Freitag, 17. Februar 2012

Wulff-Rücktritt: Auf der Suche nach einem Bundespräsidenten in Zeiten der europäischen Schuldenkrise

Christian Wulff, der Wunschkandidat der Bundeskanzlerin Angela Merkel für das Amt des Bundespräsidenten geht und nun soll also nach ihrem Wunsch im Konsens mit der Regierungsopposition ein Nachfolger gefunden werden. Das ist eine Gelegenheit, um in der sich zuspitzenden europäischen Schuldenkrise ein Zeichen zu setzen.
Seit Monaten steht die Bundesregierung wegen ihrer herausragenden Rolle und ihrem Krisenkurs in der europäischen Schuldenkrise in der Kritik und unter hohem Druck. Nirgendwo wird das so deutlich wie aktuell in Griechenland. Dort ist der Zorn auf die Kanzlerin und ihren Finanzminister Wolfgang Schäuble groß, wie jüngst auch die kritischen Äußerungen des griechischen Staatspräsidenten Karolos Papoulias gezeigt haben. (1)
Die Nerven liegen vielerorts blank, nicht nur in Griechenland. (2) Der Sparzwang, unter dem eine ganze Reihe von europäischen Mitgliedstaaten seit Monaten steht, wird immer weiter verschärft – etwa in Portugal, Spanien, Italien, Rumänien und Ungarn. Doch zur gewünschten Gesundung hat er nicht geführt. Im Gegenteil hat sich die wirtschaftliche Talfahrt fortgesetzt. Vor allem aber hat sich auch die Lebenssituation weiter Teile der Bevölkerung massiv verschlechtert. Gerade deswegen schwindet innerhalb Europas die Akzeptanz für diesen Krisenkurs und immer weitergehende Einschnitte – bis hin zum Massenprotest, zu Streiks und Gewalttätigkeiten.
Christian Wulff hat nicht spürbar dazu beigetragen, die aufkommenden Wogen des Zorns in der Bevölkerung europäischer Mitgliedstaaten zu glätten. Warum eigentlich nicht? Wenn die Bundesregierung fortlaufend ihre besondere Verantwortung für Europa anerkennt und betont, dieser gerecht werden zu wollen, ist es dann – angesichts der besonderen Krisensituation – nicht auch die Aufgabe des Bundespräsidenten, diese besondere Verantwortung Deutschlands für den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt Europas - für die "Kohäsion" also - wahrzunehmen und maßgeblich dazu beizutragen, dass er erhalten bleibt?
Gewiss ist Christian Wulff in diesem Punkt nicht untätig gewesen. Aber maßgebliche Impulse hat er nicht zu geben vermocht. Dass mittlerweile der soziale Frieden in Europa ernstlich bedroht ist, kann nicht als Zeichen dafür gewertet werden, dass er in diesem Punkt für Deutschland wirklich etwas in die Waagschale zu werfen hatte.
Es wäre gut, wenn sich das ändern würde. Mit der Wahl eines Nachfolgers für den zurückgetretenen Bundespräsidenten könnte auch ein Zeichen für unsere europäischen Nachbarn gesetzt werden. Der neue Mann oder die neue Frau im Schloss Bellevue sollte in dieser Krisenzeit vermitteln und nicht nur den Deutschen, sondern auch den Europäern Orientierung in der Krise geben können. Mehr als je zuvor wird dafür eine breite Akzeptanz, diplomatisches Geschick und europäisches Denken erforderlich sein.

4 Kommentare:

  1. WULFFS ABTRITT
    Freitag, 17. Februar 2012


    Spät trat er, doch er trat
    zurück. Der weite Weg nach oben
    entschuldigt auch sein Säumen …


    http://bewegung.taz.de/aktionen/wulf-muss-weg/beschreibung
    http://duckhome.de/tb/archives/9861-WULFFS-ABTRITT.html

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  2. Mit Sicherheit ist der Rücktritt folgerichtig. Und er kam zu spät. Aber, man sollte die "Affäre Wulff" auch mal benutzen um generell das Funktionieren unserer Demokratie zu hinterfragen. Ist es nicht eratunlich, dass die selbe Presse (Springer) Wulff öffentlich hingerichtet hat, die kurz davor noch den ehrenwerten zu Guttenberg zum König ausrufen ließ?
    Wie kann es sein, dass dieser Verlag soviel Macht in Deutschland besitzt und anscheinend alle Politiker mehr oder weniger vom Daumen hoch oder runter dieser Schmierfinken abhängig sind? Und was tun eigentlich unsere öffentlich-rechtlichen Journalisten so den ganzen Tag? Die vierte Macht ist in Deutschland in vielerlei Hinsicht verkommen und damit bricht ein Standbein der Demokratie weg.

    Eines sollte wohl klar sein, Wulff muss außer seiner Kungelei mit ein paar Unternehmen (denn wenn das der Maßstab ist, müßten wahrscheinlich alle Parlamente in Deutschland neu besetzt werden..) in anderer Art und Weise "negativ aufegfallen sein" bzw. sich die Mißgunst des Hauses Springer zugezogen haben.

    Ich will hier an seine großartige Rede vor Wirtschaftsnobelpreisträgern erinnern: : http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Downloads/DE/Reden/2011/08/110824-Wirtschaftsnobelpreistraeger.pdf?__blob=publicationFile oder normal .html: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Christian-Wulff/Reden/2011/08/110824-Wirtschaftsnobelpreistraeger.html

    Mit Sätzen, wie: “…”Politik… darf sich nicht am Nasenring durch die Manege führen lassen von Banken, von Ratingagenturen oder sprunghaften Medien…”...macht man sich halt keine Freunde in einem System, dass sich völlig dem neoliberalen Finanzmarkt unterworfen hat und dem Werte, sozialer Zusammenhalt und Moral nur noch Fassade für ein perfides Spiel sind...

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  3. @ Goeran

    Da haben Sie zweifellos Recht - man muss auch die andere Seite der Angelegenheit sehen. Nicht zuletzt weil Presse und Medien so geworden sind, wie Sie es beschreiben, und weil dies immer mehr Bürgern auffällt, haben Blogs so sehr an Bedeutung gewonnen.

    Unabhängigkeit ist ein hohes Gut, das viele sowohl in der Politik als auch in Presse und Medien schmerzlich vermissen.

    Viele Grüße
    SLE

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  4. "Nicht zuletzt weil Presse und Medien so geworden sind, ..."
    Ihr Wort in Gottes Ohr. Die Hoffnung stirbt zu letzt.

    Beste Grüße

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