Mittwoch, 9. Januar 2013

Schwindende Stabilität der griechischen Regierung: Im Abwärtssog der „Lagarde Liste“


Gerade mal ein halbes Jahr amtiert die neue griechische Koalitionsregierung. Wie lange wird es wohl noch dauern, bis die Entwicklungen in der Affäre um die sogenannte Lagarde Liste mit den Namen potenzieller griechischer Steuerhinterzieher an jenen Punkt gelangen, an dem sie zerbricht?

2010 hatte der damalige griechische Finanzminister Giorgos Papaconstantinou (PASOK) von der damaligen französischen Finanzministerin Christine Lagarde einen Datenträger mit einer Liste mit Namen von Griechen erhalten, die Konten bei der Schweizer Dependance der HSBC unterhielten und im Verdacht der Steuerhinter-ziehung standen. Bis vor wenigen Tagen ist diesen Verdachtsfällen nicht nachgegangen worden, weder von Papaconstantinou noch von seinem Nachfolger Evangelos Venizelos. Mehr noch war die Liste zwischenzeitlich verschwunden. Es war Venizelos, aktuell Chef der PASOK und Mitglied der Regierungskoalition, der Anfang Oktober 2012, kurze Zeit nach Beginn der Spekulationen über den Verbleib der Liste, eröffnete, er verfüge über eine Kopie, die er dem seit Juni 2012 amtierenden Finanzminister Giannis Stournaras daraufhin zur Verfügung stellte. (1) 

Damit hätte die Sache erledigt sein können, aber es kam anders.
Als ein griechischer Journalist Ärger mit der Justiz bekam, weil er die Namen auf dieser Kopie der Liste, zu der er offenbar Zugang erhalten hatte, veröffentlichte, stellte sich heraus, dass sie nicht mit dem Original identisch, sondern manipuliert worden war. Denn die Kopie der Liste enthält 2059 Namen, bei 245 davon handelt es sich um Firmen. Es finden sich darauf nur die Namen von drei griechischen Politikern – alle sind (bzw. waren) Mitglieder der Nea Dimokratia. Das von Lagarde zur Verfügung gestellte Original aus dem Jahr 2010 soll jedoch laut Zeitungsberichten entweder lediglich 1991 oder 1970 Namen umfasst haben. (2) 

Nachdem nun vor einigen Tagen bekannt geworden war, dass die Namen von drei Verwandten des früheren Finanzministers Papaconstantinou von der Liste gelöscht wurden, geriet dieser unter Verdacht, die Liste manipuliert zu haben. Das griechische Parlament will nun einen Untersuchungsausschuss einsetzen, der dies und der Frage, warum der Liste nicht nachgegangen wurde, überprüfen soll, wobei zwischen den Parteien ein heftiger Streit über die Frage entbrannt ist, ob nur die Rolle von Papaconstantinou oder auch die von Evangelos Venizelos untersucht werden soll. Besonders das Linksbündnis Syriza fordert, auch Venizelos unter die Lupe zu nehmen.

Die Regierungskoalition (Nea Dimokratia, PASOK und Demokratische Linke (Dimar)) lehnt dies ab, was sie zunehmend in Schwierigkeiten zu bringen scheint. Erst vor zwei Tagen, am Montag, den 7. Januar, sah sich Fotis Kouvelis, der Chef der Demokratischen Linken, gezwungen, zwei Abgeordnete aus seiner Partei auszuschließen, weil sie wie Syriza auf eine Überprüfung von Venizelos insistieren.

Giorgios Papaconstantinou hat von Beginn an bestritten, die Liste manipuliert zu haben. Ob dies stimmt, gilt es zu klären. Die PASOK hat ihn dennoch bereits kurz nach Bekanntwerden der Vorwürfe aus der Partei ausge-schlossen. Sie unterstellt ihm, die Namen von drei Verwandten von der Liste entfernt zu haben. Sofern jedoch die in der Presse genannten Angaben stimmen, geht es nicht um die Differenz von drei Namen, die auf der Liste fehlen, sondern um die Erklärung, warum die von Evangelos Venizelos zur Verfügung gestellte Kopie der Liste bis zu 89 Namen mehr aufführt (2059) als das Original von Lagarde (1970 oder 1991). Auch dass auf Kopie der Liste kaum Namen von Politikern zu finden sind, ist – angesichts des Ausmaßes der Korruption in Griechenland - zumindest überraschend. Nur drei Politiker-Namen finden sich darauf: Stavros Papastavros, EU-Berater von Premier Samaras, Ex-Minister Giorgos Voulgarakis und der verstorbene ND-Abgeordnete und Chef der Natio-nalbank Giannis Boutos. Alle drei sind bzw. waren Mitglieder der Nea Dimokratia (ND). (3) 

Die öffentliche Debatte drehte sich bisher jedoch nur um die Namen der drei Verwandten von Papaconstantinou. Der hat jetzt wiederum in einem Fernsehinterview gesagt, er habe nicht einmal gewusst, dass die Namen seiner drei Verwandten auf der Liste standen. (4) 

Der Vizepräsident des Obersten Gerichts hat unmittelbar nach diesem Interview in einem Brief an die beiden in der Lagarde-Sache zuständigen Ermittler gefordert, den fraglichen USB-Stick zwecks Untersuchung auf elektro-nische Spuren an die darauf spezialisierte Einheit der Polizei weiterzuleiten. Dabei verwies er auf verschiedene Presseberichte, nach denen diese Einheit über Möglichkeiten verfüge, den genauen Zeitpunkt der Manipulation und den Computer, an dem diese durchgeführt wurde, zu ermitteln. (5) 

Am gleichen Tag hat das griechische Finanzministerium, das zwischenzeitlich die Originalliste von Frankreich erhalten hatte, bekannt gegeben, dass darauf aufbauend in 9260 Fällen wegen Korruption, illegaler Bereicherung und Geldwäsche ermittelt wird und deswegen Zugang zu 6000 Bankkonten gefordert. (6) 

Zweifellos diente diese Bekanntmachung dazu, die Öffentlichkeit zu beruhigen und die Wogen der Empörung darüber zu glätten, dass die Regierung potenzielle Steuersünder so lange davon kommen ließ. In Bezug auf die Manipulationsvorwürfe stehen die Zeichen für die griechische Koalitionsregierung allerdings weiter auf Sturm.

Nachdem die Demokratische Linke (Dimar) jetzt zwei Abgeordnete ausgeschlossen hat, weil auch sie eine Untersuchung der Rolle von Evangelos Venizelos in der Affäre um die Lagarde Liste fordern, ist die Mehrheit der Regierungskoalition im Parlament in wenigen Monaten von 179 auf 164 Sitze im Parlament zusammen-geschmolzen. Nea Dimokratia und PASOK haben seit der Wahl im Juni 12 Abgeordnete verloren und verfügen mit zusammen nur noch 150 Sitzen über keine eigene Mehrheit mehr (mindestens 151 Sitze). Dimar hat insgesamt drei Abgeordnete verloren und nun nur noch 14 Sitze. (7) 

Die innerparteilichen Spannungen waren speziell bei der PASOK und Dimar schon wegen der Anfang November zu verabschiedenden neuen Sparmaßnahmen immens hoch gewesen. Die PASOK hatte nach der Abstimmung über das neue Sparpaket im Parlament sechs Abweichler aus der Partei ausgeschlossen. Die Abgeordneten von Dimar hatten sich geschlossen enthalten. Nur mit einer knappen Mehrheit von 153 „Ja“-Stimmen brachten ND und PASOK das jüngste Sparpaket vor wenigen Wochen durchs Parlament. Diese Mehrheit existiert jetzt nicht mehr. (8) 

Nachdem der Streit um das Sparpaket ausgestanden ist, setzt jetzt der Streit um die Handhabung der Affäre um die Manipulation der Lagarde Liste die Regierungsparteien unter Druck. Der Druck steigt und er kommt mittlerweile von drei Seiten: Aus der Bevölkerung, seit gestern zusätzlich vom Obersten Gericht und von der Opposition. Gestern stellte zudem auch die Partei „Unabhängige Griechen“ im Parlament einen Antrag, neben Papaconstantinou weitere Politiker vor den Untersuchungsausschuss zu zitieren, nämlich Evangelos Venizelos sowie den ehemaligen Premierminister Papandreou (PASOK) und dessen Amtsnachfolger Lucas Papademos. Die neofaschistische Partei „Goldene Morgenröte“ unterstützt diesen Antrag. (9) Das Linksbündnis Syriza hatte zuvor schon einen eigenen Antrag für die Befragung von Venizelos gestellt.

Durch den neuen Antrag der „Unabhängigen Griechen“ wird sich die Abstimmung im Parlament über die Einsetzung des Ausschusses und sein Mandat um einige Tage verzögern. Die Regierungskoalition will, dass sich der Untersuchungsausschuss nur mit Papaconstantinou befasst und hat dafür mit 164 Abgeordneten rechnerisch eine Mehrheit von 13 Stimmen. Doch wie stabil ist diese Mehrheit?

Es steht außer Frage, dass die Liste manipuliert wurde. Von wem sie manipuliert wurde und warum, das ist keineswegs klar. Zwar hat die PASOK Papaconstantinou mit dem Rauswurf aus der Partei bereits zum Schuldigen abgestempelt. Doch schuldig ist er nicht, so lange ihm das nicht auch nachgewiesen werden kann. Ob das dem Untersuchungsausschuss gelingt, ist fraglich. In jedem Fall wird er sich zur Wehr setzen und wenn Entlastendes auftaucht, steht automatisch Venizelos wieder im Fokus. Denn einmal hatte Venizelos als Amtsnachfolger von Papakonstantinou grundsätzlich dieselben Möglichkeiten zur Manipulation wie dieser. Zweitens hat auch Venizelos in seiner Zeit als Finanzminister keine Untersuchung eingeleitet, um festzustellen, ob die Liste zur Aufdeckung von Fällen der Steuerhinterziehung, Korruption, illegaler Bereicherung und Geldwäsche führt, obwohl sie dafür, wie die aktuelle Ankündigung des Finanzministeriums zur Ermittlung in 9260 Fällen zeigt, ausreichend Anlass bietet. Darüber hinaus wurde der fragliche USB-Stick aber auch von Venizelos übergeben, nachdem er von sich aus öffentlich bekannt gegeben hatte, er verfüge über eine Kopie der Lagarde-Liste, wobei sich außerdem noch die Frage stellt, wieso er eine solche Kopie überhaupt besaß, denn er ist ja schon vor Monaten aus dem Amt des Finanzministers ausgeschieden.

Dass jetzt das Oberste Gericht fordert, den manipulierten USB-Stick auf elektronische Spuren hin zu unter-suchen, um festzustellen, wann und von welchem Computer aus die Liste manipuliert wurde, dürfte deswegen unter den Abgeordneten der Regierungskoalition für zusätzliche Nervosität sorgen. Es ist kaum zu rechtfertigen und für die Regierungsparteien hoch riskant, Venizelos bei der Untersuchung durch den vom Parlament einge-setzten Ausschuss außen vor zu lassen. Das Oberste Gericht will sich jedenfalls nicht auf den Untersuchungs-ausschuss des Parlaments verlassen und es ist wenig wahrscheinlich, dass die griechische Öffentlichkeit dies tut.

Die Aufmerksamkeit, die die Griechen der Affäre um die Lagarde Liste widmen, ist hoch. In den Umfragen haben die Regierungsparteien ohnehin schon massiv an Zustimmung verloren. Zur Jahreswende kam die ND einer Umfrage zufolge auf 21,5 Prozent (minus 8,2), die PASOK auf 6,2 (minus 6,1) und Dimar auf 5,0 Prozent (minus 1,2). Stärkste Partei ist demnach Syriza (22,6 Prozent), drittstärkste Kraft mit 9,8 Prozent die neofaschistische Goldene Morgenröte. (10) (11) 

Venizelos zu schützen, wird für die Regierungskoalition zunehmend schwierig. Aber vielleicht lässt sich nur so und auch nur genau so lange, wie dies gelingt, verhindern, dass die Regierung an der Affäre um die Lagarde Liste zerbricht.

2 Kommentare:

  1. Man wird später entweder einmal sagen, dass die Lagarde-Liste der Wendepunkt auf Griechenlands Weg in die Rechtstaatlichkeit war; oder man wird sagen, dass die Lagarde-Liste die endültige Bestätigung war, dass am korrupten griechischen System einfach nichts zu ändern ist. Es wird spannend, zu verfolgen, welche dieser beiden Varianten zum Tragen kommt.

    Wenn ich meinen griechischen Freunden sowie Bloggern/Twittern Glauben schenke, dann wird es eher Letzteres sein. Das Argument ist, dass dieses System die ganze Gesellschaft durchdringt wie ein Krebsgeschwür. Ergo: von innen heraus ist dieses System nicht zu verändern, weil sich alle Veränderer erst einmal selbst beschädigen müssten.

    Müsste ich per heute wetten, würde ich mich wohl auch den Zweiflern anschließen.

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    1. Sie haben Recht, das steht zu befürchten. In der Regel muss man wohl davon ausgehen, dass die Kräfte der Bewahrung größer sind als die der Auflösung.

      Dafür spricht etwa auch, dass in der von mir zitierten Umfrage zwar eine hohe Unzufriedenheit der Griechen mit der Regierungskoalition festgestellt wurde (77,3 Prozent), aber eine sogar noch etwas höhere Unzufriedenheit mit der Opposition (79,3 Prozent).

      So betrachtet hat sich an der schon vor und bei der Wahl im Juni zu beobachtenden "ambivalenten Einstellung" der griechischen Bevölkerung nichts geändert - sofern man Umfragen wie dieser zu folgen bereit ist.

      Es fehlen wählbare Alternativen. Das gilt allerdings nicht nur für Griechenland, sondern ebenso für viele andere Industriestaaten.

      Viele Grüße
      SLE

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