Dienstag, 1. November 2011

Giorgos Papandreous Mut oder Verzweiflungstat – haben die Euro-Retter den Bogen überspannt?


Damit hat nach der Verkündung der Beschlüsse des Euro-Gipfels in der vergangenen Woche niemand gerechnet. Der griechische Premier Papandreou hat gestern den Euro-Rettern einen Strich durch die Rechnung gemacht, indem er ankündigte, das griechische Volk in einem Referendum über die Umschuldungspläne abstimmen zu lassen. Ein „Nein“ scheint nach den jüngsten Meinungsumfragen beinahe sicher. Das aber wäre gleichbedeutend mit der Pleite Griechenlands.
Zwischen Giorgos Papandreous Ankündigung, eine Volksabstimmung durchführen zu lassen und deren Durchführung, steht noch die Abstimmung des griechischen Parlaments darüber, ob der Premier auch weiterhin Premier bleiben soll. Denn Papandreou wird die Vertrauensfrage stellen, die möglicherweise am Freitag von den Abgeordneten beantwortet werden wird. Ein ablehnendes Votum ist nicht mehr undenkbar, so knapp wie die Mehrheit der griechischen Regierung im Parlament derzeit ist. In diesem Fall sind Neuwahlen wahrscheinlich und das Referendum wäre wohl erst einmal vom Tisch.
Warum hat Papandreou das getan? Wie konnte es dazu kommen? Noch Mitte vergangener Woche verkündeten die Euro-Retter stolz, eine „Lösung“ für die Griechen-landkrise gefunden und beschlossen zu haben und zwar unter Beteiligung der Gläubiger. Griechenland sollen 50 Prozent seiner Schulden erlassen werden – bei genauerer Betrachtung ist es jedoch wahrscheinlich, dass erstens die Lösung für die Gläubiger ein gutes Geschäft darstellt (1) und zweitens der tatsächliche Schuldenerlass effektiv bei vielleicht um die 20 Prozent liegen dürfte (2).
Gleichzeitig wurden die Banken verpflichtet, vorübergehend ihre Kernkapitalquote auf 9 Prozent aufzustocken, um ihre Stabilität in dieser schwierigen Phase der europäischen Schuldenkrise zu erhöhen. (3) Wenn man jedoch bedenkt, dass die Schweiz ihren Banken gerade per Gesetz eine Eigenkapitalquote von 19 Prozent vorgeschrieben hat und auch in Großbritannien Vorschläge für eine Erhöhung der Eigenkapitalquote auf 17 bis 20 Prozent auf dem Tisch liegen, was fast doppelt so viel ist wie gemäß der für Basel III aktuell angestrebten Mindestausstattung mit Eigenkapital (10,5 Prozent), dann hört sich das freilich nicht revolutionär an.
Für Griechenland bedeutet die Annahme des neuen „Hilfspakets“ eine weitere Verschärfung des Sparkurses und eine noch weitergehende Kontrolle durch die EU und den IWF – und das vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Abwärtsspirale, in der sich Griechenland befindet und die sich bedingt durch den Sparkurs immer weiter verschärft hat. Hinzu kommt, dass Wetten auf die Pleite Griechenlands nicht unterbunden werden. Zinsen und Risikoprämien für griechische Staatsanleihen können also auch weiterhin von Spekulanten getrieben werden. Gleichzeitig beinhalten die Gipfelbeschlüsse für Griechenland überhaupt keine Perspektive, wie es wirtschaftlich wieder Fuß fassen kann. Das aber wäre die Voraussetzung dafür, dass ein Schuldenerlass nicht nur vorübergehend etwas Luft verschafft, sondern die Abwärtsspirale durchbrochen werden kann. So aber ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Verschuldung erneut auf ein kritisches Maß angestiegen ist.
Es ist also kein Wunder, dass in Griechenland die Nerven blank liegen. Die Euro-Gipfel-Beschlüsse sind für Griechenland unter dem Strich kein Grund zur Freude. Sie dürften dort eher als Verurteilung empfunden werden. Es ist keine Rettung, es ist nur eine weitere kurzzeitige Verschiebung der Pleite, für Griechenland freilich einen hohen Preis zahlen soll.
Es sieht also danach aus, als wären unter dem Strich Banken und Finanzmärkte einmal mehr auf der Gewinnerseite – andere echte Gewinner gibt es allerdings auch nicht. Insofern ist es auch nicht überraschend, dass die Gipfelbeschlüsse an den Börsen freudig begrüßt wurden.
Die Entscheidung, das griechische Volk über die Annahme des neuen „Hilfspakets“ entscheiden zu lassen, macht die Beschlüsse des Euro-Gipfels angesichts der aktuellen regierungskritischen Stimmung zu Makulatur. Wenn Gläubiger und Finanzmärkte durch die Gipfelbeschlüsse stabilisiert wurden, dann ist es nur logisch, dass die Aussicht der Finanzmarktakteure, die im Zuge der Schuldenkrise hohe Risiken aufgehäuft haben, auf sicheren Grund unter den sprichwörtlichen Füßen nun plötzlich wieder hinfällig geworden ist. Das zeigt auch die heutige Reaktion der Börsen. Denn dass es mit der Dexia bereits ein erstes europäisches Opfer der Schuldenkrise gegeben hat und gestern der US-Broker MF Global Gläubigerschutz beantragen musste, weil er sich mit europäischen Staats-anleihen verspekuliert hat, sind keine belanglosen Einzelfälle. Vielmehr sind dies sichtbare Zeichen dafür, wie heiß der Boden für viele große Finanzmarktakteure inzwischen wieder geworden ist, weil sie sich offensichtlich in ungesundem Ausmaß auf hoch riskante Geschäfte und Wetten eingelassen haben – genau das hatten die Staats- und Regierungschefs nach der Lehman-Pleite zu verhindern versprochen.
Giorgos Papandreou hat nichts mehr zu verlieren. Die Euro-Retter, der IWF und die Medien haben nicht realisiert, dass er und Griechenland unter den fortlaufenden Schlägen und dem Trommelfeuer der kritischen Berichterstattung irgendwann an diesen Punkt gelangen mussten, denn in Griechenland herrscht mittlerweile Chaos.
Dem griechischen Premier dürfte klar sein, dass er ein Vabanquespiel betreibt, das er nicht gewinnen und kaum unbeschadet überstehen kann. Aber ihm dürfte auch klar sein, dass die Finanzmarktakteure, die Griechenland so unerbittlich immer tiefer in die Schuldenkrise treiben, sehr viel zu verlieren haben. Ihm dürfte auch bewusst sein, dass die Euro-Retter etwas zu verlieren haben, die der Weltöffentlichkeit selbstgefällig den Gipfelbeschluss als Erfolg für Griechenland, aber vor allem auch als ihren Erfolg verkauften – man denke nur an die Selbstinszenierung des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy im französischen Fernsehen -, obwohl er das nicht ist. Vor allem aber wird ihm klar sein, dass er ein Ventil für die in der griechischen Bevölkerung aufgestaute Wut braucht. Und wer außerhalb von Griechenland will sich ein Urteil darüber anmaßen, wie viel die griechische Bevölkerung noch verkraften kann, bevor die Situation eskaliert?
Wer stillschweigend davon ausgegangen war, die griechische Regierung würde angesichts der prekären Finanzlage ebenso wie die Euro-Retter unbegrenzt bereit sein, die Realität fortlaufend umzuinterpretieren und den Niedergang Griechenlands als erfolgreiches Krisenmanagement zur Rettung des Euros und zur Stabilisierung der Finanzmärkte zu verkaufen, der weiß jetzt, dass er sich getäuscht hat. Europa fehlt nach wie vor ein erfolgversprechendes Konzept für die Bewältigung der Krise. Papandreou hat das deutlich gemacht. Sein Schritt wird in den anderen Euro-Schuldenstaaten neue Diskussionen über das europäische Krisenmanagement auslösen. Das ist auch dringend nötig. Denn das Krisenmanagement ist nüchtern betrachtet ein politisches und realwirtschaftliches Desaster für Europa.

3 Kommentare:

  1. analytisch sauber - Respekt !

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  2. Eine durchgängig stringente Analyse, die auch einem Nicht - VWL'er vom ersten Satz bis zum Ende einleuchtet. Danke.

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  3. Taktik und eine Verarschung erster Kajüte.


    M.f.G

    Habnix

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