Der Ökonomen-Aufruf und die Krise der europäischen Krisenpolitik
Ein
von den Professoren Hans-Werner Sinn und Walter Krämer initiierter und von rund
170 Ökonomen aus dem deutschsprachigen Raum unterzeichneter Aufruf an die
Bürger, der sich gegen die auf dem jüngsten EU-Gipfel nach ihrer Auffassung in
die Wege geleiteten Vergemeinschaftung von Bankschulden richtet, hat hohe
Wellen geschlagen. (1) (2) Auch Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hat die
Gipfelbeschlüsse zeitgleich scharf kritisiert. (3) Seine Kritik entzündet sich
nicht zuletzt an den vagen Formulierungen derselben, die Interpretations- und
Auslegungsspielräume eröffnen.
Die
losgetretene Diskussion behagt Regierungspolitikern offensichtlich nicht.
Die Abwehrreaktion
bestand bisher im Wesentlichen darin, die Vagheit der Gipfelbeschlüsse einfach für
die umgekehrte Argumentation zu nutzen und sie als Beleg dafür zu nehmen, dass
mit einer Bankenunion die Gefahr einer Vergemeinschaftung von Bankenschulden zu
Lasten der Steuerzahler nicht existent sei.
Natürlich
ist sie das nicht – jetzt nicht, weil es sie nicht gibt, die Bankenunion, und
auch noch gar nicht feststeht, wie sie konkret und im Detail ausgestaltet sein
wird. Der Begriff „Bankenunion“ ist eine leer Hülle, die, einmal beschlossen, später
auf unterschiedlichste Weise ausgefüllt und entsprechend der zum Schluss verbliebenen
Spielräume umgesetzt werden kann. Das ist auf europäischer Ebene seit Dekaden
gängige Praxis.
Der
Versuch, mit Erklärungen die real existierenden Nebel um die Euro-Krise und die
Euro-Rettungspolitik aufzulösen und damit den Ökonomen und Bürgern ihre real
existierenden Sorgen zu nehmen, wurde seitens der Euro-Retter in Berlin bisher nicht
unternommen – noch immer nicht. Egal was getan wurde, jeder Schritt und jede
Maßnahme wurde stattdessen schlicht für alternativlos erklärt: nur so und nicht
anders könne die Krise gelöst werden. Doch wie oft schon sind im Zuge der
Schuldenkrise und des Euro-Krisenmanagements gegebene Versprechen und
Haltelinien zu Makulatur geworden? Und was hat es bisher für die
Krisenbewältigung gebracht?
Davon
abgesehen sind Skepsis und Warnungen bezüglich der Bankenunion auch mit Blick
auf das aktuelle Geschehen durchaus angebracht.
Die Bankenunion für eine unhaltbare Welt der Großbanken?
Man
denke etwa an die umfassenden weltweiten Ermittlungen mehrerer Behörden wegen der
Manipulation des Libor-Zinssatzes (Referenzzinssatz für Finanzprodukte im
Volumen von geschätzt 350 000 bis 800 000 Milliarden Dollar (4) (5)),
des Euribor-Zinssatzes (Referenzzins für die Euro-Zone für Finanzprodukte im
Wert von geschätzt 200 000 bis 350 000Milliarden Euro (6) (7)) sowie des
in Tokio festgelegten Tibor-Referenzzinssatzes (8) gegen etwa 20 Großbanken
weltweit. Im Fokus stehen unter anderem: die deswegen bereits mit einer
Rekordstrafe belegte Barclays, Royal Bank of Scotland, HSBC, Bank of America, Citigroup,
JP Morgan Chase, UBS, Credit Suisse, Deutsche Bank, Société Générale, die niederländische
Rabobank, Bank of Tokyo-Mitsubishi UFJ, Sumitomo Mitsu Banking Corp und die Mizuho
Financial Group. (9) (10)
Erstens
sollen Banker ein Kartell gebildet haben, um die Sätze in eine Richtung zu
lenken, die den Wert ihrer eigenen Derivatepositionen steigerte und zweitens Banken
systematisch zu niedrige Zinsen gemeldet haben. Darüber hinaus besteht nun aber
in Großbritannien der Verdacht, dass die Bank of England nicht nur davon
wusste, sondern Banken aktiv zur Manipulation ermutigt haben soll. (11) Demselben
Verdacht ist mittlerweile auch die ehemalige Labour-Regierung Gordon Browns
ausgesetzt. (12) Bundesbankvorstand Andreas Dombret erklärte zudem, das
bestehende Verfahren zur Ermittlung von Referenzzinssätzen wie dem Libor mache
es den Bankern zu leicht, den Zins zu manipulieren. "Es ist insofern
anfällig für Betrug", sagte Dombret. (13) Der britische Notenbank-Präsident
Mervyn King formulierte es weniger zurückhaltend mit den Worten: “the
idea that my word is my Libor is dead.” (14)
Dazu
muss man Folgendes wissen: Sie werden durch Befragung von Banken ermittelt. Für
die tägliche Neube-rechnung etwa des Libor-Satzes für Laufzeiten von bis zu
einem Jahr und für die gängigsten Währungen befragt der britische Bankenverband
BBA seit 1986 achtzehn am Finanzplatz London ansässige Banken (beim Euribor
werden 43 Banken befragt), zu welchem Zins sie sich zuletzt untereinander Geld
geliehen haben. (15) Und was man auch wissen muss, ist: Der Derivatemarkt ist nach
wie vor weitgehend unreguliert und intransparent, obwohl es derivative
Finanzprodukte waren, die die US-Hypothekenkrise und die Finanzmarktkrise nach
der Lehman-Pleite auslösten.
Martin
Wolf, einflussreicher Wirtschaftskolumnist der Financial Times, war Mitglied
der von Sir John Vickers geleiteten unabhängigen Bankenkommission (Independent
Commission on Banking (ICB)), die für die britische Regierung Vorschläge für
eine Reform der Regulierung des heimischen Bankensektors erarbeitete. Er weist
darauf hin, dass die britische Regierung eine ganze Reihe von Regulierungsempfehlungen
verworfen hat – zugunsten der Banken – und zieht bezüglich des Libor-Skandals nun
folgenden Schluss:
Banken, so wie sie gegenwärtig konstituiert sind und gemanagt werden, kann nicht zugetraut werden, entgegen der Interessen des eigenen Personals irgendwelche für die Allgemeinheit wichtigen Funktionen zu erfüllen. Banken sind heute die Inkarnation des bis an die Grenze ausgereizten Profitstrebens, wobei die einzige maßgebliche Frage, die sich deren Führungskräfte dabei stellen, nicht etwa die nach ihrer Pflicht oder Verantwortung ist, sondern wie sie ungestraft davonkommen. (16)
Simon
Johnson, Wirtschaftsprofessor am Massachusetts
Institute of Technology (MIT) und Ex-Chefvolkswirt des Internationalen
Währungsfonds, bietet dafür folgende Erklärung an:
Globale Megabanken haben einen Anreiz ihre Kunden zu täuschen, individuelle Anleger wie auch Unternehmen außerhalb des Finanzsektors. Ihre Größe verleiht ihnen die Marktmacht und auch die politische Macht die notwendig ist, um das zu verbergen bzw. in welchem Ausmaß sie sich dabei auf wirtschaftlichen Betrug einlassen. Und die fehlende Transparenz auf den Derivatemärkten bietet ihnen die Gelegenheit zu betrügen, aber der Missbrauch ist viel weitreichender – wie der Libor-Skandal zeigt. (17)
In Ergänzung
zu Martin Wolfs Charakterisierung der Banken von heute kommt Johnson mit Blick
auf die Zinsmanipulationen zu dem Fazit, „Lüge mehr“ sei zu einem
Geschäftsmodell für Großbanken geworden. (18)
Es
ist keine Frage, dass die Politik entsprechende Freiräume teils bewusst, teils
unbewusst geschaffen und erhalten bzw. bisher kaum spürbar eingeschränkt hat. Es
ist auch keine Frage, dass all dies die Kunden und – eingedenk u. a. der Bankenrettungen
und fortlaufend ergriffener Finanzmarkt-Stabilisierungsmaßnahmen – die
Steuerzahler bereits sehr viel gekostet hat. Ein Ende der Probleme ist aber nicht
in Sicht. Es ist auch kein Lichtblick, dass sich beispielsweise die für den 1. Januar
2013 geplante Einführung der neuen Eigenkapitalregeln für Banken in der
Europäischen Union gerade deswegen verzögert, weil sich der Ministerrat, also
die Finanz-minister der nationalen Regierungen, unter anderem gegen die vom an
der Gesetzgebung beteiligten Europä-ischen Parlament geforderte Verschärfung der
Liquiditätsanforderungen an Banken und auch gegen die gewünschte Deckelung der Bankmanager-Vergütungen
(Boni sollen künftig das Fixgehalt nicht überschreiten) sperrt. (19)
Nur
zur Erinnerung: Die neuen Eigenkapitalregeln, die die Independent Commission on
Banking (ICB) der britischen Regierung vorgeschlagen hat, gehen weit über Basel
III hinaus. Allerdings hat die Regierung diese Vorschläge, wie oben
angesprochen, wieder aufgeweicht. Auch die Schweiz hat für die heimischen
Institute Eigenkapitalregeln formuliert, die weit über Basel III hinausgehen. Sie
wurden bereits verabschiedet.
Es
ist angesichts der bei den Regierungen aktuell immer noch nur gering
ausgeprägten Bereitschaft, die europäischen Banken stärker zu regulieren,
durchaus Skepsis angebracht, ob dies bei den Verhandlungen über die konkrete Ausgestaltung
der Bankenunion anders sein wird.
Erklärungskrise und Erklärungsnot
Was
ist Euro-Rettung, was Bankenrettung, was muss unternommen werden, wohin soll
die Reise gehen, wo können Maßnahmen wirksam ansetzen, welche Alternativen gibt
es, was ist der Preis dafür?
All
das ist nicht klar und noch viel weniger klar wird kommuniziert. Es ist kein
Wunder, dass Ökonomen warnen und viele Bürger besorgt sind. Alles für
alternativlos und notwendig zu erklären, zu beschwichtigen und eine breitere kritische
Auseinandersetzung zu unterdrücken, bis sich am Ende das
Bundesverfassungsgericht damit befasst, ist eine Informationsstrategie die
nicht mehr aufgeht, weil wahrgenommen wird wie sich die Wirtschaftslage und die
Krise in Europa verschärfen.
Insofern
ist es konsequent und gut, dass Bundespräsident Joachim Gauck jetzt den Finger
in die Wunde legt und die Bundeskanzlerin aufruft – nach mehr als zwei Jahren der
intransparenten Verwaltung und transparenten Verschärfung der Euro-Schuldenkrise
– den Bürgern die Euro-Rettung in sämtlichen Einzelheiten besser zu erklären
und ihnen sehr offen zu sagen, was eigentlich passiert. „Sie habe nun die
Verpflichtung, sehr detailliert zu beschreiben, was das bedeutet, auch
fiskalisch bedeutet“, ließ sich der Bundespräsident zitieren. (20) Er dachte
dabei insbesondere an den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), den das
Bundesverfassungs-gericht prüft.
Bundestagspräsident
Norbert Lammert hat hingegen in Reaktion auf den von den Professoren Sinn und
Krämer initiierten Ökonomen-Aufruf noch eine neue Argumentationslinie aufgemacht,
indem er den Spieß umdreht und betont, dass das Erklären zunächst Sache der
Ökonomen sei und diese sich in der Krise für die Politik als nicht hilfreich erwiesen
hätten. Denkt man an die Sprach- und Ratlosigkeit der Ökonomen in der Hochphase
der Finanzmarktkrise nach der Lehman-Pleite, dann ist dies evident. Doch der
Bundestagspräsident meint noch etwas anderes. "Von allen denkbaren Verfahren in der Bewältigung dieser Krise in
den vergangenen Monaten ist das am wenigsten taugliche die Umsetzung von Expertenempfehlungen
gewesen", sagte er. Zu jeder denkbaren Option hätten sich Fachleute
zwar geäußert. Es gebe aber zu keiner einzigen relevanten Frage eine gemeinsame
Expertenmeinung. "Würden sich darauf
politische Entscheidungsinstanzen verlassen wollen, würden sie damit ihre
Entscheidungsunfähigkeit zu Protokoll geben." (21)
Nun
ja, wenn die Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise etwas deutlich gemacht hat,
dann sind das die enormen Schwächen der führenden ökonomischen Lehren, Theorien
und Modelle. Anders ausgedrückt ist die zur Schau getragene Exaktheit der
Wirtschaftswissenschaft, dieses mit viel Mathematik gepflegte Image der Zunft,
in Trümmer aufgegangen. Tatsächlich hat es aber immer nur konkurrierende
Theorien gegeben. Es hat sich nie eine als die einzig richtige, wahre erwiesen.
Alle sind unvollkommen und weisen mehr oder weniger gravierende Schwächen auf.
Es
ist aus diesem Grund schwer zu verstehen, warum Herr Lammert, der als
promovierter Sozialwissenschaftler und Honorarprofessor an der Universität
Bochum lehrt und somit eine große Nähe zur Wissenschaft hat, beklagt, dass die
Ökonomen sich in die Krise und deren Bewältigung betreffenden Fragen nie
einigen können. Denn das liegt in der Natur der Sache. Zu keiner Zeit war die
Politik von der Aufgabe und der Verantwortung entbunden, selbst entscheiden zu
müssen, welchem ökonomischen Rat sie folgen will. Es ist also möglicherweise
gerade ein Zeichen von Entscheidungsunfähigkeit der Politik, es den Ökonomen
zum Vorwurf zu machen, sich nicht auf die eine richtige Antwort verständigen zu
können – die die Politiker auf alle ihre Fragen zur Krise verständlicherweise
gerne hätte.
Es
scheint fast so, als seien die Politiker bequem geworden und unwillig sich mit
der Tatsache zu arrangieren, dass die alten ökonomischen Ratgeber ihnen jetzt
nicht mehr oder nur noch sehr bedingt helfen können oder besser gesagt nicht
mehr zu einer erfolgreichen Politik
verhelfen zu können. Das war mal anders. Ob die Politik deswegen nun einfach ganz
auf ökonomischen Rat verzichtet oder sich doch auf die Suche und Auslese von möglicherweise
neuen Ratgebern und Ratschlägen macht, stellt an die Politiker die gleiche
Anforderung: Sie müssen in beiden Fällen selbst über genügend Sachverstand
verfügen. Nur dann werden sie – ob mit oder ohne Ratgeber – ihre politische
Aufgabe in der Krise gut erfüllen können.
Vor
dem Hintergrund der Äußerungen des Bundestagspräsidenten wird es deswegen spannend
sein, ob und wenn ja, wie die Bundeskanzlerin auf die Mahnung des
Bundespräsidenten und einen gegebenenfalls weiter ansteigenden öffentlichen
sowie bundesverfassungsgerichtlichen Druck reagieren und wie sie die Euro-Krise
und die Euro-Rettung erklären wird.
Die Ähnlichkeit des derzeitigen Euro-Theaters zum Stück „Biedermann und die Brandstifter“ könnte treffender nicht sein. Hektoliter um Hektoliter Benzin werden gerade vor unser aller Augen von Regierungspolitikern und Bankstern auf den Dachboden des Europa-Hauses geschafft und der Hausherr, der Souverän, das Volk geht hin und sagt:
AntwortenLöschen„Nein, nein, das ist kein Benzin, das ist nur Haarwasser!“
Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man sogar darüber lachen.
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