Als der US-Finanzminister Henry Paulson im
September 2008 den Daumen über die drittgrößte Investmentbank Lehman Brothers
senkte und in die Pleite schickte, anstatt sie mit Staatshilfen zu retten, hatte
dies fatale Konsequenzen: einen Beinahe-Kollaps der globalen Finanzmärkte, die
zweite große Weltwirtschaftskrise und die teuerste weltweite Rettungs- und
Stabilisierungsaktion in der Geschichte, die die Staatsfinanzen vieler
Industrie-staaten ruinierte und sie in eine Schuldenkrise stürzte.
Warum hatte Henry Paulson die weltweite
Nummer 4 der Investmentbanken, Bear Stearns, im Frühjahr 2008 durch die
mit JP Morgan Chase eingefädelte Übernahme vor der Pleite bewahrt, aber die
weltweite Nummer 3 der Investmentbanken, Lehman Brothers, wenige Monate
später unkontrolliert untergehen lassen? Hatte er die Risiken schlicht
unterschätzt?
Das ist nach wie vor schwer zu glauben.
Denn von den vier großen US-Investmentbanken überlebten die US-Subprimekrise,
die sich erst auf den gesamten Hypothekenbereich ausdehnte und sich dann zu
einer inter-nationalen Finanzmarktkrise auswuchs, nur die Nummer 2, Morgan
Stanley und die Nummer 1, Goldman Sachs, deren Chef Henry Paulson von 1999
bis 2006 gewesen war, bevor ihn George W. Bush 2006 zum US-Finanz-minister
ernannte. Wer hätte im Sommer 2008 besser als der langjährige Chef der
weltgrößten Investmentbank Goldman Sachs einschätzen können, mit welchen
Risiken die unkontrollierte Pleite der drittgrößten Invest-mentbank für den
gesamten Finanzsektor verbunden war?
Genauso wenig aussichtsreich erscheint es,
klären zu wollen, wer dafür verantwortlich ist, dass die Vereinbarung zwischen
Euro-Gruppe, EZB, Europäischer Kommission und Internationalem Währungsfonds
(IWF) mit der Regierung Zyperns von Freitagabend (15.03.) eine Zwangsabgabe für
ausnahmslos alle Kunden von Zyperns
Banken vorsah, obwohl – in Reaktion auf die Finanzkrise von 2008, zum Zwecke
der Finanzmarktstabilisierung – europaweit geregelt ist, dass Guthaben bis zu
100.000 Euro durch die Einlagensicherung vor Verlust geschützt sein sollen.
Am Samstag (16.03.), also bevor sich klar
abzuzeichnen begann, dass die Entscheidung ein gravierender Fehler war, hatte
die Bundeskanzlerin die am Vorabend getroffene Zypern-Vereinbarung als gut und
richtig gelobt. Als Spitzenkandidatin bei der Aufstellung der CDU-Landesliste
Mecklenburg-Vorpommerns für die Bundestagswahl sagte Angela Merkel auf der
Landesvertreterversammlung in Grimmen zum vereinbarten Rettungspaket für Zypern:
„Damit werden aber die Verantwortlichen zum Teil mit einbezogen und nicht nur die Steuerzahler anderer Länder und ich finde, das ist richtig, dass man diesen Schritt gegangen ist und ich finde, es ist ein guter Schritt, der uns eine Zustimmung zu einer Hilfe für Zypern sicherlich leichter macht.“ (1)
Ihre Parteifreunde applaudierten ihr.
Zweifellos tragen jedoch nicht alle Kunden
von Zyperns Banken eine Verantwortung für deren Misere und für die dadurch
bedingte Schuldenkrise des Inselstaates. Angestellte, Rentner, Studenten,
Kleinunternehmer und Sportvereine, die sich irgendwann einmal entschieden
haben, ihr Geld dort zu deponieren, haben damit keine Investitionsentscheidung im
eigentlichen Sinne des Wortes getroffen und sie sind auch keine Aktionäre der
jeweiligen Bank. Auch ist es fraglich, ob sie von jenen Geschäften profitiert
haben, mit denen die Banken in Schwierigkeiten geraten sind.
Einen Tag später, am Sonntag (17.03.), war
bereits klar, dass die Vereinbarung keine gute Vereinbarung war, sondern einen
Bank Run auf Zypern auszulösen drohte, sobald die Banken nach dem verlängerten
Wochenende wieder öffneten. Mehr noch war inzwischen die Gefahr erkannt worden,
dass sie als veritable Belastungsprobe für die Finanzmarktstabilität entpuppen
könnte.
Seitdem schieben sich die an der
Entscheidung beteiligten Parteien einerseits gegenseitig die Verantwortung für
die nunmehr unhaltbar gewordene Regelung für die Zwangsabgabe zu. (2) (3)Andererseits hat das Ringen um eine schadensbegrenzende Lösung begonnen.
Am Sonntagabend hatte Bundesfinanzminister
Wolfgang Schäuble im deutschen Fernsehen auf die Frage, ob es seine Idee
gewesen sei, an die Sparkonten der Zyprioten ranzugehen, gesagt:
„Nein. Das war die Position der Bundesregierung und des IWF, dass wir den wesentlichen Teil der Mittel, die für die Sanierung der Banken notwendig sind, von den Gläubigern und Eigentümern der Banken – das sind die Anleger – bekommen müssen. Aber natürlich hätten wir die Einlagen-sicherung respektiert, die die Konten bis 100.000 sichert. Aber diejenigen, die keinen Bail-in wollten – das war die zyprische Regierung, auch die Europäische Kommission und die EZB –, die haben sich für diese Lösung entschieden und das müssen sie nun auch dem zyprischen Volk erklären.“ (4)
Europäische Kommission und EZB haben das
zurückgewiesen. Der deutsche EZB-Direktor Jörg Asmussen wurde dazu am Montag
(18.03.) wie folgt zitiert:
„Ich möchte betonen, dass es in den letzten Tagen nicht die EZB war, die darauf gedrungen hat, auf diese spezielle Struktur der Abgabe, die jetzt gewählt wurde. Sondern es war Ergebnis der Verhandlungen in Brüssel.“ (5)
Zudem soll Asmussen dazu geraten haben, Konten
mit weniger als 100.000 Euro gar nicht anzutasten. (6)
Die Euro-Gruppe hat sich dann noch Montagnacht
nach einer Telefonkonferenz bereiterklärt, Zypern Spielraum bei der
Zwangsabgabe zu geben. Sie besteht allerdings weiterhin darauf, dass dadurch
ein Gesamtbetrag von 5,8 Milliarden Euro zusammenkommen muss. In der
offiziellen Erklärung des Euro-Gruppenchefs Jeroen Dijsselbloem betont dieser:
„The Eurogroup continues to be of the view that small depositors should be treated differently from large depositors and reaffirms the importance of fully guaranteeing deposits below EUR 100.000.” (7)
Die Euro-Gruppe hat demnach also bezüglich
der Zwangsabgabe von Beginn an die Auffassung vertreten, dass Kleinanleger
anders als Großanleger behandelt werden sollten und ebenso von Beginn an die
Wichtigkeit der vollumfänglichen Garantie der Einlagen unter 100.000 Euro
hervorgehoben.
Keiner will es also gewesen sein, denn es
versteht sich von selbst, dass auch Zyperns Regierung jede Verantwortung von
sich weist.
Tatsache ist aber: Alle haben dem Paket
zugestimmt, denn sonst hätte es dieses Verhandlungsergebnis nicht gegeben.
Zypern war aber ebenso wie beispielsweise zuvor
immer wieder auch Griechenland von vornherein nicht in einer starken
Verhandlungsposition und hat sich, sofern eine Wahl bestand, für das aus
Regierungssicht scheinbar geringere Übel entschieden. Es fragt sich insofern,
warum Europäische Kommission, EZB und Euro-Gruppenchef jetzt Geschlossenheit
demonstrieren, während Wolfgang Schäuble als Euro-Gruppenmitglied für die
Bundes-regierung mit dem Finger auf Zypern, die Europäische Kommission und die
EZB zeigt.
Die einzig sinnvolle Erklärung dafür ist,
dass die Uneinigkeit bezüglich der erforderlichen Bedingungen und der zu
übernehmenden finanziellen Lasten für die Rettung von Banken und
Schuldenstaaten innerhalb der Euro-Gruppe sowie zwischen Euro-Gruppe,
Europäischer Kommission, EZB und IWF mittlerweile so groß geworden ist, dass
der kleinste gemeinsame Nenner bei entsprechenden Verhandlungen weit unterhalb
jeder vernünftigen Lösung liegt.
Zur Erinnerung: Auch im Falle des maroden
Bankensektors in Spanien gab es bereits erhebliche Differenzen, die mit Ach und
Krach überwunden werden konnten, wobei die letztlich vereinbarte Lösung alles
andere als der große Wurf war. Spanien und Spaniens Bankensektor kriseln weiter
und zwar mit eindeutig nicht nach oben gerichteter Tendenz.
Ob Irland, Griechenland, Spanien, Italien
oder Zypern – natürlich ist jeder Fall anders gelagert. Gleichwohl ähnelten
sich die Bedingungen für Hilfen, die Krisenkonzepte und auch deren bisher
enttäuschende Bilanz sehr.
Doch jetzt, da die Euro-Zone insgesamt wieder
stärker in Richtung einer Vertiefung der Krise rutscht, ist bei den einen die
Bereitschaft, den bisherigen Krisenkurs weiter mitzutragen, geschwunden,
während bei den anderen keine Bereitschaft mehr existiert, für Abweichungen
davon noch weitergehende, zusätzliche finanzielle Belas-tungen auf sich zu
nehmen.
Vor allem für Deutschland ist das ein Problem,
weil es einen großen Teil der finanziellen Lasten und Risiken der Euro-Rettung
tragen muss. Das ist in der deutschen Bevölkerung nicht populär und es
existiert verbreitet die Sorge, dass sie weiter steigen, weil und solange die
Bilanz der Euro-Retter alles andere als eine Erfolgsstory ist.
Daran lässt sich kurzfristig nichts
ändern. Der einzige Erfolg, den die Bundeskanzlerin deswegen den Wählern vor
der Wahl im Herbst an dieser Front zu präsentieren in der Lage wäre, ist eine
stärkere Abwälzung der finanziellen Lasten der Euro-Krise.
Die Frage, ob die Risiken der Entscheidung
für die Zwangsabgabe für alle Bankkunden unterschätzt wurden oder ob und wenn
ja, welche anderen Gründe ausschlaggebend waren, wir sehr wahrscheinlich
unbeantwortet bleiben.
Die Geschichte ist jedoch noch nicht
ausgestanden, die Kuh ist noch nicht vom Eis. Einmal ist die Zypern-Rettung noch
keineswegs sicher. Zweitens ist der Vertrauensschaden bereits eingetreten.
Daran lässt sich nichts mehr ändern, es kann nur noch um Schadensbegrenzung
gehen. Wie groß der Vertrauensschaden ist und wie gravierend seine Konsequenzen
für den europäischen Bankensektor sein werden, wird von der Entscheidung des Parlaments
Zyperns abhängen, sich aber erst in den nächsten Wochen zeigen – es sei denn,
die Zypern-Rettung geht schief. Andere Ereignisse – man denke nur an die
Verflechtungen zwischen Zypern und Griechenland, an die unklare
Regierungsbildung und –politik in Italien oder an die Krise in Spanien – können
durchaus noch verstärkend hinzukommen.
Die Euro-Retter hatten letzten Freitag,
als sie das Rettungspaket für Zypern beschlossen, möglicherweise ihren
Lehman-Moment, sofern man darunter eine riskante Entscheidung verstehen will,
die eine schwer kontrollierbare Eigendynamik auf den Finanzmärkten und in einem
großen Wirtschaftsraum auslösen kann.
Henry Paulson brauchte auf den Effekt
seiner Entscheidung nicht lange zu warten.
Sehr schöner Post!
AntwortenLöschen"Tatsache ist aber: Alle haben dem Paket zugestimmt, denn sonst hätte es dieses Verhandlungsergebnis nicht gegeben."
Kleine Korrektur: "Guthaben bis zu 100.000 Euro durch die Einlagensicherung" Die Situation iss noch keine in der die Einalgensicherung zum Zug kommt. Bis dato hat die zypr.
Regierung nur eine Sonderabgabe, Sondersteuer ... in Erwägung gezogen und jetzt wieder abgelegt. Schlimm iss nur, dass die üblichen Verdächtigen Mörkel, Schübülü und der Herr mit A
am Anfang Ihre Finger und ihre falsche - weil primär technisch, formal, legalistisch geprägte - Kommunikationsunfähigkeit im Spiel hatten.
Dass es jezz keiner gewesen war ... *gähn* da hab' ich schon aufregenderes gehört: Außerirdische waren's!
PS.: Geil iss die Klamotte mit der Kanzleuse ihrem Auftritt im Nabel der Welt (Uckermark): Frage an Merkel: "Frau BundeskanzlerIn: Was unterscheidet eigentlich den Kleinsparer, den
Kleinanleger vom Großsparer, vom Großanleger?" Antwort: "Drei Dinge: Der Learjet, die Villa und die KPMG, halt, noch 'was - und viertens: Die Parteispende. Ätsch!"
Henry Paulson brauchte nich lange warten - 'mal sehn, wie lange es jezz dauert.