Dienstag, 16. Dezember 2014

Euro-Krise und die Präsidentenwahl in Griechenland: Der Troika-Showdown in Athen



Griechenlands konservativer Ministerpräsident Antonis Samaras (Nea Dimokratia (ND)) muss sich seit Wochen so fühlen, als befände er sich zwischen zwei mächtigen Mahlsteinen, die sich langsam aufeinander zu bewegen. Die Troika (zusammengesetzt aus Experten von EZB, EU-Kommission und IWF), die weitere Sparmaßnahmen zur Konsolidierung des Haushalts von ihm fordert, ist der eine Mahlstein. Der andere ist Alexis Tsipras, der Frontmann der seit Monaten in allen Umfragen stabil führenden Oppositionspartei SYRIZA und er fordert so ziemlich das Gegenteil, nämlich das Ende des austeritätspolitischen Kurses à la Troika.

Austeritätskurs in der politischen Sackgasse

Antonis Samaras hat die letzten Wochen scheinbar versucht, einen Mittelweg zu finden oder vielleicht einfach nur gehofft, er könne sich irgendwie dadurch lavieren, den Mühlsteinen entkommen. Freilich war das eine Illusion. Denn der Zeitpunkt, an dem die Mühlsteine ihre Arbeit getan und das Ende seiner politischen Karriere herbei-geführt haben würden, stand längst fest: Ende Februar 2015, denn das ist der späteste Termin für die Wahl eines neuen Staatspräsidenten.
Das Verfahren der Präsidentenwahl in Griechenland sieht vor, dass maximal drei Abstimmungen im Parlament abgehalten werden dürfen. In den ersten beiden Abstimmungsrunden gilt ein Kandidat als gewählt, wenn er 200 Ja-Stimmen erhält. In der dritten Runde sind jedoch nur noch 180 Stimmen erforderlich. Kommt die erforderliche Mehrheit auch in der dritten Abstimmungsrunde nicht zustande, müssen das Parlament innerhalb von zehn Tagen aufgelöst und Neuwahlen angesetzt werden. (1)
Die beiden Regierungsparteien haben zusammen 155 Sitze im griechischen Parlament, das insgesamt 300 Abgeordnete umfasst. Das heißt, die griechische Regierung benötigt 25 Abgeordnetenstimmen aus dem Lager der Opposition, um ihren Kandidaten für das Präsidentenamt durchzubringen.
Das Problem: Die Opposition will seit der Europawahl und den Kommunalwahlen im Frühjahr, die für beide Regierungsparteien ein Desaster waren, vorgezogene Neuwahlen, die die Regierung bisher aus naheliegenden Gründen keinesfalls wollte. Aus Sicht der Opposition ist infolgedessen die Präsidentenwahl der schnellste Weg dorthin. Weil die Regierung den Zeitpunkt für die Wahl des neuen Präsidenten selbst festlegt, war angesichts der schlechten Wahlergebnisse im Frühjahr und der schlechten Zustimmungswerte in Umfragen eigentlich klar gewesen, dass die Galgenfrist ausgenutzt und die Abstimmung so lange wie möglich hinaus gezögert werden würde. Bis Ende Februar eben.
Doch die unausweichlichen Verhandlungen mit der Troika über die Freigabe der letzten Tranche aus dem Rettungsprogramm, das Ende des Jahres ausläuft, haben Samaras in eine schier ausweglose Situation gebracht. Denn die Troika-Experten sehen eine milliardenschwere Finanzierungslücke und forderten deswegen im Gegenzug für die Freigabe der dringend benötigten Finanzmittel die Zusage weitere Sparmaßnahmen, die Samaras aber partout nicht geben wollte.

Das Samaras-Rettungsprogramm: Neue Sparmaßnahmen erst nach der Wahl

Er wollte es nicht, weil er dann – vorgezogene Neuwahlen im Februar vor Augen – den Zorn der Wähler hätte fürchten müssen. Nur leider braucht Griechenland eben auch die Finanzhilfe und deswegen stecken die Verhandlungen mit der Troika fest.
Nachdem jedoch klar war, dass die Euro-Gruppe die letzte Tranche trotzdem noch vor Jahresende überweist und zwecks erfolgreicher Beendigung der Verhandlungen mit der Troika das griechische Rettungsprogramm einfach „technisch“ um zwei Monate verlängert, hat sich für Samaras die Ausgangslage gravierend geändert. (2)
Es hat sich für ihn dadurch bedingt die Chance aufgetan, den beiden Mühlsteinen zu entkommen, indem er die erste Abstimmung über den neuen Präsidenten auf den 17. Dezember vorzieht. (3) Sollte es dann wie erwartet auch bei der für den 29. Dezember angesetzten dritten Abstimmungsrunde nicht die erforderliche Mehrheit geben, müsste das Parlament umgehend aufgelöst werden. Die von der Opposition geforderten Neuwahlen würden dann Ende Januar oder Anfang Februar abgehalten werden und damit in jedem Fall vor Ablauf der „technischen“ Verlängerung des Rettungsprogramms. (4)
Das aber heißt nichts anderes, als dass Samaras Regierung die Möglichkeit hat, erst nach der Neuwahl des griechischen Parlaments in die von der Troika kategorisch geforderten zusätzlichen Sparmaßnahmen einzu-willigen.
Die Zwischenzeit kann er dazu nutzen, Syriza zu dämonisieren. Die Finanzmärkte, die bedingt durch die Ankündigung der vorgezogenen Präsidentenwahl ohnehin schon höchst nervös geworden sind und eine neue Finanzmisere in Griechenland befürchten, werden ihm dabei ebenso helfen wie die führenden Köpfe der Euro-Gruppe und der Europäischen Kommission.

Wie viel Restvertrauen in die Samaras-Regierung haben die Griechen noch?

Die Griechen befinden sich wieder in derselben Lage wie im Juni 2012. Damals mussten sie zum zweiten Mal innerhalb von nur wenigen Wochen ein neues griechisches Parlament wählen und in den Umfragen lag auch damals die linksgerichtete Partei Syriza deutlich vor der Nea Dimokratia von Antonis Samaras.
Doch das ist jetzt zweieinhalb Jahre her.
Viel mehr Griechen als damals geht es heute sehr schlecht und sie wissen auch warum. Die von Troika mit der amtierenden Regierung ausgehandelten „Sanierungsmaßnahmen“  sind für sie allesamt kein Segen gewesen. Samaras weiß das. 35,7 Prozent der griechischen Bevölkerung bzw. 3,9 Millionen Menschen in Griechenland waren laut Eurostat 2013 arm oder von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Diese Zahl ist seit Beginn der Griechenlandkrise Ende 2009 Jahr für Jahr gestiegen, um insgesamt über 900.000. (5) Eine Analyse des griechischen Parlaments für das Jahr 2013 geht von viel höheren Zahlen aus. Demnach lebten im Jahr 2013 2,5 Millionen Griechen unterhalb der Armutsgrenze und weitere 3,8 Millionen waren Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Das sind zusammen 6,3 Millionen Menschen bzw. etwa 60 Prozent. (6) Viele, vor allem jüngere Menschen haben das Land verlassen, weil sie dort keine Arbeit finden und keine Zukunft mehr sehen. Viele andere können nirgendwo anders hin.
Das ist die Situation zweieinhalb Jahre nach der letzten Parlamentswahl in Griechenland und fast fünf Jahren Krisenpolitik unter den Vorgaben der Troika-Experten.
Es ist deswegen keine Frage, dass die Ausgangsbedingungen und auch die Chancen im Falle einer Neuwahl des Parlaments heute ganz andere sind als im Juni 2012. Es mag zwar sein, dass genauso wie damals über die Medien und die Reaktionen der Finanzmärkte eine Drohkulisse entsteht oder aufgebaut wird, damit die Griechen nicht „falsch wählen“ (7). Es ist allerdings angesichts der Erfahrungen, die die Griechen machen mussten, sehr fraglich, ob sie sich bei der Wahlentscheidung heute genauso stark wie damals davon beeinflussen lassen würden.

Angst vor der Ungewissheit nach einem Regierungswechsel

Sicher, die meisten Griechen werden Neuwahlen nicht entgegenfiebern. Denn die Wahlentscheidung wird in jedem Fall eine sehr schwer zu treffende sein. Niemand springt gerne ins kalte Wasser, ins Ungewisse und ungewiss ist definitiv, ob es einer von Syriza gebildeten Koalitionsregierung besser oder nicht vielleicht noch schlechter gelingt, die vielfältigen Probleme des Landes zu lösen. Bisher gibt es jedenfalls in keinem europäischen Mitgliedstaat (und auch in keinem anderen Industrieland außerhalb der EU) eine funktionierende Alternative zur austeritätspoli-tischen Krisenpolitik. Im Gegenteil, selbst Frankreich ist jetzt auf diesen Kurs eingeschwenkt. Kann man es also den Griechen verübeln, wenn sie zweifeln, ob ausgerechnet einer Syriza-Regierung dieses Kunststück gelingt?
Sollten sie jedoch im Falle von Neuwahlen die Samaras-Regierung tatsächlich abwählen, dann hätte dies mit Sicherheit eine Signalwirkung für die anderen europäischen Krisenstaaten, die bisher denselben krisenpolitischen Kurs verfolgen. Die etablierten Parteien haben in vielen Mitgliedstaaten erheblich an Rückhalt bei den Wählern verloren. Neue oder zuvor unbedeutende Parteien befinden sich im Aufwind. Die Europawahl hat das sehr deutlich gemacht. Ein Politikwechsel in Griechenland wäre deswegen möglicherweise der Anfang vom politischen Ende des europäischen Top-Down-Krisenmanagements der bisherigen Art, für das die Troika steht.
Europa wird sich dann etwas Neues einfallen lassen müssen. Eigentlich, das heißt vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der Austeritätspolitik in anderen, insbesondere südeuropäischen Ländern, hätte es das schon lange tun sollen. Doch offenbar bedarf es für diese Erkenntnis erst des Drucks einer neuen Eurokrise und schwerer Erschütterungen des politischen Systems. Und Generalstreiks sowie Massenproteste wegen der Sparpolitik gibt es jetzt nicht nur in Griechenland, sondern beispielsweise auch wieder in Italien und neuerdings in Belgien.
Natürlich wird Antonis Samaras ebenso wie die Euroretter hoffen, dass sein Parteifreund mit beruflicher Erfahrung bei der Weltbank, als griechischer Minister und zuletzt auch als EU-Kommissar in Brüssel, Stavros Dimas (73) (8), bei genügend oppositionellen Abgeordneten gut ankommt. Denn dann gäbe es gar keine vorgezogenen Neuwahlen und all seine politischen Probleme wären gelöst – bis zur nächsten regulären Wahl 2016 oder bis die Mehrheit im Parlament verloren geht, weil erneut Abgeordnete die Regierungspolitik nicht mehr mittragen wollen.

Das Déjà-vu des Giorgos Papandreou

So oder so ist die Präsidentenwahl ebenso wie ein mögliche Neuwahl des Parlaments nichts anderes als eine Abstimmung über den Sanierungskurs der Troika.
Nicht nur, aber ganz sicher gerade auch für Giorgos Papandreou (PASOK) muss das ein starkes Déjà-vu-Gefühl auslösen.
Er hatte als Griechenlands Ex-Ministerpräsident nach Verhandlungen über ein hartes Sparprogramm Ende Oktober 2011 angesichts massiver Proteste und erheblichem Unmut in den eigenen Reihen kurzentschlossen verkündet, die griechische Bevölkerung über das Sanierungsprogramm abstimmen zu lassen (9) – und damit an den Finanzmärkten und in der Euro-Gruppe schwere Turbulenzen ausgelöst (10). Das ist ihm nicht gut bekommen. Er ruderte nach erheblichem politischen Druck umgehend zurück und nur drei Tage später machte er den Weg frei für eine technokratische Übergangsregierung (11), die vom ehemaligen EZB-Vizepräsidenten und damaligen Harvard-Professor Lucas Papademos geführt werden und den Sanierungsprozess sicherstellen sollte. (12)
Das war Ende 2011. Jetzt, Ende 2014, befindet sich Griechenland wieder in derselben Situation und muss dieselbe Entscheidung treffen. Das sollte allen Griechen, aber vor allem den Euro-Rettern, die doch damals so überzeugt vom zügigen Erfolg ihres Sanierungskonzeptes waren, zu denken geben.

2 Kommentare:

  1. Solange keine Partei konkret vorschlägt den Euro zu verlassen, ist es EGAL wer dort an der Macht ist. Die Syriza wird sich auch nur am Topf bedienen und den "Anderen" die Schuld geben.

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    1. Das mag sein. Allerdings sollte Syriza-Chef Tsipras auch nicht unterschätzt werden. Wer weiß schon, was er sich alles einfallen lässt oder plant. Er wird nicht alle Karten auf den Tisch legen. Dann wären Neuverhandlungen mit der Euro-Gruppe von vornherein wenig sinnvoll.

      Die am Ende vielleicht entscheidende Frage ist, ob er eine Alternative zu den Finanzhilfen der Euro-Gruppe und des IWF hat oder im Ernstfall auftun kann. Denn die Umsetzung eines alternativen krisenpolitischen Konzepts wird ohne finanzielle Hilfe nicht möglich sein.

      Grüße
      SLE

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