Fünf Folgerungen und ein offener Punkt
Bezüglich der Ausführungen zu Teil 5.1
und Teil 5.2 der Aufsatzreihe, die sich im Wesentlichen auf Daten
und Studien zur Entwicklung in den USA bezogen, ist es wichtig, diese im
Kontext der vorangegangenen Ausführungen zur Vermögenskonzentration in Teil 1
und Teil 2 sowie zur Einkommenskonzentration in Teil 3
und Teil 4 zu sehen.
Es ist insofern erstens zu konstatieren,
dass bezüglich der Entwicklung und des Niveaus der Einkommens- und
Vermögenskonzentration – auch wenn man sich der vielen, exemplarisch
angesprochenen und der hinzukom-menden, nicht explizit angesprochenen Ungenauigkeiten
und Lücken bei den Daten und Analysen bewusst ist – ein deutlicher Unterschied
besteht zwischen den USA und Großbritannien auf der einen und den übrigen
Industriestaaten auf der anderen Seite.
Das gilt aber zweitens ganz besonders
auch bezüglich der Rolle und volkswirtschaftlichen Bedeutung des Finanzsektors.
Denn die USA und Großbritannien sind die beiden Hochburgen der Finanzindustrie.
Das gilt ganz besonders für den Subsektor „Other Finance“, unter den, wie in Teil 5.2
ausgeführt, u.a. Wertpapiere, Rohstoffe, Risikokapital, Private Equity,
Hedgefonds und Investmentbanken subsummiert werden. Darunter fallen also gerade
die in den zurückliegenden Jahren besonders einträglichen Geschäfte,
beispielsweise mit Fusionen und Übernahmen, Börsengängen und dem Handel von
Derivaten.
Aber die Entwicklungsrichtung ist drittens
in den anderen, hier exemplarisch ausgewählten Industriestaaten einschließlich
Deutschland – mal stärker, mal schwächer ausgeprägt – dieselbe und auch dort
ist zu erkennen, dass die Entwicklung der Finanzmärkte bzw. die an den Börsen
eine zentrale Rolle bei der Einkommens- und Vermögenskonzentration spielt.
Zweifellos ist die hier vorgenommene Analyse der Einkommens- und Vermögenskonzentration eine immer noch recht grobe. Allerdings wurde verdeutlicht, dass diese in den herangezogenen Daten und Studien auf globaler Ebene sehr wahrscheinlich unterschätzt wird. Für die in dieser Aufsatzreihe betrachteten Industriestaaten liegen die Anteile der Gruppe der Top-10-Prozent am jeweils nationalen Einkommen jedoch immerhin schon zwischen 30 bis 50 Prozent.
Bei den Privatvermögen liegen die Anteile
der Top-10-Prozent zwischen 46 und 74 Prozent, die der Top-1-Prozent der Vermögenspyramide zwischen 17 und 44 Prozent, aber die der unteren 60 Prozent
lediglich zwischen 5 und maximal 18 Prozent des jeweiligen gesamten nationalen
Privatvermögens. James. S. Henry schätzt in seiner Analyse der „Offshore“-Vermögen
(1) allerdings, dass etwa 44 Prozent des tatsächlichen weltweiten
Privatver-mögens unsichtbar sind und etwa 81 Prozent davon auf eine globale
Elite von lediglich 9,35 Millionen Personen entfällt. Den Anteil der nur rund 91.000
Personen umfassenden Gruppe mit einem Vermögen von jeweils über 30 Millionen
US-Dollar am globalen Privatvermögen veranschlagt Henry auf 30 Prozent – mehr
als die Hälfte davon, nämlich knapp 59 Prozent, befinden sich laut seinen
Schätzungen in Steueroasen oder präziser gesagt in „Offshore“-Strukturen.
(siehe dazu Teil 2)
Bei den nationalen Anteilen am globalen
Privatvermögen lagen die USA laut Global Wealth Databook 2011 der Credit Suisse
(2) mit 58,1 Billionen US-Dollar bzw. 25,1 Prozent (2011) weiterhin mit großem
Abstand vor Japan (25,9 Billionen USD / 11,24 %) und China (20,7 Billionen
USD / 8,75 %) an der Spitze (siehe dazu Teil 1). Im Jahr 2000
hatte der Anteil der Privatvermögen von US-Bürgern am globalen Vermögen noch
bei fast 35 Prozent gelegen (siehe dazu Abbildung 2 in Teil 1). Auch
in der Gruppe der Top-Vermögenden (Top-1- und Top-10-Prozent siehe dazu Abbildung 4
in Teil 1) und bei den „Ultra High Net Worth Individuals“ (UHNWI) mit
einem Vermögen von über 50 Millionen US-Dollar liegen die USA einsam an der
Spitze. In letztgenannter machten US-Bürger im Jahr 2011 weltweit einen Anteil
von 41,85 Prozent aus (siehe Abbildung 5). An zweiter Stelle lagen
Chinesen mit „nur“ 6,39 Prozent. Andererseits hat sich jedoch auch in keinem
anderen Industrieland und nicht einmal in China die Schere zwischen Armen und
Reichen so weit geöffnet wie in den USA.
Vor diesem Hintergrund spricht viertens
das hier aufgezeigte Niveau der Einkommens- und Vermögenskonzen-tration durchaus
dafür, die Profiteure der Krise und der Rettungsmaßnahmen und die dazu zählende
Einkommens- und Vermögenselite stärker an den Kosten der Krisenpolitik zu beteiligen.
Es ist indes fünftens falsch
anzunehmen, der Finanzmarktsektor sei allein
verantwortlich für die starke Einkommens- und Vermögenskonzentration. Dagegen
spricht schon die in Teil 5.1 für die USA und den Zeitraum
1979-2006 verdeutlichte Einkommensentwicklung nach Berufsgruppen. Denn demnach
haben die Top-Führungs-kräfte in der Wirtschaft den mit Abstand größten Anteil
am gesamten US-Einkommen in der Top-1- und Top-0,1-Einkommensgruppe. Die
Finanzmarktprofis haben im angegebenen Zeitraum lediglich das stärkste Wachstum
bei den Einkommen in diesen Gruppen realisiert. Allerdings lässt sich nicht
leugnen, dass die Entwicklung und das Treiben des Finanzsektors eine
wesentliche Rolle spielt.
Doch für eine Erklärung reicht das sechstens
eindeutig nicht aus. Der Blick muss folglich über den Finanzsektor hinaus auf
die gesamte Wirtschaft gerichtet werden.
Konzentrationsprozesse in der Finanz- und Realwirtschaft
In den Abbildungen 33 und
34, die die Lohnentwicklung im US-Finanzsektor im Zeitraum 1909-2006 veranschau-lichen
(Teil 5.2), war ebenso wie in den Abbildungen 12, 13
und 16 (Teil 3) zur Entwicklung der Einkommen in den Gruppen
der Top-10-, Top-1- und Top-0,1-Prozent der Einkommenspyramide in den USA,
Großbritannien und Deutschland im Zeitraum 1920-2010 sehr deutlich ein
übereinstimmendes Muster zu erkennen, auch wenn es nicht in allen drei Ländern
gleich stark ausgeprägt ist. Das gilt im Wesentlichen auch für die anderen
betrachteten Länder. Danach gab es bereits vor Mitte der 30er Jahre einen signifikanten
Anstieg der Einkommenskonzen-tration, der mit dem seit Ende der 70er/Mitte 80er
Jahre beginnenden auch bezüglich des erreichten Niveaus vergleichbar ist und
dazwischen eine lange Phase geringer Einkommenskonzentration.
In Teil 3 wurde in diesem
Zusammenhang bereits darauf hingewiesen, dass die Jahre mit Spitzen bei den
Top-Einkommensanteilen, denen danach deutliche Rücksetzer folgten, in
Zusammenhang mit Krisen und Crashs gebracht werden können. Betrachtet man
darüber hinaus für diesen langen Zeitraum auch das Fusionsgeschehen auf den
Märkten, dann lässt sich auch ein Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Einkommens-
und Vermögenskonzentration, Fusionswellen bzw. Phasen verstärkter
Unternehmenskonzentration sowie Krisen und Crashs feststellen. Abbildung 37 („Die amerikanischen Fusionswellen“) zeigt
Fusionswellen im Zeitraum 1895-2006, wobei zu ergänzen ist, dass sich die etwa 2002
begonnene 6. Fusionswelle bis 2007 fortsetzte. (3) (4)
Abbildung 37: Quelle:
Günter Müller Stewens, Die Fusionswelle hält an, in: io new management Nr 11/2006, S.16
Zum Vergrößern bitte Bild anklicken!
Günter Müller Stewens, Die Fusionswelle hält an, in: io new management Nr 11/2006, S.16
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Auch in dieser Abbildung sind Spitzen des
Fusionsgeschehens gefolgt von drastischen Rückgängen. Zur Verdeutlichung wurde
in die nachfolgende Abbildung 38
„Income Share of Top 1 Percent Households“, die die Entwicklung des Anteils der
Top-1-Prozent der US-Einkommenspyramide am gesamten US-Einkommen im Zeitraum
1913-2008 zeigt, Fusionswellen und signifikante Börsencrashs markiert.
Beim Vergleich der Spitzen in den beiden
Abbildungen 37 und 38 gibt es einen Ausnahmefall, in dem keine
Übereinstimmung vorliegt, nämlich bezüglich der Spitze beim Anteil der
Top-1-Prozent, die sich von Anfang bis Mitte der 30er Jahre aufbaute (siehe
Abbildung 37). In Teil 5.2 wurde im Zusammenhang mit der
Einkommensent-wicklung im Finanzsektor zumindest ein zum Teil erklärender
Hinweis gegeben. Von Anfang bis Mitte der 30er sind nämlich die Einkommen im
US-Finanzsektor deutlich angestiegen, sie fielen aber mit der dann einsetzenden
drastischen Regulierung des US-Finanzsektors (Trennbankensystem) dramatisch ab
(siehe Abbildung 33).
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch
der Peak bei Fusionen und dem Top-1-Prozent-Anteil Mitte bis Ende der 60er
Jahre (Abbildung 38). Während die relativen Löhne im gesamten US-Finanzsektor
in diesem Zeitabschnitt jedoch nahezu unverändert blieben (siehe Abbildung 33),
gab es im Subsektor „Other Finance“ (Wertpapiere, Rohstoffe, Risikokapital, Investmentbanken
u.a.) sehr wohl einen deutlichen Anstieg mit anschließendem Rücksetzer (siehe Abbildung 35
in Teil 5.2).
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Sieht man die Entwicklung der Einkommens-
und Vermögenskonzentration im Zusammenhang mit Phasen ausgeprägter
Unternehmenskonzentration bzw. Fusionswellen sowie mit Krisenphasen und Crashs,
dann erscheint es wenig plausibel, die Einkommens- und Vermögenskonzentration
als Ursache der aktuellen Krise zu sehen. Denn zunehmende Unternehmenskonzentration
kann je nach den Gegebenheiten (Corporate Governance, Rahmenbedingungen, Reifegrad
von Märkten und Volkswirtschaften) ein wichtiger Grund für die
Einkommens-konzentration sein. Fusionen & Übernahmen sind darüber hinaus ein
bedeutender Treiber der Börsenkurse, die, wie in der in Teil 5.1
behandelten Studie von Bakija et al. (2012) (5) festgestellt wird, neben
steuerlichen Rahmen-bedingungen ihrerseits ein maßgeblicher Treiber der
Einkommenskonzentration sind.
Zu berücksichtigen ist ferner, dass heute die
Gewinnströme nicht nur aufgrund der vielfach oligopolisierten, von wenigen
Großunternehmen dominierten und vor allem ausgereiften Märkte in hohem Maß
kanalisiert werden, sondern auch durch das hohe Maß der branchenübergreifenden
Verflechtung und Vernetzung der auf globalen Märkten operierenden Konzerne. Es
sei in diesem Zusammenhang noch einmal an die wesentlichen Ergebnisse der
ETH-Analyse der Beteiligungsstrukturen der weltweit rund 43.000 multinationalen
Konzerne (Stand 2007) erinnert: (6)
- Die größte zusammenhängende Beteiligungsstruktur umfasst 75 Prozent aller multinationalen Konzerne und 94,2 Prozent der gesamten operativen Erträge;
- 1.318 Konzerne haben innerhalb dieses größten Beteiligungsnetzwerks besonders weitreichende Kontrollmöglichkeiten und kontrollieren sich zu 75 Prozent selbst; 75 Prozent dieser Unternehmen sind Finanzkonzerne;
- 737 dieser 1.318 Konzerne kontrollieren über Beteiligungen gemeinsam 80 Prozent des größten Beteiligungsnetzes;
- 147 dieser 737 Konzerne kontrollieren gemeinsam 40 Prozent des größten Beteiligungsnetzwerks und zudem nahezu vollkommen auch sich selbst; 49 der 50 einflussreichsten Konzerne sind solche aus dem Finanzsektor, 24 davon sind US-Konzerne, 8 britische.
Abbildung 39
„The Core of the Network of Global
Corporate Control“ zeigt einen Ausschnitt mit einflussreichen
Finanzkonzernen aus dem innersten Kern des Beteiligungsnetzwerks, das 75 Prozent
aller multinationalen Konzerne (Stand 2007) umfasst.
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Diese marktübergreifend hochgradig
vernetzte Struktur von Oligopolisten, in der Finanzriesen eine zentrale
Stellung einnehmen, macht die Weltwirtschaft in hohem Maße krisenanfällig, wie
nicht zuletzt der Fall Lehman Brothers gezeigt hat. Sie setzt jedoch auch ein
großes Fragezeichen hinter die Frage, wie sich dies auf die Form des globalen
Wettbewerbs auswirkt. Andererseits ist diese Struktur nicht nur krisenanfällig,
sondern wirkt in normalen Zeiten auch in die andere Richtung, nämlich in Bezug
auf die Generierung von Profiten, verstärkend, vergleichbar mit einer gut
geölten Maschinerie.
In Teil 2 wurde für den
Zeitraum 2000-2011 für eine Auswahl von Ländern gezeigt, wie sehr das
Privatvermögen in der länderbezogenen Gesamtsumme mit den Hochs und Tiefs der
Börsen schwankt (siehe Abbildung 3). In den USA lag es im Jahr 2000
– dem des Platzens der New-Economy-Blase also – bei 39,5 Billionen US-Dollar.
In 2007, im Jahr der US-Hypothekenkrise, belief es sich dagegen auf 59,9
Billionen. 2008, im Jahr der Lehman-Pleite, war es auf 46,7 Billionen USD
abgestürzt und hat sich danach – parallel zum Börsenaufschwung – bis 2011
wieder auf 58,1 Billionen USD erhöht.
Es ist in diesem Zusammenhang auch
nochmals hervorzuheben, dass es vor dem Crash der New-Economy- Blase im Jahr 2000,
vor der US-Hypothekenkrise (2007) und auch danach wieder (infolge der
Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise) jeweils ausgeprägte Fusionswellen gab
und dass nicht zuletzt das der Grund dafür ist, warum seit 2008 – zumindest
bezogen auf den Bankensektor – immer wieder über „Too big to fail“ und
Maßnahmen zur Lösung der damit verbundenen Probleme diskutiert wird.
Aber die „Too big to fail“ Debatte greift zu
kurz, weil erstens die Instabilität der Märkte dabei eher im Hintergrund steht.
Stattdessen geht es in erster Linie darum künftig zu vermeiden, dass Großbanken
zu Lasten der Steuer-zahler gerettet werden müssen. Die Dominanz großer Banken
im Bankensektor wird folglich gar nicht unbedingt als problematisch angesehen.
Zweitens wird deswegen in diesem Zusammenhang auch die hohe
Unternehmens-konzentration in der Wirtschaft respektive die Dominanz von wenigen
großen Oligopolisten auf zahlreichen globalen Märkten überhaupt nicht
thematisiert.
Warum werden die Hinweise auf die
Zusammenhänge zwischen Unternehmenskonzentration in Finanz- und Realwirtschaft,
Einkommens- und Vermögenskonzentration, Krisen und Crashs im Kontext der Frage
der Krisen-bewältigung nicht gesehen, obwohl sich die aus der Krise von
2008/2009 hervorgegangene Staatsschuldenkrise mittlerweile erneut zu einer
Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise auszuwachsen und die bisherige
Krisenpolitik zum zweiten Mal grandios zu scheitern droht?
„Structure - Conduct - Performance“
Konzentrationsprozesse sind eine
natürliche Konsequenz der Entwicklung von Märkten in marktwirtschaftlich
geordneten Volkswirtschaften. Die Frage ist, bis zu welchem Grad diese volkswirtschaftlich
(und weltwirt-schaftlich) gesehen positiv zu bewerten sind und ob sowie wenn ja,
ab wann und weshalb dies gegebenenfalls nicht mehr der Fall ist. Es ist
deswegen an den unterschiedlichen Punkten der zeitlichen Entwicklung durchaus volkswirtschaftlich
entscheidend, was die Politik darauf bezogen tut. Fördert und forciert sie die
Entwicklung und damit Konzentrationsprozesse? Ist sie passiv und mischt sich
nicht ein? Bremst sie diese oder kehrt sie diese im Extremfall sogar um
(Dekonzentration)? Je nach Situation bzw. je nachdem an welchem Punkt der
Entwicklung die Märkte in ihrer
Gesamtheit stehen, kann sich die Politik gesamtwirtschaftlich positiv oder
negativ auswirken und das gilt prinzipiell für jede der drei genannten
Optionen. Keine ist, wenn man Märkte
und Volkswirtschaften als sich entwickelnd, reifend versteht, folglich generell richtig, sofern es darum geht,
wie in einer gegebenen Situation erreicht werden kann, dass eine
Volkswirtschaft prosperiert.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu berücksichtigen,
dass Unternehmenskonzentrationsprozesse ein klassisches Kennzeichen der
Entwicklung von Märkten sind und hohe Konzentrationsgrade ebenso wie etwa auch
die zunehmende Ähnlichkeit (Homogenität) der im Wettbewerb miteinander stehenden
Produkte und intensiver Preis- und Kostenwettbewerb ein typisches Merkmal ausgereifter,
gesättigter Märkte.
Das wohl bekannteste Konzept zur
Beschreibung und Erklärung wettbewerblich gesteuerter Märkte ist das von der Harvard-School
entwickelte „structure – conduct –
performance“- bzw. „Marktstruktur – Marktverhalten – Marktergebnis“-Konzept.
Es baut auf dem Fundament der neoklassischen Theorie auf, orientiert sich jedoch
an der Empirie.
Ursprünglich wurde von einem streng linearen
Zusammenhang in dem Sinne ausgegangen, dass die Marktstruktur entscheidend das
Marktverhalten und darüber letztlich die Marktergebnisse prägt. Später wurde
erkannt, dass es auch Wechselwirkungen gibt.
Begreift man – über den Rahmen des
Konzepts hinausgehend – auch Einkommen und Vermögen als (direkte oder indirekte)
Marktergebnisse, die sich weitgehend aus den Marktstrukturen und dem dadurch geprägten
Marktverhalten ergeben, dann habe ich in der Aufsatzreihe „Einkommens- und
Vermögenskonzentration“ das Pferd von hinten aufgezäumt.
Das habe ich sehr bewusst getan.
Ebenso bewusst habe ich Wert darauf
gelegt, bei allen angesprochenen Facetten der Aufsatzreihe die langfristige
Entwicklung zu verdeutlichen. Denn so werden Konzentrationsprozesse oder anders
ausgedrückt sich aufbauende und anhaltend signifikante Ungleichgewichte
erkennbar, die es gemäß der neoklassischen Theorie und ebenso gemäß des
„structure – conduct – performance“-Ansatzes auf Märkten und in
Volkswirtschaften so eigentlich überhaupt nicht geben dürfte.
Damit ist im Grunde bereits die am Ende
des letzten Abschnitts formulierte Frage beantwortet. Denn die Politik in den
Industriestaaten orientiert sich – bewusst oder unbewusst – an den zentralen
Annahmen und Lehren der neoklassischen Theorie sowie an dem Markt- und
Wettbewerbsverständnis, das von der Harvard School und verwandten Ansätzen
geprägt wurde – seit mehr als vier Dekaden.
Dabei war es immer das Ziel der Vertreter
des Harvard-School-Konzepts, jenes Set von Marktmerkmalsaus-prägungen zu
bestimmen, bei denen Wettbewerbsprozesse ein möglichst hohes Maß an marktlicher
Effizienz und vor allem Wachstum bewirken. Ein optimales Set von Marktmerkmalausprägungen
wurde nie gefunden, aber die Tatsache, dass überhaupt danach gesucht wird, ist definitiv
ein Beleg für das neoklassische Fundament des Ansatzes. Denn ein solches allgemeingültiges
Marktideal könnte es nur geben, wenn Märkte sich nicht entwickeln würden und Wettbewerb unabhängig von Raum und
Zeit in immer derselben Weise funktionierte. Genau das sind Basishypothesen der
neoklassischen Theorie. Die zentrale Annahme bezüglich des Marktideals, von
deren Richtigkeit bis heute und seit fast fünfzig Jahren ausgegangen wird, ist,
dass oligopolistische, von Großunternehmen geprägte Märkte im Hinblick auf
Marktverhalten und Marktergebnis und damit für Effizienz und Wachstum optimal
sind.
Was das „structure – conduct – performance“-Konzept bedingt durch seine neoklassische Basis nicht systematisch
berücksichtigt, ist:
1. Die
Entwicklung von Märkten und des Wettbewerbs in der Zeit
Wenn Marktstrukturen entscheidend dafür
sind, welches Verhalten und welche Ergebnisse Wettbewerbsprozesse zeitigen,
dann lässt sich die Entwicklung von Märkten nur damit erklären, dass Wettbewerbsprozesse
strukturver-ändernd wirken (u.a. Unternehmenskonzentrationsprozess), aber die Strukturveränderungen
auf den Wettbewerb zurückwirken, das heißt ihn verändern. In welcher Weise sich
der Wettbewerb wandelt ist entscheidend dafür, wie die Marktentwicklung
tatsächlich verläuft. Wettbewerb und Wettbewerbsfähigkeit auf jungen Märkten („Neuland“)
definieren sich deswegen ganz anders als Wettbewerb und Wettbewerbsfähigkeit
auf reifen Märkten („Routine“) und das ist maßgeblich für das Verhalten der
Akteure auf Märkten.
Vor diesem Hintergrund betrachtet ist es
unmöglich ein ideales Set von Marktmerkmalen zu finden, bei denen „der
Wettbewerb“ zu jeder Zeit für hoch effiziente und wachstumsstarke Märkte sorgt.
Ein Wettbewerbsideal gibt es so gesehen überhaupt nicht. Der Wettbewerb oder genauer
gesagt die Form der Wettbewerbsführung muss sich im Gegenteil verändern, damit
Märkte sich entwickeln können (siehe dazu im Detail: „In der Wachstumsfalle –
Griechenland & Co., Teil 1, Teil 2 und Teil 3).
Tut er es nicht, verlangsamt sich die Entwicklung sukzessive und es kommt zu
Stagnation. Und das hat ernste gesamtwirtschaftliche und in letzter Konsequenz
auch ernste weltwirt-schaftliche Konsequenzen, je mehr Märkte betroffen sind.
Die Harvard School und verwandte Ansätze versuchen
entsprechend nicht nur etwas Unmögliches. Vielmehr haben sie auch die Politik -
und über die an Harvard auf dieser Basis entwickelte Managementlehre nebenbei
bemerkt auch Unternehmensberater und Manager – in den Industriestaaten geprägt,
die nunmehr seit einigen Dekaden auf die Förderung der Entstehung und
Entwicklung oligopolistischer, von Großunternehmen geprägter Marktstrukturen ausgerichtet
ist – mal durch Deregulierung, mal durch gezielte Industriepolitik.
Das war über viele Jahre hinweg gesamtwirtschaftlich
gesehen richtig und erfolgreich. Das
Fatale ist jedoch, dass die Politik in den Industriestaaten generell auch
bestrebt ist, diese hochkonzentrierten Marktstrukturen auf Dauer zu erhalten,
in der irrigen Annahme, dies würde die Wirtschaft dauerhaft effizient und
wachstumsstark machen. Tatsächlich hat sie damit in den zurückliegenden beiden
Dekaden die Entwicklung von Märkten zunehmend stärker behindert, weil immer
mehr Märkte ihren Zenit bzw. das Reifestadium überschritten haben. Auf solchen
Märkten gehen die führenden Großunternehmen tendenziell dazu über, ihre
Marktposition zu bewahren und zu verteidigen. Der Wettbewerb wird zu einem
reinen Preis- und Kostenwettbewerb und diese Strukturen zu einem gravierenden
Hemmnis für die Marktentwicklung. Und genau dabei unterstützt die Politik in
den Industriestaaten die Wirtschaft und den Finanzsektor.
Das ist die den meisten nicht bewusste
Erklärung dafür, warum wir heute eine Debatte über „Too big to fail“ führen –
wenn auch nur bezogen auf den Bankensektor.
2. Die
Nachfrageseite, insbesondere deren Rolle für die Entwicklung von Märkten und
Wettbewerb
Wenn es auf immer mehr Märkten im Zuge der
Entwicklung zur Reifung derselben und bei den Unternehmen auf der Angebots- und
Nachfrageseite zu Konzentrationsprozessen kommt, dann ist es wenig realistisch
anzunehmen, dies würde nicht auch bei den Einkommen und Vermögen seinen
Niederschlag finden. Weil die neoklassische Theorie die Entwicklung von Märkten
sowie der Wirtschaft vollständig und die Nachfrageseite weitestgehend
ausblendet (angebotstheoretische Perspektive) und auch das Harvard-School-
sowie verwandte Konzepte beides nicht systematisch berücksichtigen, sich aber
andererseits die Politik in den Industriestaaten daran ausrichtet, liegt der
Einkommens- und Vermögenskonzentrationsprozess außerhalb der Wahrnehmung und
mithin auch außerhalb dessen, was man wahrzunehmen bereit ist. Denn dieser
widerspricht den angesprochenen Theorien und Konzepten, aber vor allem auch der
herrschenden angebotspolitischen Auffassung fundamental. Sich entwickelnde
Märkte lassen sich nur durch das sich im Zeitablauf signifikant verändernde
Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage erklären. Es ändert sich bedingt durch
die sich verändernden Marktstrukturen und das findet seinen Niederschlag in
einem sich verändernden Wettbewerb. Wenn sich viele Märkte im fortgeschrittenen
Stadium der Entwicklung befinden und hochkonzentriert sind, dann konzentriert dies nicht nur die Profit- und Einkommensströme
sondern über diese auch stetig die Verteilung der Vermögensbestände.
3. Die
Konsequenzen der Entwicklung von Märkten und des Wettbewerbs in räumlicher
Hinsicht, das heißt für die Entwicklung des Raums
Wenn wir von der Globalisierung der Märkte
sprechen, dann ist das letztlich nichts anderes als eine Entwick-lungsstufe im
Prozess der Entwicklung von Märkten und sie hängt unmittelbar mit dem
Unternehmenskonzen-trationsprozess zusammen. Große Märkte erfordern große
Unternehmen und umgekehrt. Das ist zum Beispiel exakt der Grund, warum der
europäische Binnenmarkt geschaffen und die Entstehung von „European“ bzw. „National“
Champions in Europa massiv gefördert wurde. Damit hat aber der
Unternehmenskonzentrationsprozess unmittelbar auch räumlich Konsequenzen, denn
die wenigen Großunternehmen, die – als „Champions“ - die jeweiligen globalen
Märkte prägen, sind natürlich nicht gleichmäßig auf alle Volkswirtschaften
verteilt. Und so gibt es im Zuge dieser politisch bewusst geförderten
Entwicklung, das heißt hin zu hochkonzentrierten Märkten und „National
Champions“, unter den Volkswirtschaften und Regionen solche, die von dieser
Entwicklung nach wie vor profitieren und viele andere, die nicht oder nur
indirekt und damit temporär profitiert haben. Letztere sind all jene, die seit
der Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise beschleunigt verlieren, also etwa die
europäischen Krisen-staaten. Die heute stark ausgeprägten volkswirtschaftlichen
Ungleichgewichte (Stichwort: Leistungsbilanz-defizite), aber auch die räumlich
heute ebenfalls stark ungleichgewichtige Verteilung von Top-Einkommen und
Vermögen ist eine mittelbare Folge der politisch in allen Industriestaaten
übereinstimmend und bewusst geförderten Entwicklung hin zu hoch konzentrierten
Märkten, die sich bewusst oder unbewusst am Markt- und Wettbewerbsideal der
Harvard School orientiert.
Zunehmende Ungleichgewichte auf den
Märkten und sukzessives, politisch gefördertes Verkrusten derselben auf dem
erreichten Status Quo, addieren sich mit den Ungleichgewichten bei der
Einkommens- und Vermögensver-teilung auf der Basis der räumlichen
Ungleichgewichte zu einer in hohem Maße instabilen Struktur, die entstanden
ist, weil
- die normale Entwicklung von Märkten dazu führt, dass der Wettbewerb sukzessive an Entwicklungs-dynamik verliert und so Märkte verkrusten (sofern es nicht einem Innovator gelingt, diese aufzubrechen oder von der Politik etwas dagegen unternommen wird);
- die Politik exakt jene Marktstrukturen dauerhaft zu erhalten bestrebt ist, die für ausgereifte Märkte und harten Preis- und Kostenwettbewerb stehen, im falschen Glauben, dies sei auch dann noch ideal für Effizienz, Wachstum und Beschäftigung, wenn nach und nach alle volkswirtschaftlich (global) bedeu-tenden Märkte die Ausreifungsphase erreicht haben und in die Phase der Stagnation eingemündet sind;
- die Konsequenzen für die räumliche Entwicklung und die Entwicklung bei den Einkommen und Vermögen ausgeblendet wurden.
Implikationen für die Krisenbekämpfung
Die Einkommens- und Vermögenskonzentration
ist nicht die Ursache der Krise. Sie ist ebenso wie die hohe
Unternehmenskonzentration das Ergebnis der natürlichen Entwicklungsdynamik von
Märkten. Beides ist aus den oben genannten Gründen heute zu einem zentralen
Problem geworden.
Die Ungleichgewichte zwischen den Volkswirtschaften
werden sich nicht auflösen lassen, so lange die hoch konzentrierten und von
hochgradig vernetzten Konzernen dominierten Marktstrukturen auf den globalen
Märkten bestehen und von der Politik gezielt gefördert und bewusst erhalten werden.
Unter solchen Bedingungen und bei uneingeschränktem Freihandel haben „Verlierer-Volkswirtschaften“
wie zum Beispiel Griechenland, Portugal, Ungarn und Rumänien nicht den Hauch
einer Chance, wettbewerbsfähig zu werden. Denn das hieße deren Wirtschaft
müsste in der Lage sein, den Global Playern Marktanteile im intensiven
Kostenwettbewerb auf den globalen Märkten abzujagen. Das ist schlicht eine
Utopie. Drastische strukturelle Reformen zwecks Anpassung dieser
Volkswirtschaften an ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, wie sie gegenwärtig
erzwungen werden, können daran ebenso wenig ändern wie großvolumige
Konjunkturprogramme. Die einzige Möglichkeit, diese Länder wirtschaftlich
wieder auf Erholungskurs zu bringen, besteht darin, sie temporär vor dem
Wettbewerb auf den globalen Märkten zu schützen, damit sich die heimische Wirtschaft
erholen respektive entwickelt werden kann.
Ein weiterer limitierender Faktor ist der
hohe Grad der Ungleichverteilung von Kaufkraft, was eine direkte Folge der
Einkommens- und Vermögenskonzentration ist. Es fehlen folglich auch die
nachfrageseitigen Voraussetzungen für eine Rückkehr auf den Pfad der
wirtschaftlichen Erholung. Dieses Problem wird sich ohne eine höhere
Besteuerung der Top-Einkommen und –Vermögen nicht lösen lassen und insofern
gibt es neben der erforder-lichen stärkeren Beteiligung an den Krisenkosten
einen weiteren Grund, diese oder eine von der Wirkung her vergleichbare
Maßnahme zu ergreifen.
Aber das alleine reicht ebenso wie der
zuvor angesprochene Schutz strukturell schwacher Krisenvolkswirt-schaften nicht
aus, weil die hochkonzentrierten Märkte letztlich der Motor der Einkommens- und
Vermögens-konzentration sowie auch der räumlichen Ungleichgewichte sind.
Setzt man am anderen Ende des Problems der
sich öffnenden Einkommens- und Vermögensschere an, das heißt bei der wachsenden
Gruppe der Niedriglöhner, gilt dasselbe etwa für Mindestlöhne. Die könnten
vielleicht die schlimmsten Auswirkungen einer Welt marktübergreifend
miteinander verflochtener, großer Oligopolisten eindämmen helfen. Aber sie
ändern nichts an den Ursachen und sind letztlich de facto eine Kompensation für
politische Maßnahmen, die zwecks Unterstützung der Kostenwettbewerbsfähigkeit
dieser Marktstrukturen ergriffen worden sind, einschließlich der Förderung von
Fusionen und Übernahmen, um große Wirtschaftsein-heiten und „National Champions“
(z. B. Übernahme der Dresdner Bank durch die Commerzbank) zu schaffen und die das
angesichts des Reifegrades vieler Märkte ohnehin existierende Problem weiter verschärft
haben.
Auch bezüglich des Problems der
Einkommens- und Vermögensungleichheit wird es deswegen eine echte Lösung nicht
geben, solange die gegebenen Markt- und Beteiligungsstrukturen auf den globalen
Märkten bestehen bleiben und von der Politik konzentriert gefördert respektive
in Krisenphasen massiv gestützt werden.
Eine Lösung kann letztlich unterschiedliche
Elemente umfassen, wird aber in jedem Fall marktstrukturverändernd sein müssen.
Das gilt nicht nur, aber ganz besonders für den von der realwirtschaftlichen
Entwicklung abgekoppelten und die Realwirtschaft dominierenden Finanzsektor. Eine
Lösung wird in diesem Punkt jedoch dadurch erschwert, dass die globalen Finanzhochburgen
in den USA und Großbritannien liegen und insbesondere Großbritannien
volks-wirtschaftlich in hohem Maße von der Finanzindustrie abhängig ist.
Die drastischste Maßnahme wäre neben einer
rigiden Regulierung des Finanzsektors die Zerschlagung von Finanzkonzernen, was
historisch gesehen nicht zum ersten Mal geschähe, aber beides nicht
unproblematisch und eher ein letztes Mittel ist – die ganz große Keule eben.
Eine andere, weniger heikle Möglichkeit
wäre es, Obergrenzen für die Bilanzsumme einzuziehen, möglicherweise in Stufen
und über einen definierten Zeitraum gestreckt, was nichts anderes wäre als ein
Schrumpfen der Global Player im Finanzsektor. Allerdings ist es notwendig
dabei nicht nur den Finanzsektor ins Auge zu fassen, sondern die ebenfalls
vielfach von sehr großen Oligopolisten beherrschten globalen
realwirtschaftlichen Märkte. Auch die könnten sich, nebenbei bemerkt, schon bald
als „Too big to fail“ erweisen.
Unverzichtbar ist aber in jedem Fall eine
Neuausrichtung der gesamten auf die Finanz- und Realwirtschaft gerichteten
Politik.
Die einseitige Fokussierung der oligopolistischen
„1.-Klasse“-Wirtschaft der Konzerne muss beendet und durch eine in den nächsten zehn Jahren bevorzugt auf die Förderung und Stärkung
des dynamischen Teils der klein- und mittelständischen Wirtschaft und
Finanzindustrie gerichtete Politik abgelöst werden, um dynamische
Entwicklungsprozesse blockierende, marktstrukturell bedingte Verkrustungen
aufzulösen. Andernfalls bleiben die instabilen, höchst krisenanfälligen
Strukturen bestehen, die kaum mehr als Stagnationsperspektiven bieten und aufgrund
des immensen Kostendrucks mit Blick auf Beschäftigung und Löhne eine weitere
Verschärfung erwarten lassen.
Kommt es zu einem neuerlichen Kollaps an
den Finanzmärkten und Börsen oder tritt ein anderes signifikantes,
krisenauslösendes Ereignis ein, wird sich die Lage auf den Weltmärkten – wie
schon nach der Lehman-Pleite – sehr rasch und drastisch verschlechtern. Das ist
angesichts der hier beschriebenen, hochkonzentrierten und hochgradig vernetzten
Strukturen der globalen Märkte garantiert. Und dieser Fall wird mit hoher
Wahrschein-lichkeit eintreten, wenn es keine Kurskorrektur gibt.
Gerade deswegen sollte die ebenfalls
bittere, aber zumindest potenziell weniger zerstörerische Alternative eines
sukzessiven Umbaus der krisenanfälligen und ernste finanzielle, wirtschaftliche,
gesellschaftliche und politische Probleme verursachenden Strukturen nicht leichtfertig
verdrängt werden. Es wäre nicht weniger als ein Paradig-menwechsel, aber der ist
unausweichlich. Darauf zu hoffen, dass die bisherige Krisenpolitik und dieselben,
immer wieder angewandten Maßnahmen (aktuelles Stichwort: QE3) doch noch irgendwann
einmal den erwünschten Durchbruch erbringen, ist angesichts der Zwischenbilanz
derselben im fünften Jahr nach dem Kollaps des US-Hypothekenmarktes nicht
einmal mehr ein Strohhalm, an den man sich zu klammern versucht, sondern
Realitätsverweigerung. Die einzige Wahl, die wir tatsächlich haben, ist, ob der
Paradigmenwechsel bewusst vollzogen oder von den Ereignissen erzwungen wird.
Hallo Herr Eichner,
AntwortenLöschenGroßartige Arbeit und in allen Punkten Stichhaltig, aber ich denke Sie wissen schon was jetzt kommt, in ihren Maßnahmen zu Krisenbewältigung kann ich ihnen nicht zustimmen.
Was Sie implizit voraussetzen, ist, dass sich wie in der Vergangenheit eine Produktivitätssteigerung und ein Wachstum auch in Zukunft verwirklichen lassen, sollte die Oligopolisierung auf den gesättigten Märkten gebrochen und damit die Marktdynamik neu entfacht werden.
Ganz abgesehen davon, dass bestehenden Machtstrukturen einen solchen Wandel nicht zulassen kennen sie meinen Standpunkt, dass ein Wachstum wie bisher sich nicht wieder wird erreichen lassen können.
Die Ressourcen werden/sind bereits knapp und teuer und die Produktivität leidet schon jetzt darunter.
Wenn Ressourcen schwinden kann man versuchen dies durch Effizienzsteigerung auszugleichen. Effizienzsteigerung mit bestehenden Ressourcen ist aber durch das "Law of diminishing returns" beschränkt. (Eine logarithmische Kurve die sich schnell auf 1 annähert.) Das die „Innovationskraft der Märkte“ eine Lösung für die Ressourcenkrise hervorbringt ist reiner Wunderglaube, was jedem klar sein muss der sich mit den Grundgesetzen der Physik nur halbwegs auskennt.
Ist die Krise des Finanzsektors durch den Ressourcenschwund ausgelöst? Im Moment sicherlich noch nicht direkt. Aber, die schwindenden Ressourcen verschärfen die Situation für alle diejenigen die sich am Verliererende der Marktwirtschaft befinden.
Dadurch, dass die Investmentbanken, Hedgefonds usw. immer stärker in Bereichen Gewinne erzielen, die die Lebensgrundlagen der Menschen gefährden (Land grabbing, Spekulation auf Nahrungsmittelbörsen, Geier Fonds usw.) spitzt sich die soziale Krisenhaftigkeit der Situation massiv zu. Die Gesellschaftskrise die sich aus der „Wirtschaftskrise/Finanzkrise“ ergeben muss ist was die Menschen eigentlich betrifft.
"Märkte" agieren nicht in abgeschotteten Bereichen fernab der sozialen und ökologischen Ökosysteme. Sie sind eingebunden in gesellschaftliche Entwicklungen und einen Rohstoffkreislauf.
Es ist meines Erachtens die zentrale Schwäche der vorherrschenden Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftpolitik die Frage zu missachten ob Nachhaltigkeit und diese marktwirtschaftliche Volkswirtschaft überhaupt zu Vereinbaren sind. Es scheint fast als ein Sakrileg in der Mainstream Ökonomie die sozialen Implikationen wirtschaftlichen Handelns überhaupt zu erwähnen, oder ökologische Auswirkungen anders als mit Häme und Spott zu kommentieren.
Wie viel Reichtum können wir uns angesichts des stagnierenden Wachstums noch leisten? Wie viele müssen darben, hungern oder sterben um wenigen Reichtum zu bescheren? Wie viel Vermögen kann die Gesellschaft einzelnen noch gestatten ohne den Rest der Gesellschaft zu gefährden? Wie weit werden die reichen und mächtigen gehen um ihren Reichtum zu verteidigen? Wie viel Ausbeutung lassen sich die unteren 90% noch gefallen?
Eine Zukunftsfähige Wirtschaftspolitik kann daher nicht umhin die Vermögenskonzentration an sich (den Reichtum) in Frage zu stellen. Stellen wir den Reichtum in Frage erübrigt sich jede Frage nach einer Finanzindustrie, sie kann nicht überleben. Je eher sie abgeschafft wird und wir das Bankwesen auf ein Kommunal/Genossenschaftlich gesteuertes Minimum reduzieren desto besser.
Ein Paradigmenwechsel wie Sie ihn vorschlagen greift also zu Kurz. Auf Dauer ist nur die Frage von Bedeutung: Wählen wir unseren Weg in eine nachhaltige Gesellschaft selbst oder wird sie das Ende eines revolutionären Umbruches sein?
Siehe hierzu auch:
LöschenHerman Daly, Three More Growth Fallacies:
As natural resources become scarce we can substitute capital for resources and continue to grow. Growth economists assume a high degree of substitutability between factors of production. But if one considers a realistic analytic description of production, as given in Georgescu-Roegen’s fund-flow model, one sees that factors are of two qualitatively different kinds: (1) resource flows that are physically transformed into flows of product and waste and (2) capital and labor funds, the agents or instruments of transformation that are not themselves physically embodied in the product. There are varying degrees of substitution between different resource flows, and between the funds of labor and capital.
But the basic relation between resource flow on the one hand, and a capital (or labor) fund on the other, is complementarity. You cannot bake a hundred-pound cake with only one pound of ingredients, no matter how many cooks and ovens you have.
Efficient cause (capital) does not substitute for material cause (resources). Material cause and efficient cause are related as complements, and the one in short supply is limiting. Complementarity makes possible the existence of a limiting factor, which cannot exist under substitutability. In yesterday’s empty world the limiting factor was capital; in today’s full world remaining natural resources have become limiting.
Sehr schöne Artikel! vlt. ein paar Anregungen:
AntwortenLöschenich sehe selber 2 hauptprobleme für die aktuellen wirtschaftlichen probleme:
1. der an sich gesunde antrieb, vermögen schaffen zu wollen hat sich von einem volkswirtschaftlich förderlichen motiv zu einem schädlichen gewandelt.
2. durch die perfekt organisierte wirtschaft in oligopolen märkten sind im wirtschaftskörper tiefe rinnen entstanden, die jede umverteilung oder anderweitigen geldeintrag sofort wieder zu vermögen absaugen und eben nicht in der wirtschaft zirkulieren. d.h. in einer gesunden art und weise und eben nicht als schulden...
es ist geradezu ein witz, dass das bundesverfassungsgericht entschieden hat, dass geldvermögen gegenüber anderen vermögen benachteiligt nicht werden dürfen, obwohl genau dies ein wichtiges steuerelement wäre, um der verheerenden entwicklung entgegen zu wirken.
doch tatsächlich lässt sich all dies auf verblüffend einfache art und weise lösen und zwar durch einen mentalitätswechesl, der vermögen per se kritisch sieht und vermögende durch sanfteren oder härteren druck dazu zwingt, gutes zu tun und eben nicht permanent neue erben und damit "rentner" zu schaffen...