Dienstag, 23. August 2011

Euro- oder Dollar-Krise: Wo ist der "Ludwig Erhard" der Schuldenstaaten?


Konservativ-liberale Vertreter votieren für Gesundsparen - der Staat bzw. die staatlichen Schulden und sozialen Programme werden als das zentrale Problem ausgemacht, das die Wirtschaft erstickt.


Keynesianer wünschen sich eine staatlich über Schulden finanzierte Ankurbelung der Wirtschaft - dass der bisherige Schwung an milliardenschweren Stimulusprogrammen die Wirtschaft nicht zurück auf den Wachstumspfad geführt hat, begründen sie gerne mit dem zu geringen finanziellen Umfang der Maßnahmen.

Seit der Lehman-Pleite wird die Wirtschaft einem Wechselbad aus staatlicher Stimu-lierung und Ausgabenreduzierung ausgesetzt. Jetzt wird gerade das Austeritätskonzept ausgetestet, als hätte man das noch nie getan. Es ist gerade so, als säße ein infantiler Erwachsener am Steuer eines schweren Autos, der mit äußerst wenig Feingefühl experi-mentell die Funktion der verschiedenen Pedale im Fußraum zu ergründen suchte.

Einmal abgesehen davon, dass die Politik sich außerdem nicht selten viel stärker auf den Rat von Lobbyisten verlässt respektive dem Charme ihrer Drohungen erliegt, darf sich deswegen im Grunde niemand mehr wundern, warum jeder Bürger sowie Studierende der Volkswirtschaftslehre mit gesundem Menschenverstand am krisenpolitischen Kurs verzweifeln muss.

Woran liegt das?

Es liegt sicher auch am Bedeutungsverlust der Volkswirtschaftslehre. Aber der kommt ja nicht von ungefähr. Seit Dekaden werden die dramatischen Schwächen der herrschenden neoklassischen Lehre aufgezeigt, die ihren Wert für die Bewältigung realer ökonomischer Fragen und Probleme sowie generell ihren Orientierungswert für Entscheider in der Politik und in den Notenbanken ganz erheblich einschränken.

Das war, um es noch einmal zu betonen, schon immer so. Allein mit dem Ausbruch der Finanzmarktkrise, den die führenden Ökonomen nicht haben kommen sehen und der ihnen die Sprache verschlug, weil sie ihn nicht erklären konnten, ist dies einer breiteren Öffentlichkeit erstmals wirklich bewusst geworden.

In der Hochphase der Krise, ab Herbst 2008 und in 2009, wurde das Theoriedefizit von einer Reihe von Ökonomen sogar öffentlich zugegeben. Zwischenzeitlich ist jedoch Gras über die Geschichte gewachsen und seit der EU- und US-Schuldenkrise malträtieren genau dieselben Ökonomen und Politiker auf der Basis genau derselben gescheiterten ökonomischen Theorien die "erkrankten" Volkswirtschaften. Man fühlt sich unweigerlich an die Ärzte im alten Rom erinnert. Niemand sagt: "Momentmal! Wieso das?" Gut, das ist nicht ganz richtig. Es gibt natürlich viele, die das sagen, aber quasi unter Ausschluß der Weltöffentlichkeit, weil Presse und Medien - Murdoch & Co. lassen grüßen - es so wollen.

Nun wird ja immer gerne gesagt: "Ach, die Ökonomen und ihre Theorien! Die verstehen doch nichts von der Realität!" Darin steckt natürlich ein wahrer Kern und das erklärt, warum mathematisch-empirische Wirtschaftsforschung und Statistik heute so bedeutsam sind. Das Problem ist nur: Alles, was daraus hervorgeht, sind Erkenntnisse über die Vergangenheit und die sagen nur bedingt etwas über die Zukunft aus. Bewegen sich Volkswirtschaften in ruhigen Bahnen und entwickeln sich iterativ und damit vorhersehbar, sind diese Erkenntnisse hilfreich. Sie lassen sich extrapolieren. In wirtschaftlich turbu-lenten Zeiten sind sie es nicht. Und genau deswegen kommt es dann doch wieder auf die Ökonomen und ihre Theorien an. Genauer gesagt kommt es darauf an, ob die Theorien gut sind oder nicht.

Sie sind es nicht. Das hatten wir ja schon, auch wenn führende Ökonomen, Politiker, Presse und Medien in diesem Punkt harthörig sind und stattdessen in der Bevölkerung auf Amnesie hoffen. Das funktioniert natürlich nicht, wenn die Bürger am eigenen Leibe die Folgen zu spüren bekommen und rebellieren - mehr oder weniger unfriedlich, allerdings bisher ohne die erhoffte Wirkung.

Es ist deswegen absehbar, dass der schwarze Peter für das Andauern der EU- wie auch der US- und Japan-Schuldenkrise den Politikern verstärkt um die Ohren gehauen wird und am Ende bei den führenden, aber sprach- und ratlosen Ökonomen landen wird.

Liebe Ökonomen, Eure Krise ist genauso wenig vorbei wie die Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise wirklich vorbei ist! Sie fängt gerade erst so richtig an.

Ein Hinweis, wenn auch kein Rettungsring, sei Ihnen an dieser Stelle gegeben: Die Lösung muss - wirtschaftstheoretisch und wirtschaftspolitisch gesehen - in jenem Bereich liegen, den die führenden ökonomischen Schulen/Theorien, sprich Neoklassik, Monetarismus, der auf die Klassik zurückgehende Neoliberalismus und Keynesianismus, gar nicht erfassen.

Es ist nicht so, als wüssten sie das nicht seit spätestens zwei, drei Jahren. Aber es scheint ihnen nicht wirklich zu helfen, anders zu denken und andere, bessere Erklärungs-ansätze zu finden, was einmal mehr der Beleg dafür ist, dass man sich von Denkgewohn-heiten (und immateriellen Besitzständen) genauso schwer löst wie von jeder anderen Gewohnheit - vor allem wenn der Druck, es zu tun, nachlässt.

Aber: Für die Politiker gilt Selbiges. Wir sehen es in Deutschland und anderswo an der beständigen Schrumpfung der beiden großen Volksparteien, deren wirtschaftspolitische Identität traditionell entweder stark von der liberalen Wirtschaftslehre oder eben der Lehre von Keynes geprägt ist.

So gesehen sind die Aussichten, dass in der Krisenbewältigung endlich ein Durchbruch gelingt, aktuell in Europa schlecht, in den USA jedoch sogar noch schlechter - weil dort der Lösungsdruck noch immer viel geringer ist.

Wo ist der "Ludwig Erhard" oder "Karl Schiller" Griechenlands ... oder der USA? Das möchte man fragen. Aber nein, das wäre ja genau genommen völlig falsch, weil die beiden Politiker (CDU bzw. SPD) und Wirtschaftsprofessoren in ihrer jeweiligen Zeit mit genau jenen Programmen Erfolg hatten, die heute einfach nicht funktionieren wollen: Wirtschaftsliberalismus und Keynesianismus.

Man braucht gegenwärtig nur in die USA zu schauen, wo sich die Politiker im Kongress und Senat mit der Frontstellung genau dieser beiden Ansätze lähmen, um zu erkennen, wie skurril die aktuelle Situation tatsächlich ist.

Letzte Woche habe ich in einem Post geschrieben, gegenwärtig könne man sich glatt in das Jahr der Lehman-Pleite zurückversetzt fühlen, wäre nicht die Staatsschuldenkrise. Was die Problemlösungssuche anbelangt, sind wir jedoch noch nicht einmal so weit wie die seinerzeit die maßgeblichen Köpfe in der Mitte der 30er Jahre: Ein neuer Keynes ist nicht in Sicht. Vielleicht liegt es schlicht daran, dass wir seinen Namen nicht kennen.

Das Geschäftsmodell der Schuldenstaaten rund um den Globus funktioniert nicht mehr. Das ist kein Wunder, denn sie haben alle dasselbe. Ein neues haben sie nicht.


Nachtrag:
Eben wurde berichtet, Alan Greenspan, der ehemalige Chef der US-Notenbank Fed, erwarte den Kollaps des Euro. (1)

Ich bin froh, dass gerade er das sagt - er, der aufgrund seiner unerschütterlichen wirtschaftsliberalen, monetaristischen Überzeugungen jahrelang eine Niedrigzinspolitik in den Vereinigten Staaten fuhr, was heute übereinstimmend als eine zentrale Ursache der größten Finanzmarktkrise in der Nachkriegsgeschichte angesehen wird, die bis heute nicht überwunden ist, sondern auf viele Staaten und ganz besonders auch auf die USA übergegriffen hat.

Danke, Alan Greenspan! Wir wissen, wie sie sich die Welt erklären und wir wissen darum auch, dass wir Ihre Einschätzung nicht ernst zu nehmen brauchen.

Ergänzend empfohlene Artikel:
-   Rezessionsgefahr "beträchtlich": Stiglitz fordert neues US-Konjunkturprogramm (v. 25.08.11);

5 Kommentare:

  1. Hallo Herr Eichner.

    Danke für diesen Beitrag.

    Manchmal kommt es mir so vor, als verhielte es sich mit der Behandlung unserer Kollektiven Oekonomischen Schizophrenie wie mit der Behandlung eines Paranoikers.

    Da die Behandlung einer Paranoiden Störung meist eine Einsicht in den eigenen Wahn vorraussetzt, aber die Krankheit diese Einsicht unmöglich macht kann leider nur den wenigsten Paranoikern geholfen werden.

    Sobald man dem Paranoiker versucht über seine Krankheit aufzuklären, ist man Teil der Weltverschwörung vor der der Paranoiker in Angst lebt.

    Der Neoliberale lebt in ständiger Furcht vor einem Konstrukt dass er "der Staat" nennt. Alles was "der Staat" macht ist Falsch und zu seinem Schaden. Jeder der von "Regulierung" spricht ist Teil dieser Verschwörung.

    Hierzu aus wikipedia:
    "... Ein paranoider Mensch glaubt oft, dass andere beabsichtigen, ihn zu schädigen, zu betrügen oder auch zu töten. Oft kann er dafür auch „Beweise“ präsentieren, die für ihn völlig überzeugend scheinen, für Außenstehende dagegen überhaupt nichts besagen. "

    (Beweise = Wirre Ökonomische Modelle ohne Sinn?)

    "Diese Überzeugungen sind wahnhaft. Der Patient ist durch nichts von ihnen abzubringen, rationale Argumente und Überzeugungsversuche von Außenstehenden haben keinen Erfolg und sind vielmehr kontraproduktiv, da sie das Misstrauen der paranoiden Person nur noch verstärken."

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  2. Nachtrag:

    Das allerschlimmste Unwort, dass man dem Neoliberalen Paranoiker gegenüber Äussern kann, und das sofort den "Kommunist" Reflex auslöst ist:

    Verstaatlichung

    Obwohl wir als (Welt-)Bevölkerung uns die "Rettung" der Banken haben 15 000 Milliarden Euro haben kosten lassen, ist der Einfluß des Bürgers auf die Finanzindustrie immer noch gleich null.

    Ich wette, wenn Herr Ackermann solche Summen in die Hand nehmen würde, wünschte er sich ebenfalls ein Mitspracherecht über das was er da erworben hat.

    Die Bankenrettung war das Teuerste Vorhaben der Weltgeschichte. Nach Ausgabe dieser Unummen sollte die Option der Verstaatlichung der Banken wenigsten öffentlich Diskutiert werden können.

    Der Wahn hat aber offensichtlich auch Presse und Politik in Deutschland erfasst. Wer diese Diskussion Anstößt wird automatisch Teil der Kommunistischen Weltverschwörung.

    Die USA, die diesen Wahn am schlimmsten verfallen sind, haben noch nie den Unterschied zwischen sozialer Marktwirtschaft und Kommunismus verstanden und vielleicht werden sie es nie verstehen.

    Warum wir diesen Unterschied nicht mehr kennen ist mir unbegreiflich.

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  3. Hallo Alien Observer,

    ich bin kein Psychoanalytiker, aber ich perönlich würde nicht ganz so weit gehen und von "Verdrängung" sprechen. ;-)

    Ich habe eine ganze Reihe von alten wirtschaftswissenschaftlichen Publikationen durchforstet und war verblüfft festzustellen, dass Ökonomen immer Probleme bekamen, wenn sie eine Mischform von Wirtschaftsordnung - also etwas zwischen Planwirtschaft und freier Verkehrswirtschaft - vertraten.

    Vielleicht hängt es mit dem Anspruch der Disziplin zusammen, eine exakte Wissenschaft zu sein, der wohl mit der Idee der neoklassischen, mechanistischen Kreislaufwirtschaft steht und fällt.

    Es ist in diesem Zusammenhang interessant, dass viele frühe Vertreter (insb. der sog. Deutschen Historischen Schule) Ökonomie als Disziplin weniger als exakte Wissenschaft auffassten, sondern eher von einer Kunst sprachen.

    Die Wirtschaft zu verstehen, ist eine Kunst - mit dieser Sicht kann man sich heute, da kaum einer die Wirtschaft noch wirklich zu verstehen vermag, durchaus anfreunden.

    Zu Ihrem zweiten Kommentar möchte ich sagen:

    So wie ich es sehe, kommen wir möglicherweise schon bald wieder dazu, uns mit der Frage zu beschäftigen, was mit den Banken geschenen soll.

    Grüße
    SLE

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  4. >Ich habe eine ganze Reihe von alten >wirtschaftswissenschaftlichen Publikationen >durchforstet und war verblüfft festzustellen, >dass Ökonomen immer Probleme bekamen, wenn sie >eine Mischform von Wirtschaftsordnung - also >etwas zwischen Planwirtschaft und freier >Verkehrswirtschaft - vertraten.

    Das wundert mich überhaupt nicht. Weder die eine Ideologie noch die andere ist aufgeschlossen gegenüber Mischformen.

    Ganz oder gar nicht scheint die Devise.
    Es ist ausserdem ein wichtiger grund für das Dilemma in dem wir uns befinden.

    Ideologien haben sich von Vernunft verabschiedet.
    Die amerikanischen Konservativen lassen eher den staat an die Wand fahren anstatt vernunftgetriebene Politik zu betreiben und in irgend einem Punkt nachzugeben.

    Wissenschaft wird genau so in den Wind geschrieben wie Realpolitik.

    Die Linke scheint heute der Realpolitik näher und Kompromissbereiter als die Ideologische rechte.

    Vielleicht müssen erst beide Ideologien auf ganzer Linie scheitern damit wir begreifen, dass die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt.

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  5. Mag sein. Aber dann haben wir im Ergebnis politisch gesehen vermutlich eine ähnliche Situation wie in der späten Weimarer Republik - nur dann eben in vielen Staaten. Da möchte ich lieber nicht erleben.

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