Dow Jones, S&P 500 und Nasdaq
Composite schlossen gestern mit einem Minus von 1,4-1,8 Prozentpunkten. Der
Nikkei zog heute Morgen mit einem Minus von 2,26 Prozentpunkten nach. Die
Freude der Investoren über die zu erwartende Nominierung von Haruhiko Kuroda,
gegenwärtig noch Chef der Asiatischen Entwicklungsbank und Freund lockerer
Geldpolitik, die die Indizes in Tokio am Vortag beflügelt hatte, war heute
Morgen restlos verflogen. Auch der Dax startete tief im Minus – und hält sich
dort.
Der Grund dafür ist der Ausgang der Parlamentswahl
in Italien.
Stattdessen schnitt das von Silvio
Berlusconi (PdL) geführte Mitte-Rechts-Bündnis deutlich besser ab als
vorhergesagt und kam sowohl bei den Wahlen zur Abgeordnetenkammer (29,18 %
bzw. 124 Sitze) als auch bei der Senatswahl (30,72 % bzw. 116 Sitze)
auf annähernd dieselben Zustimmungswerte wie das Mitte-Links-Bündnis von Pier
Luigi Bersani (Kammer: 29,54 % bzw. 340 Sitze; Senat: 31,63 %
bzw. 113 Sitze). (2)
Zwar profitiert das Mitte-Links-Bündnis im
Unterhaus vom italienischen Wahlrecht, nach dem das führende Bündnis
automatisch die absolute Mehrheit von 340 Sitzen bekommt. Im Senat, der
bei den meisten Gesetzes-vorhaben involviert ist, hat jedoch keines der beiden
großen Bündnisse die absolute Mehrheit von 158 Sitzen. Mario Monti kann
hier nicht, wie noch vor der Wahl gehofft worden war, als Mehrheitsbeschaffer
dienen.
Beppe Grillos Bewegung „Fünf Sterne“, die
108 Sitze (25,55 %) im Parlament und 54 Senatssitze (23,79 %)
errang, könnte dies theoretisch. (3) Aber der 64-jährige Genueser Schauspieler
und Komiker, der in den 80er Jahren in TV-Shows mit beißendem Spott über die
korrupte Politik erfolgreich und bekannt geworden ist, hat jede Kooperation mit
den etablierten Parteien von vornherein ausgeschlossen. Denn Beppe Grillo ist
gegen die verschwenderische und korrupte Politikerelite, gegen die etablierten
Seilschaften in Politik, Wirtschaft und Bankensektor, gegen den Sparkurs und er
ist europakritisch.
Damit ist Italien praktisch unregierbar
und schon am gestrigen Abend waren von Politikern und Beobachtern Neuwahlen als
möglicherweise einzige Lösung für die verfahrene Lage ins Gespräch gebracht
worden.
Sind sie das und kommt Ihnen das nicht irgendwie
bekannt vor?
Zur Erinnerung:
Auch in Griechenland hatte die auf den 6. Mai 2012 vorgezogene Neuwahl
den Parteien ein Wahlergebnis beschert, das keine Regierungsbildung
ermöglichte. Die etablierten Parteien Nea Dimokratia (ND) und PASOK hatten
herbe Stimmenverluste hinnehmen müssen. Das Linksbündnis Syriza von Alexis
Tsipras, das zuvor politisch praktisch bedeutungslos gewesen war, wurde mit
16,78 Prozent der Stimmen auf Anhieb zweitstärkste Partei im griechischen
Parlament. Auch Tsipras hatte jede Kooperation mit den etablierten, den
austeritätspoli-tischen Kurs befürwortenden Parteien von vornherein abgelehnt,
so dass für den 17. Juni erneut Parlaments-wahlen angesetzt worden waren.
Syriza konnte nochmals gut zehn Prozentpunkte auf knapp 27 Prozent der
Stimmen zulegen. Noch stärker legte allerdings – dank eines unterstützenden,
europaweiten Feuerwerks in Presse und Medien – die konservative Nea Dimokratia
von Antonis Samars zu, die 29,65 Prozent der Stimmen erhielt, was ihr als
stärkster Partei den vom griechischen Wahlrecht garantierten Bonus von 50 Sitzen
im Parlament sicherte. (4)
Weil aber die PASOK von Evangelos
Venizelos weitere Stimmen verloren hatte, war die Ausgangsbasis für eine
stabile Mehrheit im Parlament im Grunde keine andere als bei der Wahl am 6. Mai
gewesen. Zustande kam letztlich eine Drei-Parteien-Regierung die in den
folgenden Wochen und Monaten aufgrund von Streitigkeiten über neue
austeritätspolitische Maßnahmen und im Zuge von Skandalen eine ganze Reihe von
Abgeordneten durch Parteiaustritt oder –rauswurf verloren hat und spätestens
seit Beginn des Jahres erneut hart am Rande der Unregierbarkeit wandelt.
Was tun? So lange neu wählen lassen, bis
das Ergebnis stimmt?
Bestenfalls wäre das wohl etwas für all
jene Politiker, die sich den Misserfolg ihres politischen Krisenkurses nicht
eingestehen wollen. Denn Neuwahlen sind keine Kompensation für nicht vorhandene
Lösungskonzepte und unverantwortliches Verhalten.
In Italien ist jetzt genau das eingetreten,
was auch in Griechenland als Folge der einseitigen austeritätspolitischen
Politik und der sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Abwärtsspirale bei
explodierender Arbeitslosigkeit und Armut geschah.
Auch Spanien
ist auf dem besten Wege dorthin. Müsste sich die von einem Korruptionsskandal
erschütterte Regierungspartei Partido Popular (PP) von Premier Mariano Rajoy
einer Neuwahl stellen, dann wäre mit Wahlergebnissen wie in Griechenland oder
in Italien zu rechnen. Denn der strikte austeritätspolitische Kurs der
spanischen Regierung zeitigt fortlaufend neue katastrophale Konsequenzen – für
die Wirtschaft, für den Immobiliensektor, für die Banken und vor allem für die
Spanier.
Beppe Grillo, der seine
Fünf-Sterne-Bewegung im Internet startete, einen der weltweit am stärksten
beachteten Politik-Blogs betreibt und TV- sowie Medien-Auftritte strikt ablehnt,
ist der eigentliche Gewinner der Wahl in Italien. Der Guardian zitiert die
britische Denkfabrik „Demos“, die bei Facebook untersucht hat, wer seine
Unterstützer sind: (5)
Nur 11 Prozent seiner Unterstützer
trauen der Presse und weniger als 4 Prozent dem Fernsehen über den Weg, im
Vergleich zu Werten von 34 bzw. 40 Prozent für alle Italiener. Dagegen
vertrauen 76 Prozent der Facebook-Freunde von Beppe Grillo dem Internet. Noch
wichtiger: Nur 8 Prozent vertrauen der Regierung, nur 3 Prozent
politischen Parteien, nur 2 Prozent dem Parlament, den Banken und
Institutionen im Finanzsektor und nur 6 Prozent vertrauen großen
Konzernen.
Darüber hinaus fand Demos heraus, dass die Facebook-Unterstützer Beppe Grillos (6)
- eher männlich und eher älter sind;
- eher gut ausgebildet sind (54 % mit Abitur);
- mithin arbeitslos sind (19 %)
- sich eher auf der linken Seite des politischen Spektrums verorten;
- als ihre größten Sorgen die wirtschaftliche Situation (62 %), die hohe Arbeitslosigkeit (61 %) und die Steuern (41 %) ansehen und
- eine positive Einstellung gegenüber der Einwanderung haben (56 %), das heißt sie als Chance für Italien begreifen.
Für die Frage, warum Beppe Grillos
Bewegung so erfolgreich ist, ist vor allem die Gesamtbewertung von Demos im
Vorfeld der Wahl aufschlussreich: (7)
„Die Kombination aus seiner charismatischen Anti-Establishment-Rhetorik und der Stärke der sozialen Medien, ein außerhalb der Reichweite traditioneller Medien stehendes Publikum zu erreichen, hat sich als „tödlicher Cocktail“ erwiesen und ihn zu einer Größe gemacht, mit der bei der Parlamentswahl zu rechnen ist.Die durch das Aufkommen der Organisation im Internet eingeläutete politische Zeitenwende ist nicht auf Italien begrenzt. Demos hat die Entwicklung von politischen Online-Bewegungen in den letzten zwei Jahren untersucht. Viele Sorgen der Unterstützer von Grillo werden von Menschen in ganz Europa geteilt und kommen im abnehmenden Vertrauen in politische Institutionen, in sinkenden Mitgliederzahlen politischer Parteien und immer geringerer Wahlbeteiligung zum Ausdruck.“ (Übersetzung ins Deutsche SLE)
Alexis Tsipras „Syriza“, das griechisches
Links-Bündnis, ist sicher nicht unmittelbar vergleichbar mit der Bewegung „Fünf
Sterne“ des politischen Quereinsteigers Beppe Grillo. Die Motivation der
Griechen, Syriza zu wählen, dürfte jedoch vielfach dieselbe sein wie die der
Italiener, die Grillo ihre Stimme gaben. Es ist auch ohne eine solche
schillernde Führungsfigur im Kern offensichtlich dieselbe, die gerade erst die
Bulgaren zu Massen-protesten und, nach dem dadurch erreichten Rücktritt der
Regierung, zu der weitergehenden Forderung einer grundlegenden Erneuerung des
politischen Systems veranlasste. (8) Denn auch Bulgarien steckt tief in der
Krise. Der von der Regierung verfolgte austeritätspolitische Kurs hat die Lage
für die Bulgaren noch weiter verschlechtert und das Ausmaß an Missmanagement und
Korruption ist für viele unerträglich geworden. Spanien ist nicht Bulgarien,
aber es steht durchaus am Rande einer Situation, die durch dieselben „Ingredienzen“
gekennzeichnet ist.
Das „Phänomen“ Beppe Grillo ist auch nicht
auf Europa beschränkt. Auch bei der jüngst in Israel abgehaltenen
Parlamentswahl war ein Quereinsteiger und zuvor völlig unterschätzter
politischer Außenseiter der große Gewinner: Der bekannte Ex-TV-Moderator und
Kolumnist Jair Lapid errang 19 der insgesamt 120 Sitze umfas-senden Knesset und
wurde mit seiner neuen Zukunftspartei („Jesch Atid“) aus dem Stand die
zweitstärkste Partei Israels. (9) Niemand, der auf seiner Wahlliste stand, war
zuvor bereits Abgeordneter gewesen. (10) Auch er ist gegen den Sparkurs, der
Israels Mittelschicht beutelt, gegen das etablierte, verschwenderische,
skandaler-schütterte politische System und auch er gibt sich volksnah und
bescheiden. (11) (12)
Wie jetzt in Italien hatte es auch in
Israel bei der vorgezogenen Neuwahl Ende Januar lange nach einem Patt zwischen
dem rechtskonservative Block und der Mitte-Links-Opposition ausgesehen. Der
alte und letztlich doch noch knapp wiedergewählte konservative Premier Benjamin
Netanjahu hatte mit seinem Likud-Beitenu-Block herbe Stimmenverluste hinnehmen
müssen. Von den 2009 errungenen 42 Sitzen in der Knesset verlor er 11, so
dass er jetzt nur noch über 31 Sitze verfügt. (13)
Der Aufstieg von Beppe Grillos „Fünf
Sterne“ ist deswegen kein italienisches Phänomen, sondern ein sehr starkes Signal
gegen die auf Austerität setzende europäische Krisenpolitik, die die verheerenden
Wirkungen auf die breite Mitte in Wirtschaft und Gesellschaft ignoriert. Es ist
zugleich ein Zeichen gegen Missmanagement, ausufernden Lobbyismus und
Korruption von und in etablierten politischen Parteien. Es ist ein Zeichen
dafür, dass sich die etablierten, alteingesessenen Parteien in vielen Ländern –
zum Beispiel auch in Großbritannien und in den USA – in eine Parallelwelt
hineinregiert haben, in der sie die Krise nicht erreicht, sie die Konsequenzen der
selbst beschlossenen krisenpolitischen Maßnahmen in der Tiefe von Wirtschaft
und Gesellschaft nicht mehr wahrzu-nehmen gezwungen sind und der Kontakt zu
denen, die sie vertreten sollen, in einem letztlich den gesellschaft-lichen
Zusammenhalt und die Demokratie bedrohenden Ausmaß verloren gegangen ist. Darin
liegt eine große, bedrohliche Sprengkraft, nicht in Alexis Tsipras oder Beppe Grillo.
Die sind zunächst lediglich Indikatoren dafür, wie sehr diese Sprengkraft bereits
angewachsen ist.
Europas Regierungen werden diese Signale
ernst nehmen und selbst markante Änderungen vornehmen müssen, wenn sie Schlimmeres
abwenden und die Krise tatsächlich und nicht nur in den Schlagzeilen von Zeitungen
bewältigen wollen.
Denn was in bei den Wahlen in Italien
geschehen ist, wird kein Einzelfall bleiben. Spanien, Portugal oder einmal mehr
Griechenland, das sind absehbar die nächsten Stationen eines Prozesses. Es ist
keine Frage, was geschehen wird, wenn nichts unternommen, der Prozess nicht
gestoppt und umgekehrt wird:
Europa wird sukzessive unregierbar werden,
so wie auch die Weimarer Republik unregierbar geworden war.
Und im selben Maße, in dem der Prozess der
Unregierbarkeit in Europa voranschreitet, werden die Chancen schwinden, die
Wirtschafts- und Schuldenkrise zu überwinden und Europa zusammenzuhalten.
Und noch etwas: An der Reaktion der
Finanzmärkte wird für Politiker ebenso wenig wie an Meinungsumfragen abzulesen
sein, welches Verhalten und vor allem welcher Kurs in der Krisenpolitik richtig
und erfolgversprechend ist.
"Und noch etwas: An der Reaktion der Finanzmärkte wird für Politiker ebenso wenig wie an Meinungsumfragen abzulesen sein, welches Verhalten und vor allem welcher Kurs in der Krisenpolitik richtig und erfolgversprechend ist."
AntwortenLöschenBah! Dess iss ja fies! Die armen Politniks. ;-)
BTW und was ist der Unterschied zu heute: "Mir mache nix biss die Gerichte ..."?
Beim zweiten lesen fällt mir doch noch 'ne Frage ein:
AntwortenLöschen"Der Aufstieg von Beppe Grillos „Fünf Sterne“ ist deswegen kein italienisches Phänomen, sondern ein sehr starkes Signal gegen die auf Austerität setzende europäische Krisenpolitik, die die verheerenden Wirkungen auf die breite Mitte in Wirtschaft und Gesellschaft ignoriert."
Das ist klar ... aber woher kommt der gleichzeitige (und sogar noch stärkere) Zug zu Berlusconi? Das sind ja nicht nur die, die schon auf den Finanzämtern aufgelaufen snd und ihre Immobiliensteuer zurück haben wollten; sind das nich auch gegen die Austeritätspolitik Protester?
Sicher, darunter sind auch Gegner des Spakurses. Berlusconi hat ja auch gesagt, er könne mit Monti nicht koalieren, weil der mit seiner Sparpolitik Italien in eine Abwärtsspirale geführt habe.
AntwortenLöschenAllerdings kann man sich auch fragen, ob nicht viele Berlusconi gewählt haben, weil sie persönlich negativ betroffen wären, wenn sich an den korrupten Verhältnissen etwas verändern und Licht in dieses undurchschaubare Dickicht gebracht würde. Denn das will ja vor allem Beppe Grillo, der gerade auch deswegen gewählt wurde.
Grüße
SLE
Euro:Die Mission Impossible
AntwortenLöschenhttp://dolomitengeistblog.wordpress.com/2012/04/24/eurodie-mission-impossible/
Zusatz-Info , ist Beppe Grillo wirklich ein Linker?
Er ist mit einer christlichen Iranerin verheiratet, und hat sich klar gegen eine Staatsbürgerschaft
von neugeborenen Migranten ausgesprochen!
Wenn mal ein angeblich Linker Blogger in Italien zum Thema Einwanderung und Monti-Bilderberger
AntwortenLöschenStellung bezieht, und sogar den Mut besitzt ein öffentliches Nürnberg 2.0 zu Installieren,
(Teile und Herrsche) Divide and Conquer
http://translate.google.com/translate?sl=it&tl=de&js=n&prev=_t&hl=de&ie=UTF-8&layout=2&eotf=1&u=http%3A%2F%2Fwww.beppegrillo.it%2F2011%2F12%2Fdivide_et_imper%2Findex.html
Dann haben die meisten deutschen Journalisten nie täglich auf seinen Blog gelesen!!
Bersani, morto che parla
AntwortenLöschenhttp://www.beppegrillo.it/2013/02/bersani_morto_che_parla.html#commenti
Über 18.000 Kommentare in 24 Stunden beweisen , wie kleine Bloglichter (PI) und Piraten-Blog es
in Deutschland gibt, er stellt sogar noch das Spiegelforum und die Bild-Kommentarspalten ins Abseits!
Deutschland bräuchte einen Beppe-Grillo!!
Das ist sicher wahr. Nur würden ihm hier noch nicht allzu viele zuhören wollen, jedenfalls ganz sicher nicht 25 Prozent der Wahlberechtigten. Deutschland befindet sich (noch) nicht in der Rezession, die Arbeitslosigkeit ist immer noch gering, es gibt keine Austeritätspolitik und auch kein mit Italien vergleichbar schweres Korruptionsproblem. Für das Gros der Deutschen existiert kein oder nur ein geringer Leidensdruck und über den der existiert, wird der Mantel des Schweigens ausgebreitet (z.B. im Armutsbericht).
LöschenGrüße
SLE