- Da verkündet der spanische Regierungschef Mariano Rajoy die fünfte Runde von austeritätspolitischen Maßnahmen und begründet diese mit seinem festen Glauben an den Erfolg seiner Politik. Der Präsident der EZB, Mario Draghi, assistiert, er sehe in Spanien bedeutende Fortschritte und lobt die spanische Regierung für ihre Maßnahmen. Auch die Euro-Gruppe feiert sich für ihre Rettungsmaß-nahmen respektive für die immer höher aufgetürmten finanziellen Risiken für die Steuerzahler und für den austeritätspolitischen Kurs, auf den sie die Schuldenstaaten schickt und der Europa nach ihrer Überzeugung gesunden wird.
- Gleichzeitig verschärft sich die Talfahrt der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes in den entsprechenden Krisenstaaten und diese entfernen sich sukzessive weiter von ihren Wachstums- und Defizitzielen – nicht zuletzt zu beobachten in Spanien. Auch die Wirtschaftsprognosen für Deutschland verdüstern sich.
- Euro-Gruppe und Troika quittieren dies abwechselnd mit der Verstärkung des Drucks auf die Regierungen, ihre Sparziele zu erfüllen sowie weitere Sparanstrengungen zu unternehmen – unter Androhung des Stopps finanzieller Hilfen oder des Rauswurfs aus dem Euro – und Beteuerungen der Solidarität, der Versicherung weiterer Hilfen und des Haltens im Euro um jeden Preis.
Ausgerechnet eine der großen US-Ratingagenturen,
die von vielen Politikern in Europa gerne als Brandbe-schleuniger der Euro-Krise
kritisiert werden, hat heute mit der Herabstufung von Spaniens Kreditwürdigkeit
um zwei Stufen auf BBB- den Euro-Rettern den Spiegel vorgehalten und die
europäische Krisenpolitik nüchtern und knapp als das entschleiert, was sie nicht
sein soll, aber bisher de facto ist: ein großes, teures und ineffektives krisenpolitisches
Theater.
Das ist schon beinahe auf tragische Weise
komisch. Denn als Gründe für die Herabstufung Spaniens nannte Standard & Poor´s
genau das, was Spanien und die Euro-Retter mit ihrer Krisenpolitik zu
verhindern glauben: die verschärfte Rezession, die sich wegen der steigenden
Arbeitslosigkeit und Ausgabenzwängen voraussichtlich verstärkenden Spannungen
zwischen der Zentralregierung und den Regionen, die weiter schwelende spanische
Bankenkrise und die fehlende Richtung der Politik in der Euro-Zone. (1) Das ist
für die spanische Regierung und für die Euro-Retter peinlich, aber wahr.
Es trifft aber nicht allein für die
Europäer zu. Das Bild, das beispielsweise der Internationale Währungsfonds (IWF)
abgibt, ist auch nicht besser.
Als Darlehnsgeber und Troika-Mitglied übt der
IWF immer wieder massiven Druck auf die Schuldenstaaten aus, ihre Sparauflagen
einzuhalten und weitere Sparanstrengungen zu unternehmen. Doch im jüngst
vorgestellten Bericht zur Stabilität des globalen Finanzsystems hob der IWF
hervor, dass das EZB-Programm zum Ankauf von Staatsanleihen verschuldeter
Euro-Mitglieder gerade wegen der von den Krisenstaaten zu erfüllenden Bedin-gungen
bedeutende Risiken berge, weil es die Rückkehr zu einer tragbaren Schuldenlast
keineswegs garantiere. Denn die verlangten Sparanstrengungen könnten zur
Verlangsamung des Wachstums und infolgedessen zu sinkenden Staatseinnahmen führen.
(2) Man braucht allerdings kein Experte zu sein, um dies zu erkennen. Es ist
einfach eine Beschreibung der Realität.
Auch die Direktorin des IWF, Christine
Lagarde, äußert sich mithin höchst widersprüchlich.
Es ist noch nicht lange her, das sorgte Christine
Lagarde mit der zornigen Forderung nach Erfüllung der Sparauflagen in
Griechenland für Empörung, weil sie die Folgen der bereits durchgeführten Maßnahmen
für die griechische Bevölkerung im Wege eines Vergleichs mit der Situation in Entwicklungsländern
verharmloste (3) – wofür sie sich später entschuldigen musste (4). Noch im Juli,
als die neu gewählte Samaras-Regierung einen Aufschub für die Erfüllung der
Sparauflagen zu fordern begann, hatte sie unmissverständlich zu verstehen
gegeben, sie sehe überhaupt keinen Grund, darüber auch nur zu verhandeln. (5) Jetzt
sagte sie, ein Aufschub von zwei Jahren sei für Griechenland notwendig, um das
Sanierungsprogramm zu bewältigen. Zitat: „Es ist manchmal besser, etwas mehr
Zeit zu haben.“ (6) Mehr noch hob sie hervor, die als Mitglieder der Troika nach
Griechenland entsandten IWF-Mitarbeiter versuchten unermüdlich die Differenzen
zwischen den internationalen Geldgebern und der Samaras-Regierung aufzulösen. Dabei
gehe es um die Verschuldung, den Defizitabbau, Strukturreformen und den
Finanzsektor. (7) Das dürfte in den Ohren griechischer Regierungsmitglieder,
die mit der Troika verhandeln, wie Hohn klingen. (8)
Richtet man den Blick auf die Krisen- und Schuldenbekämpfung
in anderen Ländern, so ist das Bild auch nicht anders als in Europa. Großbritannien
befindet sich in der Rezession und die erhofften positiven Wirkungen des
drastischen Sparkurses bleiben dort ebenso aus wie in Spanien, Griechenland
oder Portugal. Premier David Cameron gerät deswegen auch politisch zunehmend
unter Druck und hat jetzt neue Sparmaßnahmen angekündigt, von deren Erfolg er
ebenso wie sein Amtskollege Mariano Rajoy, die Euro-Retter, die EZB und der IWF
felsenfest überzeugt ist – jedenfalls in jenen Momenten, in denen er oder
Vertreter der anderen genannten Akteursgruppen dies wieder einmal öffentlich verkünden.
Die praktische Politik ist keineswegs so
geradlinig.
Hinzu kommt, dass wegen des ausbleibenden
Erfolgs in vielen Industriestaaten die Politik selbst mehr und mehr in eine die
Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit lähmende Krise abrutscht. Das ist
beispielsweise in Japan der Fall – dort gibt es deswegen im November wieder
einmal Neuwahlen – und ebenso in den USA, wo sehr wahrscheinlich auch nach der
Präsidentschaftswahl ein politisches Patt zwischen Demokraten und Republikanern
im Kongress vorliegen und einen klaren krisenpolitischen Kurs verhindern
dürfte.
Angesichts dessen kann man nur zu dem
Schluss gelangen, dass die Tendenz zu widersprüchlichen Äuße-rungen und
Maßnahmen, die in sich verkürzenden zeitlichen Abständen getätigt bzw. ergriffen
werden, zwar ein Zeichen der zunehmenden Unsicherheit der Entscheider bezüglich
der richtigen Krisenpolitik darstellen. Sie sind aber keineswegs als Anzeichen
für eine sich anbahnende Kurskorrektur oder –klärung zu werten, sondern Rhetorik,
die jeweils der eigenen politischen Absicherung dient.
Diese Absicherungsnotwendigkeit ergibt sich
für führende Politiker und Vertreter von Institutionen nunmehr verstärkt als
Folge der wieder stark angestiegenen Krisengefahr und der Verantwortung, die
sie für den bisherigen krisenpolitischen Kurs tragen und der in beinahe allen
Krisenländern ebenso teuer wie ineffektiv war.
So lange es jedoch nicht zu einem
neuerlichen, nicht mehr zu leugnendem Krisenfall kommt, also zu einem Lehman 2+,
wird auch keine Kurskorrektur ausgerufen oder gar tatsächlich vollzogen werden.
Tritt dieser Fall jedoch ein, werden alle für sich beanspruchen können, gewarnt
bzw. ein anderes Vorgehen schon vorher gefordert oder angekündigt zu haben. Das
ist der Grund, warum etwa Mario Draghi die Maßnahmen der spanischen Regierung
lobt und bedeutende Fortschritte sieht und Angela Merkel nach Griechenland
reiste, um der griechischen Regierung zu attestieren, sie mache Fortschritte
und befinde sich auf dem richtigen Weg.
Standard & Poor´s hat damit – wie auch
die anderen großen Ratingagenturen – nichts am Hut und deswegen wirkt das
Downgrade für Spanien dieses Mal nicht falsch, sondern wie eine redlich
verdiente Ohrfeige für die spanische Regierung und die Euro-Retter.
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