Dienstag, 9. Dezember 2014

Dritte Weltwirtschaftskrise: Wie Japan & Co. die politische Handlungsfähigkeit verspielen



Seit der Veröffentlichung Daten für das Wirtschaftswachstum im dritten Quartal am 17. November ist klar, dass Japans Wirtschaft trotz der Abenomics genannten Politik für Wirtschaftswachstum und gegen die Deflation in die Rezession abgerutscht ist.
Weil Premier Shinzo Abe den Märkten signalisieren wollte, dass seine Krisenpolitik funktioniert und auch das Problem der enorm hohen Staatsverschuldung angegangen wird, hatte er die Verbrauchssteuer in einem ersten Schritt mit Wirkung zum 1. April erhöht, was sich als Fehler erwiesen hat. Die Wirtschaft war daraufhin im zweiten Quartal erwartungsgemäß eingebrochen. Doch anders als von der Regierung erhofft, gab es im dritten Quartal keine Erholung. Vielmehr schrumpfte die Wirtschaft, wie sich jetzt bei der zweiten, genaueren Schätzung herausstellte, sogar um 0,5 Prozent gegenüber dem zweiten Quartal, in dem bereits ein Wachstumsminus von 1,7 Prozent verbucht worden war. (1)

Die Abenomics können immer weniger überzeugen

Die Wirtschaftsentwicklung spricht bis jetzt nicht für diese Politik, wie aus Abbildung 1 zu ersehen ist. Zwar steht unter dem Strich für die bisher sieben Quartale währende Amtszeit Abes´ trotz des jüngsten Einbruchs immer noch ein Wachstum von 1,4 Prozent. Doch die letzten sieben Quartale der Vorgängerregierung, die ganz im Zeichen der Bewältigung der Katastrophe von Fukushima standen, ergeben insgesamt sogar ein Wachstum von 2,1 Prozent und das ohne derart massive Konjunkturspritzen und geldpolitische Maßnahmen, wie Abe sie ergriff beziehungsweise veranlasste.
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Auch das angestrebte Ziel der Bank of Japan, die Inflationsrate mit Hilfe der extrem lockeren Geldpolitik und dem fortlaufenden Ankauf von Staatanleihen (Quantitative Easing) auf zwei Prozent anzuheben, erweist sich als zunehmend problematisch. Der starke Ölpreisverfall in den letzten Monaten konterkarierte diese Bemühungen zusätzlich.
Seit April (1,9%) verlangsamte sich die saisonal bereinigte Preissteigerungsrate (Consumer Price Index (CPI)) gegenüber dem jeweiligen Vormonat kontinuierlich von 0,5% (Mai), auf 0,2% (Juni), 0,1% (Juli), und 0% im August. Nur im September stieg die Teuerungsrate mit einem Plus von 0,2% wieder leicht an. Allerdings ergab sich dann für Oktober sogar ein Preisrückgang um 0,4%. (2)
Bereinigt um den Einfluss der Verbrauchssteuererhöhung im April ergibt sich für 2014 bis einschließlich Oktober eine jährliche Inflationsrate von lediglich 0,9 Prozent. (3) Das ist weit entfernt vom Zwei-Prozent-Ziel der japan-ischen Notenbank.

Shinzo Abe flüchtet in Neuwahlen

Ohnehin hatte es in den letzten Monaten zunehmend Zweifel am Erfolg der Abenomics, eine Kombination aus ultralockerer Geldpolitik, großen Konjunkturprogrammen und Strukturreformen, gegeben. Nicht nur viele Experten sehen diese Krisenpolitik kritisch, sondern vor allem auch die japanische Bevölkerung, für die es bisher keine spürbar positiven Effekte gibt.
Abe entschied sich deswegen nach der Veröffentlichung der ersten Schätzung des Wachstums im dritten Quartal für die Flucht nach vorn, stoppte die für Oktober 2015 geplante zweite Stufe der Verbrauchssteuererhöhung vorerst, löste das Parlament auf und rief vorgezogene Neuwahlen aus. Die Wahl des Unterhauses, die am 14. Dezember stattfinden wird, soll nach seinem Bekunden ein Vertrauensvotum über die Abenomics sein. Seine Argumentationslinie: Die Politik wirkt, braucht aber mehr Zeit. (4)

Abwärtsrevision der BIP-Daten und Herabstufung der Bonität Japans

Doch zwischenzeitlich wurden die Wachstumsdaten für das dritte Quartal nach unten korrigiert. Statt annualisiert 1,7 Prozent (-0,4% gegenüber Q2) schrumpfte Japans Wirtschaft um 1,9 Prozent (-0,5% gegenüber Q2). Zudem hat die Ratingagentur Moody´s Zweifel an der Konsolidierung der Staatsfinanzen angemeldet und die Bonität des Landes um eine Stufe von ‚A1‘ auf Aa3‘ herabgesetzt. (5) Damit befindet sich Japans Kreditwürdigkeit jetzt drei Stufen unter der Bestnote ‚Aaa‘.
Standard & Poor´s Rating für Japan steht zwei Stufen unter der Bestnote (‚AAA‘), das heißt, die Kreditwürdigkeit wird aktuell noch mit ‚AA-‘ bewertet. Unmittelbar nach der Herabstufung durch Moody´s äußerte jedoch auch S&P Zweifel an Shinzo Abes´ Fähigkeit, die Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen und senkte den Ausblick für Japans Bonität auf ‚negativ‘. Eine Herabstufung ist infolgedessen bei der nächsten Bewertung möglich. (6)

Je schlechter die Aussichten, desto besser die Umfragewerte?

Werbung für die Abenomics und die Wiederwahl von Abes´ Liberaldemokraten (LDP) ist das alles nicht. Gleichwohl prognostiziert die jüngste Umfrage der LDP bei der anstehenden Wahl einen fulminanten Sieg – weil die Opposition so schwach und in den Augen der meisten Wähler keine echte Alternative ist.
Bisher verfügt die LDP über 295, zusammen mit dem kleineren Koalitionspartner Komeito über 326 der insgesamt 475 Sitze im Unterhaus. Nach der Prognose könnte die LDP am 14. Dezember 303-320 Sitze erringen. Damit wäre es möglich, dass sie nun eventuell sogar alleine die erforderlichen 317 Sitze gewinnt, um Entscheidungen des Oberhauses aushebeln zu können. (7) Der mit Abstand größten Oppositionspartei, der Demokratischen Partei Japans (DPJ), die bisher über 62 Site im Unterhaus verfügt, werden hingegen nur 65 bis 81 Sitze zugetraut. Das wäre deutlich unter dem von der DPJ für die Neuwahlen angestrebten Ziel von 100 Sitzen. (8)
Niemand geht deswegen ernsthaft davon aus, dass Shinzo Abe die Mehrheit verfehlen könnte und dann – wie von ihm für diesen Fall angekündigt – zurücktreten müsste.
Gleichwohl gibt es zwei Faktoren, die die Prognose eines haushohen Sieges der LDP unsicher machen. Denn in den Umfragen hat sich ebenfalls gezeigt, dass deutlich weniger Japaner an der Wahl interessiert sind als vor der letzten Unterhauswahl Ende 2012, die Abe an die Macht brachte. Damals lag die Wahlbeteiligung bei nur 59 Prozent. Das heißt, sie könnte dieses Mal möglicherweise noch geringer sein. Zudem liegt laut Umfragen der Anteil der immer noch unentschlossenen Wähler bei 45 Prozent. (9)
Es erscheint zudem von außen betrachtet widersprüchlich, dass Abes´ Politik und seine LDP in den letzten Umfragen nicht nur ein klarer Sieg, sondern sogar noch eine stärkere Machtbasis im Parlament prophezeit wird, obwohl das BIP-Wachstum nach unten korrigiert und auch die Bonität inzwischen von einer Ratingagentur herab-gestuft wurde. Es sei denn, die Japaner lesen keine Zeitungen. Bonitätsherabstufungen bedeuten in jedem Fall, dass Japan tendenziell einen höheren Zins bieten muss, wenn es sich am internationalen Kapitalmarkt Geld besorgen will.

Abe geht mit schweren Hypotheken in die Wahl

Die G20-Staaten, Ratingagenturen und Investoren erwarten von Abe angesichts einer Staatsschuldenquote von inzwischen annähernd 250 Prozent der Wirtschaftsleistung energische Schritte zur Konsolidierung des Staats-haushalts. Es kann dem japanischen Premier nicht egal sein, ob an den Finanzmärkten der Daumen über seine Abenomics gesenkt wird. Gerade auch deswegen hatte er im April die Verbrauchssteuer erhöht. Er warb damit um das Vertrauen der Investoren in seine Politik.
Doch bei der Wahl wirbt er um das Vertrauen der Japaner in die Abenomics. Deren Erwartungen sind anders gelagert und stehen mithin im Widerspruch zu dem, was Ratingagenturen und Investoren fordern. Denn Haushaltskonsolidierung würde nach gängiger Auffassung Steuererhöhungen und/oder Ausgabenkürzungen bedeuten – und für die Japaner sinkende Realeinkommen. Die Realeinkommen sind aber ohnehin bereits gesunken, insbesondere auch bedingt durch die Verbrauchssteuererhöhung. Die Wähler erwarten jetzt aber vor allem steigende Realeinkommen und vor diesem Hintergrund eher noch ein weiteres Konjunkturprogramm. (10) Dies alles unter einen Hut zu bringen, allen Forderungen zu entsprechen, erscheint unmöglich.
Davon abgesehen geht Abe mit weiteren, durchaus schwer wiegenden Hypotheken in die Wahl. Denn die Mehrheit der Japaner ist mit der verteidigungs- und energiepolitischen Linie ihres Premiers nicht einverstanden. Die aktiv von Abe vorangetriebene Abkehr von der pazifistischen Verfassung sowie die Rückkehr zur Nutzung der Kernkraft für die Energieversorgung Japans ist alles andere als populär. Wenig hilfreich für Abe sind zudem mehrere Aufsehen erregende Skandale um Kabinettsmitglieder in jüngster Zeit. Zwei Ministerinnen sahen sich infolgedessen zum Rücktritt gezwungen. (11) Das geschah Ende Oktober.
Wie die Japaner all das am Wahltag gewichten und was von all dem für sie überhaupt eine Rolle bei der Stimm-abgabe spielt, ist ungewiss. Nicht immer liegen Umfragen mit ihren Wahlprognosen richtig. Abes´ Trumpf ist letztlich einzig und allein die Schwäche der Opposition. Deren Hoffnung sind wiederum Protestwähler.

Auch Griechenlands umstrittene Regierung geht jetzt Abes´ Weg

Interessant ist im Übrigen, dass sich die wegen ihrer Krisenpolitik stark unter Druck geratene Regierung Griechenlands jetzt ebenso wie Abe für die Flucht nach vorn entschieden hat. Gestern gab sie überraschend bekannt, die Wahl eines neuen Staatspräsidenten nicht wie bisher erwartet zum Ende der Amtszeit von Karolos Papoulias Ende Februar zu starten, sondern bereits am 17. Dezember. (12) Das Problem: Laut Verfassung ist dafür eine Zweidrittel-Mehrheit erforderlich, über die die Regierungskoalition im Parlament jedoch nicht verfügt. Die Opposition hat zudem bereits angekündigt, der Regierung nicht zur erforderlichen Mehrheit verhelfen zu wollen. (13) Der Hintergrund dafür ist, dass die Regierung vorgezogene Parlamentswahlen ansetzen muss, wenn sich nach drei Abstimmungsrunden keine Mehrheit für einen neuen Staatspräsidenten ergibt. Die Opposition und insbesondere die in Umfragen führende linksgerichtete Partei Syriza fordert seit langem vorgezogenen Neuwahlen. Insofern gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Wahl eines neuen Staatsoberhauptes scheitert und in Griechenland Anfang 2015 ein neues Parlament gewählt wird.
Für den konservativen Regierungschef Antonis Samaras, dessen Partei Nea Dimokratia (ND) in Umfragen an zweiter Stelle hinter Syriza liegt, ist das ebenso wie für Shinzo Abe in Japan eine Abstimmung über seine Krisenpolitik. Seine Chancen stehen laut Umfragen jedoch deutlich schlechter.

Neue Normalität: Unklare Mehrheitsverhältnisse als Folge der Krisenpolitik

Dass Regierungen angesichts schwieriger wirtschaftlicher Lage zunehmend den Rückhalt für ihre Politik verlieren respektive Schwierigkeiten haben, Mehrheiten zu bilden, das könnte letztlich die Konsequenz der in den Industriestaaten betriebenen Krisenpolitik sein.
Regierungen und Notenbanken haben den Menschen ihre Krisenpolitik bisher als Erfolg verkauft, obwohl sie von immer mehr Menschen in Krisenstaaten sowie in solchen, denen die Krise droht, nicht so erlebt wird. Die sich verändernde politische und parlamentarische Realität, beispielsweise in Portugal (14) (15), Spanien (16) Italien (5-Sterne-Partei), Großbritannien (Ukip) oder auch Schweden, wo es jetzt ebenfalls vorgezogene Neuwahlen geben wird (17), weist – gemessen an den in Umfragen und Wahlen erkennbar sinkenden Zustimmungswerten etablierter, großer Volksparteien – in diese Richtung.
Was bedeutet das?
Es bedeutet zunächst, dass sich die Orientierungsschwierigkeiten der Politik im Hinblick auf die Bewältigung der Krise bzw. der Krisenfolgen in der wirtschaftlichen Realität der Menschen niederschlagen und sich letztendlich auch in deren Wahlentscheidungen widerspiegeln. Auch die Wähler sind mit Blick auf die Politik orientierungslos.
Unter dem Strich bedeutet es, den parlamentarischen Demokratien der wirtschaftlich längst ausgereiften Industriestaaten fehlt ein überzeugendes, die wirtschaftliche Realität einer wieder größer werdenden Mehrheit der Bevölkerung verbesserndes Politikkonzept.
Gute BIP-Wachstumsdaten können nicht darüber hinwegtäuschen, weil sie die wirtschaftliche Realität nur höchst unvollkommen abbilden können. Dass etwa in den USA seit Jahren anhaltend 44-46 Millionen Menschen bzw. rund 14 Prozent der US-Bevölkerung auf Lebensmittelmarken angewiesen sind (18) und in der Europäischen Union mehr als 122 Millionen Menschen bzw. 24,5 Prozent der EU-Bevölkerung von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht sind (19), geht daraus ebenso wenig hervor wie die heute – gerade auch in den Industrie-staaten – teils extrem ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung (20) (21).
Wie geht es also weiter?

Handeln erforderlich, aber politische Handlungsfähigkeit verspielt

Es ist nicht erkennbar, dass die führenden Parteien in den Industriestaaten ihre Politik zu ändern und neu zu orientieren beabsichtigen. Sie beharren jeweils darauf, alles richtig zu machen. Vielleicht sind sie auch gar nicht in der Lage, eine alternative Politikkonzeption, einen Plan B zu generieren. Jedenfalls kurz- bis mittelfristig nicht.
In der Wirtschafts- und Krisenpolitik sowie gemessen an den Resultaten derselben unterscheiden sich die großen Volksparteien auf der linken und rechten Seite des politischen Spektrums ohnehin kaum mehr. Zwischen politischem Anspruch und wirtschaftlicher Realität (aus der Perspektive der Menschen betrachtet, für die sie die politische Verantwortung tragen) klafft allerdings inzwischen eine gefährlich große Lücke, die sich nicht durch mediale Absolution oder Selbstbeweihräucherung schließen lässt. Schlimmer noch droht diese Lücke schon deswegen nicht geschlossen zu werden, weil sie ignoriert oder mitunter auch schlicht wegdefiniert wird.
Daraus ergibt sich eine in doppelter Hinsicht fatale Entwicklung: Die politische Handlungsfähigkeit schwindet infolge schrumpfender Mehrheiten, während sich zugleich die gesamtwirtschaftlichen Perspektiven aufgrund der politisch geschaffenen, massiv problembehafteten wirtschaftlichen Realitäten in Richtung Weltwirtschaftskrise bewegen, der nicht notwendigerweise ein Crash an den Börsen vorausgehen muss.
Es mag sein, dass niemand wirklich darüber nachdenken will. Verantwortliche Politiker sollten es jedoch tun. Die wirtschaftliche Realität wird sie ohnehin einholen und zwar eher früher als später, weil ganz einfach schon zu lange auf Zeit gespielt worden ist. Die Behauptung, die jeweilige Politik brauche nur mehr Zeit, um zu wirken, hat jetzt sehr kurze Beine und Wahlerfolge, darauf sei nochmals explizit hingewiesen, haben heute offensichtlich wieder – wie zum Ende der Weimarer Republik – eine zunehmend kürzere Halbwertszeit. Nur – Weimar ist heute überall!
Das Thema „Dritte Weltwirtschaftskrise“ wurde bisher in drei weiteren Aufsätzen behandelt, die mit diesem vierten korrespondieren (siehe dazu: „Wachstumsschuboder neue Weltwirtschaftskrise“, „Ist die dritte Weltwirtschaftskrise noch abzuwenden?“ und „Phase 4 der Krisenbekämpfung“). Weitere werden folgen.

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