„2 x
3 macht 4
Widdewiddewitt und Drei macht Neune !!
Ich mach' mir die Welt
Widdewidde wie sie mir gefällt ....“
Widdewiddewitt und Drei macht Neune !!
Ich mach' mir die Welt
Widdewidde wie sie mir gefällt ....“
Wer kennt sie nicht, diese Textzeile aus
dem Lied von Pippi Langstrumpf, der Kinderroman-Figur Astrid Lindgrens?
Mario Draghi, der Präsident der
Europäischen Zentralbank hat gestern bewiesen, dass er das Lied nicht nur kennt,
sondern es auch in der Praxis anzuwenden weiß. Anders ist es nicht zu erklären,
dass er nach der EZB-Ratssitzung in Ljubljana gegenüber der Presse und den
Medien Spaniens Reformkurs lobte und der Regierung Mariano Rajoys bescheinigte,
es seien „bedeutende Fortschritte gemacht“ worden. (1)
Fortschritte!?
Im September war zudem die Arbeitslosigkeit
in Spanien weiter gestiegen. Rund 4,7 Millionen Menschen in Spanien sind inzwischen
arbeitslos gemeldet (5) – trotz umfassender Arbeitsmarktreformen (6). Das
entspricht einer Arbeitslosenquote von über 25 Prozent. Es ist die höchste
Quote des Landes seit drei Jahrzehnten und zugleich die höchste in der gesamten
Europäischen Union. (7) Die Jugendarbeitslosigkeit (unter 25 Jahren) liegt sogar
bei über 50 Prozent.
Aufgrund der bedeutend schlechteren
Notenbankprognose für die Entwicklung der Wirtschaft rechnet Linde damit, dass die
Steuereinnahmen geringer ausfallen und die Staatsverschuldung stärker steigen
könnte als von der Regierung erwartet. (8)
Dabei lag das Defizit der Zentralregierung
nach den ersten acht Monaten dieses Jahres bereits bei 50,1 Milliarden Euro
bzw. 4,77 Prozent des BIP. Das sind satte 23,8 Prozent mehr als im
entsprechenden Vorjahreszeitraum und schon jetzt deutlich mehr als die für das
gesamte Jahr 2012 mit der Europäischen Kommission vereinbarten 4,5 Prozent des
BIP. (9)
Und dies alles ist vor dem Hintergrund der
Tatsache zu sehen, dass die spanische Regierung jetzt bereits das fünfte Paket
mit austeritätspolitischen Maßnahmen innerhalb von nur zehn Monaten beschlossen
hat (10) und es deswegen immer wieder zu Massenprotesten und zum Teil auch
gewaltsamen Ausschreitungen kommt.
Dieses Bild ist kein Einzelfall.
In Griechenland und Portugal geschieht
dasselbe und nicht nur dort, sondern überall in der Europäischen Union, wo die
Schuldenkrise mit Austeritätspolitik zu bekämpfen versucht wird.
Spanien wird dies nicht mehr lange ohne
Finanzhilfen durchstehen können. Jeder weiß das.
Das würde jedoch bedeuten, dass der Sparkurs
noch weiter verschärft wird. Denn sobald das Land Hilfen aus dem Europäischen
Rettungsfonds (ESM) in Anspruch nimmt, müsste es sich den Sparauflagen der
sogenannten Troika (Internationaler Währungsfonds, Europäische Kommission und
EZB) unterwerfen. Spanien hat das aus Furcht vor weitreichenden Eingriffen in
seine Hoheitsrechte abgelehnt. Dies ist allerdings ebenso die Voraus-setzung
dafür, dass die EZB Staatsanleihen des Landes am Sekundärmarkt, das heißt von
den Gläubigern, aufkauft, um so die Zinsen zu drücken, die Spanien bieten muss,
um seine Anleihen am Markt platzieren zu können.
Spanien hat sich folglich in eine klassische
Zwickmühle manövriert, aus der es praktisch kaum mehr einen Ausweg gibt.
Dass die EZB ihre höchst umstrittene Unterstützung
von Schuldenstaaten, die unter der hohen Zinslast zusam-menzubrechen drohen, vom
Einverständnis zur Unterwerfung unter das Sparkonzept der Troika abhängig macht,
ist eine „friss Vogel oder stirb“-Politik und, was noch wichtiger ist, es ist keine Geldpolitik mehr, liegt insofern also
jenseits ihres eigentlichen Auftrags. Die EZB ist damit – aus der Not
respektive der Entscheidungsunfähigkeit der Euro-Gruppe heraus geboren – faktisch
zu einer echten politischen Institution geworden, die über den Regie-rungen der
Nationalstaaten steht und ihnen politische Vorgaben macht.
Mario Draghi hat gestern die Sorgen Spaniens
vor der „Zusammenarbeit“ mit der Troika zu zerstreuen versucht. Er tat es auf
eine Weise, die nichts mehr gemein hat mit der freundlichen Fantasiewelt der Pippi-Langstrumpf,
sondern surreal wirkt und einen düsteren Schatten auf die Zukunft ganz Europas
wirft:
"Die Bedingungen müssen nicht
zwingend eine Strafe darstellen." Viele Auflagen hätten mit
Strukturreformen zu tun, die letztlich soziale Vorteile brächten. (11)
Soziale Vorteile!?
Die Austeritätspolitik von Heinrich
Brüning führte nicht nur die Wirtschaft Deutschlands in eine Abwärtsspirale und
zerstörte den sozialen Frieden. Sie beschleunigte auch den Niedergang der parlamentarischen
Demokratie. Die bisherige Entwicklung in den Krisenstaaten Europas war insofern
vorhersehbar, die weitere ist absehbar. Bisher ist kein maßgeblicher
Entscheider bereit, dies einzugestehen und wenigstens ernsthaft über einen
Kurswechsel zu diskutieren. Im Gegenteil hat die Politik diesseits und jenseits
des Atlantiks immer wieder Verantwortung für in ihrem Zuständigkeitsbereich
liegende aktive Krisenpolitik den Notenbanken zugeschoben, die sich damit
mittlerweile arrangiert zu haben scheinen – siehe EZB, einschließlich Troika.
Wird Europa also faktisch nicht schon von
einer Technokraten-Regierung gelenkt?
Das kann man so noch nicht eindeutig
bejahen, aber es gibt diese Tendenz. Das Selbstbewusstsein, mit dem der
EZB-Präsident den von der Troika und damit auch von der EZB ausgehenden Druck
auf Regierungen in den immer zahlreicher werdenden europäischen Schuldenstaaten,
Austeritätspolitik zu betreiben, in beschönigende, aber realitätsferne Worte
kleidete, ist folglich absolut nachvollziehbar.
Wir sollten uns jedoch darüber im Klaren
sein, dass der austeritätspolitische Kurs gefährlich ist, weil er die europäische
Realität in einer Weise verändern wird, die – wie die Massenproteste in
Schuldenstaaten und die Tendenz, die Krisenpolitik Technokraten zu überlassen, erahnen
lassen – gesamtgesellschaftlich und auch gesamtwirtschaftlich nicht wünschenswert
sein kann.
Dies hinzunehmen oder gar zu befürworten,
weil man (noch) nicht negativ betroffen ist, wäre ein unverzeihlicher Fehler
und ebenfalls eine Wiederholung der Geschichte. Wir leben keinen Kinderroman.
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