Montag, 5. September 2016

CDU-Absturz mit Ansage in Mecklenburg-Vorpommern: Was hat Angela Merkel vor?



Zum Wahlausgang in Mecklenburg-Vorpommern gibt es eigentlich nicht viel zu sagen. Es ist eingetreten, was erwartet worden war.

Keine echten Überraschungen bei der Landtagswahl

Die SPD kann weiter regieren. Sie profitierte von der Beliebtheit und Glaubwürdigkeit ihres Spitzenkandidaten Erwin Sellering, der im Wahlkampf vor Kritik an der Politik der Bundesregierung nicht zurückscheute. Die Alternative für Deutschland (AfD) aber ist – wie schon bei den Landtagswahlen zuvor und wieder einmal getragen vom Aufreger-Thema Nr. 1 „Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin“ – mit einem erdrutschartigen Stimmengewinn in den Landtag gewählt worden. Dort ist sie nun zweitstärkste Kraft vor der CDU. (1)
Und wer es bis jetzt noch immer nicht wahr haben wollte und auch die Analysen zu den Wählerwanderungen und zum Wahlverhalten verpasst hat, dem sei gesagt, dass die AfD erneut in hohem Maße bisher politikverdrossene Nichtwähler mobilisierte und Wähler von allen etablierten Parteien abgeworben hat (2). Sie kommen zudem aus allen gesellschaftlichen (3) und beruflichen Schichten (4).
Die AfD ist insofern nicht mehr nur eine rechtspopulistische Anti-Establishment-Partei, welche vor allem Wähler anzieht, die die Politik der Bundesregierung „nicht richtig verstehen“. Nein, sie ist inzwischen auch und vielleicht sogar in erster Linie eine „Anti-Merkel-„ oder eine „Stoppt Merkel!“-Partei. Sie sammelt bei Wahlen höchst erfolgreich alle Unzufriedenen ein, die es den etablierten Parteien ankreiden, den politischen Kurs der Bundeskanzlerin nicht stoppen oder verändern zu können oder schlimmer noch, die ihn unterstützen und damit überhaupt erst möglich machen.
Das gilt keineswegs nur für die Flüchtlingspolitik! Es gilt unter anderem ebenso für ihre rückhaltlose Unterstützung der höchst umstrittenen Freihandelsabkommen der EU mit den USA und Kanada (TTIP und Ceta), für den von ihr forcierten, aber ebenfalls sehr umstrittenen austeritätspolitischen Kurs in europäischen Schuldenstaaten und beispielsweise auch für ihren Kurs in der Ukrainekrise und gegenüber Russland, der heftige Reaktionen in Teilen der Bevölkerung hervorrief.

An der Politik in Berlin wird sich trotzdem nichts ändern, …

Der einzige Joker etablierter Parteien, der bisher bei Wahlen noch einigermaßen wirksam gegen diese Vorwürfe gezogen werden kann, sind erkennbar authentische Kandidaten mit einer eigenständigen Haltung, die sich eben nicht bedingungslos und scheinbar unhinterfragt am Merkel´schen Kompass ausrichtet.
Bisher gab es in Mecklenburg Vorpommern eine Große Koalition. Rein rechnerisch könnte die SPD zwar auch mit der Linkspartei regieren. Doch dass sie in ihrer Unzufriedenheit mit der Flüchtlingspolitik so weit geht, für die Bundes-SPD die Revolution gegen die Kanzlerinnen-Union zu proben und ein Linksbündnis schmiedet, das erwartet ernsthaft niemand.
Vor allem aber erwartet niemand ernsthaft, dass die Bundeskanzlerin (bzw. die Bundesregierung) aufgrund des anhaltenden Aufstiegs der AfD nun ein Einsehen hat und ihren flüchtlingspolitischen Kurs – einschließlich der Türkei-Politik – merklich verändert.

… aber warum eigentlich nicht?

Und genau das ist der vielleicht einzig wirklich interessante Punkt im Zusammenhang mit der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern. Denn wenn die Bundeskanzlerin eines bewiesen hat, dann dass sie ohne mit der Wimper zu zucken zu 180-Grad-Wendungen in ihrer Politik in der Lage ist.
Das prominenteste, aber nicht das einzige Beispiel dafür ist die Energiewende. Kurz vor der Atomkatastrophe von Fukushima hatte sie für den Ausbau der Atomenergie grünes Licht gegeben. Kurz danach verkündete sie den Ausstieg aus dieser Technologie. Die Atomenergie war politisch nicht mehr vermittelbar geworden. Ansonsten hätte sie diesen Schritt nicht getan.
Angela Merkel kalkuliert und entscheidet – wenn auch oft erst nach einem unsäglichen Schlingerkurs - nüchtern. Aber sie vergisst dabei niemals, was dies für sie selbst politisch für Folgen haben wird. Diese Kunst beherrscht sie offensichtlich nahezu perfekt. Sie wechselte nach dem Zusammenbruch des DDR-Regimes erfolgreich die Seiten und machte im Westen politische Karriere, distanzierte sich später von ihrem Förderer Helmut Kohl, was ihr nicht schadete. Im Gegenteil stieg sie anschließend erst zur Parteichefin auf und später zur Kanzlerin.
So betrachtet fragt sich, warum sie dieses Mal, nämlich vor dem Hintergrund der erkennbar hohen Ablehnung ihrer flüchtlingspolitischen Linie in der Bevölkerung, die die CDU bei Wahlen schmerzlich zu spüren bekommt, ihrer politischen Linie treu bleibt.

Was strebt Angela Merkel an? Wiederwahl?

Es erscheint wenig wahrscheinlich, dass Frau Merkel ihre Entscheidung in diesem Fall nicht sehr genau abgewogen hat. Aber es erscheint keineswegs mehr ausgemacht, dass sie dabei in erster Linie an ihre Partei denkt. Die ist – ob des für viele allzu sozialen und ihres umstrittenen europapolitischen Kurses – schon längst gespalten. Sehr effektiv war sie allerdings darin, die Wahlchancen der Union an ihre Persönlichkeit zu koppeln. Was die Union ohne sie bei Wahlen noch wert wäre, ist eine Frage, die so manchen in der Union umtreiben dürfte. Wenn sie abtritt, könnte die CDU in eine tiefe Krise stürzen, weil sie sich neu finden und möglicherweise auch neu erfinden muss.
Wer vermag schon zu sagen, was die Bundeskanzlerin bei ihren wichtigen politischen Entscheidungen der letzten Monate und Jahre alles bedacht hat und was jeweils den Ausschlag gegeben hat? Will Sie ihre Karriere als Bundeskanzlerin überhaupt noch fortsetzen? Oder strebt sie etwas anderes an, beispielsweise die Führungsposition bei einer internationalen Institution?

Alle Türen für einen Wechsel offen gehalten

Nüchtern betrachtet hat sich Angela Merkel mit ihren grundlegenden politischen Weichenstellungen (Energiewende, Klimaschutz, Flüchtlingspolitik) durchaus auch für andere Positionen auf internationaler Ebene interessant gemacht.
Zudem hat sie sich die dafür sicherlich notwendige Unterstützung der US-Regierung gewiss erworben. Sie ist im NSA-Skandal nicht auf Konfrontationskurs gegangen, sie hat den Whistleblower Edward Snowden nicht unterstützt, sie hat sich im Ukraine-Konflikt und in der Krim-Krise ganz auf die Seite der USA gestellt, sie hält trotz großer Widerstände am geplanten Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP) fest und fasst den NATO-Partner Türkei allen Verstößen gegen demokratische Grundwerte zum Trotz mit Glacéhandschuhen an.
All das hat ihr in der Bevölkerung Deutschlands und Europas viel Kritik eingebracht – Kritik, die sich in Wahlergebnissen niederschlägt und Protestparteien europaweit beflügelte. Nicht zuletzt sind ihre Entscheidungen für Deutschland zum Teil als finanziell und wirtschaftlich kostspielig anzusehen. Ob sie sich am Ende rechnen oder ob ein zu hoher Preis gezahlt wurde (z.B. Euro-Rettung, Sanktionen gegen Russland, Türkei-Deal, Brexit), das ist jetzt noch keineswegs ausgemacht. Gewissheit darüber wird es erst geben, wenn Angela Merkel längst nicht mehr Bundeskanzlerin ist.

Weichenstellungen

Anfang Dezember wird sich Angela Merkel zur Wiederwahl als CDU-Parteivorsitzende stellen. Die Frage, ob sie erneut für das Amt der Bundeskanzlerin kandidieren wird, hat sie offen gelassen. In diesem Jahr, so viel scheint sicher, wird sie nicht mehr beantwortet werden.
Es mag sehr gut sein und es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass sie wieder als Spitzenkandidatin in den Bundestagswahlkampf zieht. Ernstzunehmende Konkurrenz gibt es gemessen an den Umfragen nach wie vor nicht, weder innerparteilich noch in anderen Parteien. Sicher ist es ihre Kandidatur dennoch nicht. Vielleicht hat sie längst eine andere Position im Auge und ob dies der Fall ist, das ist die wirklich interessante Frage, die das Inkaufnehmen eines neuerlichen Erfolges der AfD und des Wahldebakels der CDU in Mecklenburg-Vorpommern aufwirft.


1 Kommentar:

  1. Die Einheitspartei CDUSPDFTPGRÜNELINKE hat ca. 70% bekommen. Ist doch alles in Ordnung, oder?

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