Seit der Veröffentlichung Daten für das
Wirtschaftswachstum im dritten Quartal am 17. November ist klar, dass Japans
Wirtschaft trotz der Abenomics genannten Politik für Wirtschaftswachstum und
gegen die Deflation in die Rezession abgerutscht ist.
Weil Premier Shinzo Abe den Märkten
signalisieren wollte, dass seine Krisenpolitik funktioniert und auch das
Problem der enorm hohen Staatsverschuldung angegangen wird, hatte er die
Verbrauchssteuer in einem ersten Schritt mit Wirkung zum 1. April erhöht, was
sich als Fehler erwiesen hat. Die Wirtschaft war daraufhin im zweiten Quartal
erwartungsgemäß eingebrochen. Doch anders als von der Regierung erhofft, gab es
im dritten Quartal keine Erholung. Vielmehr schrumpfte die Wirtschaft, wie sich
jetzt bei der zweiten, genaueren Schätzung herausstellte, sogar um 0,5 Prozent
gegenüber dem zweiten Quartal, in dem bereits ein Wachstumsminus von 1,7
Prozent verbucht worden war. (1)
Die Abenomics können immer weniger überzeugen
Die Wirtschaftsentwicklung spricht bis
jetzt nicht für diese Politik, wie aus Abbildung 1
zu ersehen ist. Zwar steht unter dem Strich für die bisher sieben Quartale
währende Amtszeit Abes´ trotz des jüngsten Einbruchs immer noch ein Wachstum
von 1,4 Prozent. Doch die letzten sieben Quartale der Vorgängerregierung, die
ganz im Zeichen der Bewältigung der Katastrophe von Fukushima standen, ergeben
insgesamt sogar ein Wachstum von 2,1 Prozent und das ohne derart massive
Konjunkturspritzen und geldpolitische Maßnahmen, wie Abe sie ergriff
beziehungsweise veranlasste.
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Auch das angestrebte Ziel der Bank of
Japan, die Inflationsrate mit Hilfe der extrem lockeren Geldpolitik und dem
fortlaufenden Ankauf von Staatanleihen (Quantitative Easing) auf zwei Prozent
anzuheben, erweist sich als zunehmend problematisch. Der starke Ölpreisverfall
in den letzten Monaten konterkarierte diese Bemühungen zusätzlich.
Bereinigt um den Einfluss der Verbrauchssteuererhöhung
im April ergibt sich für 2014 bis einschließlich Oktober eine jährliche
Inflationsrate von lediglich 0,9 Prozent. (3) Das ist weit entfernt vom
Zwei-Prozent-Ziel der japan-ischen Notenbank.
Shinzo Abe flüchtet in Neuwahlen
Ohnehin hatte es in den letzten Monaten
zunehmend Zweifel am Erfolg der Abenomics, eine Kombination aus ultralockerer
Geldpolitik, großen Konjunkturprogrammen und Strukturreformen, gegeben. Nicht
nur viele Experten sehen diese Krisenpolitik kritisch, sondern vor allem auch
die japanische Bevölkerung, für die es bisher keine spürbar positiven Effekte
gibt.
Abe entschied sich deswegen nach der
Veröffentlichung der ersten Schätzung des Wachstums im dritten Quartal für die
Flucht nach vorn, stoppte die für Oktober 2015 geplante zweite Stufe der
Verbrauchssteuererhöhung vorerst, löste das Parlament auf und rief vorgezogene
Neuwahlen aus. Die Wahl des Unterhauses, die am 14. Dezember stattfinden wird,
soll nach seinem Bekunden ein Vertrauensvotum über die Abenomics sein. Seine
Argumentationslinie: Die Politik wirkt, braucht aber mehr Zeit. (4)
Abwärtsrevision der BIP-Daten und Herabstufung der Bonität Japans
Doch zwischenzeitlich wurden die
Wachstumsdaten für das dritte Quartal nach unten korrigiert. Statt annualisiert
1,7 Prozent (-0,4% gegenüber Q2) schrumpfte Japans Wirtschaft um 1,9 Prozent (-0,5%
gegenüber Q2). Zudem hat die Ratingagentur Moody´s Zweifel an der Konsolidierung
der Staatsfinanzen angemeldet und die Bonität des Landes um eine Stufe von ‚A1‘
auf Aa3‘ herabgesetzt. (5) Damit befindet sich Japans Kreditwürdigkeit jetzt
drei Stufen unter der Bestnote ‚Aaa‘.
Standard & Poor´s Rating für Japan
steht zwei Stufen unter der Bestnote (‚AAA‘), das heißt, die Kreditwürdigkeit
wird aktuell noch mit ‚AA-‘ bewertet. Unmittelbar nach der Herabstufung durch
Moody´s äußerte jedoch auch S&P Zweifel an Shinzo Abes´ Fähigkeit, die
Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen und senkte den Ausblick für Japans Bonität
auf ‚negativ‘. Eine Herabstufung ist infolgedessen bei der nächsten Bewertung
möglich. (6)
Je schlechter die Aussichten, desto besser die Umfragewerte?
Werbung für die Abenomics und die
Wiederwahl von Abes´ Liberaldemokraten (LDP) ist das alles nicht. Gleichwohl
prognostiziert die jüngste Umfrage der LDP bei der anstehenden Wahl einen
fulminanten Sieg – weil die Opposition so schwach und in den Augen der meisten
Wähler keine echte Alternative ist.
Bisher verfügt die LDP über 295, zusammen
mit dem kleineren Koalitionspartner Komeito über 326 der insgesamt 475 Sitze im
Unterhaus. Nach der Prognose könnte die LDP am 14. Dezember 303-320 Sitze
erringen. Damit wäre es möglich, dass sie nun eventuell sogar alleine die
erforderlichen 317 Sitze gewinnt, um Entscheidungen des Oberhauses aushebeln zu
können. (7) Der mit Abstand größten Oppositionspartei, der Demokratischen
Partei Japans (DPJ), die bisher über 62 Site im Unterhaus verfügt, werden
hingegen nur 65 bis 81 Sitze zugetraut. Das wäre deutlich unter dem von der DPJ
für die Neuwahlen angestrebten Ziel von 100 Sitzen. (8)
Niemand geht deswegen ernsthaft davon aus,
dass Shinzo Abe die Mehrheit verfehlen könnte und dann – wie von ihm für diesen
Fall angekündigt – zurücktreten müsste.
Gleichwohl gibt es zwei Faktoren, die die
Prognose eines haushohen Sieges der
LDP unsicher machen. Denn in den Umfragen hat sich ebenfalls gezeigt, dass deutlich
weniger Japaner an der Wahl interessiert sind als vor der letzten Unterhauswahl
Ende 2012, die Abe an die Macht brachte. Damals lag die Wahlbeteiligung bei nur
59 Prozent. Das heißt, sie könnte dieses Mal möglicherweise noch geringer sein.
Zudem liegt laut Umfragen der Anteil der immer noch unentschlossenen Wähler bei
45 Prozent. (9)
Es erscheint zudem von außen betrachtet
widersprüchlich, dass Abes´ Politik und seine LDP in den letzten Umfragen nicht
nur ein klarer Sieg, sondern sogar noch eine stärkere Machtbasis im Parlament prophezeit
wird, obwohl das BIP-Wachstum nach unten korrigiert und auch die Bonität inzwischen
von einer Ratingagentur herab-gestuft wurde. Es sei denn, die Japaner lesen
keine Zeitungen. Bonitätsherabstufungen bedeuten in jedem Fall, dass Japan tendenziell
einen höheren Zins bieten muss, wenn es sich am internationalen Kapitalmarkt
Geld besorgen will.
Abe geht mit schweren Hypotheken in die Wahl
Die G20-Staaten, Ratingagenturen und Investoren
erwarten von Abe angesichts einer Staatsschuldenquote von inzwischen annähernd
250 Prozent der Wirtschaftsleistung energische Schritte zur Konsolidierung des
Staats-haushalts. Es kann dem japanischen Premier nicht egal sein, ob an den
Finanzmärkten der Daumen über seine Abenomics gesenkt wird. Gerade auch
deswegen hatte er im April die Verbrauchssteuer erhöht. Er warb damit um das
Vertrauen der Investoren in seine Politik.
Doch bei der Wahl wirbt er um das
Vertrauen der Japaner in die Abenomics. Deren Erwartungen sind anders gelagert
und stehen mithin im Widerspruch zu dem, was Ratingagenturen und Investoren fordern.
Denn Haushaltskonsolidierung würde nach gängiger Auffassung Steuererhöhungen
und/oder Ausgabenkürzungen bedeuten – und für die Japaner sinkende
Realeinkommen. Die Realeinkommen sind aber ohnehin bereits gesunken,
insbesondere auch bedingt durch die Verbrauchssteuererhöhung. Die Wähler erwarten
jetzt aber vor allem steigende Realeinkommen und vor diesem Hintergrund eher noch
ein weiteres Konjunkturprogramm. (10) Dies alles unter einen Hut zu bringen, allen
Forderungen zu entsprechen, erscheint unmöglich.
Davon abgesehen geht Abe mit weiteren,
durchaus schwer wiegenden Hypotheken in die Wahl. Denn die Mehrheit der Japaner
ist mit der verteidigungs- und energiepolitischen Linie ihres Premiers nicht
einverstanden. Die aktiv von Abe vorangetriebene Abkehr von der pazifistischen
Verfassung sowie die Rückkehr zur Nutzung der Kernkraft für die
Energieversorgung Japans ist alles andere als populär. Wenig hilfreich für Abe
sind zudem mehrere Aufsehen erregende Skandale um Kabinettsmitglieder in
jüngster Zeit. Zwei Ministerinnen sahen sich infolgedessen zum Rücktritt
gezwungen. (11) Das geschah Ende Oktober.
Wie die Japaner all das am Wahltag
gewichten und was von all dem für sie überhaupt eine Rolle bei der Stimm-abgabe spielt,
ist ungewiss. Nicht immer liegen Umfragen mit ihren Wahlprognosen richtig.
Abes´ Trumpf ist letztlich einzig und allein die Schwäche der Opposition. Deren
Hoffnung sind wiederum Protestwähler.
Auch Griechenlands umstrittene Regierung geht jetzt Abes´ Weg
Interessant ist im Übrigen, dass sich die
wegen ihrer Krisenpolitik stark unter Druck geratene Regierung Griechenlands
jetzt ebenso wie Abe für die Flucht nach vorn entschieden hat. Gestern gab sie
überraschend bekannt, die Wahl eines neuen Staatspräsidenten nicht wie bisher
erwartet zum Ende der Amtszeit von Karolos Papoulias Ende Februar zu starten,
sondern bereits am 17. Dezember. (12) Das Problem: Laut Verfassung ist dafür
eine Zweidrittel-Mehrheit erforderlich, über die die Regierungskoalition im Parlament
jedoch nicht verfügt. Die Opposition hat zudem bereits angekündigt, der
Regierung nicht zur erforderlichen Mehrheit verhelfen zu wollen. (13) Der
Hintergrund dafür ist, dass die Regierung vorgezogene Parlamentswahlen ansetzen
muss, wenn sich nach drei Abstimmungsrunden keine Mehrheit für einen neuen
Staatspräsidenten ergibt. Die Opposition und insbesondere die in Umfragen
führende linksgerichtete Partei Syriza fordert seit langem vorgezogenen
Neuwahlen. Insofern gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Wahl eines
neuen Staatsoberhauptes scheitert und in Griechenland Anfang 2015 ein neues
Parlament gewählt wird.
Für den konservativen Regierungschef
Antonis Samaras, dessen Partei Nea Dimokratia (ND) in Umfragen an zweiter
Stelle hinter Syriza liegt, ist das ebenso wie für Shinzo Abe in Japan eine
Abstimmung über seine Krisenpolitik. Seine Chancen stehen laut Umfragen jedoch
deutlich schlechter.
Neue Normalität: Unklare Mehrheitsverhältnisse als Folge der Krisenpolitik
Dass Regierungen angesichts schwieriger
wirtschaftlicher Lage zunehmend den Rückhalt für ihre Politik verlieren
respektive Schwierigkeiten haben, Mehrheiten zu bilden, das könnte letztlich
die Konsequenz der in den Industriestaaten betriebenen Krisenpolitik sein.
Regierungen und Notenbanken haben den
Menschen ihre Krisenpolitik bisher als Erfolg verkauft, obwohl sie von immer
mehr Menschen in Krisenstaaten sowie in solchen, denen die Krise droht, nicht
so erlebt wird. Die sich verändernde politische und parlamentarische Realität,
beispielsweise in Portugal (14) (15), Spanien (16) Italien (5-Sterne-Partei),
Großbritannien (Ukip) oder auch Schweden, wo es jetzt ebenfalls vorgezogene Neuwahlen
geben wird (17), weist – gemessen an den in Umfragen und Wahlen erkennbar
sinkenden Zustimmungswerten etablierter, großer Volksparteien – in diese
Richtung.
Was bedeutet das?
Es bedeutet zunächst, dass sich die
Orientierungsschwierigkeiten der Politik im Hinblick auf die Bewältigung der
Krise bzw. der Krisenfolgen in der wirtschaftlichen Realität der Menschen
niederschlagen und sich letztendlich auch in deren Wahlentscheidungen
widerspiegeln. Auch die Wähler sind mit Blick auf die Politik orientierungslos.
Unter dem Strich bedeutet es, den
parlamentarischen Demokratien der wirtschaftlich längst ausgereiften Industriestaaten
fehlt ein überzeugendes, die wirtschaftliche Realität einer wieder größer werdenden
Mehrheit der Bevölkerung verbesserndes Politikkonzept.
Gute BIP-Wachstumsdaten können nicht darüber
hinwegtäuschen, weil sie die wirtschaftliche Realität nur höchst unvollkommen
abbilden können. Dass etwa in den USA seit Jahren anhaltend 44-46 Millionen
Menschen bzw. rund 14 Prozent der US-Bevölkerung auf Lebensmittelmarken
angewiesen sind (18) und in der Europäischen Union mehr als 122 Millionen Menschen
bzw. 24,5 Prozent der EU-Bevölkerung von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht
sind (19), geht daraus ebenso wenig hervor wie die heute – gerade auch in den
Industrie-staaten – teils extrem ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung (20)
(21).
Wie geht es also weiter?
Handeln erforderlich, aber politische Handlungsfähigkeit verspielt
Es ist nicht erkennbar, dass die führenden
Parteien in den Industriestaaten ihre Politik zu ändern und neu zu orientieren beabsichtigen.
Sie beharren jeweils darauf, alles richtig zu machen. Vielleicht sind sie auch gar
nicht in der Lage, eine alternative Politikkonzeption, einen Plan B zu generieren.
Jedenfalls kurz- bis mittelfristig nicht.
In der Wirtschafts- und Krisenpolitik
sowie gemessen an den Resultaten derselben unterscheiden sich die großen
Volksparteien auf der linken und rechten Seite des politischen Spektrums ohnehin
kaum mehr. Zwischen politischem Anspruch und wirtschaftlicher Realität (aus der
Perspektive der Menschen betrachtet, für die sie die politische Verantwortung
tragen) klafft allerdings inzwischen eine gefährlich große Lücke, die sich
nicht durch mediale Absolution oder Selbstbeweihräucherung schließen lässt. Schlimmer
noch droht diese Lücke schon deswegen nicht geschlossen zu werden, weil sie
ignoriert oder mitunter auch schlicht wegdefiniert wird.
Daraus ergibt sich eine in doppelter
Hinsicht fatale Entwicklung: Die politische Handlungsfähigkeit schwindet
infolge schrumpfender Mehrheiten, während sich zugleich die
gesamtwirtschaftlichen Perspektiven aufgrund der politisch geschaffenen, massiv
problembehafteten wirtschaftlichen Realitäten in Richtung Weltwirtschaftskrise
bewegen, der nicht notwendigerweise ein Crash an den Börsen vorausgehen muss.
Es mag sein, dass niemand wirklich darüber
nachdenken will. Verantwortliche Politiker sollten es jedoch tun. Die wirtschaftliche
Realität wird sie ohnehin einholen und zwar eher früher als später, weil ganz
einfach schon zu lange auf Zeit gespielt worden ist. Die Behauptung, die
jeweilige Politik brauche nur mehr Zeit, um zu wirken, hat jetzt sehr kurze
Beine und Wahlerfolge, darauf sei nochmals explizit hingewiesen, haben heute
offensichtlich wieder – wie zum Ende
der Weimarer Republik – eine zunehmend kürzere Halbwertszeit. Nur – Weimar ist
heute überall!
Das Thema
„Dritte Weltwirtschaftskrise“ wurde bisher in drei weiteren Aufsätzen
behandelt, die mit diesem vierten korrespondieren (siehe dazu: „Wachstumsschuboder neue Weltwirtschaftskrise“, „Ist die dritte Weltwirtschaftskrise noch abzuwenden?“
und „Phase 4 der Krisenbekämpfung“). Weitere werden folgen.
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