Freitag, 2. Dezember 2011

Grundsatzrede in Frankreich, Regierungserklärung in Berlin: Große Reden an das Volk und nichts in der Hand


Die gestrige Rede des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy an die Nation sollte die Franzosen aufrütteln. Doch unter dem Strich hatte der französische Präsident nichts Überzeugendes zu bieten. (1)
Natürlich sprach er die angestrebten Vertragsänderungen an – auch Angela Merkel tat das heute. (2) Dass Frankreich und Deutschland mehr Haushaltsdisziplin und Sanktionen bei Verstößen wollen, ist nicht neu. Über das „Wie“ herrscht jedoch keine Einigkeit. Ob das für die Euro-Rettung genug ist, daran gibt es zudem berechtigte Zweifel. Kein Mitgliedstaat kann sich gesund- oder gar in den Wohlstand sparen. Es ist angesichts der wirtschaftlichen Talfahrt in den Krisenstaaten, die drastische Sparkonzepte fahren, irritierend, dass diese wirtschaftsliberale Idee dennoch so beharrlich ins Zentrum der politischen Bemühungen gestellt wird.
Auch das, was der französische Präsident darüber hinaus zu sagen hatte, wirkte nicht so, als wäre mit dem von Frankreich und Deutschland für Montag angekündigten Euro-Rettungsplan ein großer Wurf zu erwarten: „Wir“ – also das französische Volk – müssen den Gürtel enger schnallen, aber nicht zu eng, damit die Konjunktur nicht abgewürgt wird. Es müsse in Europa mehr Solidarität geben und die EZB solle dabei eine tragende Rolle spielen, aber selbstverständlich unabhängig bleiben. (3) Das war die eher verwirrende Botschaft des Präsidenten, bei der ohnehin viele misstrauisch fragen werden, welcher Teil der Botschaft hinterher wohl tatsächlich umgesetzt wird und inwieweit.
Angela Merkel sagte in ihrer Regierungserklärung im Bundestag heute, es gebe den einen Befreiungsschlag für die Euro-Krise nicht und verglich stattdessen die Euro-Rettung mit einem zu bewältigenden Marathonlauf. (4) Da mag sie Recht haben. Doch mit Verlaub, die Negation der Möglichkeit von Befreiungsschlägen ist kein Lösungskonzept und Zeit haben sich die Europäer schon mehr als genug gekauft, ohne dass diese dazu genutzt worden wäre, die Krise wirksam zu entschärfen. Im Gegenteil, sie hat sich verschärft und Zeit ist infolgedessen mittlerweile genau das, was wir am allerwenigsten haben.
Keine Frage, Sarkozy befindet sich im Präsidentschaftswahlkampf und seine Zustim-mungswerte sind alles andere als gut. Zudem sind die Regierungen der Euro-Staaten nach wie vor in der Frage der Krisenbewältigung zerstritten, was auch daran liegen mag, dass in den Gesprächen einerseits immer wieder nationale Interessen eine Rolle spielen, andererseits aber ein überzeugendes Konzept zur Krisenbewältigung schlicht fehlt.
Das sind keine guten Voraussetzungen für Grundsatzreden an das Volk – weder in Frankreich noch in Deutschland oder sonst wo in Europa.
Es mag einen nicht stören, was amerikanische oder britische Politiker den Europäern kritisch vorhalten, weil sie ihre eigenen Interessen verfolgen und selbst noch viel weniger in der Lage zu sein scheinen, die Krise in ihrem jeweiligen Lande in den Griff zu bekommen. Aber es kann kein Zweifel daran bestehen, dass sich die Krise nach zwei Jahren des Reagierens und der Flickschusterei durch Europa frisst und die europäischen Staats- und Regierungschefs aus Sicht der europäischen Bürger endlich das tun müssen, was man von ihnen erwarten können muss: Sie müssen „liefern“!
Um nichts anderes geht es und es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die führenden Staats- und Regierungschefs dazu offenbar nicht in der Lage sind. Daran ändern Grund-satzreden nichts. Mehr noch hat ihre fatale defensive Strategie bisher darin bestanden, mit immer höherem Einsatz gegen die Märkte zu spielen oder anders ausgedrückt zu tun, was die Märkte wollten – daran hat sich nichts geändert. Fatal ist das nicht so sehr deswegen, weil sie ein miserables Blatt in der Hand halten, sondern weil sie ihr Blatt ausgesprochen schlecht spielen – zur Freude der Märkte. Die Folge davon ist, dass für Europa nicht nur immer mehr auf dem Spiel steht, sondern auch verloren geht mit der Aussicht, auch am Ende als großer Verlierer dazustehen. Die Märkte werden – wenn das so weiter geht – Europa in diesem Poker die sprichwörtlichen Hosen ausziehen.
Vor diesem Hintergrund kommen Grundsatzreden und Appelle an das Volk ganz schlecht an. Und so fragt man sich, was Nicolas Sarkozy und Angela Merkel zum gegenwärtigen Zeitpunkt dazu bewogen hat, Grundsatzreden zu halten, ohne wirklich etwas zu sagen zu haben. Man bedenke: In den letzten 20 Jahren hat es in Europa nie weniger feste gemeinsame Grundsätze gegeben als heute. Und geredet wurde von Politikern im Verlaufe der Schuldenkrise immer wieder – mitunter in schädlicher Weise – eindeutig zu viel.
Haben wir über unsere Verhältnisse gelebt?
Nein, so pauschal kann man das nicht sagen. Ganz sicher aber waren es Politiker, die nicht verantwortungsbewusst gehaushaltet haben und die die Probleme auch jetzt wieder nur mit dem Geldbeutel bzw. auf Kosten anderer lösen wollen – aber auf diese Weise nicht werden lösen können. Nicht nur Rechnungshöfe beklagen das jedes Jahr aufs Neue. Immer noch sehen Politiker ihre Aufgabe im Verteilen von Geld respektive von Belastungen – eine angesichts der tiefgreifenden Krise völlig überholte Vorstellung davon, wie Politik betrieben werden kann und Probleme zu lösen sind.
Die Staatsverschuldung ist ferner vor allem auch infolge der Finanzmarktkrise und des Einbruchs der Weltwirtschaft rasant gestiegen, von der sich die Volkswirtschaften nur teilweise oder gar nicht erholt haben. Es ist eine Tatsache, dass wirtschaftlich schwache Regionen in Krisenzeiten viel stärker verlieren als wirtschaftlich starke Regionen bzw. Staaten. Austeritätspolitik hat die Lage zusätzlich verschlechtert.
Und die Staatsverschuldung ist vor allem auch infolge der teuren Bankenrettungen und Konjunkturpakte in die Höhe geschossen, die nicht nachhaltig waren, weil die verant-wortlichen Politiker nach der US-Hypothekenkrise und der Lehman-Pleite darin versagt haben, sicherzustellen, dass sich so etwas nicht mehr wiederholen kann. Auch hier wurde in der Verteilung von Geld die Lösung gesehen.
Erfolge gibt es also nicht zu vermelden, entschieden ist nichts, tragfähige Lösungen fehlen nach wie vor, die Ideenlosigkeit ist erschütternd, die Kosten des Krisen-managements sowie die eingegangenen Risiken sind vor diesem Hintergrund furcht-einflößend.
Frau Merkel hat heute gesagt, wir hätten eine Vertrauenskrise. (5) Sie hat Recht, auch wenn sie es anders meint.
In den USA ist es üblich Politiker danach zu fragen, was man für sein Geld bekommt - „Value for Money“, heißt es dann. Wer in Europa Grundsatzreden hält, weil er den Bürgern im Endeffekt Einschnitte und höhere Steuern zumuten will, um so die Krise bekämpfen zu können, sollte wie in den USA nach dem „Value for Money“ gefragt werden. Leider wird viel zu viel bei den USA abgeschaut. In diesem Punkt wäre es indes wirklich einmal eine gute Idee, es zu tun.

1 Kommentar:

  1. „Wir werden leiden“, hat Sarkozy unerblümt erklärt, und nichts anderes bedeutet auch die per Vertragsänderung verordnete Rosskur der Kanzlerin: ein knallhartes Austeritätsregime, in dem so genannte Stabilitätswächter (die EU-Kommission? unabhängige Experten? das bleibt noch zu entscheiden) unter dem unerbitterlichen Auge der Märkte immer neue Sparprogramme und Sozialkürzungen verordnen. Wohin das führt, kann man bereits in Griechenland besichtigen... mehr auf http://lostineurope.posterous.com/there-will-be-blood

    AntwortenLöschen