Montag, 29. November 2010

WikiLeaks: Das Bild unserer Politiker und die Schwächen der Politik


Die jüngste WikiLeaks-Veröffentlichung geheimer Depeschen amerika-nischer Diplomaten, aus denen vor allem auch ihre Bewertung führender Politiker anderer Staaten hervorgeht, ist für die USA mehr als nur peinlich.(1) Das gilt allerdings auch für Politiker in aller Welt, deren Ansehen in der Öffentlichkeit Schaden genommen hat. Die Depeschen lassen sorgfältig gepflegte Fassaden bröckeln, weisen auf Schwächen und Kompetenzdefizite hin.

Freilich ist das nur die Sicht von US-Diplomaten.

Viele Bürger werden deren Einschätzungen von Politikern indes nicht wirklich überraschen. Sie werden sich in ihren eigenen Einschätzungen nur allzu oft bestätig sehen, selbst wenn auch die in der Regel nur oberflächlich sein dürften. Sie werden sich freuen, dass Politiker solche Wertungen nun auch einmal zur Kenntnis nehmen müssen. Wie Bürger über ihre Politiker denken und wie sie über deren Kompetenz urteilen, ist kein Geheimnis und es ist vor dem Hintergrund der veröffentlichten US-Depeschen durchaus interessant und für Politiker empfehlenswert, hier und nicht nur bei WikiLeaks nachzulesen, wie geurteilt wird.(2)

Die WikiLeaks-Enthüllungen tragen dazu bei, den Druck auf Spitzen-politiker zu erhöhen. Ohnehin stehen sie in vielen Staaten wegen ihrer Politik massiv unter Beschuss. Die zahlreichen Proteste, ob in
Irland, Griechenland, Portugal, Frankreich, Großbritannien oder anderswo, zeigen ebenso wie Meinungsumfragen die große, zornerfüllte Unzufriedenheit der Bürger mit den Leistungen ihrer Regierungspolitiker. Immer öfter finden sie sich auch zu Initiativen zusammen, um dem etwas entgegen-zusetzen. Sie tun es, weil sie sich im Stich gelassen und verraten fühlen. Sie tun es, weil es in ihren Augen in der politischen Landschaft kaum mehr jemanden gibt, der sich nicht der Klientelpolitik verdächtig macht, sondern galubwürdig und vorbehaltlos für das Allgemeinwohl eintritt und eine sachgerechte, vernünftige Politik zu machen willens und in der Lage ist.

Die Schlichtungsgespräche zum Streit um das Stuttgarter Bahnhofs-projekt "Stuttgart 21", die im TV und im Internet übertragen und von überraschend vielen Bürgern verfolgt wurden, zeigen im unmittelbaren Kontrast zu den jetzt von WikiLeaks veröffentlichten Bewertungen unserer Spitzenpolitiker, dass es auf regionaler und lokaler Ebene durchaus Politiker gibt, die das leisten wollen und können. Derart sachlich und kompetent geführte, harte Debatten, wie sie in den Stutt-garter Schlichtungsgesprächen zu sehen waren, gibt es im Bundestag nicht. Bundestag ist, so erscheint es im unmittelbaren Vergleich, "Showtime" - mehr Selbstdarstellung in den Medien, mehr Hochglanz-werbung der Parteien und Politiker als sonst etwas. Allein die Tatsache, wie leer die Sitzreihen dort in der Regel sind, zeigt, dass es dort nicht um Debatte geht, sondern nur die Position am Rednerpult interessant ist, weil darauf die Fernsehkameras gerichtet sind. Gerade aus diesem Grund wurden die Stuttgarter Schlichtungsgespräche von so vielen Bürgern aufmerksam verfolgt. Dort wurde geliefert, was sie wollen. Sie wollen eben keine sich selbst inszenierenden Politiker mehr, die jeder harten Frage und Debatte ausweichen und nach ihrem Auftritt vor den Kameras sogleich gespannt darauf schielen, wie dies ihre Umfragewerte beeinflusst hat. Sie wollen wissen, woran sie mit den jeweiligen Politikern wirklich sind.

Es ist der neuen WikiLeaks-Veröffentlichung zu verdanken, dass dieser Kontrast sichtbar und das Problem ins öffentliche Bewusstsein zurück-gerufen worden ist. Es besteht offensichtlich darin, dass politische Spitzenpositionen leider allzu oft eben nicht mit wirklich geeigneten und darüber hinaus fähigen Politikern besetzt werden. Ohne TV-Kameras wären sie arm dran.

Links:

(1)   Amerikas Diplomaten-Berichte: Geheimdepeschen enthüllen Weltsicht der USA (v. 28.11.10);
(2)   Wirtschaftspolitik in der Krise: Parteien, Politiker und Wirtschaftskompetenz (v. 03.08.09) sowie insbesondere die dort angegebenen Links zu Politiker-Blogs.
(2)   Warum Politiker in der Krise wirtschaftspolitisch nicht "die Kurve kriegen" (v. 05.10.09).


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