Mittwoch, 22. Juni 2011

Schuldenkrise: Griechenlands Dilemma


Die ganze Welt schaut auf Griechenland und vor allem auf Giorgios Papandreou. Ich korrigiere mich: Presse und Medien weltweit schauen auf Griechenland und den griechischen Premier, der in der Nacht die Vertrauensabstimmung im Parlament überstanden hat. Die nächste und noch höhere Hürde, die es auf dem Weg zu weiteren, dringend benötigten finanziellen Hilfen zu überwinden gilt, ist die Verabschiedung des neuen Sparprogramms mit einem Volumen von 78 Milliarden Euro in der nächsten Woche. Es sieht weitere Steuererhöhungen und weitreichende Privatisierungen vor.


Doch große Teile der griechischen Bevölkerung und viele griechische Politiker halten diese Art von Sanierungsplan für die Staatsfinanzen für die falsche Medizin. Sie sehen schon aufgrund der bisher durchgeführten Sparmaßnahmen keinen Erfolg, sondern konstatieren eine fortlaufende Verschlechterung der Lage in Griechenland, mit wirtschaftlicher Kontraktion, zahllosen Unternehmenspleiten, insbesondere im klein- und mittelständischen Bereich und vor allem steigender Arbeitslosigkeit: Im März 2011 stieg die offizielle Arbeitslosenquote auf 16,2 Prozent (811.340 Arbeitslose), bei einer Jugend-arbeitslosenquote von 42,5 Prozent (15-24-jährige). (1) Damit stieg die Arbeitslosigkeit bereits im neunten Monat in Folge. Aber auch in der Schuldenproblematik führten die drastischen Sparmaßnahmen offensichtlich kaum weiter. In den ersten fünf Monaten 2011 sanken die Steuereinnahmen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 7,2 Prozent und das Haushaltsdefizit stieg im gleichen Zeitraum verglichen mit dem Vorjahres-zeitraum weiter an, um annähernd 13 Prozent auf gut 10 Milliarden Euro. (2)

Damit steckt die griechische Regierung in einem Dilemma. Will sie weiter finanzielle Hilfen bekommen, muss sie noch härter sparen, wissend, dass sich dadurch erstens die wirtschaftliche und die Arbeitsmarkt-Lage aller Voraussicht nach weiter verschlechtern wird und es angesichts der bisherigen Fakten und Erfahrungen zweitens mehr als fraglich ist, ob dies tatsächlich zur Überwindung der Schuldenprobleme führt. Hinzu kommt drittens, dass auch die Umschuldungspläne, die in verschiedenen Varianten vorliegen (hart oder sanft, das heißt, erzwungener oder freiwilliger Forderungsverzicht oder freiwillige Verlängerung der Rückzahlungsfrist ohne Forderungsverzicht) gemäß des aktuellen Standes von den US-Ratingagenturen entweder definitiv oder - im Falle der sanften Umschuldung - voraussichtlich mit dem Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit Griechenlands gleichgesetzt werden, sollte es zur Umsetzung kommen. Genau das wollen die Entscheider in der EU und vor allem auch die EZB verhindern. Denn damit wäre der Versicherungsfall eingetreten und die Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps (CDS)) für griechische Staatsanleihen müssten bedient werden, was, wie wir aus der US-Hypothekenkrise und der Phase nach der Lehman-Pleite wissen, zu Turbulenzen auf den Finanzmärkten führen kann - Stichwort: Schieflage von Banken und Anleihe-versicherern (AIG und sogenannte Monoliner, die vor allem öffentliche Anleihen, aber auch komplexe Kreditderivate gegen Zahlungsausfall absichern, wie z. B. die US-Versicherer Ambac und MBIA).

Nach dem jüngsten Bericht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) von Anfang Juni, der allerdings nur Zahlen Stand Ende Dezember 2010 berücksichtigt, birgt Griechenland aufgrund entsprechender finanzieller Engagements vor allem für franzö-sische Banken Verlustrisiken (65 Mrd. Dollar), gefolgt von US-Banken (41,4 Mrd. Dollar), während für deutsche Banken das Verlustrisiko auf 39,9 Mrd. Dollar beziffert wurde. (3) Zwischenzeitlich haben jedoch viele Banken und Versicherungen ihre Griechenland-Risiken weiter reduziert. Andererseits sind gerade die Risiken aus Kreditderivaten nur sehr schwer abzuschätzen, wie gerade die in diesem Ausmaß nicht erwarteten Finanz-marktturbulenzen nach der Lehman-Pleite gezeigt haben und insofern sind auch die BIZ-Zahlen mit Vorsicht zu genießen. (4) Es ist also nicht verwunderlich, dass die Griechenland-Krise die US-Regierung sehr beunruhigt, weil sie milliardenschwere Probleme für heimische Banken und Versicherungen fürchtet. (5)

Unter dem Strich geht es also nicht in erster Linie um die Rettung Griechenlands und auch nicht so sehr um die Frage, ob eine Umschuldung sinnvoll und richtig ist oder nicht, sondern - wieder einmal - um die Rettung von Banken (und Versicherungen) respektive darum, einen erneuten Crash der Finanzmärkte zu verhindern.

Die Gefahren eines Finanzmarkt-Crashs sind in den vergangenen Monaten größer geworden, allerdings keineswegs nur bedingt durch die EU-Schulden- oder gar nur allein durch die Griechenland-Krise. Die Gefahren sind vielfältig und das macht die Situation brisanter als sie es 2007 und auch 2008 war. Darauf hat beispielsweise bereits vor Wochen schon der Internationale Währungsfonds (IWF) in einem Arbeitspapier hinge-wiesen - noch vor dem Skandal um Strauss-Kahn. (6) Ob in den USA, Europa, Japan oder China, ob Staatsschulden und Inflatonsgefahren, desaströse Zustände auf diversen Immobilienmärkten, mögliche Kredit- und Vermögensblasen, kippelige Aktienmärkte, dunkle Wolken am globalen Konjunkturhimmel - es lassen sich jede Menge schwelende Probleme ausmachen, die jedes für sich Auslöser eines neuen Crashs sein können. Es ist vor diesem Hintergrund angemessen, die nicht solide bewältigte, sondern mit teuren Bankenrettungs- und Konjunkturpaketen lediglich übertünchte Krise der Jahre 2007-2009 als Grund für die nun wieder akute Crash-Gefahr verantwortlich zu machen und zu einem wesentlichen Teil eben auch für die Probleme der EU-Schuldenstaaten. Die Politik hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht.

All das wird nun aber implizit und gänzlich undifferenziert auf Griechenland projiziert. Mit anderen Worten steht die griechische Regierung nun vor der Alternative, den Sündenbock für den neuerlichen Crash der Finanzmärkte abzugeben oder das zu tun, was von allen, die jetzt Druck auf Griechenland ausüben, für die Vermeidung dieses Crashs für erforderlich gehalten wird. Letzteres bedeutet nichts anderes, als Griechenland weiter in die wirtschaftliche Abwärtsspirale und eine tiefe finanzielle Abhängigkeit zu zwingen, aus der es sich möglicherweise nicht mehr befreien können wird.

Die Tragik liegt nun darin, dass ein neuer Finanzmark-Crash mit hoher Wahrschein-lichkeit nicht zu verhindern sein wird. Zu groß sind die Verwerfungen, zu hoch die aufge-türmten Risiken und zu stark begrenzt die verbliebenen geldpolitischen Möglichkeiten der Notenbanken, diese einzudämmen und auf ein ungefährliches Maß zusammen zu schmelzen. Zugleich lässt die Politik weiter nicht den Willen erkennen, sich der ursäch-lichen Probleme ernsthaft anzunehmen: Alles, was bisher getan wurde, hat ein "weiter so wie bisher" nicht nur nicht verhindert, sondern ermöglicht.

Natürlich muss in Griechenland vieles geändert und müssen viele Fehler korrigiert werden. Gewaltige Anpassungen sind nötig. Aber diese Anpassungen können nicht allein durch Sparen erreicht werden. Und auch wenn gespart werden muss, so muss doch intelligent gespart werden und nicht auf eine derart selbstzerstörerische Art wie bisher, wobei jetzt außerdem noch die wirtschaftliche Substanz verschleudert wird - euphe-mistisch "Privatisierung" genannt.

Egal wer Griechenland künftig regiert - die Politiker dort werden sich die Frage stellen, ob sie den mit zweifelhaften Erfolgsaussichten behafteten Versuch unternehmen sollen, für die Weltgemeinschaft die Finanzmärkte vor dem Crash zu bewahren und ob es ihnen das wert ist (die finanziellen Hilfen wandern ja ohnehin zur Bedienung der Zinsen direkt zu den Gläubigern) oder sein müsste, dafür den sozialen Frieden und die Zukunft Griechenlands zu opfern.

Die Geschichte lehrt uns, dass es schon Regierungen gegeben hat, die unter weit weniger dramatischen globalen Bedingungen und weit geringerem Druck die Bedienung der Schulden verweigerten.

Es ist nicht fair, Griechenland für alle Probleme verantwortlich zu machen, doch genau das geschieht gerade, weil es für die Masse der anderen "Sünder" so bequem ist und sie so noch ein bisschen länger "überleben" können. Vier Jahre sind seit dem Beginn der US-Hypothekenkrise vergangen. Es ist höchste Zeit, dass sich die Verursacher der jeweiligen Probleme ihrer Verantwortung stellen respektive zur Verantwortung gezogen werden. Das gilt für die Finanzmarktakteure, einschließlich der Ratingagenturen und das gilt für die Politiker. (7)(8) Andernfalls könnten die gesamte Europäische Union und ebenso auch die USA zur neuen "Weimarer Republik" mutieren.

Wir sind auf dem besten Weg dorthin.

Ergänzend empfohlene Artikel:
-   Greece: bond slave to Europe (v. 17.06.11);
-   Interview zur Euro-Krise: "Krise voll verkannt" (v. 20.06.11);
-   Staatskrise: Helmut Schmidt plädiert für Griechen-Hilfe bis zum Letzten (v. 22.06.11);
-   Griechische Privatwirtschaft: Mittelstand ist abgebrannt (23.06.11);
-   Euro: "Das System wird gesprengt" (v. 27.06.11);
-   Interview zur Krise in Griechenland: "Das Geld ist sowieso weg" (v. 29.06.11)
-   Griechenland: Warum das Sparpaket noch nicht die Rettung ist (v. 29.06.11).

2 Kommentare:

  1. Vorsicht Falle!

    "Kaum jemand wird einer Gruppierung, die die Welt für eine Scheibe hält, ein brauchbares Programm zur Erkundung des Weltraums zutrauen, und so sollte auch keiner Disziplin, die zeitlich unbegrenztes exponentielles Wachstum für realisierbar hält, eine Steuerung unseres Wirtschaftsgeschehens überlassen werden.
    ...Zunächst muss daher allgemein erkannt und anerkannt werden, dass bei den gegenwärtigen Geldordnungen ein grundlegender und gravierender Fehler vorliegt, der die gesamte Gesellschaft destabilisieren wird": http://www.deweles.de/files/mathematik.pdf

    Dr. Jürgen Kremer, Prof. für Wirtschaftsmathematik

    Wenn das Geld selbst fehlerhaft ist, gibt es keine wie auch immer geartete "Finanzpolitik", um den bevorstehenden Zusammenbruch des Geldkreislaufs - und damit unserer gesamten "modernen Zivilisation" - aufzuhalten! Daher ist es irrelevant, was die "hohe Politik" beschließt oder nicht beschließt.

    Seit Herbst 2008 läuft die Weltwirtschaft in ein Phänomen, das der "Jahrhundertökonom" John Maynard Keynes als "Liquiditätsfalle" bezeichnete. Davon hat es in der Geschichte der halbwegs zivilisierten Menschheit viele gegeben (schon solange der Mensch Zinsgeld, anfangs Edelmetallgeld, benutzt) und alle Hochkulturen und Weltreiche sind an der Zinsumverteilung von der Arbeit zum Besitz zugrunde gegangen: http://www.deweles.de/untergang.pdf

    Befindet sich eine einzelne Volkswirtschaft in der Liquiditätsfalle (Beispiel: Japan), kann der Staatsbankrott dadurch hinausgezögert werden, dass ein Großteil der Geldvermögen direkt oder indirekt im Ausland angelegt wird, wo der Zinsfuß noch höher ist. Damit geraten diese Volkswirtschaften (Beispiel: China) umso mehr unter Druck, weil die dortige Bevölkerung die zusätzliche Zinslast zu tragen hat, bis auch in diesen Ländern (Schwellenländer) der Zinsfuß auf die Liquiditätspräferenzgrenze absinkt (der Anstieg des Zinsfußes in Griechenland, Portugal, Irland, etc. ist allein auf einen überproportionalen Anstieg der Risikoprämie zurückzuführen, während die Liquiditätsverzichtsprämie weiterhin sinkt). Am Ende kommt es zur globalen Liquiditätsfalle! Die Heilige Schrift bezeichnet dieses Ereignis als "Armageddon".

    Um die größte anzunehmende Katastrophe der Weltkulturgeschichte abzuwenden und den anschließenden, eigentlichen Beginn der menschlichen Zivilisation einzuleiten, bedarf es der "Auferstehung der Toten". Als geistig Tote sind alle Existenzen zu bezeichnen, die vor lauter Vorurteilen nicht mehr denken können. Die Basis aller Vorurteile war (und ist noch) die Religion: http://www.deweles.de/willkommen.html

    AntwortenLöschen
  2. Vielen Dank für Ihren Kommentar. Geldtheorie ist nicht mein Fachgebiet. Aber mit Ihrer Kritik an ökonomischen Theorien, die bekanntermaßen massive Konstruktionsfehler aufweisen und trotzdem weiterhin für die Gestaltung von Politik genutzt werden, rennen Sie bei mir offene Türen ein. Auch ich bin Kritiker der Wachstumstheorie/-ideologie und sogar ein konstruktiver.

    Besonders Ihr letzter Absatz zur notwendigen "Auferstehung der Toten" findet meine nachdrückliche Zustimmung. In diesem Zusammenhang hat Konrad Lorenz (Die acht Todsünden, 1971, S. 113 f.) einmal eine sehr schöne Erklärung gegeben, warum eine mit Fehlern behaftete Theorie nicht "stirbt", sondern in den Stand einer Religion erhoben wird und warum sich die Toten gegen die Auferstehung wehren:

    "Die Verbreitungsmöglichkeit, die heute einer solchen Lehr durch die sogenannten Massenmedien: Zeitung, Radio und Fernsehen, geboten ist, führt sehr leicht dazu, daß eine Lehre, die nicht mehr als eine unverifizierte wissenschaftliche Hypothese ist, nicht nur zur allgemeinen wissenschaftlichen, sondern überhaupt zur öffentlichen Meinung wird.

    Von da an treten ungücklicherweise all jene Mechanismen in Tätigkeit, die zum Festhalten erprobter Traditionen dienen ... . Die Doktrin wird nun mit derselben Zähigkeit und derselben Affektbetontheit verteidigt, die am Platze wäre, wenn es gälte, die wohlerprobten Weisheiten, das durch Selektion geklärte Wissen einer alten Kultur, vor der Vernichtung zu bewahren. Wer mit der Meinung nicht konform geht, wird als Ketzer gebrandmarkt, verleumdet und nach Möglichkeit diskreditiert. ...

    Eine solche, zur allumfassenden Religion gewordene Doktrin gewährt ihren Anhängern die subjektive Befriedigung einer endgültigen Erkenntnis von Offenbarungscharakter. Alle Tatsachen, die ihr widersprechen, werden geleugnet, ignoriert oder aber, was am häufgsten vorkommt, im Sinne Sigmund Freuds verdrängt, d. h. unter die Schwelle des Bewusstseins verbannt. Der Verdrängende setzt jedem Versuch, das Verdrängte wieder bewusst zu machen, einen erbitterten, aufs äußerste affektbesetzten Widerstand entgegen, der umso größer ist, je größer die Änderung wäre, die dies in seinen Anschauungen erheischen würde, vor allem in jenen, die er über sich selbst gebildet hat."

    In diesem Sinne
    freundliche Grüße
    SLE

    AntwortenLöschen