Sonntag, 3. Juli 2011

EU-Schuldenkrise: Zur politischen Dimension und Perspektive des Euros und der EU


Sehr geehrter Herr Böhmer,

vielen Dank für Ihre E-Mail und die Einschätzung der EU-Schuldenkrise vor dem politisch-historischen Hintergrund der Währungsunion und des Euros (Deutsche Bank Research).

Ich muss sagen, ich sehe es leider genauso.  Die Politik befindet sich auf dem besten Wege, den Euro und die EU auf dem Altar nationaler und parteipolitischer Egoismen zu opfern. Es war in der Tat immer klar, dass es riskant sein würde, die Währungsunion vor der politischen Union zu realisieren und insofern ist es logisch, dass die gegenwärtige EU-Schuldenkrise im Kern eine politische Krise der EU ist.

Die Gefahr eines Auseinanderbrechens der Euro-Gruppe sehe ich allerdings gegenwärtig noch nicht. Es müsste m. E. noch viel geschehen, damit es wirklich dazu kommt. Vor allem ist die sich zuspitzende Lage in den USA ironischerweise als stabilisierender Faktor zu berücksichtigen. Wenn es in den USA zum Kollaps kommt, was ich nicht auszuschließen vermag, sondern im Gegenteil für wahrscheinlich halte, wird der Euro als globale Ankerwährung als unverzichbar angesehen werden, ob die Europäer das nun wollen oder nicht.  Das ist meine persönliche Einschätzung. Der Yen kann diese Rolle infolge der massiven Probleme Japans nicht übernehmen und die chinesische Regierung unterstützt die EU in der Schuldenkrise nicht zuletzt wohl auch deswegen, weil sie den Euro als einzige Alternative zum Dollar sieht und diesen auch als Leitwährung wünscht.

Dass seit Schröder/Chirac und noch mehr unter Merkel/Sarkozy die EU als Sündenbock für politische Fehler auf nationaler Ebene missbraucht wird und die Politik oft Entschei-dungen rein um der nationalen oder noch schlimmer der parteipolitischen Vorteile willen trifft, betrachte ich vor diesem Hintergrund als eine Entwicklung, die nach meiner Einschätzung aus verschiedenen Gründen nicht mehr wird fortgesetzt werden können. Und um es ganz klar zu sagen: Der Missbrauch der EZB in der Schuldenkrise (Abwälzung der politischen Verantwortung für die Krisenbewältigung auf die EZB!) fällt in diese Kategorie.

Nach meiner Einschätzung bahnt sich eine Kursänderung an. Die Gründe dafür sind insbesondere die zunehmende und zunehmend harsche fachliche Kritik und der Widerstand immer größerer Bevölkerungsteile in der EU  gegen eine solche, die Misere immer weiter verschärfende Politik des Versagens - denn letztlich müssen deutsche wie griechische Bürger dafür zahlen. Dadurch bedingt kommt es zu einer zunehmenden Schwächung gerade auch führender EU-Regierungschefs.

Es gibt immer mehr Fälle solcher, Druck auf die Regierungschefs erzeugender öffent-licher Kritik.  Dazu zählt etwa die von Altkanzler Helmut Schmidt (1) oder auch die von ARD-Korrespondent Rolf-Dieter Krause (2) sowie jene von Dirk Müller (3) und vielen andern. Hinzu kommt jetzt aber auch Kritik von innen, nämlich jene des polnischen Finanzministers Jacek Rostowski am Krisenmanagement der Euro-Gruppe in der Griechenland-Krise (4). Er fordert - so wie etwa auch Helmut Schmidt - ein Wachstums-konzept neben die Sparbemühungen zu stellen. Das ist auch meine Forderung (5), denn die aktuelle einseitige Austeritätspolitik wird für die jeweiligen Staaten - wie in der Einschätzung der Deutschen Bank Research völlig richtig bemerkt - wirtschaftlich dieselben katastrophalen Konsequenzen haben wie seinerzeit in der Weimarer Republik unter Reichskanzler Heinrich Brüning.

Den EU-Schuldenstaaten eine einseitige Austeritätspolitik aufzuoktroyieren, wird darüber hinaus aber nicht nur auf nationaler Ebene zu eskalierenden sozialen Spannungen führen, sondern auch auf europäischer Ebene, wodurch der Zusammenhalt der Union stärker gefährdet wird als durch die Verschuldungsproblematik selbst.

Ich rechne wie gesagt damit, dass der Druck auf die EU-Staats- und Regierungschefs steigt und die Fortsetzung einer EU-Politik im Sinne nationalen und parteipolitischen Nutzens nicht mehr möglich sein wird. Es wird einen Kurswechsel geben, lautet meine Prognose. Allerdings ist schwer abzuschätzen, wann es dazu kommt. Es ist gut möglich, dass dieser erst durch die Abwahl von Regierungschefs führender EU-Mitgliedstaaten eingeleitet werden wird. Man denke etwa an die aktuell entbrannte Debatte um die mögliche Präsidentschaftskandidatur von Dominique Strauss-Kahn, die sich durchaus im dargelegten Sinne interpretieren lässt.

Nicht nur Griechenland, sondern die EU als Ganzes braucht eine Wachstums-perspektive, unabhängig davon, wie diese letztlich organisatorisch umgesetzt wird (Europäische Wirtschaftsregierung oder Koordination der nationalen Wirtschaftspolitiken (6)). Mit einer Fortsetzung der oben beschriebenen Politik wird es diese nicht geben.

Freundliche Grüße
Stefan L. Eichner

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