Samstag, 4. Juli 2015

Das griechische Referendum – eine Abstimmung über Angela Merkels politische Rolle in Europa?




Am Sonntag werden die Griechen in einem Referendum über mehr als nur die Anerkennung oder Ablehnung der neuen Sparvorgaben der Euro-Gruppe und des IWFs entscheiden. Es ist auch eine Entscheidung über die Führungsrolle der Bundeskanzlerin Angela Merkel in der europäischen Krisenpolitik.

Verspielt die Bundeskanzlerin am Sonntag ihre politische Führungsrolle in Europa?

Ohne jede Frage hat die Bundeskanzlerin – gemeinsam mit ihrem Finanzminister Wolfgang Schäuble – in europäischen Fragen und ganz besonders in der europäischen Krisenpolitik bisher einen maßgeblichen Einfluss geltend machen können. Während sich diese Politik in den Krisenländern Portugal, Irland, Spanien und mithin auch Italien zwar nicht ohne Widerstände, aber am Ende dann doch durchsetzen ließ, ging dies in Griechenland gründlich schief.
Dabei ist bereits die Wahl der Links-rechts-Regierung von Alexis Tsipras Ausdruck für eine gravierende Fehleinschätzung der Gläubigergruppe gewesen, nämlich was die Belastungsgrenzen der Bevölkerung und des politischen Systems in Griechenland anbelangt. Mehr noch könnte sich jetzt das Referendum in Griechenland als losgelassener Flaschengeist erweisen, der dann auch in anderen europäischen Krisenländern in der Bevölkerung und dem jeweiligen politischen System ähnlich heftige Gegenreaktionen in Bezug auf die mit aller Macht forcierte austeritätspolitische Krisenpolitik Europas entfesselt. Tsipras Bestätigung im Referendum wäre ein Zeichen für ganz Europa und vor allem auch eines gegen die bisher unangefochtene Führungsrolle der Bundeskanzlerin.
Zwei Dinge sind bereits heute, am Tag vor dem Referendum in Griechenland, klar: Es wird ein knappes Rennen und das heißt, es gibt keine überwältigende Zustimmung mehr für den Reformkurs der Gläubiger und das heißt auch, die Verunsicherungspropaganda von Vertretern der Gläubiger, die ein „Ja“ fordern, zieht in Griechenland nicht mehr. Und zweitens: Die Gläubiger und gerade auch Angela Merkel haben Alexis Tsipras offensichtlich unterschätzt.

Selbst ein knappes „Ja“ wäre eine europapolitische Niederlage für Angela Merkel

Die Rechnung der Bundeskanzlerin, darauf zu bauen, dass sich ihr griechisches Problem mit dem Referendum quasi von selbst erledigt, scheint nicht aufzugehen – in jedem Fall aber wird es für sie eine Zitterpartie werden. Zu lange hat sie ihren Einfluss in Europa nur dazu genutzt die Krise zu moderieren, anstatt die Probleme der Krisenpolitik zu realisieren und ihr eine neue Richtung zu geben. (1) Angela Merkel ist keine Visionärin. Aber genau das hat dazu geführt, dass die Krise in Griechenland oder besser gesagt zwischen Griechenland und den Gläubigern eskalieren konnte.
Es ist zu spät für Angela Merkel, um daran noch etwas zu ändern. Das Referendum wird unabhängig von der Frage, wie es danach finanziell und ökonomisch mit Griechenland weitergehen wird, eine politische Zäsur in Europa erbringen – sofern Tsipras sein „Nein“ von den Griechen bekommt. Dieses „Nein“ wäre eine Niederlage für die Kanzlerin und ein Zeichen des Scheiterns ihrer Europapolitik des ewigen „Sowohl als auch“ oder besser gesagt des richtungslosen Führens.

Hat Alexis Tsipras den besseren politischen Instinkt?

Alexis Tsipras ist kein einfältiger Mann. Er weiß all das und offenbar hat er auch einen guten politischen Instinkt. All die Beschwerden über seinen Verhandlungskurs sind nichts anderes als der Versuch zu verschleiern, dass er in der Tat ein sehr cleverer Verhandler ist. Keine Regierung in Athen oder einem anderen Krisenland hat je so eine starke Performance gegenüber der Euro-Gruppe, dem IWF und der EZB gezeigt. Niemand ist je so weit gegangen. Niemand hat so viel für seine Wähler riskiert.
Und noch etwas ist zu bedenken: Wollen die Griechen wirklich zurück zur Herrschaft der alten, korrupten Parteien, die ihren Eliten und sich selbst in die Tasche wirtschafteten und Griechenland überhaupt erst in die verzweifelte Lage gesteuert haben, in der sich das Land jetzt befindet? Denn genau das würde ein mehrheitliches „Ja“ zum von den Gläubigern geforderten Reformkurs bedeuten.
Es scheint von außen betrachtet schwer vorstellbar, dass die Griechen das wollen. Unzweifelhaft sehen jedoch auch sehr viele Griechen die Bundesregierung als maßgeblich verantwortlich für den Reformkurs an, der für so viele von ihnen Verarmung und Elend gebracht hat. Es ist also ein durchaus geschickter und wahrscheinlich wirksamer Zug vom griechischen Premier, dass er den Griechen gestern am Abend sagte, ein „Nein“ beim Referendum eröffne den Griechen die Chance, in Würde in Europa leben zu können. Der Troika jedenfalls, hinter der sich Angela Merkel versteckt, ist die Würde der Griechen herzlich egal. Wer aber will letztlich ein solches Europa?

Ist Tsipras Angela Merkels europapolitischer Stolperstein?

Tsipras hat seine Chance erkannt, in und vor allem für ein anderes Europa gegen Angela Merkel zu punkten. Bisher hatte sie es immer verstanden, sich für ihre Politik nicht angreifbar zu machen. Das konnte ihr jedoch nur gelingen, weil sie keine Richtung vorgab, keine eindeutigen Entscheidungen traf, sondern die europäische Krise nur moderierte. Genau erweist sich für sie jetzt als Problem. Denn Tsipras könnte nun am Sonntag der Mann werden, der die Schwächen dieses Führungsstils der Kanzlerin für Europa offen erkennbar werden lässt.

16 Kommentare:

  1. Merkels Rolle wird überschätzt. Sie allein kann nichts entscheiden, es geht nur mit Eurogruppe, EZB und IWF. Merkel hat ja offenbar keine Ambitionen auf einen Führungsrolle. Beweis Ihr Zögern laut NSA-Abhörprotollen und ihre verbale Zurückhaltung in den letzten Monaten gegenüber der griechischen Regierung. trotzdem bezeichnet Varoufakis die Verhandler heute als Terroristen. Und vor der Abstimmung in Athen am Sonntag hat man - sieht man die Plakate- den Eindruck, als seien die Hassfiguren Merkel und Schäuble. immer wieder als Nazi karikiert- schuld am griechischen Elend. Es ist eben eine Lose-Lose-Situation ,wenn Griechenland und Deutschland im Euro bleiben wollen; sehr lesenswert hier_ http://www.jjahnke.net/rundbr113.html#3327

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. In diesem Zusammenhang möchte ich nochmals ausdrücklich auf die oben im Post unter Fußnote (1) verlinkte Analyse zu Merkels Rolle hinweisen. Hier nochmals der Link:

      http://www.spiegel.de/international/europe/merkel-s-leadership-has-failed-in-the-greece-crisis-a-1042037.html

      Ich stimme im Wesentlichen mit dieser sehr gründlichen Analyse überein und deswegen komme ich im Grundtenor im obigen Post auch zu den entsprechenden Aussagen. Natülich habe Sie recht, dass man die Probleme nicht allein auf die Kanzlerin zurückführen kann. Das ist auch hier im Aufsatz eine Zuspitzung. Gleichwohl ändert das meines Erachtens nichts an der Bedeutung des Referendums und des bisherigen Kurses der Kanzlerin. Ohne Zweifel hat sie sich dadurch selbst in eine für sie europapolitisch heikle Situation gebracht.

      Viele Grüße
      SLE

      Löschen
  2. Hallo Herr Eichner,

    mein Studium der Volkskunde bewirkt zwar leider, dass ich hier weniger schreibe, dafür aber komme ich mit postmodernen Sozialtheorien in Kontakt, die eine wichtige Perspektive auf die Situation in Griechenland bieten.

    Die postsmarxistischen Politik- und Sozialtheoretiker Ernesto Laclau und Chantal Mouffe (Hauptwerk: "Hegemony and Socialist Strategy") spielen in den Strategien von Alexis Tsipras ein bedeutende Rolle. Laclau glt als Vordenker von sowohl Syriza als auch Podemos und hatte bis vor seinem Tod 2014 enge Kontakte zu den Parteiführern.

    Zu recht geht Laclau davon aus, dass die Gruppierung der Volksparteien um die "Mitte", also um die vermeintlich erfolgreiche Ideologe der neoliberalen Marktwirtschaft, das Ende der Demokratie bedeutet(e).

    Für den überzeugten Sozialdemokraten Laclau ist die Idealvorstellung einer Demokratie ("Radikale Demokratie) nur möglich, wenn unterschiedliche "hegemoniale Projekte" um die Deutungshoheit im politischen Diskurs Ringen. Die Welt der Politik wäre für Laclau also in den Zeiten als Wehner und Strauss für die Pole unvereinbarer politischer Positionen standen, noch in Ordnung gewesen, Schröder und Blair wären dafür die Totengräber der Demokratie.

    Als Postmarxist und Anhänger der Theorien von Michel Foucault war Laclau davon überzeugt, dass sich nur im Ringen im Diskurs, und um die Erweiterung des Diskurses, gesellschaftliche Machtverhältnisse formieren und verändern.

    Einfach gesagt, ist es für erfolgreiche Politik nötig in die Köpfe der Menschen zu gelangen. Das Ringen um die Deutungshoheit eines hegemonialen Projektes, meint die Menschen dazu zu bringen, ihre inneren Überzeugungen mit einer der konkurrerenden politischen Botschaften zu verbinden, oder sogar dies inneren Überzeugungen zu beeinflussen. Soviel zur vereinfachten Darstellung der (sehr mühsam verfassten) Theorien Laclaus.

    Für Tsipras ist daher das Referendum das Mittel die Auseinandersetzung zwischen zwei alternativen (Denk-/Wissens-/Macht-) Systemen aus dem Verhandlungsräumen in die Mitte der Gesellschaft und die Köpfe der Menschen zu bringen.

    Revolutionen finden in den Köpfen der Menschen statt, da ist sich die Sozialwissenschaft heute ziemlich sicher. Personen oder Eliten können Positionen der Macht besetzen, sind aber in im wesentlichen dem Wirken der "Mikrosysteme der Macht" (Foucault) ausgeliefert. Das Handeln wird massgeblich nicht von einer bestimmten Person oder Elite bestimmt, sondern durch die soziale Prägung die aus den sozialen (Macht-) Bezügen in ihrem sozialen Umfeld erfährt und erfahren hat. Tsipras einzge Chance überhaupt Handlungsfähig zu werden in einem System, dass letztendlich gegen ihn arbeitet, ist es diese Auseinandersetzung um die Überzeugungen zu führen.

    Letztendlich bezog sich das JA oder Nein im Referendum auf eine Wahl, um entweder die weitere Vorherrschaft der Marktradikalen Ideologie, oder die Zustimmung zu einer neuen Sozialdemokratie und dem Aufbruch in ein neues Wirtschaftssystem.

    Das Referendum war also in der theoretischen Deutung nach Laclau ein Ringen zweier Ideologien um die Vorherrschaft ihrer Deutungssysteme in den Köpfen der Menschen. Es zwingt die Subjekte mit ihrer Artikulation eindeutig Position zu beziehen.

    In der Artikulation gegen die Macht der Troika und ihrer Ideologien positioneren sich die Wähler damit hinter das Projekt einer neuen linken Bewegung. In den panischen Reaktionen der Eliten und der neoliberalen Institutionen zeigtsich, dass dies auch von der anderen Seite verstanden wurde.

    Wenn wir auch in anderen Ländern zur zentralen Frage des richtigen Weges in die Zukunft ein einfaches Ja oder Nein den Bürgern abverlangen würden, das nicht hinter den aufmerksamkeitsheischenden Ablenkungsmanövern der Berufsabnicker der Wirtschaftsinteressen versteckt ist, wie sähe dann wohl die Antwort aus?

    Wie würde wohl die Mehrheit der Menschen abstimmen wenn wir in H. Genreiths Worten direkt Fragen würden, "Wollt ihr, dass weiter die Fettaugen Herrschen?"

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Hallo alien observer,

      zunächst einmal vielen Dank für Ihre sehr interessanten Ausführungen. Sie bereichern das Bild von der bzw. den Blick auf die Griechenland-Krise, so wie ich ihn hier zu bieten versuche.

      Einen Punkt möchte ich noch ergänzen, weil er mir sehr wichtig erscheint. Ein anderer Kommentator hat diesen heute im Zusammenhang mit einem anderen Post indirekt angesprochen, indem er feststellte, dass der Rücktritt von Yanis Varoufakis zeigt, dass er den Praxistest nicht bestanden hat. Ich habe ihm Folgendes dazu geantwortet:

      "Sie haben recht. Varoufakis hat den Praxistest als Politiker nicht bestanden. Was er aber als Ökonom offensichtlich vor allem nicht vermocht hat, ist, ein überzeugendes Alternativkonzept vorzulegen und auch wirksam zu kommunizieren. Letzters gilt nicht nur in Bezug auf die Gläubigergruppe, sondern vor allem auch in Bezug auf die breite Öffentlichkeit, deren Aufmerksamkeit er ja in der Tat hatte.

      Insofern ist auch das Resultat seines Wirkens als Politiker letztlich enttäuschend geblieben. Es reicht eben leider nicht ein ausgezeichneter Spieltheoretiker zu sein, wenn man kein gutes Blatt in der Hand hat oder die Mitspieler sich nicht bluffen lassen.

      Varoufakis hätte als Wirtschaftsprofessor eine überzeugende Alternative aufzeigen müssen. Sein Amtsnachfolger ist ebenfalls Wirtschaftsprofessor. Ob er es kann, das wird sich zeigen müssen. ... "

      Das ist der Punkt. Es reicht eben nicht aus aufzuzeigen, wie löchrig und falsch die zur Ideologie mutierte neoliberale Lehre ist. Es bedarf auch eines schlüssigen und überzeugenden wirtschaftstheoretischen Gegenentwurfs. Und genau der fehlt entweder oder er existiert und seine öffentliche Diskussion wird mit aller Macht unterdrückt.

      Und um es nochmals in aller Deutlichkeit zu sagen: Ein keynesianisches Lösungskonzept ist KEINE Lösung - weder für Griechenland noch für andere europäische Krisenstaaten. Denn die zentralen Ursachen der anhaltend wirtschaftlichen Krisensituation sind - ganz besonders sogar in Griechenland - markt- und wirtschaftsstruktureller Art und die lassen sich mit keynesianischen Konzepten NICHT wirksam adressieren oder gar beseitigen. Das ist unmöglich.

      Insofern stimmt es mich für Griechenland auch nicht gerade optimistisch, dass der Amtsnachfolger von Varoufakis, der Wirtschaftsprofessor Euklid Tsakalotos, ein überzeugter Keynesianer ist.

      All das schmälert aber nicht die Aussagekraft Ihres Kommentars, wie ich betonen möchte.

      Herzliche Grüße
      SLE

      Löschen
    2. Hallo Herr Eichner,

      danke für die Replik. So wie ich das sehe ist schon die Frage welche Deutungssysteme man ansetzt um zu entscheiden, ob eine Lösung die "richtige" ist, so stark ideologisch besetzt, dass man sich darüber nicht einigen kann.

      In der Welt der Troika zählt allein die Sichtweise der Volkswirtschaftslehre, die alle sozialen Probleme der Wirtschaft untergeordnet sieht. Diese Volkswirtschaftslehre hat sich dabei so stark mit der herrschenden Ideologie und ihrer Eliten verbunden, dass sie nur mit ihnen untergeen kann.

      Eine Perspektive in der die Wirtschaft dem Sozialen Untergeordnet ist und nicht umgekehrt, wird und kann innerhalb der Wirtschaftswissenschaft wie sie heute Auftritt keine Chance haben.

      Die Frage ist nicht ob Keynes oder Friedmann angewandt werden, sondern ob man Wirtschaft in den Dienst der Gesellschaft stellt oder die Gesellschaft in den Dienst der Wirtschaft.
      Da diese Frage ausserhalb des Horizontes der Wirtschaftswissenschaft liegt wird sie nicht diskutiert. Man muss sie dazu nicht unterdrücken.

      Ausserhalb des Sichtfeldes der Volkswirtschaftslehre ist auch die Frage danach, ob der Kapitalismus überhaupt eine Zukunft hat. Man kann das sehen wie man will, aber wenn diese Frage gar nicht diskutiert werden kann, dann hat man die Grenze von Wissenschaft zu Glauben überschritten.

      So wie ich das sehe kann, man die Situation in Griechenland, aber auch global, nur begreifen, wenn man akzeptiert, dass wir uns in einer sehr schweren Systemkrise des Kapitalismus befinden, höchstwahrscheinlich der finalen.

      Einer der Begründer der "Weltsystemtheorie", die Soziologe Imanuel Wallerstein (Yale), führt diese Ansicht hier aus:
      http://www.kontext-tv.de/sendung/20052015/immanuel-wallerstein/systemkrise

      Gruß

      Alien Observer

      Löschen
    3. Ein Paar Anmerkungen noch:
      Es geht mir nicht darum alle die sich als Wirtschaftswissenschaftler begreifen zu diffamieren. Es ist nur so, dass sich nicht nur in der orthodoxen Wissenschaft der Blick des Beforschten auf das Mess- oder Berechenbare beschränkt und eine induktive herangehensweise gewählt wird.

      Dies führt dazu viele Aspekte wirtschaftlichen Handelns auszublenden (Machtverhältnisse, strukturelle Diskriminierung, die Wechselwirkungen zwischen Markt und Gesellschaft etc.). Die Wirtschaftswissenschaft tut sich schwer ihr induktives und Reduktionistisches Vorgehen zu hinterfragen. Der Anspruch der eigenen Wissenschaftlichkeit ist von diversen uninterfragten Annahmen abhängig, zur eigenen Rechtfertigung eine Wahrheit zu vertreten gehört diese nicht selbst in Frage zu stellen.

      Annahmen wie dass die Volkswirtschaft ein abgetrennten Feld ist, dass nicht in Wechselbeziehungen steht, werden als Ungenauigkeit der Modelle zwar erkannt, aber nie wirklich reflektiert.

      Letztendlich führt dieses Denken allerdings geradewegs in eine Machtpolitik. Wirtschaftswissenschaft hat gerade deshalb auch Einfluss auf das Soziale eben weil sie das soziale Ausblendet.

      In der Argumentation ist "Verrückt" oder "nicht Vernünftig" wer sich der Deutungen der Wirtschaftswissenschaft entgegenstellt und kann daher ausgegerenzt werden. Teilhaben am Diskurs darf nur wer sich innerhalb des eigenen Deutungssystems äussert. Das was ausserhalb dessen liegt was als wissenschaftlich als "Wahr" definiert wird muss "Falsch" sein.

      Die Wirtschaftswissenschaft liefert im Fall Griechenland so der Politik eine angeblich neutrale, da wissenschaftliche, Instanz, mit der andere politische Positionen abgeschmettert werden können und die eigenen angeblich durch eine "neutrale Wissenschaft" legitimiert werden können.

      In den Medien wird diese Haltung wiederum aufgegriffen. Wie oft wurde das Verhalten von Varoufakis oder Tsipras als "Verrückt" dargeatellt? An dem Beispiel Griechenland und Troika kann daher gut gezeigt werden wie stichhaltig die Theorien von Michel Foucault bezüglich Wissen und Macht sind. Macht und Hegemonie funktionieren laut Foucault über diese Machttechniken.

      Schäuble bemerkte vor Kurzem, dass der Grexit für Europa verschmerzbar wäre, da Griechenland nur 2% des EU BIP ausmachen würde. In dieser Äusserung stecken al diese angesprochenen Machttechniken. In Zahlen steckt "Wahrheit", Politik kann sich auf diese Wahrheit beschränken und damit soziale Auswirkungen der Politik legitimieren. Auch wenn dies 10 Millionen Menschen ins Elend verabschiedet mit denen man eigentlich eine Solidargemeinschaft eingegangen ist und sich gemeinsamer Werte verschrieben hat.

      Löschen
    4. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

      Löschen
    5. Weil es vielleicht so aussieht las hätte dies nur wenig mit ihrem Beitrag zu tun, hier noch mal eine Rückbindung.

      Weil nur auf wirtschaftswissenschaftlicher Ebene Diskutiert werden darf, werden von Syriza, die eigentlich für einen Systemwechsel stehen, Volkswirtschaftler als Finanzminister eingesetzt, die über marginale Änderungen in der bisherigen Wirtschaftspolitik verhandeln. Diese Marginalien werden aber von der Gegenseite gehörig aufgeblasen.

      Die möglichen Positionen in so einer Verhandlung (irgendwo Zwischen Sinn und Flassbeck angesiedelt) werden von der Volkswirtschaft vorgegeben. Selbst inerhalb der VWL funktioniert die marginalisierung gegenüber heterodoxen Wissenschaftlern allerdings sehr gut. In den Institutionen gilt nur die neoliberale Wirtschaftswissenschaft, man akzeptiert als Gegner aber die Keynsianische Seite und ist gewillt dort Kompromisse zu machen. Alles andere, selbst wenn diese Vorschläge von VWL Professoren kommen, wird ausgegrenzt.

      Eigentlich haben die beiden Seiten also keine gemeinsame Verhandlungsbasis. Tsipras und Varoufakis sehen schon ihre Haltung nicht offen die Systemfrage zu stellen als gewaltiges Zugeständnis an die Instiutionen.

      In diesem Interview erklärt Varoufakis warum er dennoch innerhalb eines kapitalistischen Systems Lösungen sucht und sogar die Rettung des kapitalistischen Systems anstrebt, obwohl er für einen Systemechsel ist.
      https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/der-freidenker-1

      "Wenn meine Prognose zutrifft und wir es nicht nur mit einer weiteren zyklischen Krise zu tun haben, ergibt sich daraus für die Linke die Frage: Sollten wir die Krise des europäischen Kapitalismus nutzen, um ihn durch ein besseres System zu ersetzen? Oder sollten wir über die momentane Situation so besorgt sein, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun, um das herrschende System zu stabilisieren?

      Für mich ist die Antwort klar. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass die Krise in Europa einer besseren Alternative zum Kapitalismus den Weg ebnet. Viel wahrscheinlicher ist es, dass sie gefährlich-regressive Kräfte entfesselt, die eine humanitäre Katastrophe verursachen könnten. "

      "Man kann natürlich auch alternative Theorien entwickeln und hoffen, dass diese ernst genommen werden, aber nach meiner Erfahrung lassen die Herrschenden sich niemals von Theorien beunruhigen, die von anderen Annahmen als ihren eigenen ausgehen. Die etablierte neoklassische Wirtschaftswissenschaft lässt sich – wenn überhaupt – durch nichts anderes verunsichern als durch den Nachweis der inneren Widersprüchlichkeit ihrer eigenen Modelle."

      "ie Kunst besteht darin, revolutionäre Maximalforderungen zu vermeiden, die am Ende nur den Neoliberalen helfen. Und zugleich die immanenten Fehler des Kapitalismus im Auge zu behalten, während wir – aus strategischen Gründen – versuchen, ihn vor sich selbst zu retten."

      Löschen
  3. Nachtrag
    Siehe zu Laclau und Syriza / Podemos auch:
    http://www.theguardian.com/world/2015/mar/31/podemos-revolution-radical-academics-changed-european-politics
    https://www.freitag.de/autoren/the-guardian/was-heisst-hier-populismus

    AntwortenLöschen
  4. PS: ich meinte natürlich Georg Trappe bei der Fettaugenfrage.

    AntwortenLöschen
  5. Hallo alien observer,

    es ist gar nicht die Wirtschaftswissenschaft an sich, die das Soziale ausblendet und sich als exakte Wissenschaft geriert, indem sie alles nicht Berechenbare aus ihren Modellen ausschließt. Es ist der nur der Mainstream, das heißt die neoklassische Auffassung von der Ökonomie.

    Bis etwa ende der 50er Jahre gab es immer noch einige Vertreter, die man der sog. Deutschen historischen Schule zurechnen kann und denen im Unterschied zu den Neoklassikern klar war, dass es in der Wirtschaftswissenschaft um soziale Prozesse geht und es sich dabei insofern auch nicht um eine exakte Wissenschaft handelt. Es gab auch danach vereinzelt Vertreter dieser Sicht, etwa Helmut Arndt. Letzterer stellte in seinen Arbeiten auch nicht das Wirtschaftswachstum in den Mittelpunkt, sondern sie Wirtschaftsentwicklung.

    Meine eigene Markt- und Wettbewerbstheorie gehört in diese Seitenlinie der Wirtschaftswissenschaften. Ich halte es für eine fatale Entwicklung, dass sich der neoklassische Strang durchsetzten und bis heute dominieren konnte. In einem anderen, viel älteren Post habe ich einmal geschrieben, dass die Wirtschaftswissenschaften bei Josef Schumpeters "Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung" (1912) die falsche Abbiegung genommen und sich in eine Sackgasse begeben haben, weil sie so die wirtschaftliche Realität nur völlig unzureichend erklären können.

    Viele Grüße
    SLE

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Wie gesagt, auch innerhalb der Wirtschaftswissenschaften funktioniert die Ausgrenzung anderer Sichtweisen sehr gut.
      Ich hätte genauer sein sollen und meine Bemerkung auf die neoliberale VWL eingrenzen.

      Löschen
    2. Hallo Herr Eichner,

      einen Diskussionspunkt in dem ich Vermute, dass wir uns bisher nicht einig waren hab ich aus einem Kommentar zu einem älteren Post von Ihnen herausgekramt. 2012 hab ich schon enmal bemerkt:

      "Die Ökonomie diente in ihrer Historie immer der wissenschaftlichen / ideologischen Legitimation der Bereicherung weniger. In dieser Hinsicht war die neoliberale Ideologie überaus erfolgreich, Niemals waren Reiche so reich und die Akzeptanz dieses Zustandes so verbreitet wie heute."

      Ich denke sie sehen das immer noch anders und versuchen die VWL als vielstimmige Wissenschaft in einem positiven Sinne zu begreifen. Ich kann sie da gut verstehen, aber ich will sie bewegen die Seite zu wechseln.

      Ich denke, dass eine Erneuerug der Wirtschaftswissenschaft nur durch eine Aufarbeitung der eigenen Rolle in diesem System möglich ist.

      Ich Studiere momentan ein Fach, dass eine sehr unrühmliche Rolle während der Nazidiktatur spielte. Die Volkskunde diente sich in weiten Teilen feiwillig den Nazis an, in dem sie ohne wirklichen Druck der Nazis die Rassenlehre "wissenschaftlich" legitimierte. Dafür erhielt sie Privilegien, Institute, Mittel und Einfluß.

      Es gab Volkskundler wie Prof Huber in München, Mitglied der weisen Rose, der für seine gegenteiligen Überzeugungen ermordet wurde, aber die Institution Volkskunde hat sich massiv Schuldig gemacht.

      Erst lange nach dem Ende der Nazidiktatur, in den 60er Jahren, als die Volkskunde schon fast nicht mehr existierte, begann eine ernsthafte Aufarbeitung und völlige Kehrtwende der Volkskunde.

      Ich wünschte mir, dass gerade weil Wirtschaftswissenschaftler wie Sie heute die Auswirkungen einer falschen Ideologie begreifen, sich innerhalb der VWL mehr Widerstand gegen den Missbrauch einer Wissenschaft im Interesse einer ausbeuterischen und autoritär gesinnten Elite regt.

      Das Festhalten an einer in einem wissenschaftlichen Sinne völlig gescheiterten Wirtschaftspolitik (Austerität) kann in meinen Augen nur damit erklärt werden, dass das eigentliche Ziel der Wirtschaftspolitik die Bereicherung der Eliten / des Finanzesektors an den Bürgern ist und das die Bedeutung der Wirtschaftswissenschaft heute ist, dies zu Verschleiern, zu Begründen oder als alternativlos darzustellen.

      Jede wirtschaftswissenschaftliche Arbeit, wie Beispielsweise die ihre, die nicht dem Zweck der Legitimation der Bereicherung dient, muss von den Institutionen der Wissenschaft und der Macht ignoriert werden, egal wie fundiert sie ist.

      Wie sie oben über Varoufakis schreiben reicht es nicht aus die inneren Widersprüche des Neoliberalismus und der Neoklassik aufzuzeigen.

      Die VWL muss anfangen ihre eigene Rolle in einem System zu Reflektieren, dass diesen Planeten gerade zugrunde richtet.

      Die Wirtschaftswissenschaft lässt sich leider zu gerne Missbrauchen, da sie dank ihrer Partnerschaft zu den Eliten heute als Leitwissenschaft gilt. Ihre Partizipation an der Zerstörung des Planeten, des sozialen Gefüges und der Demokratie ist weitestgehend freiwillig.

      Wirtschaftswissenschaftler würden durch ein Hinterfragen ihrer Rolle in diesem System wahrscheinlich massiv Privilegien, Mittel und Ansehen verlieren.

      Die Volkskunde ist heute ein Fach dass sich wie kein anderes gegen Autorität und Machtsysteme richtet. Es bezahlt damit ein Orchideenfach zu sein, dem immer mehr Mittel zu Gunsten übergroßer Wirtschaftsfakultäten abgegraben werden.

      Volkskundler leben ebenso prekär wie ihre gesamte Wissenschaft. Der Schritt sich gegen das System zu stellen ist kein leichter.

      Eine Weigerung einer großen Zahl von Volkswirtschaftlern sich weiterhin instrumentalisieren zu lassen wäre jedoch das Ende der Ideologischen Basis des Neoliberalismus und ein wichtiger Beitrag dazu die vorherrschaft eine neoliberalen Ideologie ins Wanken zu bringen.

      Löschen
  6. Hallo alien observer,

    es ist gar nicht nötig, mich dazu zu bewegen, die Seite zu wechseln. Ich bin ein ausgesprochener Kritiker der liberalen und der neoklassischen Lehre und ich habe weiter oben zudem erklärt, dass ich mich selbst eher in die Deutsche Historische Schule einordne und der Auffassung bin, dass die Wirtschaftswissenschaften bei Schumpeters Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung entwicklungmäßig die falsche Abzweigung genommen haben.

    Ich erkläre wirtschaftliche ENTWICKLUNG und NICHT Wachstum. Der Wachstumsbegriff setzt auf der Idee von der Kreislaufwirtschaft auf, in der sich nie etwas ändert außer das Niveau (bedingt durch den technischen Fortschritt). Wenn man Märkte und Wirtschaft als sich entwickelnd begreift, ist absolut evident welche eklatanten Fehler der liberalen und der neoklassischen Theorie innewohnen und wozu es führt, wenn man sie auf die Realität anwendet: Nämlich geanu zu den finanziellen, wirtschaftlichen und letztlich sozialen Ungleichgewichten, die wir heute haben.

    Mir scheint, Ihnen sind mein Ansatz und meine daran geknüpfte Argumentationslinie doch noch nicht so ganz klar geworden. Es macht keinen Sinn, Wirtschaftswissenschaftler oder die Wirtschaftswissenschaften mit einem pauschalen oder meinetwegen auch dezidierten Urteil zu belegen. Das ist schon deswegen nicht möglich, weil es hier im Unterschied zu anderen Wissenschaftgebieten immer konkurrierende, mithin auch eine ganze Reihe konkurrierender Theorien und Erklärungsansätzen gibt - was nur deswegen wenig im Bewusstsein der Öffentlichkeit ist, weil nichts anderes als ökonomische Mainstream von Politik und Medien thematisiert wird und das noch dazu i.d.R. völlig unkritisch. Wirtschaftswissenschaftliche Theorien sind nie perfekt. Sie haben immer Stärken, Schwächen und Fehler - teils auch gravierende, wie eben die wirtschaftsliberale undneoklassische Theorie.

    Viele Grüße
    SLE

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Hallo Herr Eichner,

      danke für die Antwort. Nein Sie müssen nichts erklären. Ich hab ihre Position als Volkswirt gut begriffen. Ich sehe sie in keiner Weise als Vertreter einer neoklassischen Volkswirtschaftslehre.

      Aber ich habe es anscheinend nicht geschafft zu vermitteln um was es mir geht. Es ist nicht so, dass ich der Wirtschaftswissenschaft abspreche vielstimmig zu sein. Natürlich gibt es auch heterodoxe Wissenschaftler.

      Das hat aber nichts damit zu tun, dass die VWL sich gerne dafür instrumentalisieren lässt eine bestimmte politik zu legitimieren.

      Darüber gibt es in der VWL keine Reflektion. Die VWL sieht ihre Rolle als neutrale Wissenschaft.

      Klar ist aber, das die VWL eine Leitwissenschaft ist. Sie bstimt massgeblich die Politik. Ihre Vertreter sind im Gegensatz zu anderen Wissenschaftlern (Soziologen, Kulturwissenscaftler etc.) ständig in den Medien präsent. Ökonomie bestimmt daher wie keine andere Wissenschaft den öffentlichen Diskurs. Den Diskurs zu bestimmen heist Macht.

      Offensichtlich wird sie dafür eine bestimte Rolle im Gefüge der Macht auszufüllen von den "Powers that be" auch belohnt. Wirtschaftwissenschaftliche Fakultäten müssen sich über Mittel und Studenten keine Sorgen machen. Innerhalb der Universitäten wird nach sehr klaren Vorgaben der Lehrinhalt bestimmt. Auch hier findet sich eine Ausrichtung nach den Wünschen der Eliten.

      Dies alles macht die VWL zu einer Institution der Macht und nicht nur der Wissenschaft. Sie nimmt keine neutrale Haltung ein und wird von der Politik instrumentalisiert.

      Das wird nicht hinterfragt, nicht diskutiert und innerhalb der VWL auch gar nicht als Problem angsehen. Man ist schliesslich nur eine neutrale Wissenschaft und für die Politik nicht verantwortlich.

      Die Realität des Einflusses der VWL, ihre Bedeutung als Machtinstrument der Eliten und ihre eigenens Selbstbild klaffen weit auseinander. Der Impuls einer neuasrichtung der Ökonomie muss von heterodoxen Ökonomen kommen. Sie kann nur gelingen wenn die Rolle der VWL ebenso wie ihre Inhalte hinterfragt werden.

      Löschen
    2. Hallo alien observer,

      ich bin immer noch nicht ganz zufrieden mit der Einordnung und Beurteilung.

      Erstens muss man berücksichtigen, dass die Medien die "Ökonomen" prominent und bekannt machen. Das heißt in sicher vielen Fällen, dass die Medien auswählen und nicht die Ökonomen von sich aus eine Stimme in der Öffentlichkeit erhalten oder weil sie selbst politischen Einfluss in einer bestimmten Weise ausüben wollen. Natürlich wählen auch die Politiker "Ihre" Ratgeber unter den Ökonomen und nicht umgekehrt.

      Zweitens sind es ja gar nicht hauptsächlich die als reine Wissenschaftler tätigen Ökonomen, die von den Medien geholt und gefragt werden. Es sind in der überwältigenden Zahl der Fälle Ökonomen, die hauptamtlich in einem von Universitäten oft unabhängigen oder gar privaten Institut oder für einen Think Tank tätig sind, Chefökonomen von internationalen Einrichtungen wie etwa der IWF. Sehr, sehr oft sind es Börsianer, Analysten oder Ökonomen von Banken. Sie alle sind interessengeleitet, das ist klar. Die reinen VWLer aus der Wissenschaft spielen eine völlig untergeordnete Rolle in der öffentlichen Diskussion.

      Drittens ist auch in den WIrtschaftswissenschaften die Auffassung sehr stark verbreitet, dass es eben nicht die Aufgabe der Wissenschaft ist, Politikberatung zu betreiben. Klar, es werden natürlich empirische Analysen durchgeführt und Erkenntnisse gesammelt die mithin auch von der Politik genutzt werden können. Zum Teil geschieht das eben auch im Auftrag. Sie sind aber keineswegs per se politisch motiviert. Das kann man den Ökonomen nicht pauschal unterstellen, denke ich. Freilich wird hier nicht immer eine saubere Grenze gezogen und deswegen verschwimmen die Grenzen, was m.E. dem Ruf der Wirtschaftswissenschaften bereits erheblich geschadet hat.

      Viele Grüße
      SLE

      Löschen