeutung eloquent wiedergeben können, heißt nicht automatisch, dass sie diese nicht begriffen haben. Es sei in diesem Zusammenhang an die zahlreichen Fach- und Wirtschaftsblogs erinnert, die seit vielen Jahren detaillierte Analysen von Politik, Wirtschaft und Finanzmärkten liefern und längst zunehmend als alternatives Informationsmedium neben den traditionellen Medien gelten. Das ist einzig und allein eine Folge der für viele als unzureichend und mithin unbefriedigend bewerteten Berichterstattung in den traditionellen Medien.
Mehr noch haben diese Analysen im Internet und in Blogs aufgezeigt, ob und inwieweit Regierungen ihre politischen Entscheidungen an den Fakten ausrichten. Unter dem Strich ist dabei nicht selten der Eindruck bestätigt worden, dass die traditionellen Parteien die Fakten ignorieren und genau das ist für viele Wähler explizit oder unterschwellig einer der Gründe für die Abkehr von den alteingesessenen Parteien.
Was also bedeutet dieser verstärkte Wahlkampf der alteingesessenen Parteien mit der „Populismus-Keule“ und der Diskreditierung rebellischer Wähler als „postfaktisch“ bzw. blind für die Wahrheit?

Harte Zeiten für erfolgsgewohnte Parteien

Vielleicht ist die Antwort auf diese Frage ganz simpel.
Der unerwartete Wahlsieg des unablässig twitternden Donald Trump ist nicht nur eine an das politische Establishment, an die „guten Demokraten“ gerichtete Botschaft, dass „Populisten“ Wahlen gewinnen können. Vielmehr ist es auch eine Botschaft an die tradi­tionellen Medien, die jahrzehntelang die Deutungshoheit hatten und, wie der US-Wahlkampf noch einmal ganz deutlich zeigte, das wirtschaftliche und politische Establishment unterstützte. Sie lautet: Die sozialen Medien und das Internet sind mit dem Wahlsieg von Trump de facto zu einer Informations- und Meinungsmacher-Gegenmacht aufgestiegen sind, die die traditionellen Medien übertrumpfen kann.
Das wiederum heißt, die traditionellen Parteien und etablierten Parteipolitiker können sich allesamt nicht mehr darauf verlassen, dass die Darstellung ihre Politik, ihres Redens und Handelns in den traditionellen Medien als erfolgreich und gut die Mehrheit der Wähler überzeugen und sie vor der Abwahl schützen wird. Es riecht nach Machtverlust der erfolgsverwöhnten Parteien.
Natürlich gibt es in den sozialen Medien und im Internet Falschmeldungen und schwarze Schafe. Ja, das ist unbestreitbar richtig und ein Problem, das thematisiert werden muss. Aber die gibt es ebenso in den oligopolisierten traditionellen Medien, die jedoch bisher ebenso wie die politische Elite nahezu unantastbar waren. Die traditionellen Medien, das sind nicht per se die „Guten“ und das Internet, die Blogs, die sozialen Medien, das sind nicht per se die „Bösen“. Diese Art von Schwarz-weiß-Malerei“ ist unhaltbar und wer so argumentiert, dem sind die Argumente ausgegangen.
Die Welt der Information und politischen Meinungsbildung sortiert sich gerade neu. Das wird nicht ohne Folgen bleiben. Es gibt dabei Chancen und Risiken. Was überwiegt, ist ein Frage der Nutzung dieser Möglichkeiten und des Verantwortungsgefühls eines jeden, der sie aktiv oder passiv in Anspruch nimmt. Das heißt vor allem, dass man heute weniger denn je einfach schlucken kann, was TV, Printmedien, Internet oder Facebook, Twitter & Co. liefern. Die Wahrheit herauszufinden ist und war immer schon Arbeit. Aber die Chance, es zu schaffen, ist heute größer als je zuvor. Wenn das Bewusstsein dafür nun im Zuge des US-Wahlkampfes und der anhaltenden Debatte über Trump bei vielen geschärft wurde, dann wäre das eindeutig ein gutes Zeichen für die Demokratie.


8 Kommentare:

  1. Jetzt ist der Kriegsschauplatz im Internet. Infowars!

    AntwortenLöschen
  2. Der FBI-Direktor J.C. hat einen integeren Ruf ???? Über Parteigrenzen, das sind mir als Amerikaner ganz neue Töne oder gilt Fox NEws als Partei ??

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Entschuldigen Sie, dass ich erst so spät antworte.

      Zur Sache: Mag sein, dass das für Sie anders aussieht. Aber das berichtete keineswegs nur Fox News, die ich in diesem Fall als Link angegeben habe. Hier ein anderer Link zu einem Bericht, in dem es genau darum geht: Comeys Ruf über die Parteigrenzen hinweg.

      http://derstandard.at/2000046748143/FBI-Direktor-Comey-Alter-Bekannter-der-Clintons-sorgt-fuer-Oktoberueberraschung

      Comey war schließlich eine Zeitlang selbst Republikaner, er hat sich als Vize-Justizminister (in der Zeit von Ashcroft) gegen Gesetzesänderungen (Abhörgesetz)der Bush-Administration gewehrt und ist deswegen zurückgetreten.

      Obama hat ihn als FBI-Direktor eingesetzt, obwohl er kein Demokrat und in der Bush-Administration tätig gewesen war. Warum hätte er das machen sollen, wenn er und seine Demokraten Comey nicht für intger gehalten hätten?

      Viele Grüße
      SLE

      Löschen
    2. Mensch warte nur und schon https://www.heise.de/tp/features/Agenten-ohne-Beweise-fuer-russische-Desinformationkampagne-3619511.html
      und egal es wird weiter behauptet.
      Nette Betrachtung zur Demokratie http://www.linkes-oldenburg.de/wp-content/uploads/2017/01/Interview-J%C3%BCnke.pdf

      Gruß Peter

      Löschen
    3. Hallo Peter,

      in diesem Zusammenhang bin ich eher zufällig auf noch einen interesssanten Bericht gestoßen:

      http://www.n-tv.de/politik/Russen-sollen-fuer-USA-spioniert-haben-article19682898.html

      Grüße
      SLE

      Löschen
  3. Postfaktisch erscheint mir als der der falsche Terminus. Kontrafaktisch passt aus meiner Sicht besser.

    AntwortenLöschen
  4. Weitere Lügen können die Katastrophe nicht verhindern,…

    "Der Begriff Demokratie kommt aus der griechischen Sprache und bedeutet "Herrschaft des (einfachen) Volkes". Die antiken "Demokratien" in Athen und Rom stellen Vorläufer der heutigen Demokratien dar und entstanden wie diese als Reaktion auf zu grosse Machfülle und Machtmissbrauch der Herrscher. Doch erst in der Aufklärung (17./18. Jahrhundert) formulierten Philosophen die wesentlichen Elemente einer modernen Demokratie: Gewaltentrennung, Grundrechte / Menschenrechte, Religionsfreiheit und Trennung von Kirche und Staat."
    (https://demokratie.geschichte-schweiz.ch/definition-demokratie.html)

    …also bleiben wir bei der Wahrheit:

    Silvio Gesell: "In einer Autokratie genügt es, wenn ein Mann die Währungsfrage studiert. In der Demokratie muss das ganze Volk sich dieser Aufgabe unterziehen, wenn die Demokratie nicht den Demagogen verfallen soll."

    Genau das ist passiert: Die Demokratie ist den Demagogen verfallen. In einer Zinsgeld-Ökonomie ist das unvermeidlich und umgekehrt können wir auch sagen, dass überhaupt erst die Natürliche Wirtschaftsordnung eine echte Demokratie ist. Jede andere Definition ist gegenstandslos! Das sollte nun nicht zu dem Irrtum der Verschwörungstheoretiker verleiten, dass "die da oben" das Zinsgeld verstehen und absichtlich dem arbeitenden Volk ein fehlerfreies Geld vorenthalten. Im Gegenteil, je höher die "gesellschaftliche Position", desto weniger wird der Fehler im "Geld, wie es (noch) ist" verstanden und desto geringer das Vorstellungsvermögen vom "Geld, wie es sein soll", das die Klassengesellschaft auflöst:

    http://opium-des-volkes.blogspot.de/2016/10/selbstvertrauen.html

    AntwortenLöschen