Dienstag, 19. März 2013

Zypern-Rettung: Der Lehman-Moment der Euro-Retter



Als der US-Finanzminister Henry Paulson im September 2008 den Daumen über die drittgrößte Investmentbank Lehman Brothers senkte und in die Pleite schickte, anstatt sie mit Staatshilfen zu retten, hatte dies fatale Konsequenzen: einen Beinahe-Kollaps der globalen Finanzmärkte, die zweite große Weltwirtschaftskrise und die teuerste weltweite Rettungs- und Stabilisierungsaktion in der Geschichte, die die Staatsfinanzen vieler Industrie-staaten ruinierte und sie in eine Schuldenkrise stürzte.
Warum hatte Henry Paulson die weltweite Nummer 4 der Investmentbanken, Bear Stearns, im Frühjahr 2008 durch die mit JP Morgan Chase eingefädelte Übernahme vor der Pleite bewahrt, aber die weltweite Nummer 3 der Investmentbanken, Lehman Brothers, wenige Monate später unkontrolliert untergehen lassen? Hatte er die Risiken schlicht unterschätzt?
Das ist nach wie vor schwer zu glauben. Denn von den vier großen US-Investmentbanken überlebten die US-Subprimekrise, die sich erst auf den gesamten Hypothekenbereich ausdehnte und sich dann zu einer inter-nationalen Finanzmarktkrise auswuchs, nur die Nummer 2, Morgan Stanley und die Nummer 1, Goldman Sachs, deren Chef Henry Paulson von 1999 bis 2006 gewesen war, bevor ihn George W. Bush 2006 zum US-Finanz-minister ernannte. Wer hätte im Sommer 2008 besser als der langjährige Chef der weltgrößten Investmentbank Goldman Sachs einschätzen können, mit welchen Risiken die unkontrollierte Pleite der drittgrößten Invest-mentbank für den gesamten Finanzsektor verbunden war?
Es ist müßig über die Frage zu diskutieren, ob Henry Paulson nicht einfach die einmalige Gelegenheit nutzte, um Goldman Sachs einen lästigen Konkurrenten vom Hals zu schaffen. Denn dies wird sich niemals klären lassen.
Genauso wenig aussichtsreich erscheint es, klären zu wollen, wer dafür verantwortlich ist, dass die Vereinbarung zwischen Euro-Gruppe, EZB, Europäischer Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF) mit der Regierung Zyperns von Freitagabend (15.03.) eine Zwangsabgabe für ausnahmslos alle Kunden von Zyperns Banken vorsah, obwohl – in Reaktion auf die Finanzkrise von 2008, zum Zwecke der Finanzmarktstabilisierung – europaweit geregelt ist, dass Guthaben bis zu 100.000 Euro durch die Einlagensicherung vor Verlust geschützt sein sollen.
Am Samstag (16.03.), also bevor sich klar abzuzeichnen begann, dass die Entscheidung ein gravierender Fehler war, hatte die Bundeskanzlerin die am Vorabend getroffene Zypern-Vereinbarung als gut und richtig gelobt. Als Spitzenkandidatin bei der Aufstellung der CDU-Landesliste Mecklenburg-Vorpommerns für die Bundestagswahl sagte Angela Merkel auf der Landesvertreterversammlung in Grimmen zum vereinbarten Rettungspaket für Zypern:

Damit werden aber die Verantwortlichen zum Teil mit einbezogen und nicht nur die Steuerzahler anderer Länder und ich finde, das ist richtig, dass man diesen Schritt gegangen ist und ich finde, es ist ein guter Schritt, der uns eine Zustimmung zu einer Hilfe für Zypern sicherlich leichter macht.“ (1)

Ihre Parteifreunde applaudierten ihr.
Zweifellos tragen jedoch nicht alle Kunden von Zyperns Banken eine Verantwortung für deren Misere und für die dadurch bedingte Schuldenkrise des Inselstaates. Angestellte, Rentner, Studenten, Kleinunternehmer und Sportvereine, die sich irgendwann einmal entschieden haben, ihr Geld dort zu deponieren, haben damit keine Investitionsentscheidung im eigentlichen Sinne des Wortes getroffen und sie sind auch keine Aktionäre der jeweiligen Bank. Auch ist es fraglich, ob sie von jenen Geschäften profitiert haben, mit denen die Banken in Schwierigkeiten geraten sind.
Einen Tag später, am Sonntag (17.03.), war bereits klar, dass die Vereinbarung keine gute Vereinbarung war, sondern einen Bank Run auf Zypern auszulösen drohte, sobald die Banken nach dem verlängerten Wochenende wieder öffneten. Mehr noch war inzwischen die Gefahr erkannt worden, dass sie als veritable Belastungsprobe für die Finanzmarktstabilität entpuppen könnte.
Seitdem schieben sich die an der Entscheidung beteiligten Parteien einerseits gegenseitig die Verantwortung für die nunmehr unhaltbar gewordene Regelung für die Zwangsabgabe zu. (2) (3)Andererseits hat das Ringen um eine schadensbegrenzende Lösung begonnen.
Am Sonntagabend hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble im deutschen Fernsehen auf die Frage, ob es seine Idee gewesen sei, an die Sparkonten der Zyprioten ranzugehen, gesagt:

Nein. Das war die Position der Bundesregierung und des IWF, dass wir den wesentlichen Teil der Mittel, die für die Sanierung der Banken notwendig sind, von den Gläubigern und Eigentümern der Banken – das sind die Anleger – bekommen müssen. Aber natürlich hätten wir die Einlagen-sicherung respektiert, die die Konten bis 100.000 sichert. Aber diejenigen, die keinen Bail-in wollten – das war die zyprische Regierung, auch die Europäische Kommission und die EZB –, die haben sich für diese Lösung entschieden und das müssen sie nun auch dem zyprischen Volk erklären.(4)

Europäische Kommission und EZB haben das zurückgewiesen. Der deutsche EZB-Direktor Jörg Asmussen wurde dazu am Montag (18.03.) wie folgt zitiert:

Ich möchte betonen, dass es in den letzten Tagen nicht die EZB war, die darauf gedrungen hat, auf diese spezielle Struktur der Abgabe, die jetzt gewählt wurde. Sondern es war Ergebnis der Verhandlungen in Brüssel.(5)

Zudem soll Asmussen dazu geraten haben, Konten mit weniger als 100.000 Euro gar nicht anzutasten. (6)
Die Euro-Gruppe hat sich dann noch Montagnacht nach einer Telefonkonferenz bereiterklärt, Zypern Spielraum bei der Zwangsabgabe zu geben. Sie besteht allerdings weiterhin darauf, dass dadurch ein Gesamtbetrag von 5,8 Milliarden Euro zusammenkommen muss. In der offiziellen Erklärung des Euro-Gruppenchefs Jeroen Dijsselbloem betont dieser:

The Eurogroup continues to be of the view that small depositors should be treated differently from large depositors and reaffirms the importance of fully guaranteeing deposits below EUR 100.000.(7)

Die Euro-Gruppe hat demnach also bezüglich der Zwangsabgabe von Beginn an die Auffassung vertreten, dass Kleinanleger anders als Großanleger behandelt werden sollten und ebenso von Beginn an die Wichtigkeit der vollumfänglichen Garantie der Einlagen unter 100.000 Euro hervorgehoben.
Keiner will es also gewesen sein, denn es versteht sich von selbst, dass auch Zyperns Regierung jede Verantwortung von sich weist.
Tatsache ist aber: Alle haben dem Paket zugestimmt, denn sonst hätte es dieses Verhandlungsergebnis nicht gegeben.
Zypern war aber ebenso wie beispielsweise zuvor immer wieder auch Griechenland von vornherein nicht in einer starken Verhandlungsposition und hat sich, sofern eine Wahl bestand, für das aus Regierungssicht scheinbar geringere Übel entschieden. Es fragt sich insofern, warum Europäische Kommission, EZB und Euro-Gruppenchef jetzt Geschlossenheit demonstrieren, während Wolfgang Schäuble als Euro-Gruppenmitglied für die Bundes-regierung mit dem Finger auf Zypern, die Europäische Kommission und die EZB zeigt.
Die einzig sinnvolle Erklärung dafür ist, dass die Uneinigkeit bezüglich der erforderlichen Bedingungen und der zu übernehmenden finanziellen Lasten für die Rettung von Banken und Schuldenstaaten innerhalb der Euro-Gruppe sowie zwischen Euro-Gruppe, Europäischer Kommission, EZB und IWF mittlerweile so groß geworden ist, dass der kleinste gemeinsame Nenner bei entsprechenden Verhandlungen weit unterhalb jeder vernünftigen Lösung liegt.
Zur Erinnerung: Auch im Falle des maroden Bankensektors in Spanien gab es bereits erhebliche Differenzen, die mit Ach und Krach überwunden werden konnten, wobei die letztlich vereinbarte Lösung alles andere als der große Wurf war. Spanien und Spaniens Bankensektor kriseln weiter und zwar mit eindeutig nicht nach oben gerichteter Tendenz.
Ob Irland, Griechenland, Spanien, Italien oder Zypern – natürlich ist jeder Fall anders gelagert. Gleichwohl ähnelten sich die Bedingungen für Hilfen, die Krisenkonzepte und auch deren bisher enttäuschende Bilanz sehr.
Doch jetzt, da die Euro-Zone insgesamt wieder stärker in Richtung einer Vertiefung der Krise rutscht, ist bei den einen die Bereitschaft, den bisherigen Krisenkurs weiter mitzutragen, geschwunden, während bei den anderen keine Bereitschaft mehr existiert, für Abweichungen davon noch weitergehende, zusätzliche finanzielle Belas-tungen auf sich zu nehmen.
Vor allem für Deutschland ist das ein Problem, weil es einen großen Teil der finanziellen Lasten und Risiken der Euro-Rettung tragen muss. Das ist in der deutschen Bevölkerung nicht populär und es existiert verbreitet die Sorge, dass sie weiter steigen, weil und solange die Bilanz der Euro-Retter alles andere als eine Erfolgsstory ist.
Daran lässt sich kurzfristig nichts ändern. Der einzige Erfolg, den die Bundeskanzlerin deswegen den Wählern vor der Wahl im Herbst an dieser Front zu präsentieren in der Lage wäre, ist eine stärkere Abwälzung der finanziellen Lasten der Euro-Krise.
Die Frage, ob die Risiken der Entscheidung für die Zwangsabgabe für alle Bankkunden unterschätzt wurden oder ob und wenn ja, welche anderen Gründe ausschlaggebend waren, wir sehr wahrscheinlich unbeantwortet bleiben.
Die Geschichte ist jedoch noch nicht ausgestanden, die Kuh ist noch nicht vom Eis. Einmal ist die Zypern-Rettung noch keineswegs sicher. Zweitens ist der Vertrauensschaden bereits eingetreten. Daran lässt sich nichts mehr ändern, es kann nur noch um Schadensbegrenzung gehen. Wie groß der Vertrauensschaden ist und wie gravierend seine Konsequenzen für den europäischen Bankensektor sein werden, wird von der Entscheidung des Parlaments Zyperns abhängen, sich aber erst in den nächsten Wochen zeigen – es sei denn, die Zypern-Rettung geht schief. Andere Ereignisse – man denke nur an die Verflechtungen zwischen Zypern und Griechenland, an die unklare Regierungsbildung und –politik in Italien oder an die Krise in Spanien – können durchaus noch verstärkend hinzukommen.
Die Euro-Retter hatten letzten Freitag, als sie das Rettungspaket für Zypern beschlossen, möglicherweise ihren Lehman-Moment, sofern man darunter eine riskante Entscheidung verstehen will, die eine schwer kontrollierbare Eigendynamik auf den Finanzmärkten und in einem großen Wirtschaftsraum auslösen kann.
Henry Paulson brauchte auf den Effekt seiner Entscheidung nicht lange zu warten.

1 Kommentar:

  1. Sehr schöner Post!

    "Tatsache ist aber: Alle haben dem Paket zugestimmt, denn sonst hätte es dieses Verhandlungsergebnis nicht gegeben."

    Kleine Korrektur: "Guthaben bis zu 100.000 Euro durch die Einlagensicherung" Die Situation iss noch keine in der die Einalgensicherung zum Zug kommt. Bis dato hat die zypr.
    Regierung nur eine Sonderabgabe, Sondersteuer ... in Erwägung gezogen und jetzt wieder abgelegt. Schlimm iss nur, dass die üblichen Verdächtigen Mörkel, Schübülü und der Herr mit A
    am Anfang Ihre Finger und ihre falsche - weil primär technisch, formal, legalistisch geprägte - Kommunikationsunfähigkeit im Spiel hatten.

    Dass es jezz keiner gewesen war ... *gähn* da hab' ich schon aufregenderes gehört: Außerirdische waren's!

    PS.: Geil iss die Klamotte mit der Kanzleuse ihrem Auftritt im Nabel der Welt (Uckermark): Frage an Merkel: "Frau BundeskanzlerIn: Was unterscheidet eigentlich den Kleinsparer, den
    Kleinanleger vom Großsparer, vom Großanleger?" Antwort: "Drei Dinge: Der Learjet, die Villa und die KPMG, halt, noch 'was - und viertens: Die Parteispende. Ätsch!"

    Henry Paulson brauchte nich lange warten - 'mal sehn, wie lange es jezz dauert.

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