Freitag, 15. März 2013

Europa ist kein Unterseeboot: Was Xi Jinping und Franziskus sehen, aber die Euro-Retter nicht



In China hat der neue Staatspräsident Xi Jinping der Kommunistischen Partei und sich selbst Bescheidenheit und Sparsamkeit verordnet und den Kampf gegen Korruption und hemmungslose Bereicherung der Parteielite, bei gleichzeitig immer drückenderer Armut im Großteil der chinesischen Bevölkerung, zu seiner Hauptaufgabe gemacht.
Beim Konklave in Rom haben die Kardinäle mit dem Erzbischof von Buenos Aires und Jesuiten Jorge Mario Bergoglio einen Mann zum Papst gewählt, der sich mit seinem entschiedenen Kampf gegen Armut, Ungerechtigkeit und Korruption einen Namen gemacht hat und der für seine Bescheidenheit bekannt ist.
Etwa ein Viertel der wahlberechtigten italienischen Bürger hat bei den Parlamentswahlen mit Beppe Grillo einen Mann gewählt, der sich dezidiert und vehement gegen die Massenverarmungspolitik der Regierung Monti und der Euro-Gruppe, gegen die darin zum Ausdruck kommende Ungerechtigkeit gegenüber der breiten Bevölkerung und vor allem auch gegen Korruption und Verschwendungssucht ausgesprochen.
Dazu als Hintergrund nur ein paar Hinweise: Seit 2008 ist in Italien ein Viertel der Produktion weggebrochen, insgesamt 818.000 Menschen haben seither ihren Arbeitsplatz verloren und allein 2012 machten 364.972 überwiegend kleine und mittelgroße Unternehmen dicht. Jedes zweite Kleinunternehmen bezahlt seine Mitarbeiter heute in Raten, drei von fünf Betrieben nehmen einen Kredit auf, um ihre Steuern bezahlen zu können, Zinsen wie auch die Zahl notleidender Kredite sind in die Höhe geschossen und ein Drittel aller italienischen Unternehmen leidet unter Liquiditätsmangel. (1)
Nicht mangelnde internationale Wettbewerbsfähigkeit oder rückläufige internationale Nachfrage sind der Grund für die Talfahrt der italienischen Volkswirtschaft, sondern die einseitig auf die Konsolidierung der Staatsfinanzen abzielende Austeritätspolitik der Regierung Mario Montis, die die italienische Bevölkerung dazu zwingt, ihre Ausgaben drastisch einzuschränken. Der mit der Euro-Gruppe abgesprochene Krisenkurs bricht der italienischen Volkswirtschaft nämlich gerade das Rückgrat, das der gesellschaftliche und unternehmerische Mittelstand bildet.
Dasselbe geschieht etwa auch in Griechenland und in Spanien, wo – als Spätfolge der geplatzten Immobi-lienblase – noch zusätzlich täglich etwa 500 Immobilien zwangsgeräumt werden, weil die Eigentümer aufgrund der katastrophalen Wirtschaftslage oder weil sie ihren Arbeitsplatz verloren haben ihre Hypothekenkreditraten vielfach nicht mehr zahlen können. Wird in Spanien nur eine einzige Rate nicht rechtzeitig gezahlt, können Banken mitunter nicht nur horrende Verzugszinsen fordern, sondern auch entsprechende Hypothekenverträge einfach für nichtig erklären und mit einem Schlag den gesamten Darlehnsbetrag zurückzufordern – wozu aus naheliegenden Gründen kaum ein Kreditnehmer in der Lage ist. Die jeweilige Bank hat damit das Recht zur Zwangsräumung. Spaniens Bankensektor steckt in großen, selbst verursachten finanziellen Schwierigkeiten. Dieses Beispiel zeigt, wie die Banken damit umgehen. Die haarsträubende spanische Gesetzgebung macht es ihnen möglich (2) und das erinnert allzu sehr an die Praktiken der Banken in den USA (3).
Erst Massenproteste und eine von 1,5 Millionen Spaniern unterzeichnete Petition, die ein sofortiges Ende der von den Banken veranlassten Zwangsräumungen forderte, brachten die konservative Regierungspartei von Premier Mariano Rajoy, gegen die die Staatsanwaltschaft wegen Korruptionsverdachts ermittelt, dazu, eine Gesetzes-initiative zur Vermeidung sozialer Härten in die Wege zu leiten. Doch zögerte die Regierung, die die absolute Mehrheit im Parlament hat, die Verabschiedung hinaus, weil eine Klage gegen die gesetzliche Regelung von Zwangsräumungen vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Entscheidung anstand. Eine Änderung des spanischen Verfahrens zur Zwangsräumung von Wohnungen wird es jetzt nur deswegen geben, weil der EuGH dieses Verfahren für unvereinbar mit dem europäischen Recht zum Verbraucherschutz und infolgedessen für nichtig erklärte. (4)
Was bedeutet das?
Es bedeutet, dass die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, die gerade auf dem Frühjahrsgipfel bekräftigt haben, Kurs halten zu wollen, anders als die chinesische Führung und die katholische Kirche die Zeichen der Zeit und die Dringlichkeit einer deutlichen Kurskorrektur noch immer nicht erkannt haben. Dass selbst das immer noch mit starkem Wirtschaftswachstum ausgestattete China und die katholische Kirche, die mit Fragen des Wirtschaftswachstums und der Arbeitslosigkeit unmittelbar gar nichts zu tun hat, dies sehen, während sich die europäischen Staats- und Regierungschefs noch immer gegenseitig für ihre, die wirtschaftlichen Probleme und die sozialen Spannungen in Europa dramatisch verschärfende, Krisenpolitik auf die Schulter klopfen, ist auf eine mittlerweile beinahe peinliche Weise irritierend.
Denn was überall in europäischen Krisenstaaten gegenwärtig bedingt durch die austeritätspolitische Krisenpolitik de facto stattfindet, ist vereinfacht ausgedrückt Folgendes:
Es werden in einer die volkswirtschaftliche Substanz verzehrenden Weise zu Lasten der gesellschaftlichen und unternehmerischen Unter- und Mittelschicht große Banken und Unternehmen stabilisiert und im Zweifel auch immer wieder gerettet, die jahrelang

  • erstens eine Kostensenkungsstrategie gefahren haben, die sozialpolitisch gesehen für die Staaten teuer war, zudem aber immer stärker auch an die eigene Unternehmenssubstanz ging, was in Krisenzeiten und auch deswegen zum Problem werden musste, weil sie
  • zweitens in massivem Umfang Geschäfte getätigt haben, die auf keiner soliden Grundlage standen, sondern mit erheblichen immanenten (Ausfall-)Risiken verbunden waren, welche letztlich bei den Staaten abgeladen wurden und sie
  • drittens praktisch nach wie vor nicht wirksam dazu gezwungen sind, es wirklich anders zu machen, sondern im Gegenteil trotz einiger Gegenmaßnahmen unter dem Deckmantel der Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit politisch unter dem Strich noch immer dabei unterstützt werden.

Diese Art von Krisenpolitik ist absurd. Sie weitet im Effekt nicht nur die Schere zwischen Arm und Reich brachial und beschädigt die wirtschaftliche Basis Europas gravierend sowie möglicherweise längerfristig. Sie ist bildlich gesprochen zudem auch in etwa dasselbe, als würde der Kapitän der leckgeschlagenen Titanic nach und nach alle Passagiere der 3. Klasse und der 2. Klasse über Bord werfen lassen, weil er restlos davon überzeugt ist, dass das Schiff die 1. Klasse dann auch wieder besser (z.B. im Falle Italiens und Spaniens) bzw. weiterhin (im Falle Deutschlands) wird tragen können.
Das heißt, die Krisenpolitik ist letztlich nicht nur irrational, sondern auch unter sozialen und ethischen Gesichts-punkten unhaltbar geworden.
Europa steht längst unter Wasser – in wirtschaftlicher wie in gesellschaftlicher Hinsicht. Die Füße der Kapitäne und der 1. Klasse sind aber noch immer trocken.
Es ist ein Trauerspiel, dass jeder, der das nüchtern feststellt, als Marktwirtschafts- oder Kapitalismusgegner verunglimpft wird. Doch gerade deswegen muss es auch gesagt werden. Denn die meisten „Kapitalisten“ sitzen eben gar nicht in der 1. Klasse - und Europa ist kein Unterseeboot.

7 Kommentare:

  1. Vielleicht wird die Krise gar nicht von unfähigen Verantwortlichen verschärft.
    Vielleicht wissen diese Verantwortlichen sehr genau, was -und wessen Werk- sie tun.
    Vielleicht ist diese Krise genau das, was interessierte Kartelle noch gebraucht haben, um etwas durchzusetzen, das in "Friedenszeiten" unmöglich gewesen wäre, jetzt aber alternativlos erscheint.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Dem kann ich (als Jemand, der mitten drin im Finanzmarktgeschehen sitzt) nur zustimmen. Hier an Zufälle zu glauben oder an pure Stümperei (siehe Zypern-"Rettung") wäre meines Erachtens grob fahrlässig....

      Löschen
    2. Ja, sicherlich. Aber natürlich gibt es einen Unterschied zwischen "glauben" und "wissen", der mich als Akteur auf den Fianzmärkten nicht zu interessieren braucht, den ich als Verfasser von Posts aber nicht ignorieren kann. Aber all das auszusprechen, dafür ist die Diskussion im Kommentarbereich ja gedacht und der wird von den meisten Lesern als ebenso wichtig angesehen, wie der jeweilige Aufsatz.

      Viele Grüße
      SLE

      Löschen
  2. "Es bedeutet, dass die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, die gerade auf dem Frühjahrsgipfel bekräftigt haben, Kurs halten zu wollen, anders als die chinesische Führung und die katholische Kirche die Zeichen der Zeit und die Dringlichkeit einer deutlichen Kurskorrektur noch immer nicht erkannt haben. ... während sich die europäischen Staats- und Regierungschefs noch immer gegenseitig für ihre, die wirtschaftlichen Probleme und die sozialen Spannungen in Europa dramatisch verschärfende, Krisenpolitik auf die Schulter klopfen, ist auf eine mittlerweile beinahe peinliche Weise irritierend."

    Ja, es ist nicht zu fassen, was da abgeht!

    Aber gemach. "Unsere" Politniki und "unser" Elitariat findet immer neue (Kriegs-)Schauplätze. Jezz wo die Cinesen erkannt haben: "So geht's nich weiter!" iss Indien dran. Für Waxxtum - gegen die Menschen!!

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich denke schon, dass dies schwieriger wird, weil es überall von den Menschen immer weniger akzeptiert wird. Denken Sie alleine mal an die vielen Proteste in China (80-100.000 im letzten Jahr!) und daran, dass gerade die chinesische Führung heute vor nichts mehr Angst hat, als vor sozialen Unruhen. Auch in Indien ist dies der Fall. Die Ausbeutung von Arbeitern hat dort in letzter Zeit - ebenso wie in China - mehrfach zu eskalierenden Protesten in Firmen/Fabriken geführt.

      Viele Grüße
      SLE

      Löschen
  3. "Auch in Indien ist dies der Fall." Träumer!! Ich sag's noch'mal: Träumer!!

    Da wird der zuständige Provinz-Gauner...äh -Gouvaneur mit 'nem Flatscreen bestochen ... äh beschenkt - und noch 'n Streichelhandy "für die gnädige Frau - weil sie immer soviel arbeiten und mit uns unterwegs sind" - und im Restaurant des 5-Sterne-Hotels zum "Geschäfts"-Essen eingeladen - welches so viel kostet, an einem Abend, wie 10 Familien in dessen Distrikt im Monat mit harter Arbeit verdienen - da wird mit Hygiene, steriler Verpackung und internationalen Standards gelockt (ggf. gedroht), da "hilft" der deutsche Botschafter (sinngem.): "Wenn ihr nicht pariert, ziehen wir euch den Hosenboden stramm!"

    Bis dato hab' ich hier nur substantielles gelesen ... kommt jezz die Abteilung: "Träumerei"? ;-) Hier iss eindeutig noch Verbesserungspotential vorhanden.

    Zu Ihrer Entschuldigung: Ich bin jezz 63, war 30 Jahre selbständig; ich war auch 'mal jung!

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich habe das Gefühl wir reden nicht über dasselbe. Ich habe mich auf das bezogen, was ich im Aufsatz geschrieben habe. Es ist überall schwerer geworden, angesichts der sich weiter öffnenden Schere zwischen Arm und Reich eine Kostensenkungspolitik durchzusetzen, die so gestaltet ist, dass sie diese Spreizung noch weiter verstärkt.

      Dass beispielsweise - wie im Aufsatz angesprochen - die neue chinesische Führung dieses Problem zu einem wichtigen Schwerpunkt ihrer Politik macht( ebenso wie übrigens auch den Kampf gegen die Korruption), ist eine Tatsache. Inwieweit das gelingt, steht selbstverständlich auf einem anderen Blatt.

      Und auch in die Durchsetzung neuer austeritätspolitischer oder anderen, einschneidender Maßnahmen, die die angesprochenen Ungleichverteilung von Lasten verstärkt und zur weiteren Öffnung der Schere beiträgt, ist erkennbar sukzessive immer schwerer geworden.

      Es hat also gar nichts mit Träumerei zu tun, wenn ich das hier feststelle. Da müssten Sie mir jetzt bitte einmal erklären, was Sie eigentlich meinen.

      Viele Grüße
      SLE

      Löschen