Seit Wochen wird in Europa und besonders
in Deutschland heftig über die politischen Konsequenzen gestritten, die aus den
Enthüllungen des Ex-US-Geheimdienstlers Edward Snowden zu ziehen sind. Dabei
geht es um die massive Internet- und Telefonüberwachung durch den britischen
und insbesondere amerikanischen Geheimdienst – Government Communications
Headquarters (GCHQ) bzw. National Security Agency (NSA) – sowie um gezielte
Abhörmaßnahmen der NSA in Gebäuden der EU.
Europa ohne NSA?
Mit Konsequenzen drohten den USA nur
wenige. Einige Europa-Parlamentarier und Oppositionspolitiker taten es und auch
die für Justiz und Grundrechte zuständige EU-Kommissarin Viviane Reding, die
zugleich Vizepräsi-dentin der Europäischen Kommission ist, drohte: "Wir können nicht über einen großen
transatlantischen Markt verhandeln, wenn der leiseste Verdacht besteht, dass
unsere Partner die Büros unserer Verhandlungsführer ausspionieren. Die
amerikanischen Behörden sollten alle solche Zweifel schleunigst ausräumen."
(1)
Bundeskanzlerin Angela Merkel schickte
ihren Innenminister nach Washington, um Fragen zu stellen und Antworten
einzufordern. Das Europäische Parlament hat zwischenzeitlich einen
Untersuchungsausschuss zu den Aktivitäten der beiden Geheimdienste in Europa
eingesetzt, der rasch seine Arbeit aufnehmen und Anfang September mit
Befragungen beginnen soll. (2) Die Europäische Kommission soll für das EU-Parlament
die Aussetzung der Abkommen zur Weitergabe von Bankdaten und Flugpassagierdaten
erwägen und das „Safe-Harbor-Abkommen“ (3) auf den Prüfstand stellen. (4) Letzteres
ist ein Datenschutz-Abkommen für die Übermittlung personenbezogener Daten
europäischer Unternehmen in die USA ist. Die Verhandlungen über das angestrebte
Freihandelsabkommen der EU mit den USA (Transatlantic Trade and Investment
Partnership (TTIP)) zur Dispo-sition zu stellen, darauf konnten sich die
Europaparlamentarier allerdings nicht einigen. Die für Innenpolitik zuständige
EU-Kommissarin Celine Malmström hat eine Task Force zum Abhörskandal eingerichtet.
(5)
Trotzdem ist es nicht unwahrscheinlich, dass
all dies am Ende lediglich als Sturm im Wasserglas entpuppt und sich die
Konsequenzen für die USA, sofern es überhaupt welche gibt, schwer in Grenzen
halten.
In der politischen Debatte des
Abhörskandals in Deutschland zeigt sich deutlich, wie gering die Bereitschaft
der Bundesregierung ist, das Thema Internetüberwachung zügig und druckvoll
anzupacken oder überhaupt irgendetwas zu tun, was die US-Regierung
herausfordern oder auch nur „böse gucken“ lassen könnte. Zudem dürfte auch der
Druck seitens der Opposition merklich nachlassen. Denn die SPD sitzt, was das
Thema „Inter-netüberwachung“ anbelangt, nach zwei Regierungsperioden mit Gerhard
Schröder (SPD) an der Spitze und nach der großen Koalition beim Thema
„Internetüberwachung“ bildlich gesprochen im Glashaus und wir deswegen
schwerlich mit großen Steinen auf die Bunderegierung werfen wollen.
Frankreichs Präsident Holland hatte die
NSA-Abhöraktivitäten scharf kritisiert. Seine Geheimdienste sehen sich jedoch
inzwischen ebenfalls dem Vorwurf ausgesetzt, massiv das Internet und den
Telefonverkehr zu überwachen (6). Es ist kaum zu erwarten, dass Frankreich oder
Großbritannien, dessen Geheimdienst GCHQ wegen der Enthüllungen von Edward
Snowden am Pranger steht, auf Änderungen dringen werden.
Die europapolitische Realität ist, dass Europapolitik
immer noch hauptsächlich auf Regierungsebene der National-staaten gemacht wird, sprich
in Berlin, London, Paris usw., egal, ob es sich dabei nun um amerikanische
Geheimdienstaktivitäten in Europa, die Bankenunion, oder um die europäische
Schuldenkrise dreht.
Die Bereitschaft, mit den USA über deren
Einfluss und Aktionsspielraum in Europa zu streiten, ist in Europa insgesamt gering
ausgeprägt bis nicht existent. Was die Enthüllungen von Edward Snowden
eigentlich so skandalös macht, ist, dass sie zeigen, wie groß dieser Einfluss
und Aktionsspielraum tatsächlich ist und wie peinlich berührt die politischen
Entscheider in Europa auf einmal herumeiern, um nicht zugeben zu müssen, dass sie
dies zulassen und de facto nicht Herr im eigenen europäischen Haus sind.
Europäisches Krisenmanagement ohne den IWF?
Vor diesem Hintergrund ist auch der
jüngste Vorstoß von EU-Kommissarin Viviane Reding zu bewerten. Sie will die in
den europäischen Krisenländern wegen ihrer unnachgiebigen Haltung bei der
Durchsetzung der höchst umstrittenen austeritätspolitischen Maßnahmen verhasste
Troika abschaffen und beim Krisenmanagement künftig, das heißt in ein paar
Monaten schon, auf die Unterstützung des Internationalen Währungsfonds (IWF)
verzichten. (7)
Sie begründete das damit, dass Europa
inzwischen „die nötigen Fähigkeiten“
besitze, „um in Wirtschafts- und
Finanzfragen die entsprechenden Analysen durchzuführen“ und die Europäische
Kommission zudem besser auf sozialen Ausgleich hinwirken könne, weil der
EU-Vertrag sie dazu verpflichte, auf eine soziale Marktwirtschaft
hinzuarbeiten. Ferner hält sie es für ein unzumutbar, dass vergleichsweise
ärmere IWF-Mitglieder wie Brasilien und Indien Griechenland helfen müssten. „Wir sollten unsere europäischen Probleme in
Europa lösen“, wird Viviane Reding zitiert (8) und spricht damit aus, was
andere (mich selbst eingeschlossen) allerdings schon 2010 vor allem auch mit
Blick auf die nervösen Finanzmärkte als Grundlinie für das Management der Griechenlandkrise
gefordert hatten.
Interessanterweise will auch Ungarn – wegen
seiner umstrittenen Krisenpolitik immer wieder hart von anderen europäischen
Regierungen und der Europäischen Kommission kritisiert – den IWF so bald wie
möglich loswerden und hat ihn jetzt sogar aufgefordert, seine Repräsentanz im
Land zu schließen. Bis Ende 2013 will Ungarn den von EU und IWF gegen
Reformauflagen gewährten Hilfskredit in Höhe von insgesamt 20 Mrd. Euro
vollständig zurückbezahlt haben. (9)
Bei Bundesfinanzminister Schäuble hört
sich das anders an. Der IWF werde sich erst langfristig, das heißt nach dem Ende
der laufenden Hilfsprogramme in Europa, zurückziehen. (10)
Braucht Europa den IWF für die Bewältigung
seiner Schuldenkrise?
Das scheint nun immerhin eine Frage zu
sein, in der die Auffassungen inzwischen auch auf Seiten der Euro-Retter
auseinander gehen. Eine echte Diskussion gibt es aber nicht. Viele hängen in
der eingeübten Rhetorik fest. Es ist fraglich, ob die Europäer den Mut
aufbringen, die volle politische Verantwortung für ihr Krisenmanagement zu
übernehmen.
Man kann es auch anders ausdrücken, selbst
wenn es vielleicht angesichts der Tatsache, dass der IWF eine internationale
Organisation ist, nicht präzise ist, es so zu formulieren. Aber im Grunde geht
es in gewisser Weise wie beim Abhörskandal um die Frage der politischen
Unabhängigkeit von den USA. Denn erstens sind die USA und Europa die größten
IWF-Beitragszahler und haben somit dort auch den größten Einfluss. Zweitens
trägt das Sanierungskonzept des IWF aber eine durchaus amerikanische
Handschrift und deswegen stellt sich, ganz besonders vor dem Hintergrund der
bisherigen Resultate, drittens ernstlich die Frage, ob es im besten Interesse
Europas ist, wenn der IWF nicht nur am Krisenmanagement beteiligt ist, sondern
es dominiert.
Ein kurzer Rückblick
Anfang 2010 begann die europäische
Schuldenkrise in Griechenland. Das Land stand am Rande der Staatspleite und
benötigte dringend finanzielle Hilfe.
Zu dieser Zeit wurde auf europäischer
Ebene diskutiert, ob Europa das Problem alleine in Angriff nehmen oder die
fachliche und finanzielle Unterstützung des auf die Sanierung von
Staatsfinanzen spezialisierten Internationalen Währungsfonds (IWF) in Anspruch
nehmen sollte. Denn es war klar, dass es finanzielle Hilfen nicht ohne
Maßnahmen zur Sanierung der Staatsfinanzen geben sollte und damit stellte sich
die Frage, wie dies am besten sichergestellt werden konnte.
Vor allem auf Druck der Bundesregierung
wurde entschieden, den IWF einzubeziehen. Aber auch Finnland hatte das
gefordert. (11)
Zu dieser Zeit verliehen die europäischen
Staats- und Regierungschefs ihrer Überzeugung Ausdruck, es handle sich um ein
rein griechisches Problem, verursacht primär durch Korruption,
unverantwortliche Ausgabenpolitik und Missmanagement, für dessen Lösung ein
speziell geschnürtes Rettungspaket ausreichen werde.
Die Strukturreformen bzw. das
Sanierungskonzept für Griechenland trägt folglich die Handschrift des IWF, der
dasselbe schon in vielen Fällen weltweit durchexerziert hat.
Die IWF-Grundsätze für Wirtschaftsreformen
Der IWF verfolgt ein wirtschaftsliberales,
austeritätspoltisches Sanierungskonzept, das nach der Schuldenkrise in
Lateinamerika in den späten 70er und frühen 80er Jahren unter der Bezeichnung
„Washington Consensus“ eine breitere Akzeptanz gefunden hatte. Der Begriff
selbst geht auf den Ökonomen John Williamson (1990) zurück. (12) Er fasste
darunter zehn, in der Washingtoner Politik und Administration, bei der Federal
Reserve (Fed), internationalen Organisationen (insb. IWF und Weltbank), Think
Tanks und Fachleuten seines Erachtens weitgehend konsensfähige Grundsätze für
Wirtschaftsreformen, deren Beachtung für die Bewältigung von Schuldenkrisen und
für makroökonomische Stabilität und Wachstum in Krisenstaaten Lateinamerikas
als erforderlich angesehen wurde.
Im Einzelnen sind dies: (13)
- Haushaltsdisziplin
In Lateinamerika hatten nahezu alle Staaten große Haushaltsdefizite aufgebaut; die Folgen waren: Zahlungsbilanzkrise, hohe Inflation und Kapitalflucht; - Neue
Prioritäten bei den öffentlichen Ausgaben setzen
Der Fokus liegt auf langfristig wachstumsorientierten Investitionen, wie etwa in die medizinische Grundversorgung, das Bildungswesen und in Infrastrukturen; - Steuerreform
Absenkung der Spitzensteuersätze und Verbreiterung der Steuerbasis; - Liberalisierung
der Zinssätze
gefordert werden marktbestimmte Zinsen; - Festlegung
eines wettbewerbsfähigen Wechselkurses
um eine Exportstrategie erfolgreich verfolgen zu können, muss die heimische Währung hinreichend niedrig bewertet sein, was auf Währungsabwertung hinaus läuft; - Liberalisierung
des Handels
Abbau von Handelsbeschränkungen und –kontrollen, speziell auch Abbau von Importzöllen (Zweck: Exportförderung); - Liberalisierung
bzw. Anregung ausländischer Direktinvestitionen
(Zweck: Know-How-Transfer, mehr Wettbewerb, Rationalisierung, Effizienz);
Mitte der 90er Jahre forderte der IWF auch die Liberalisierung des Kapitalverkehrs; - Privatisierung
von im Staatsbesitz befindlichen Unternehmen und Einrichtungen (private Unternehmen sind effizienter und erfolgreicher); - Deregulierung
von Märkten und Preisen; - Schutz
des Privateigentums (Property Rights)
in den Industriestaaten selbstverständlich, in Lateinamerika damals nicht
Das Konzept war ab Mitte der 90er Jahre („Tequila-Krise“
und „Asienkrise“) nicht mehr unumstritten, weil sich gezeigt hatte, dass auch
Staaten, deren makroökonomische Daten in Ordnung waren, in finanzielle
Schieflage geraten konnten. Für den IWF und die Weltbank blieb es aber
maßgeblich. Insofern war es eine Überraschung, als Anfang 2011 der damalige
Direktor des IWF, Dominique Strauss-Kahn, eine Abkehr vom „Washington
Consensus“ ankündigte und dies mit den Lehren aus Finanz- und
Weltwirtschaftskrise 2008/2009 begründete. Der „Washington Consensus“ sei
überholt, sagte er. (14) Doch wenige Wochen später musste er wegen
Vergewaltigungsvorwürfen und eines dadurch ausgelösten Skandals von seinem Amt
zurücktreten. Der IWF hat seine Sanierungskonzeption offensichtlich beibehalten.
Troika-Zwischenbilanz nach drei Jahren
Die Zwischenbilanz der Troika – IWF, EZB
und Europäischen Kommission – und der Anwendung der Reform-grundsätze des IWF in
Griechenland und in den anderen Euro-Krisenstaaten (ab 2010 bis heute) ist alles
andere als überzeugend – vor allem wenn man die Entwicklung der sozialen und
politischen Verhältnisse in die Bewertung mit einbezieht:
- Griechenland wird einen weiteren Schuldenschnitt brauchen, das Land steht angesichts massiver Proteste gegen neue Maßnahmen erneut am Rande von Neuwahlen;
- Portugal ist inzwischen an einem für die politische Stabilität besorgniserregenden Punkt der wirtschaftlichen Abwärtsspirale angelangt;
- in Italien und ganz besonders in Spanien geht es weiter bergab; zwar stehen beide Länder nicht unter Troika-Beaufsichtigung, sie verfolgen aber bisher dasselbe Sanierungskonzept; in Italien bemüht sich die neue Regierung deswegen jetzt um eine Kurskorrektur, in Spanien steht die konservative Regierung wegen massiven Protesten und eines Korruptionsskandals zunehmend unter Druck;
- nur in Irland sieht es besser aus, aber wirklich gut auch nicht.
Das ist, grob betrachtet, Europa drei
Jahre nach Beginn der Schuldenkrise in Griechenland, einer Schuldenkrise, die
mit Hilfe des IWF bewältigt werden sollte und die, wie es damals hieß, in
keinem anderen Euro-Land so ernste Ausmaße würde annehmen können. Wer die Daten
bzw. Details der Entwicklung in den Krisenländern ansehen will, der wird hier fündig, aber wohl kaum zu einer wirklich optimistischeren Gesamteinschätzung
gelangen.
Haben wir den IWF dafür aus Washington
nach Europa geholt?
Ist es das, was wir in Europa – wie Viviane
Reding meint – erst lernen mussten?
Oder können wir in Europa gerade deswegen auch
weiterhin nicht auf die Unterstützung des IWF verzichten?
Europa ist heute weniger europäisch als vor der Krise
Auf den ersten Blick haben der Abhörskandal
und das Management der europäischen Schuldenkrise nichts miteinander zu tun. Doch
in der Gesamtschau wirkt das Verhalten der Europäer in der Frage des Krisen-managements
ebenso unselbständig und orientierungslos wie beim Abhörskandal. Es wirkt, als wollten
sie von jemandem an die Hand genommen werden. Und gerade jetzt wirkt es so, als
wäre Washington der europapolitische Orientierungspunkt.
Das sind Europas Top-Entscheider selbst schuld.
Sollten sie geglaubt haben, es würde nie
jemandem auffallen, dann haben sie sich geirrt. Edward Snowden hat offensichtlich
nicht nur die Geheimdienstaktivitäten enthüllt.
Worüber man sich spätestens jetzt auch
nicht mehr wundern muss, ist, dass sich die Bürger Europas nicht als Europäer
fühlen. Wie sollten sie auch, wenn sich nicht einmal die Top-Entscheider
Europas wie Europäer verhalten!? Europa ist infolgedessen heute weniger
europäisch als vor der Krise.
Es mag vielleicht manchem ein bisschen zu
pathetisch klingen, aber Europa ist offensichtlich nicht reif für seine Unabhängigkeitserklärung
– und Hunde, die bellen, beißen bekanntlich nicht.
Aber immerhin, ein paar Hunde haben
wenigstens schon einmal gebellt. Das ist doch was. Es ist nur die Frage, wie lange sie noch
etwas haben, für das es sich zu bellen lohnt.
Die modernen Drucker und kopierer sind ja auch alle mit den internet verbunden. Werden senden die Geräte die Daten ins Internet ?
AntwortenLöschenAus IT-Sicht ist es technisch überhaupt kein Problem, kopierte oder gedruckte Informationen an bestimmte Adressaten im Internet automatisiert zu senden.
LöschenMit Blick auf die Enthüllungen von Edward Snowden ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß zumindest bei für die USA interessanten Zielen so verfahren wird...
http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/08/10/ende-der-demokratie-millionen-empoerter-menschen-muessten-auf-der-strasse-sein/
AntwortenLöschenGood Post. NSA Überwachung
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