Europa hat den Friedensnobelpreis erhalten
– gestern hat Portugals Regierung ihre neuen drastischen Sparmaßnahmen und
Steuererhöhungen verkündet. Portugal befindet sich damit endgültig in derselben
Abwärtsspirale wie Griechenland, obwohl das Land anders als die Griechen keine
ineffektiven Verwaltungs-strukturen und kein Korruptionsproblem hat und bis zur Krise
auch kein Staatsschuldenproblem.
Die Regierung nennt das mit dem Haushalt
für das Jahr 2013 verknüpfte Sparpaket gerecht, weil die Steuerer-höhungen alle
Einkommensklassen treffen. Insbesondere Folgendes sieht der Haushaltsplan vor: (1)
(2)
In der Einkommensklasse von 7.000 bis
20.000 Euro im Jahr wird der bisherige Steuersatz zum 1. Januar 2013 von
24,5 auf 28,5 Prozent angehoben. Für Einkommen ab 41.000 Euro p.a. erhöht er
sich von 35,5 auf 45 Prozent. Der bisherige Spitzensteuersatz von 46,5 Prozent
wird auf 48 Prozent angehoben und gilt nicht mehr für Einkommen ab 153.000 Euro
p.a., sondern bereits ab 80.000 Euro Jahreseinkommen. Es wird aber auch eine
Finanztransaktionssteuer eingeführt.
4,3 Milliarden Euro sollen dadurch
insgesamt zusätzlich in die Kassen des Staates gespült werden. Im Mittel steigt
der Einkommensteuersatz um ein Drittel. Für einen durchschnittlichen Arbeiter
können sich die Steuer-erhöhungen auf bis zu drei Monatsgehälter summieren.
Insgesamt 2,7 Milliarden sollen zudem durch
Ausgabenkürzungen eingespart werden. Dazu gehören u.a. Renten-kürzungen,
Einsparungen im Bildungs- und Gesundheitssektor sowie Kürzungen bei den
Zuschüssen für private Autobahnbetreiber. Zwei Prozent der 600.000 Beschäftigten
im öffentlichen Dienst sollen entlassen werden.
Die Gesamtheit der Maßnahmen belastet den
Mittelstand am stärksten und dürfte, so wird berichtet, viele Portugiesen an
die Armutsgrenze führen.
Portugal ist nicht Griechenland, aber es
erhält dieselbe Medizin mit exakt derselben Wirkung. Wer kann das jetzt noch
bezweifeln?
Der Volkszorn in Portugal kocht. Die Wut
auf die Regierung, die das Land sichtbar für jeden immer tiefer in die Krise
und immer mehr Menschen in Arbeitslosigkeit und Armut treibt, wächst. Die Regierung
zieht sich auf den Standpunkt zurück, die Maßnahmen seien notwendig und
alternativlos, um die Auflagen der Troika für die Inanspruchnahme der
Finanzhilfen zu erfüllen. Jede Regierung, die in den letzten fast drei Jahren
in Griechenland amtierte, hatte austeritätspolitische Maßnahmen stets in
derselben Weise begründet. Immer wurde und wird dabei in Aussicht gestellt, die
Maßnahmen würden den Haushalt wieder in Ordnung und das Land wieder auf Wachstumskurs
bringen.
Doch egal wohin man auch schaut geschieht
infolgedessen exakt das Gegenteil.
Die Antwort der damit konfrontierten Befürworter
des austeritätspolitischen Kurses, also der wirtschaftsliberalen Vertreter, ist
dieselbe, die sie schon in der ersten Weltwirtschaftskrise stets gegeben haben,
wenn sie mit den negativen Folgen dieser Politik konfrontiert wurden. Es ist die
Versicherung, dass die Maßnahmen am Ende den gewünschten Erfolg bringen werden.
Sie gründet jedoch auf nichts anderem als dem festen Glauben an die
Selbstregulierungskräfte der von allen „negativen“ staatlichen Beeinflussungen
und Lasten „befreiten“ Märkte, den John M. Keynes einst mit dem zynischen Ausspruch
„In the long run we are all dead“ kommentierte.
Die von Heinrich Brüning zu Beginn der
30er Jahre ebenso hart wie jetzt von der griechischen, der portugiesischen und
spanischen Regierung durchgesetzte Austeritätspolitik führte die Weimarer Republik
in ein wirtschaftliches, soziales, politisches und gesellschaftliches Chaos,
das erst infolge eines fatalen Machtwechsels beendet wurde. Die Illusion einer
ebenso effektiven wie vernünftigen Krisenpolitik hielt nur bis zum Beginn des
Zweiten Weltkriegs.
Was haben wir daraus gelernt?
Die Regierungen der Europäischen Union,
die EZB und der Internationale Währungsfonds zwingen, wie drei Jahre nach
Beginn der Griechenlandkrise längst klar geworden ist, immer mehr
Schuldenstaaten auf einen austeritäts-politischen Kurs. Die Entwicklung weist bisher
sehr deutlich in Richtung einer wirtschaftlichen, sozialen und politischen Tragödie,
die gleichbedeutend mit finanzieller Abhängigkeit ist.
Bis zu diesem Punkt drängen sich Vergleiche
mit der Weimarer Republik auf, aber hier hören die Vergleichs-möglichkeiten auch
auf.
Der weitere Verlauf der Entwicklung bei
Beibehaltung des austeritätspolitischen Kurses wird schon deswegen keine
Wiederholung der Geschichte sein, weil es dieses Mal um eine Union von
miteinander ver- und in die globale Wirtschaft eingebundenen Staaten geht. Allerdings
ist es schon ein alarmierendes Zeichen, dass das mit der Vergabe des
Friedensnobelpreises betraute Gremium die Europäer jetzt mit der Auszeichnung
daran erinnerte, dass die Europäische Gemeinschaft insbesondere aus Gründen der
wirksamen und dauerhaften Befriedung des Kontinents geschaffen wurde. Der
Schlüssel dazu waren gemeinsame wirtschaftliche Vorteile.
Niemand wird in Europa heute einen Krieg
vom Zaun brechen wollen, um die finanziellen und wirtschaftlichen Probleme zu
lösen. Doch der eingeschlagene austeritätspolitische Weg könnte, wenn er – anders
als in der Weimarer Republik – weiter beschritten wird, am Ende nicht weniger
verheerende Wirkungen entfalten. Vielleicht werden wir ex post einmal sagen
müssen, dass es nur ein von Europa gegen sich selbst geführter Krieg mit
anderen Mitteln war. Wir wissen es nicht genau.
Was wir indes heute wissen müssten, ist, dass
wahr ist, was Keynes schon vor etwa 80 Jahren mit seinem berühmt gewordenen Ausspruch
bezüglich des wirtschaftsliberalen Vertrauens auf eine die
Selbstregulierungs-kräfte der Märkte stützende Angebotspolitik auf den Punkt
brachte: Auf lange Sicht sind wir alle tot.
Die Europäische Integration wurde immer
vom Wunsch der Realisierung wirtschaftlicher Vorteile angetrieben. Das war und
ist der Kitt, der Europa zusammenhält. Deswegen wurde der Binnenmarkt
realisiert und auch die Währungsunion. Deswegen wollten neue Mitgliedstaaten der
Union beitreten und deswegen wurden sie aufge-nommen. Was hält Europa noch „am
Leben“, wenn die wirtschaftlichen Vorteile, die es seinen Mitgliedern geboten
hat, nicht mehr realisierbar sind?
Europa ist die wirtschaftliche
Erfolgsstory abhandengekommen und nun beschleunigt es seine wirtschaftliche
Abwärtsspirale im blinden Vertrauen auf etwas, das es nicht gibt. Die verbreitete
Verwendung des Begriffs „Euro-Retter“ ist ein Zeichen dafür, wie umfassend die
Verkennung der Realitäten tatsächlich ist.
@SLE
AntwortenLöschenSie schreiben: /"Vielleicht werden wir ex post einmal sagen müssen, dass es nur ein von Europa gegen sich selbst geführter Krieg mit anderen Mitteln war. Wir wissen es nicht genau."/
Wie wahr. Lesen wir bei Jenner nach:
/"30 Jahre danach [nach WK II] war das frühere Leid so gut wie vergessen. Die selbst auferlegten Regeln [Montanunion Schuman/Adenauer] behielt man nur bei, soweit sie geeignet waren, günstige Entwicklungen zu fördern. In diesem Sinne wurde die ursprüngliche enge Verschmelzung der Rohstoffbasis in der Montanunion weiter ausgebaut. Draus ging die zunehmend intensive
wirtschaftliche Zusammenarbeit in der EG hervor, die schließlich in der Europäischen Union kulminierte. Leider blieb es nicht aus, dass dieser Weg schließlich mit einer Art von blindwütigem Eifer verfolgt worden ist. So wurden gewaltige Bürokratien geschaffen [...]. Dennoch reicht derartige bürokratische Fehlentwicklung nicht aus, um das europäische Projekt ernsthaft zu
diskreditieren.
Diese Gefahr geht von einer anderen Seite aus, nämlich unserer mangelhaften Lernfähigkeit. Damals hatte man sich nicht allein darum bemüht, die für das friedliche Zusammenleben günstigen Faktoren zu fördern; aus leidvoller Erfahrung hatte man auch verstanden, wie wichtig es war, negative Faktoren nach Möglichkeit auszuschalten. Leider wurde diese zweite Einsicht nicht weniger schnell vergessen als die Lehren aus Tschernobyl. Alle Mitgliedsstaaten der Union, zum Teil selbst größere Regionen, bauen heute ihre eigenen externen Wirtschaftsbeziehungen auf, sei es zu den USA, zu China, Indien usw. Sie tun dies in direkter Konkurrenz zu den übrigen Staaten der Union. Konkurrenz bedeutet konkret, dass jedes Mitgliedsland seine
bsonderen Lohn- und Umweltstandards, sein Steuer- und Sozialsystem auf Kosten der anderen manipuliert, um Vorteile für sich zu gewinnen. Genau dieses Vorgehen war schon in der Vergangenheit eine der wesentlichen Ursachen für Konflikte.
Der Rückfall in die innere Konfrontation kommt nicht überraschend. Er war vorauszusehen weil die Vereinigung Europas nur auf ökonomischer und nicht zugleich auch auf politischer Ebene erfolgte. Konkurrenz war eben immer schon eine Form des Kampfes. Ihre positiven, belebenden Auswirkungen sind nur dann zu beherrschen und zu bewahren, wenn man die negativen innerhalb einer politischen Einheit zu bändigen vermag. [...]"/ Jenner, Von der Krise ins Chaos, 147ff (ISBN 978-3-85436-429-0)
Kommentar von Helmut Höft
- er wurde mir per E-Mail mit der Bitte um Veröffentlichung zugesandt; SLE, 20.10.2012)