Dienstag, 18. November 2014

Japan in der Rezession, Neuwahlen für die Abenomics – Shinzo Abe versucht zu retten, was zu retten ist



Der Plan, Japans Wirtschaft mit einer Kombination aus ultralockerer Geldpolitik, massiver Konjunkturförderung und Strukturreformen endlich aus der Deflation und zurück auf Wachstumskurs zu führen – nach dessen Erfinder kurz „Abenomics“ genannt –, hatte Shinzo Abe und seiner konservativen, liberal-demokratischen Partei (LDP) bei den Unterhauswahlen Ende 2012 einen klaren Sieg eingebracht. Die bis dahin regierende, aber im Kampf gegen die Wirtschaftsflaute glücklose Demokratische Partei Japans (DPJ) erlebte dagegen einen regelrechten Absturz.
Offensichtlich war die Geduld der Wähler nach dem Chaos des Fukushima-Desasters am Ende und der Wunsch nach einer zielstrebig handelnden Regierung mit einem klaren Wirtschaftskonzept in der Bevölkerung sehr ausgeprägt gewesen.
Doch nachdem nun, knapp zwei Jahre später, Japans Wirtschaft erneut in die Rezession gerutscht ist, liegen die „Abenomics“ in der Notaufnahme. Shinzo Abe versucht jetzt, sein Projekt und sich selbst durch vorgezogene Neuwahlen zu retten.

Abenomics – Griff in die Vollen für wenig mehr als Strohfeuer?

Anfang 2013 hatte Shinzo Abe den Japanern bei der Ankündigung eines 108 Milliarden Euro schweren Wachs-tumspaketes einen „Raketenstart“ der Wirtschaft versprochen. (1) Daraufhin gewann er wenige Monate später auch die Oberhauswahlen klar und konnte so seine Pläne bis jetzt uneingeschränkt verwirklichen. Verstärktes Wirtschaftswachstum, so das Kalkül der Abenomics genannten Politik, würde die Basis für die Lösung der ausufernden Staatsverschuldung schaffen.
Doch allen Maßnahmen zum Trotz und obwohl der Yen infolge der lockern Geldpolitik stark abgewertet hatte blieb das Wirtschaftswachstum schwach. Im Auftaktquartal 2013 hatte das BIP-Wachstum zwar für heutige Verhältnisse schon durchaus respektable 1,4 Prozent betragen. Im zweiten Quartal waren  es aber schon nur noch 0,8 Prozent, im dritten Quartal 2013 lag das Wachstum sogar nur noch bei 0,6 Prozent und in den letzten drei Monaten des Jahres ergab sich ein Minus von 0,4 Prozent. (2) Die Abenomics hatten stark angefangen, aber dann war ihnen die Luft ausgegangen – zumindest was das Wachstum anbelangt, aber Wachstum ist  Abes´ wichtigstes Ziel. Daran muss er sich und seine Abenomics messen lassen.

Abe hielt an der Steuererhöhung fest, weil er von seinen Abenomics überzeugt ist – eine krasse Fehleinschätzung

An der Erhöhung der Verbrauchssteuer von 5 auf 8 Prozent zum 1. April 2014 und von 8 auf 10 Prozent im Oktober 2015, die vom Parlament beschlossen worden war noch bevor Abe sein Amt antrat, hatte er festhalten wollen. Es sollte ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Konsolidierung der Staatsfinanzen werden und war auch als Signal an die Märkte gedacht, dass Japans Regierung sein Schuldenproblem konsequent anpackt.
Doch nach Inkrafttreten der ersten Stufe der Steuererhöhung war nach den jetzt revidierten Daten das Wirtschaftswachstum im zweiten Quartal annualisiert um 7,3 Prozent eingebrochen. Viele Ökonomen und vor allem die japanische Regierung war bis vor kurzem noch optimistisch gewesen, dass die „Abenomics“ funktionieren und sich die Wirtschaft im dritten Quartal wieder deutlich erholen würde. Mit einem Wachstum des Bruttoinlandsproduktes von gut 2 Prozent hatten zuletzt immerhin die meisten Ökonomen gerechnet, Optimisten sogar mit deutlich mehr.
Gemäß der jetzt veröffentlichten ersten Schätzung ist Japans Wirtschaft im dritten Quartal jedoch annualisiert um 1,6 Prozent und gegenüber dem Vorquartal um 0,4 Prozent geschrumpft. (3) Der private Konsum, der für etwa 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes steht, erhöhte sich nach dem Einbruch um 5 Prozent im Frühjahr (4) lediglich um magere 0.4 Prozent gegenüber dem zweiten Quartal (5).
Bereits seit einigen Tagen war klar, dass Shinzo Abe auf der Grundlage der Wirtschaftsdaten für das dritte Quartal über die Verschiebung der zweiten Stufe der Verbrauchssteuererhöhung, neue Konjunkturmaßnamen (6) und vorgezogene Neuwahlen noch in diesem Jahr entscheiden wollte. (7) Die Wahl will er damit rechtfertigen, dass seine Abenomics zur Belebung der Wirtschaft wirken, aber noch mehr Zeit brauchen. Mit anderen Worten sollen die vorgezogenen Neuwahlen eine Abstimmung über seine Abenomics werden.

Die bisherige Wachstumsbilanz der Abenomics

Deren Bilanz ist gemessen an den Daten für das Wirtschaftswachstum seit Abes´ Amtsantritt allerdings alles andere als überzeugend, wie aus Abbildung 1 hervorgeht.
Abbildung 1 - zum Vergrößern bitte die Abbildung anklicken! (8)
Im Vergleich zur Entwicklung des Wirtschaftswachstums in Japan unter der Vorgängerregierung ergibt sich insgesamt betrachtet für Shinzo Abe trotz der enormen Anstrengungen sowohl seitens der japanischen Notenbank als auch im Rahmen der Abenomics kein wesentlich besseres Bild und, was noch wichtiger ist, auch kein positiver Trend. Im Gegenteil, der Trend ist nach unten gerichtet.
Dabei hatte die Vorgängerregierung mit den Folgen des Erbebens, des dadurch ausgelösten Tsunamis und der atomaren Katastrophe von Fukushima zu kämpfen. Interessanterweise ist der von Abe selbst durch die Steuer-erhöhung ausgelöste Wachstumseinbruch sogar größer gewesen als der durch die Dreifach-Katastrophe von März 2011. Für eine geschickte Politik spricht das nicht.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass die 1,6 Prozent Wachstum im zweiten Quartal 2014 vor allem durch vorge-zogene Käufe zustande gekommen sind. Sie sind definitiv kein Erfolg der Abenomics, zumal die beiden durch die Verbrauchssteuererhöhung geprägten Ausreißer-Quartale nun von zwei normalen Quartalen „eingerahmt“ werden, in denen jeweils ein Minuswachstum von 0,4 Prozent steht. Insofern ist fraglich, ob sich ohne die Steuererhöhung in Bezug auf die Wachstumswirkungen ein besseres Bild für die Abenomics ergeben hätte. Ein klar positiver Trend wäre sehr wahrscheinlich dennoch nicht zu erkennen gewesen.

Wirtschaftswachstum mit und ohne Abenomics: Ein Ländervergleich

Auch im Vergleich zur Obama-Regierung in den USA schneidet der liberal-konservative japanische Premier beim Wirtschaftswachstum schlecht ab. Zwar kann – nach der Finanzmarktkrise von 2008 – auch im Falle der US-Wirtschaft nicht von einer Rückkehr zu starkem Wachstum die Rede sein. Insgesamt betrachtet scheint es aber über die Quartale hinweg doch eine aufwärtsgerichtete Tendenz zu geben, jedenfalls gemessen an den offiziellen Daten. Lediglich zwei Quartale sind echte negative Ausreißer – das Schlussquartal 2012 und das erste Quartal 2014.
Abbildung 2 - zum Vergrößern bitten Abbildung anklicken! (9)
Das Schlussquartal 2012 stand ganz unter dem Einfluss des monatelangen Haushaltsstreits zwischen Demokraten und den Republikaner. Ohne Einigung drohten zum Jahresanfang 2013 automatische Steuer-erhöhungen und Ausgabenkürzungen und es herrschte die Sorge, die US-Wirtschaft könnte bedingt dadurch einbrechen (Fiskalklippe). Gleichwohl wirkte der Streit bereits im Schlussquartal 2012 negativ auf die Wirtschaft. (10) Das schwache Wirtschaftswachstum geht also auf das Konto der Politik. Das erste Quartal 2014 ist dagegen offenbar hauptsächlich auf den Rekord-Winter zurückzuführen ist, der den Alltag in großen Teilen der USA wochenlang stark beeinträchtigte.
Für Deutschland wiederum, den einsamen europäischen Wirtschaftsprimus, sieht die Wirtschaftswachstums-bilanz seit der Finanzkrise ebenso wie für Japan nicht überzeugend aus. Was beim Blick auf die entsprechende Abbildung 3 auffällt, ist, dass es im Zuge der europäischen Schuldenkrise (bzw. Euro-Krise) selbst in Deutschland eine negative Tendenz bei der Wirtschaftswachstumsrate gibt. Das gilt jedenfalls bis Anfang 2013. Danach war das Wirtschaftswachstum über vier Quartale hinweg wieder etwas höher, wenn auch immer noch recht schwach.
Abbildung 3 - zum Vergrößern bitte Abbildung anklicken! (11)
Dass die deutsche Wirtschaft im zweiten und dritten Quartal 2014 beim Wirtschaftswachstum wieder um die Nullgrenze herum lag, fällt zusammen mit der Ukraine-Krise und den in diesem Zusammenhang sukzessive ausgedehnten europäischen und russischen Sanktionen. Es ist offensichtlich, dass die Sanktionen nicht nur Russland wirtschaftlich schaden.
In jedem Fall sind die Schwankungen bei der Wirtschaftswachstumsrate in Japan erheblich stärker ausgeprägt als in den USA und Deutschland. Weil sich wirtschaftliche Bedingungen auf den Märkten aber in der Regel nicht kurzfristig ändern, abgesehen von markanten Ereignissen wie Crashs oder Naturkatastrophen, liegt es nahe anzunehmen, dass die Schwankungen beim Wirtschaftswachstum in Japan vor allem mit dem politischen Handeln zusammenhängen.
Das spricht angesichts der Wirtschaftswachstumsresultate in jedem Fall nicht für die Abenomics. Bestätigt sich jedoch ein negativer Trend aufgrund der Daten für das laufende vierte und für das erste Quartal des kommenden Jahres, dann verschlechtern sich dadurch ganz sicher die Aussichten für die Wiederwahl von Shinzo Abe und seiner Partei. Insofern erscheinen vorgezogene Neuwahlen noch im Dezember aus Regierungssicht durchaus sinnvoll.
Es gibt aber noch andere Gründe für vorgezogene Neuwahlen.

Weitere Gründe für die vorgezogenen Neuwahlen in Japan

Die Zustimmungswerte für die Regierungskoalition von LDP und Komeito (Gerechtigkeitspartei) sind laut einer aktuellen Umfrage deutlich gefallen, von 52 auf nur noch 44 Prozent. Noch düsterer sieht es demnach für Abe selbst aus. Denn seine persönlichen Zustimmungswerte sind um vier Prozentpunkte auf nur noch 38 Prozent gefallen. (12) Entscheidend aber ist, dass sie sich infolge des in wichtigen Bereichen unpopulären politischen Kurses der Regierung weiter verschlechtern könnten.
Das liegt (bisher) keineswegs nur an der Steuererhöhung und den Abenomics. Eine große Rolle spielt dabei auch, dass Abe für eine neue Auslegung der pazifistischen Verfassung Japans gesorgt hat, um seine verteidi-gungspolitischen Vorstellungen zu verwirklichen. Japan rüstet unter Abe stark auf und will sich international militärisch stärker engagieren, gerade auch im asiatisch-pazifischen Raum.
Nicht nur China beobachtet das mit großem Argwohn. Der Inselstreit zwischen Japan und China zeigt, dass Abes´ nationalistische Haltung und sein neuer verteidigungspolitischer Kurs in der ganzen Region, aber auch in Japan selbst keineswegs überwiegend positiv aufgenommen wird. Dasselbe gilt für die von Abe forcierte Rückkehr zur Atomkraft. Beides stößt in der japanischen Bevölkerung überwiegend auf Ablehnung. (13) Je weiter Abe in diesen Punkten auf seinem politischen Kurs voranschreitet, desto stärker negativ dürfte sich dies auf seine Zustimmungswerte auswirken.
Ein weiterer Grund für vorgezogene Neuwahlen ist, dass Mitglieder seines jüngst umgebildeten Kabinetts in Skandale verwickelt sind, die in Japan hohe Wellen schlagen. Zwei gerade neu ernannte Ministerinnen mussten deswegen vor kurzem, das heißt nur wenigen Wochen nach ihrem Amtsantritt, wieder zurücktreten (14).
Nicht zuletzt ist ein wesentlicher Grund für Neuwahlen aber auch die Tatsache, dass die Opposition – nach dem Absturz bei den Wahlen Ende 2012 – immer noch sehr schwach und zudem zerstritten ist. Die stärkste Oppositionspartei, die Ende 2012 abgewählte Demokratische Partei Japans (DPJ), kommt nach letzten Umfragen auf nur knapp 8 Prozent, gefolgt von der Kommunistischen Partei (3,5 Prozent) und einer Reihe kleiner Parteien. Die LDP des Premiers liegt hingegen – immer noch – bei 36,6 Prozent. (15)
So betrachtet ist der Zeitpunkt für Neuwahlen günstig. Es dürfte – zumindest laut Umfragen – (jetzt noch) eine sichere Sache für Abe werden. Inzwischen hat sich die japanische Regierung auch entschieden, diesen Weg zu gehen. Die für Oktober 2015 geplante zweite Stufe der Verbrauchssteuererhöhung wird um anderthalb Jahre verschoben, die vorgezogenen Neuwahlen sollen am 21. Dezember stattfinden. (16) Das trifft die Opposition weitgehend unvorbereitet – und die japanische Bevölkerung auch.

Neuwahlen – eine sichere Sache für Shinzo Abe?

Zwar scheinen Neuwahlen gemäß Umfragen für die LDP und Shinzo Abe eine sichere Sache zu sein. Allerdings gilt für die Stimmung in der japanischen Wählerschaft vielleicht dasselbe wie für die Wirtschaftswachstumsraten: die Wähler sind hin- und hergerissen. So betrachtet ist die Regierung bei den Neuwahlen nicht sicher vor Überraschungen der negativen Art. Umfragen sind nicht immer verlässlich.
Ein gutes Beispiel dafür und vielleicht auch ein schlechtes Omen für die Regierung waren die vor ein paar Tagen abgehaltenen Gouverneurswahlen auf Okinawa. Denn der von Abe unterstütze Amtsinhaber ging als Verlierer daraus hervor. (17) Zwar ticken die Japaner auf Okinawa anders als die auf der Hauptinsel. Denn die Bevölkerung auf Okinawa beschäftigen und erregen vor allem die massiven negativen Folgen der US-Militärpräsenz vor Ort, die viele mit Unfällen, Umwelt- und Lärmbelastungen sowie Verbrechen, insbesondere auch Vergewaltigungen verbinden. Gleichwohl hat der Oppositionskandidat Takeshi Onaga die Wahl möglicherweise nicht nur deswegen gewonnen, weil er die US-US-Militärs am liebsten loswerden würde und den von Abe und dem amtierenden Gouverneur gestützten Plan zur Verlagerung der Futenma-Luftwaffenbasis aus dem Zentrum in den Norden der Insel ablehnt. Denn er steht auch anderen politischen Positionen und Projekten des Premiers Shinzo Abes´ kritisch gegenüber, etwa der Rückkehr zur Kernkraft. (18)
Der Wahlausgang auf Okinawa wird als Rückschlag für Abe gewertet und er kommt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Komplizierter wird Abes´ Lage im Hinblick auf die Einschätzung der Stimmung in der Bevölkerung auch dadurch, dass laut Umfragen zwar rund drei Viertel der Wähler die Verbrauchssteuerhöhung ablehnen. Andererseits lehnen genauso viele vorgezogene Neuwahlen ab. (19)
Die Opposition wiederum wertet die Verschiebung der zweiten Stufe der Verbrauchssteuererhöhung bereits als Zeichen für das Scheitern der Abenomics. Nachdem Japan nun in die Rezession abgerutscht ist, werden da nicht viele Japaner ähnlich zu denken beginnen? Shinzo Abe hat sich mit seinen Abenomics extrem exponiert. Es ist sein Konzept und es war von Beginn an von vielen Experten als sehr riskant eingestuft und die Erfolgschancen waren skeptisch bewertet worden.
Es mag sein, dass er die Neuwahlen im Dezember sicher gewinnt. Endgültig aus dem Schneider ist er damit aber nicht. Seine Abenomics schweben über ihm wie das sprichwörtliche Damoklesschwert. Es ist deswegen auch nicht auszuschließen, dass seine Partei mit ihm an der Spitze zwar die Neuwahlen gewinnt, aber sich dennoch später dazu gezwungen sieht seinen Rücktritt zu verlangen, um die nächsten Wahlen nicht zu verlieren.
Scheitern die Abenomics in den Augen der Mehrheit der Wähler, dann scheitert auch Abe. Abe würde für die LDP zum Mühlstein und sie wird sich davon rasch befreien. In Japan stürzen Premiers traditionell sehr leicht.

Shinzo Abe braucht gute Neuigkeiten für die Japaner

Die zweite Schätzung des BIP-Wachstums im dritten Quartal wird Anfang der zweiten Dezemberwoche veröffentlicht. Eine Korrektur nach unten wäre für Abe ein weiterer Schlag, eine Korrektur nach oben ein Hoffnungsschimmer. Zwei Wochen später wird dann an der Wahlurne über die Abenomics abgestimmt.
Keine Frage, Abe braucht jetzt gute Nachrichten für die Japaner. Ganz sicher wird er selbst dafür sorgen, dass es die gibt, z.B. in Form eines neuen Konjunkturpakets. Doch das wäre auch nur wieder ein Spiel auf Zeit. Die Abenomics haben mit Blick auf das Hauptziel Wirtschaftswachstum bisher nicht überzeugen können. Immer neue Geldspritzen ändern daran offensichtlich nichts, aber sie vergrößern die finanziellen Risiken dieser Politik.
Abe spielt Roulette mit sehr hohen Einsätzen. Für die Jetons möchte er nun von den Wählern einen neuen Blankoscheck ausgestellt bekommen. Das ist es, worum es am 21. Dezember in Japan geht.

4 Kommentare:

  1. Was würde ein Default Japans aus ihrer Sicht für den Keynesianismus und insbesondere den Keynesianismus Krugman'scher Prägung bedeuten?

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    1. Gute Frage. Viele haben vielleicht längst vergessen, dass Shinzo Abe bereits unmittelbar vor seinem Wahlsieg Ende 2012 als einziger den keynesianischen Weg einschlug, während damals in den USA noch heftig darüber gestritten wurde und Europa sich bereits für den (liberalen) austeritätspolitischen Kurs entschieden hatte.

      Die USA haben den Streit nicht ausgefochten bzw. nicht entschieden. Republikaner und Demokraten lähmten sich. Nach den Midterms ist diese Lähmung nun perfekt. Europa wiederum hat mit seinem Kurs wenig überzeugt - jedenfalls gemessen an den Fakten nicht. Doch die Anhängerschaft des austeritätspolitischen Kurses ist weltweit einfach erheblich größer als die des Keynesianismus. Andere Optionen werden schon gar nicht diskutiert.

      Vor allem der IWF bringt ja immer wieder die Stimulierung in Europa ins Gespräch - bisher mit wenig Erfolg. Das faktische Scheitern der Abenomics dürfte diese Forderungen trotzdem nicht unbedingt leiser werden lassen. Abe will ja nun auch wieder ein neues Konjunkturprogramm auflegen!

      Und natürlich geht es nicht nur um wirtschaftstheoretische Überlegungen, wenn Konjunkturprogramme gefordert werden. Genau wie das Quantitative Easing wirken auch Konjunkturprogramme vor allem auf die Börsen belebend. Der Fall Japan hat das bewiesen.

      Überhaupt ist zu fragen, ob die Notenbanken und die Politik nur oder in erster Linie die Realwirtschaft mit ihren Maßnahmen adressieren oder nicht doch viel stärker die Finanzmärkte. Den Takt geben wohl immer noch die Finanzmärkte vor.

      Insofern wird das Scheitern der Abenomics (krisen-)politisch in den anderen Industrieländern sehr wahrscheinlich keine großen Konsequenzen nach sich ziehen. In den USA stehen die Zeichen ohnehin auf Austeritätspolitik, seit der Präsident durch die Wahl zur "Lahmen Ente" geworden ist. Und Europa ist auf dem wirtschaftstheoretischen Auge ohnehin blind. Die Uneinigkeit ist groß und im Zweifel wird dem Druck von außen nachgegeben. Sie werden sich erinnern, dass es schon über die ganze Euro-Krise hinweg immer so gewesen ist. Ich denke nicht, dass sich daran etwas geändert hat.

      Was den wirtschaftswissenschaftlichen Berich anbelangt, so wird es wegen der Abenomics wahrscheinlich auch keine Debatte geben, es sei denn, in Japan kommt es zu einem echten Desaster.

      Letzteres ist vielleicht überhaupt der einzige ausschlaggebende Punkt. Ohne Katastrophe git es keine echte Debatte und auch keine Neuorientierung - das gilt für die Wirtschaftswissenschaften und für die Politik. Für die Politik wäre es indes schlimmer, wenn der liberale/austeritätspolitische Kurs zu einem neuen Desaster führte. Denn die "Keynesianer" in der Politik sind zahlenmäßig eine Minderheit.

      Viele Grüße
      SLE

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    2. Ich sehe es etwas anders. Auf Seiten der Politiker mögen die Falken eine gewisse Kraft entfalten, aber auf Seiten der Notenbanker dominieren die Tauben. Und wenn der Politik das Wasser bis zum Hals steht, dann werden auch die größten Falken am Ende zu Tauben. Und genau hier, im Bereich der Geldpolitik, sehe ich die möglichen Konsequenzen eines Scheiterns Japans: die Desavouierung einer lockeren Geldpolitik insgesamt. Genauer gesagt: das Aufzeigen der Grenzen von Geld- und Verschuldungspolitik. Das Vertrauen in diesen Ansatz wäre doch wohl erschüttert und hätte Konsequenzen für die angelsächsische Sphäre (die ja auch sehr stark vom Vertrauen in das Funktionieren dieser Politik abhängt). Im umgekehrten Falle allerdings, wenn Abe die Schulden drücken kann, die Wirtschaft anzieht, die große Inflation ausbleibt, dann hätten sich die Rezepte des Keynesianismus bewährt.

      Ich persönlich glaube, dass Japan das Stalingrad für Keynes werden wird - im Guten oder im Schlechten! Spannende Zeiten.

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    3. Sie mögen recht haben, dass die Abenomics letztlich zum Stalingrad für den keynesianischen Ansatz werden.

      Was die Notenbanken anbelangt, so denke ich allerdings, dass deren geldpolitischen Möglichkeiten in Bezug auf die Wirtschaft unter den gegebenen marktstrukturellen Gegebenheiten erheblich überschätzt werden. Es ist natürlich dennoch richtig, dass die Politik ihrer Probleme den Notenbanken von die Füße kippt und die nur die Möglichkeit haben, sich erfolgreich dagegen zu wehren und zuzuschauen, wie die Märkte abstürzen oder eben wenigstens genau das zu verhindern.

      Im Klartext: Die Notenbanken sind faktisch längst fiskalpolitisch aktiv. Das ändert aber nichts daran, dass ihr geldtheoretischer Ansatz mit schweren Unvollkommenheiten behaftet ist und sie - gerade auchdeswegen - mit ihrer Geldpolitik in Bezugauf die Wirtschaft praktisch erfolglos bleiben werden.

      Aber natürlich machen sie sich damit mit-, wenn nicht sogar hauptverantwortlich dafür, dass die Grenzen der Geld- und Verschuldungspolitik dauerhaft, massiv und letztlich wirtschaftsschädlich überschritten werden. Gerade in Japan ist das offensichtlich. Kuroda exponiert sich genauso sehr wie Shinzo Abe. Beide scheitern, wenn das gewagte Experiment scheitert.

      Wenn es scheitert - geld- und konjunkturpolitisch - (und ich nehme das an), da gebe ich Ihnen völlig recht, dann trifft das ganz besonders auch den angelsächsischen, von der Finanzindustrie dominierten Raum hart. Aber nicht nur das politische Konzept dort, sondern die Wirtschaft und die Finanzindustrie selbst real. So ist wohl auch die jüngste Warnung von David Cameron zum Abschluss der G20-Gipfels vor der realen Gefahr einer neuen Weltwirtschaftskrise zu verstehen.

      Und die Crux dabei ist, wenn das Scheitern der Abenomics die Finanzmärkte und die Weltwirtschaft in neue Turbulenzen stürzt, dann wird es kaum möglich sein, die Krise wie jene von 2008/2009 mit viel Liquidität und erneuter erheblicher staatlicher Verschuldung in den Griff zu bekommen. Einmal sind die Staaten bereits hoch verschuldet, zweitens ist aber auch die lediglich mit viel Geld zugeschüttete Krise von 2008/2009 genau dadurch bedingt nur noch viel größer geworden. Das heißt, die Fallhöhe ist beträchtlich gestiegen.

      Insofern sind die Warnungen einer ganzen Reihe von Finanzmarktexperten, die inzwischen unter anderem mit einem Absturz der Aktienkurse an den weltweiten Börsen um bis zu 50 Prozent rechnen, duchaus ernst zu nehmen.

      Die Krisenpolitik der Industriestaaten und ihrer Notenbanken hat uns in eine Sackgasse geührt.

      Viele Grüße
      SLE

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