Donnerstag, 11. Oktober 2012

S&P stuft Spanien herab: Eine redlich verdiente Ohrfeige

Es ist geradezu lächerlich, das Bild, das die Europäer bei der Krisenbekämpfung abgeben:
  • Da verkündet der spanische Regierungschef Mariano Rajoy die fünfte Runde von austeritätspolitischen Maßnahmen und begründet diese mit seinem festen Glauben an den Erfolg seiner Politik. Der Präsident der EZB, Mario Draghi, assistiert, er sehe in Spanien bedeutende Fortschritte und lobt die spanische Regierung für ihre Maßnahmen. Auch die Euro-Gruppe feiert sich für ihre Rettungsmaß-nahmen respektive für die immer höher aufgetürmten finanziellen Risiken für die Steuerzahler und für den austeritätspolitischen Kurs, auf den sie die Schuldenstaaten schickt und der Europa nach ihrer Überzeugung gesunden wird.
  • Gleichzeitig verschärft sich die Talfahrt der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes in den entsprechenden Krisenstaaten und diese entfernen sich sukzessive weiter von ihren Wachstums- und Defizitzielen – nicht zuletzt zu beobachten in Spanien. Auch die Wirtschaftsprognosen für Deutschland verdüstern sich.
  • Euro-Gruppe und Troika quittieren dies abwechselnd mit der Verstärkung des Drucks auf die Regierungen, ihre Sparziele zu erfüllen sowie weitere Sparanstrengungen zu unternehmen – unter Androhung des Stopps finanzieller Hilfen oder des Rauswurfs aus dem Euro – und Beteuerungen der Solidarität, der Versicherung weiterer Hilfen und des Haltens im Euro um jeden Preis.
Ausgerechnet eine der großen US-Ratingagenturen, die von vielen Politikern in Europa gerne als Brandbe-schleuniger der Euro-Krise kritisiert werden, hat heute mit der Herabstufung von Spaniens Kreditwürdigkeit um zwei Stufen auf BBB- den Euro-Rettern den Spiegel vorgehalten und die europäische Krisenpolitik nüchtern und knapp als das entschleiert, was sie nicht sein soll, aber bisher de facto ist: ein großes, teures und ineffektives krisenpolitisches Theater.
Das ist schon beinahe auf tragische Weise komisch. Denn als Gründe für die Herabstufung Spaniens nannte Standard & Poor´s genau das, was Spanien und die Euro-Retter mit ihrer Krisenpolitik zu verhindern glauben: die verschärfte Rezession, die sich wegen der steigenden Arbeitslosigkeit und Ausgabenzwängen voraussichtlich verstärkenden Spannungen zwischen der Zentralregierung und den Regionen, die weiter schwelende spanische Bankenkrise und die fehlende Richtung der Politik in der Euro-Zone. (1) Das ist für die spanische Regierung und für die Euro-Retter peinlich, aber wahr.
Es trifft aber nicht allein für die Europäer zu. Das Bild, das beispielsweise der Internationale Währungsfonds (IWF) abgibt, ist auch nicht besser.
Als Darlehnsgeber und Troika-Mitglied übt der IWF immer wieder massiven Druck auf die Schuldenstaaten aus, ihre Sparauflagen einzuhalten und weitere Sparanstrengungen zu unternehmen. Doch im jüngst vorgestellten Bericht zur Stabilität des globalen Finanzsystems hob der IWF hervor, dass das EZB-Programm zum Ankauf von Staatsanleihen verschuldeter Euro-Mitglieder gerade wegen der von den Krisenstaaten zu erfüllenden Bedin-gungen bedeutende Risiken berge, weil es die Rückkehr zu einer tragbaren Schuldenlast keineswegs garantiere. Denn die verlangten Sparanstrengungen könnten zur Verlangsamung des Wachstums und infolgedessen zu sinkenden Staatseinnahmen führen. (2) Man braucht allerdings kein Experte zu sein, um dies zu erkennen. Es ist einfach eine Beschreibung der Realität.
Auch die Direktorin des IWF, Christine Lagarde, äußert sich mithin höchst widersprüchlich.
Es ist noch nicht lange her, das sorgte Christine Lagarde mit der zornigen Forderung nach Erfüllung der Sparauflagen in Griechenland für Empörung, weil sie die Folgen der bereits durchgeführten Maßnahmen für die griechische Bevölkerung im Wege eines Vergleichs mit der Situation in Entwicklungsländern verharmloste (3) – wofür sie sich später entschuldigen musste (4). Noch im Juli, als die neu gewählte Samaras-Regierung einen Aufschub für die Erfüllung der Sparauflagen zu fordern begann, hatte sie unmissverständlich zu verstehen gegeben, sie sehe überhaupt keinen Grund, darüber auch nur zu verhandeln. (5) Jetzt sagte sie, ein Aufschub von zwei Jahren sei für Griechenland notwendig, um das Sanierungsprogramm zu bewältigen. Zitat: „Es ist manchmal besser, etwas mehr Zeit zu haben.“ (6) Mehr noch hob sie hervor, die als Mitglieder der Troika nach Griechenland entsandten IWF-Mitarbeiter versuchten unermüdlich die Differenzen zwischen den internationalen Geldgebern und der Samaras-Regierung aufzulösen. Dabei gehe es um die Verschuldung, den Defizitabbau, Strukturreformen und den Finanzsektor. (7) Das dürfte in den Ohren griechischer Regierungsmitglieder, die mit der Troika verhandeln, wie Hohn klingen. (8)
Richtet man den Blick auf die Krisen- und Schuldenbekämpfung in anderen Ländern, so ist das Bild auch nicht anders als in Europa. Großbritannien befindet sich in der Rezession und die erhofften positiven Wirkungen des drastischen Sparkurses bleiben dort ebenso aus wie in Spanien, Griechenland oder Portugal. Premier David Cameron gerät deswegen auch politisch zunehmend unter Druck und hat jetzt neue Sparmaßnahmen angekündigt, von deren Erfolg er ebenso wie sein Amtskollege Mariano Rajoy, die Euro-Retter, die EZB und der IWF felsenfest überzeugt ist – jedenfalls in jenen Momenten, in denen er oder Vertreter der anderen genannten Akteursgruppen dies wieder einmal öffentlich verkünden.
Die praktische Politik ist keineswegs so geradlinig.
Hinzu kommt, dass wegen des ausbleibenden Erfolgs in vielen Industriestaaten die Politik selbst mehr und mehr in eine die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit lähmende Krise abrutscht. Das ist beispielsweise in Japan der Fall – dort gibt es deswegen im November wieder einmal Neuwahlen – und ebenso in den USA, wo sehr wahrscheinlich auch nach der Präsidentschaftswahl ein politisches Patt zwischen Demokraten und Republikanern im Kongress vorliegen und einen klaren krisenpolitischen Kurs verhindern dürfte.
Angesichts dessen kann man nur zu dem Schluss gelangen, dass die Tendenz zu widersprüchlichen Äuße-rungen und Maßnahmen, die in sich verkürzenden zeitlichen Abständen getätigt bzw. ergriffen werden, zwar ein Zeichen der zunehmenden Unsicherheit der Entscheider bezüglich der richtigen Krisenpolitik darstellen. Sie sind aber keineswegs als Anzeichen für eine sich anbahnende Kurskorrektur oder –klärung zu werten, sondern Rhetorik, die jeweils der eigenen politischen Absicherung dient.
Diese Absicherungsnotwendigkeit ergibt sich für führende Politiker und Vertreter von Institutionen nunmehr verstärkt als Folge der wieder stark angestiegenen Krisengefahr und der Verantwortung, die sie für den bisherigen krisenpolitischen Kurs tragen und der in beinahe allen Krisenländern ebenso teuer wie ineffektiv war.
So lange es jedoch nicht zu einem neuerlichen, nicht mehr zu leugnendem Krisenfall kommt, also zu einem Lehman 2+, wird auch keine Kurskorrektur ausgerufen oder gar tatsächlich vollzogen werden. Tritt dieser Fall jedoch ein, werden alle für sich beanspruchen können, gewarnt bzw. ein anderes Vorgehen schon vorher gefordert oder angekündigt zu haben. Das ist der Grund, warum etwa Mario Draghi die Maßnahmen der spanischen Regierung lobt und bedeutende Fortschritte sieht und Angela Merkel nach Griechenland reiste, um der griechischen Regierung zu attestieren, sie mache Fortschritte und befinde sich auf dem richtigen Weg.
Standard & Poor´s hat damit – wie auch die anderen großen Ratingagenturen – nichts am Hut und deswegen wirkt das Downgrade für Spanien dieses Mal nicht falsch, sondern wie eine redlich verdiente Ohrfeige für die spanische Regierung und die Euro-Retter.

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