Dienstag, 16. Oktober 2012

Portugal spart sich auf Griechenlandkurs: Europas Austeritätskonzept – just another kind of war

Europa hat den Friedensnobelpreis erhalten – gestern hat Portugals Regierung ihre neuen drastischen Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen verkündet. Portugal befindet sich damit endgültig in derselben Abwärtsspirale wie Griechenland, obwohl das Land anders als die Griechen keine ineffektiven Verwaltungs-strukturen und kein Korruptionsproblem hat und bis zur Krise auch kein Staatsschuldenproblem.

Die Regierung nennt das mit dem Haushalt für das Jahr 2013 verknüpfte Sparpaket gerecht, weil die Steuerer-höhungen alle Einkommensklassen treffen. Insbesondere Folgendes sieht der Haushaltsplan vor: (1) (2)
In der Einkommensklasse von 7.000 bis 20.000 Euro im Jahr wird der bisherige Steuersatz zum 1. Januar 2013 von 24,5 auf 28,5 Prozent angehoben. Für Einkommen ab 41.000 Euro p.a. erhöht er sich von 35,5 auf 45 Prozent. Der bisherige Spitzensteuersatz von 46,5 Prozent wird auf 48 Prozent angehoben und gilt nicht mehr für Einkommen ab 153.000 Euro p.a., sondern bereits ab 80.000 Euro Jahreseinkommen. Es wird aber auch eine Finanztransaktionssteuer eingeführt.
4,3 Milliarden Euro sollen dadurch insgesamt zusätzlich in die Kassen des Staates gespült werden. Im Mittel steigt der Einkommensteuersatz um ein Drittel. Für einen durchschnittlichen Arbeiter können sich die Steuer-erhöhungen auf bis zu drei Monatsgehälter summieren.
Insgesamt 2,7 Milliarden sollen zudem durch Ausgabenkürzungen eingespart werden. Dazu gehören u.a. Renten-kürzungen, Einsparungen im Bildungs- und Gesundheitssektor sowie Kürzungen bei den Zuschüssen für private Autobahnbetreiber. Zwei Prozent der 600.000 Beschäftigten im öffentlichen Dienst sollen entlassen werden.
Die Gesamtheit der Maßnahmen belastet den Mittelstand am stärksten und dürfte, so wird berichtet, viele Portugiesen an die Armutsgrenze führen.
Portugal ist nicht Griechenland, aber es erhält dieselbe Medizin mit exakt derselben Wirkung. Wer kann das jetzt noch bezweifeln?
Der Volkszorn in Portugal kocht. Die Wut auf die Regierung, die das Land sichtbar für jeden immer tiefer in die Krise und immer mehr Menschen in Arbeitslosigkeit und Armut treibt, wächst. Die Regierung zieht sich auf den Standpunkt zurück, die Maßnahmen seien notwendig und alternativlos, um die Auflagen der Troika für die Inanspruchnahme der Finanzhilfen zu erfüllen. Jede Regierung, die in den letzten fast drei Jahren in Griechenland amtierte, hatte austeritätspolitische Maßnahmen stets in derselben Weise begründet. Immer wurde und wird dabei in Aussicht gestellt, die Maßnahmen würden den Haushalt wieder in Ordnung und das Land wieder auf Wachstumskurs bringen.
Doch egal wohin man auch schaut geschieht infolgedessen exakt das Gegenteil.
Die Antwort der damit konfrontierten Befürworter des austeritätspolitischen Kurses, also der wirtschaftsliberalen Vertreter, ist dieselbe, die sie schon in der ersten Weltwirtschaftskrise stets gegeben haben, wenn sie mit den negativen Folgen dieser Politik konfrontiert wurden. Es ist die Versicherung, dass die Maßnahmen am Ende den gewünschten Erfolg bringen werden. Sie gründet jedoch auf nichts anderem als dem festen Glauben an die Selbstregulierungskräfte der von allen „negativen“ staatlichen Beeinflussungen und Lasten „befreiten“ Märkte, den John M. Keynes einst mit dem zynischen Ausspruch „In the long run we are all dead“ kommentierte.
Die von Heinrich Brüning zu Beginn der 30er Jahre ebenso hart wie jetzt von der griechischen, der portugiesischen und spanischen Regierung durchgesetzte Austeritätspolitik führte die Weimarer Republik in ein wirtschaftliches, soziales, politisches und gesellschaftliches Chaos, das erst infolge eines fatalen Machtwechsels beendet wurde. Die Illusion einer ebenso effektiven wie vernünftigen Krisenpolitik hielt nur bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs.
Was haben wir daraus gelernt?
Die Regierungen der Europäischen Union, die EZB und der Internationale Währungsfonds zwingen, wie drei Jahre nach Beginn der Griechenlandkrise längst klar geworden ist, immer mehr Schuldenstaaten auf einen austeritäts-politischen Kurs. Die Entwicklung weist bisher sehr deutlich in Richtung einer wirtschaftlichen, sozialen und politischen Tragödie, die gleichbedeutend mit finanzieller Abhängigkeit ist.
Bis zu diesem Punkt drängen sich Vergleiche mit der Weimarer Republik auf, aber hier hören die Vergleichs-möglichkeiten auch auf.
Der weitere Verlauf der Entwicklung bei Beibehaltung des austeritätspolitischen Kurses wird schon deswegen keine Wiederholung der Geschichte sein, weil es dieses Mal um eine Union von miteinander ver- und in die globale Wirtschaft eingebundenen Staaten geht. Allerdings ist es schon ein alarmierendes Zeichen, dass das mit der Vergabe des Friedensnobelpreises betraute Gremium die Europäer jetzt mit der Auszeichnung daran erinnerte, dass die Europäische Gemeinschaft insbesondere aus Gründen der wirksamen und dauerhaften Befriedung des Kontinents geschaffen wurde. Der Schlüssel dazu waren gemeinsame wirtschaftliche Vorteile.
Niemand wird in Europa heute einen Krieg vom Zaun brechen wollen, um die finanziellen und wirtschaftlichen Probleme zu lösen. Doch der eingeschlagene austeritätspolitische Weg könnte, wenn er – anders als in der Weimarer Republik – weiter beschritten wird, am Ende nicht weniger verheerende Wirkungen entfalten. Vielleicht werden wir ex post einmal sagen müssen, dass es nur ein von Europa gegen sich selbst geführter Krieg mit anderen Mitteln war. Wir wissen es nicht genau.
Was wir indes heute wissen müssten, ist, dass wahr ist, was Keynes schon vor etwa 80 Jahren mit seinem berühmt gewordenen Ausspruch bezüglich des wirtschaftsliberalen Vertrauens auf eine die Selbstregulierungs-kräfte der Märkte stützende Angebotspolitik auf den Punkt brachte: Auf lange Sicht sind wir alle tot.
Die Europäische Integration wurde immer vom Wunsch der Realisierung wirtschaftlicher Vorteile angetrieben. Das war und ist der Kitt, der Europa zusammenhält. Deswegen wurde der Binnenmarkt realisiert und auch die Währungsunion. Deswegen wollten neue Mitgliedstaaten der Union beitreten und deswegen wurden sie aufge-nommen. Was hält Europa noch „am Leben“, wenn die wirtschaftlichen Vorteile, die es seinen Mitgliedern geboten hat, nicht mehr realisierbar sind?
Europa ist die wirtschaftliche Erfolgsstory abhandengekommen und nun beschleunigt es seine wirtschaftliche Abwärtsspirale im blinden Vertrauen auf etwas, das es nicht gibt. Die verbreitete Verwendung des Begriffs „Euro-Retter“ ist ein Zeichen dafür, wie umfassend die Verkennung der Realitäten tatsächlich ist.

1 Kommentar:

  1. @SLE

    Sie schreiben: /"Vielleicht werden wir ex post einmal sagen müssen, dass es nur ein von Europa gegen sich selbst geführter Krieg mit anderen Mitteln war. Wir wissen es nicht genau."/

    Wie wahr. Lesen wir bei Jenner nach:

    /"30 Jahre danach [nach WK II] war das frühere Leid so gut wie vergessen. Die selbst auferlegten Regeln [Montanunion Schuman/Adenauer] behielt man nur bei, soweit sie geeignet waren, günstige Entwicklungen zu fördern. In diesem Sinne wurde die ursprüngliche enge Verschmelzung der Rohstoffbasis in der Montanunion weiter ausgebaut. Draus ging die zunehmend intensive
    wirtschaftliche Zusammenarbeit in der EG hervor, die schließlich in der Europäischen Union kulminierte. Leider blieb es nicht aus, dass dieser Weg schließlich mit einer Art von blindwütigem Eifer verfolgt worden ist. So wurden gewaltige Bürokratien geschaffen [...]. Dennoch reicht derartige bürokratische Fehlentwicklung nicht aus, um das europäische Projekt ernsthaft zu
    diskreditieren.

    Diese Gefahr geht von einer anderen Seite aus, nämlich unserer mangelhaften Lernfähigkeit. Damals hatte man sich nicht allein darum bemüht, die für das friedliche Zusammenleben günstigen Faktoren zu fördern; aus leidvoller Erfahrung hatte man auch verstanden, wie wichtig es war, negative Faktoren nach Möglichkeit auszuschalten. Leider wurde diese zweite Einsicht nicht weniger schnell vergessen als die Lehren aus Tschernobyl. Alle Mitgliedsstaaten der Union, zum Teil selbst größere Regionen, bauen heute ihre eigenen externen Wirtschaftsbeziehungen auf, sei es zu den USA, zu China, Indien usw. Sie tun dies in direkter Konkurrenz zu den übrigen Staaten der Union. Konkurrenz bedeutet konkret, dass jedes Mitgliedsland seine
    bsonderen Lohn- und Umweltstandards, sein Steuer- und Sozialsystem auf Kosten der anderen manipuliert, um Vorteile für sich zu gewinnen. Genau dieses Vorgehen war schon in der Vergangenheit eine der wesentlichen Ursachen für Konflikte.

    Der Rückfall in die innere Konfrontation kommt nicht überraschend. Er war vorauszusehen weil die Vereinigung Europas nur auf ökonomischer und nicht zugleich auch auf politischer Ebene erfolgte. Konkurrenz war eben immer schon eine Form des Kampfes. Ihre positiven, belebenden Auswirkungen sind nur dann zu beherrschen und zu bewahren, wenn man die negativen innerhalb einer politischen Einheit zu bändigen vermag. [...]"/ Jenner, Von der Krise ins Chaos, 147ff (ISBN 978-3-85436-429-0)

    Kommentar von Helmut Höft
    - er wurde mir per E-Mail mit der Bitte um Veröffentlichung zugesandt; SLE, 20.10.2012)

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