Montag, 5. Dezember 2016

Kein Trump-Effekt in Österreich und Italien: Aufwachen! Der Rechtspopulismus ist nicht das Kernproblem der EU



Das sind die Nachrichten, auf die ganz Europa und die Finanzmärkte gespannt gewartet haben:
Norbert Hofer, der Kandidat der rechtspopulistischen FPÖ hat die österreichische Präsidentschaftswahl verloren. Italiens Premier Matteo Renzi ist mit seinem Verfassungsreferendum in Italien gescheitert.

Kein Trump-Effekt in Europa

Nach der Präsidentschaftswahl in Österreich und dem Referendum in Italien ist somit klar: Einen Trump-Effekt gibt es in Europa offensichtlich nicht.
Doch das ist nur die Kurzbotschaft und sie kratzt lediglich an der Oberfläche der Probleme, die die Europäische Union in die Krise geführt haben. Mit dem Votum in Italien und Matteo Renzis´ Rücktrittsankündigung hat die EU nach dem Brexit-Referendum die nächste Eskalationsstufe genommen, auch wenn die erwarteten Turbulenzen an den Börsen zunächst ausgeblieben sind.
Die Freude vieler Politiker über die Niederlage der Rechtspopulisten in Österreich ist deswegen nicht angebracht.
Denn die Krise der EU hat, wie spätestens ab heute klar sein müsste, wenig mit rechtspopulistischen Parteien zu tun, die die Wähler aufhetzen und mit falschen Versprechungen erfolgreich verführen.

Italiens „Fünf-Sterne-Bewegung“ ist nicht rechtspopulistisch

Italiens führende Protestpartei, die Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo, deren Treiben entscheidend zur Niederlage Renzis beigetragen hat und die bei möglichen Neuwahlen zur stärksten politischen Kraft aufsteigen könnte, ist keine rechtspopulistische Partei. Sie hat stets alle etablierten großen Volksparteien Italiens angegriffen – wegen ihrer Korruptheit und ihrer Politik und sich nicht auf irgendeine Seite des politischen Spektrums einordnen lassen.
Rechtspopulisten werden üblicherweise vor allem mit Nationalismus, Ablehnung von Flüchtlingen und Ausländerfeindlichkeit in Verbindung gebracht. Doch wie die Präsidentenwahl in Österreich zeigt, kann man damit allein in Europa ebenso wenig wie in den USA eine Wahl gewinnen.

Quittung für verfehlte Wirtschaftspolitik

Italiens Premier Renzi hat beim Referendum vielmehr die Quittung für seine erfolglose Wirtschafts- und Krisenpolitik bekommen. Die Wähler dort waren nicht bereit, ihn angesichts dessen mit noch mehr Macht auszustatten. Und kurz zuvor hat ja auch Frankreichs Präsident Francois Hollande die Konsequenz aus dem Scheitern seiner Wirtschafts- und Krisenpolitik ziehen müssen. Er verkündete, nicht mehr zur Wiederwahl im nächsten Jahr anzutreten.
Die Lehre, die aus der Wahl Donald Trumps, aus der Präsidentenwahl in Österreich und dem gescheiterten Referendum in Italien zu ziehen ist, lautet:
Vergessen Sie die Flüchtlingskrise, vergessen Sie die Daten zum Wirtschaftswachstum und zur Staatsverschuldung! Was bei Wahlen und Referenden zählt, sind:
  • die individuelle wirtschaftliche Situation der Wähler,
  • die Einschätzungen der Wähler bezüglich ihrer wirtschaftlichen Perspektiven und
  • inwieweit sie einem Politiker bzw. einer Partei zutrauen, eine andere, erfolgreichere Politik zu machen, die sich auf ihre Situation und Perspektiven positiv auswirken könnte.

Andre Ausgangslage: Österreich ist kein Krisenland, Italien indes schon

Österreich ist so betrachtet definitiv kein Krisenland. Italien ist es sehr wohl und die USA sind es auch. Frankreich steht aus dieser Perspektive gesehen wahrscheinlich auf der Kippe, Deutschland ist davon immer noch weit entfernt.
Das heißt, so lange die Wirtschaftspolitik von Regierungen für die Mehrheit der Bürger noch aufgeht, wird es für Protestparteien oder Protestkandidaten grundsätzlich ausgesprochen schwierig sein, Wahlen zu gewinnen.
Das heißt aber auch, dass Rechtspopulisten – Donald Trump ist nichts anderes, auch wenn er einer etablierten Partei angehört und keiner Protestpartei – Wahlen nicht werden gewinnen können, so lange
  • die wirtschaftliche Lage in einem Land von einer Mehrheit der Wähler (aus deren Sicht) nicht als problematisch eingestuft wird
und falls dies doch der Fall ist
  • sie einem alternativen Kandidaten/einer alternativen Partei nicht zutrauen, eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage und Perspektiven zu erreichen.
Nicht nur bei der Präsidentenwahl in Österreich, sondern auch beim Referendum in Italien haben die Rechtspopulisten keinen Erfolg für sich verbuchen können. Die mit der Flüchtlingskrise verbundenen Erfolge der Rechtspopulisten reichen also offensichtlich nicht für eine realistische Machtperspektive in Europa aus.

Keine Entwarnung für Frankreich und für die EU

Eine Entwarnung für die EU lässt sich daraus jedoch nicht ableiten. Denn umgekehrt bedeutet dies, dass jede politische Kraft, der eine leidende Mehrheit der Wähler in einem wirtschaftlich angeschlagenen Mitgliedsstaat der EU zutraut, eine bessere Wirtschaftspolitik zu machen, Wahlen gewinnen kann. Donald Trump ist dafür das beste Beispiel. Damit ist Frankreich bei den im Frühjahr anstehenden Präsidentschaftswahlen möglicherweise – vielleicht auch erneut allen Umfragen zum Trotz – ein echter Wackelkandidat.
Vergessen Sie also besser alle Schlagzeilen und politischen Tiraden von Politikern etablierter Parteien, die sich gegen die ausländer-, flüchtlings- und europafeindlichen Rechtspopulisten richten. Denn das ist zwar problematisch, aber ein Nebenschauplatz. Das eigentliche und für die EU wirklich Existenz bedrohende Thema ist und bleibt die wirtschaftlich schlechte Lage sehr vieler Europäer und die dadurch begründete, mithin weiter wachsende Wut und Ablehnung des bisherigen wirtschafts- und krisenpolitischen Kurses - sofern man überhaupt von einem "Kurs" zu sprechen bereit ist.

Spaltpilz der EU: Anhaltende Wachstumsschwäche + steigende Zahl wirtschaftlicher Verlierer = schlechte Wirtschaftspolitik

Kurz und bündig auf den Punkt gebracht heißt das: Der Europäischen Union ist mit und seit der Finanzmarktkrise die Wachstumsstory verloren gegangen – nicht nur aus Sicht der in dieser Hinsicht eher noch geduldigen Märkte, sondern ganz besonders aus Sicht eines wachsenden Heeres von Wählern.
Anders ausgedrückt: Die verantwortlichen Akteure in den Regierungszentralen der Mitgliedsaaten und auf europäischer Ebene haben es in all den Jahren nicht geschafft, eine schlüssige und aus Wählersicht erfolgreiche Lösung für dieses Problem zu liefern. Darum haben sich die Briten für den Brexit entschieden. Darum war Frankreichs Präsident Francois Hollande jetzt dazu gezwungen, von einer erneuten Kandidatur Abstand zu nehmen. Darum ist Matteo Renzi mit seinem Verfassungsreferendum in Italien gescheitert. Das ist der Grund, warum die Mariano Rajoys´ konservative Minderheitsregierung in Spanien lediglich eine auf Abruf ist. Das wir auch der Grund sein, warum die amtierende griechische Regierung von Alexis Tsipras, die einst als Protestpartei reüssierte, wieder abgewählt werden wird. Und darin liegt die Sprengkraft für die EU. Italien ist ein weiter großer Stein, der aus der Mauer zu brechen begonnen hat. Was will die EU dagegen tun? Im Falle Großbritanniens hat sie schließlich auch nur zugeschaut.

Die Rechtspopulisten sind nicht die Ursache, sondern ein Symptom der schlechten europäischen Politik

Lassen Sie sich nicht vom Getöse in Politik und Medien täuschen. Die Rechtspopulisten sind weder verantwortlich noch das Kernproblem der Europäischen Union. Das Problem sind die wirtschaftspolitische Orientierungslosigkeit der amtierenden Regierungen in der EU und deren vielfach verloren gegangene Fähigkeit, die Probleme der Menschen in ihrem Land wahr- und ernst zu nehmen.
Das Votum der Italiener ist nach dem Brexit-Referendum ein neues Alarmsignal für die EU und eine eindringliche Warnung für diejenigen, die über den Kurs der EU beraten und entscheiden, endlich ihre wirtschaftspolitischen Hausaufgaben zu machen. Das werden sie auch von Donald Trump zu hören bekommen.
Es geht dabei keineswegs um gebetsmühlenhaft geforderten „Reformen“. Das ist ein neoliberales Relikt. Denn mit Deregulierung und Sparen wird die EU ihre wirtschaftlichen und finanziellen Probleme angesichts ausgereifter, gesättigter und deswegen vielfach stagnierender globaler Märkte nicht lösen können. Das Lied von der Alternativlosigkeit ist in Europa ebenfalls längst ausgesungen und verhallt.
Nein, es geht in erster Linie um positive wirtschaftliche Perspektiven, um Jobs und das Ende einer Politik, die von Lobbyisten geformt, für Konzerne gemacht wird und deren fragwürdige „Erfolg“ (Miniwachstum oder Stagnation, steigende Staatsschulden) von den europäischen Bürgern teuer bezahlt werden muss. Europa zehrt seine Substanz auf.
Europas schwächelndes Wirtschaftswachstum wird seit 2009 zunehmend von den Europäern bezahlt – doppelt! Denn sie bezahlen für die Bankenrettung, für die Versuche der Wirtschaftsstabilisierung sowie für die dadurch und infolge des teils selbst politisch forcierten Wirtschaftseinbruchs steigenden Staatsschulden. Ferner büßen sie auch für die mithin anhaltend schlechte wirtschaftliche Lage durch Jobverlust, Pensions- und Einkommensverluste, höhere Steuern u.a. – in Italien, in Griechenland, in Spanien, Frankreich und anderswo. Besserung ist nicht in Sicht und das steigert den Druck im Kessel, der sich irgendwo ein Ventil sucht.
Ein solches Europa will auf Dauer niemand. Nicht einmal diejenigen, die es zu verantworten haben. Ist das nicht paradox? Willkommen in Europa.

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