Mittwoch, 25. Januar 2012

Obamas Rede zur künftigen Lage der Nation: Showtime im Kongress


Die Initiative Occupy Wall Street schaffte es durch Proteste, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die soziale Schieflage in den USA zu lenken. Während die Armut in den USA immer stärker um sich greift, realisiert das oberste eine Prozent der US-Einkommenspyramide nach einem kurzen Einbruch infolge der Lehman-Pleite und der dadurch bedingten Finanzmarktkrise wieder hohe Einkommenssteigerungsraten.

Präsident Obama hat die Occupy-Forderung nach Gerechtigkeit und Fairness in seiner Rede zur Lage der Nation zum Dreh- und Angelpunkt gemacht – wohlwissend, dass ihn genau dieses Problem seine Wiederwahl kosten kann. (1) Allein er ist ein ohnmächtiger Präsident, politisch gelähmt durch die Republikaner und die Lage der US-Wirtschaft ist alles andere als rosig. Die gute Stimmung im US-Kongress anlässlich einer rhetorisch gelungenen Rede des Präsidenten kann darüber nicht hinwegtäuschen. Es war eine Show – darin sind die Amerikaner gut.
Und während der US-Präsident sich für seine Hoffnung auf die Wiederbelebung des amerikanischen Traums stiftende Rede im Kongress feiern lässt, ist Occupy Wall Street nahezu vollkommen aus der Berichterstattung in der Presse und den Medien verschwunden. Die Kritiker der Bankenmacht wurden gestern vom US-Präsidenten Ihrer Idee beraubt. Jetzt werden sie – dem Anschein nach - nicht mehr länger gebraucht. Der Präsident hat ihr Anliegen ja zur Chefsache erklärt. Die Forderung, die Macht der Banken müsse gebrochen, ein Systemwandel vollzogen werden, übernahm er nicht. Stattdessen betonte er, alle Schritte dafür eingeleitet zu haben, um die Wall Street zu bändigen. Die US-Wirtschaft ist schon wieder auf dem Weg nach oben und die USA sind ebenso innovativ wie stark – das war seine Botschaft. Die Instabilität der Finanzmärkte war kein Thema, die 46 Millionen Essensmarkenempfänger (Stand: Oktober 2011) ebenso wenig.
Und so beginnt denn heute das Weltwirtschaftsforum in Davos, Treffpunkt all derer, die für jenes, von machtvollen Banken, Investoren, Konzernen, Institutionen, Wissenschaftlern und Staaten gestützte globale Wirtschaftssystem stehen.
Sicher, auch in Davos werden Teilnehmer selbstkritisch auf die soziale Schiefe zu sprechen kommen. Gewiss wird die anhaltende Instabilität des globalen Finanz- und Wirtschaftssystems dort ein Hauptthema sein. Es wird – wie schon seit Jahren - gemahnt werden, dass sich etwas ändern muss und mithin auch, dass man sich selbst ändern muss. Aber niemand wird so weit gehen, sich für gescheitert zu erklären, weil das globale Wirtschaftssystem weiterhin eine sich verstärkende soziale Schiefe und anhaltende Instabilitäten produziert. Denn das hieße ja, genau diese Form von globaler Wirtschaft und den Wert des eigenen Beitrags zum Entstehen derselben in Frage zu stellen oder anders ausgedrückt, die eigene Leistung, die doch die Eintrittskarte für Davos ist. Und ganz sicher wird auch niemand Ideen äußern oder gar Konzepte vorstellen, die an den Fundamenten rütteln, auf denen das, wofür Davos steht, erbaut wurde und noch immer steht - wenn auch wackeliger als viele zuzugeben bereit sind. Und jeder möchte auch im nächsten Jahr noch dazu gehören, zum kleinen Kreis der Erfolgreichsten und der Mächtigsten.
Das zentrale Problem der Gegenveranstaltungen, wie etwa das Sozialforum, das jetzt im brasilianischen Porto Alegre begonnen hat oder auch Occupy Wall Street, ist:
Ihnen fehlt ein greifbares, verständliches Gegenkonzept.
So sagte etwa der portugiesische Soziologe Boaventura Sousa Santos in seiner Auftaktrede zum Sozialforum in Porto Alegre, ein "grüner Kapitalismus" sei keine Lösung für die Probleme der Armen, der Umwelt oder der Menschenrechte. Vielmehr müssten andere ökologische, postkapitalistische Modelle gefunden werden. (2)
Darin liegt meines Erachtens ein Denk- oder wenigstens ein Wahrnehmungsfehler. Es ist richtig, ein Gegenkonzept fehlt. Doch es kann bei genauerer Überlegung auch gar nicht anders sein. Schließlich ist das Weltwirtschaftsforum in Davos zur Schau gestellte Machtkonzentration. Diese Machtkonzentration ist jedoch real - wirtschaftlich, politisch und wissenschaftlich - und sie ist andauernd, nicht temporär. Man denke nur an die ETH-Studie von Vitali, Glattfelder und Battiston (09/2011) (3), die die weitreichenden Verflechtungen zwischen den weltweit etwa 43.000 multinationalen Konzernen aufzeigte. Das Gegenkonzept zu Machtkonzentration ist gerade die Abwesenheit von Machtkon-zentration und es lässt sich natürlich nicht in gleicher Weise – wenn überhaupt – greifbar machen und medienwirksam darstellen. Die Abwesenheit von hoher, dauerhafter Machtkonzentration ist die Basis für Chancengleichheit und die Voraussetzung für das Schließen der immer weiter auseinander klaffenden Schere zwischen Arm und Reich. Der Begriff „Raubtierkapitalismus“ ist zwar plakativ, verdeutlich jedoch den Kern des Problems: Dauerhafte Macht durch permanente Stärke.
Die Vorstellung, eine Gegenmacht dazu aufzubauen, wie sie der Ökonom John Kenneth Galbraith einst prägte, ist irreführend (und schwer zu realisieren). Denn entweder gibt es Machtkonzentration oder es gibt sie nicht. Entweder sie ist von Dauer oder sie ist es nicht. Ist sie es nicht, gibt es im Prinzip kein Problem. Nicht die Machtkonzentration an sich ist das Problem, sondern deren Dauerhaftigkeit. Oder anders ausgedrückt und um hier ganz bewusst einen Kontrapunkt zur statischen Weltsicht der ökonomischen Gleichgewichtstheorie zu setzen: Wir reden über Marktprozesse in der zeitlichen Entwicklung von Märkten, also über etwas Dynamisches (fortwährender Auf- und Abbau von Machtpositionen) und nicht über die „richtige“ Marktstatik (dauerhaftes Machtgleichgewicht), denn die gibt es nicht.
Eine dynamische Machtbalance in der Wirtschafts- und Finanzwelt wäre so gesehen das, was man sich – ausgehend von der gegenwärtigen Situation - heute wünschen könnte, sofern man darunter versteht, dass Konzentration und Konservierung von Marktmacht auf Dauer nicht möglich sind oder besser gesagt – an die heutige politische Herausforderung denkend – nicht möglich sein dürfen. Davon hat Obama nicht gesprochen.
Eine Marktwirtschaft, in der immer dieselben (gedopten „Raubtiere“) gewinnen, ist – auf Dauer - problematisch. Dieser Gedanke scheint in den Köpfen der politischen Entscheider aber scheinbar immer noch keine Rolle zu spielen. Wenn die Spielregeln dann aber auch noch auf die Gewinner zugeschnitten oder von diesen selbst gemacht werden, verwandelt sie sich in eine abschüssige volkswirtschaftliche Sackgasse.

Barack Obama wird daran nichts ändern können – selbst dann nicht, wenn er das im Sinn hat. Denn während sich die Großen der Politik mit denen der Finanz- und Wirtschaftswelt in Davos treffen und sich dort bemühen, „an einem Strang zu ziehen“, haben die Konsequenzen der jahrelangen Politik zugunsten der ewigen Gewinner den Rückhalt der großen Parteien in der Wählerschaft sukzessive erodiert – wir kennen das aus der Weimarer Republik. Die großen Parteien sind heute bereits vergleichsweise schwach, Mehrheiten schwer zu finden. Im Kampf gegen den Raubtierkapitalismus ist das fatal.
Obamas Demokraten sind gelähmt. Die US-Politik hat sich selbst in die Krise regiert. Von nun an heißt die Devise nur noch: The Show must go on.
Die Rede des US-Präsidenten war eine gute Show. Viel mehr darf man darin jedoch nicht sehen.

2 Kommentare:

  1. Sehr guter Gedankengang. Vielen Dank!

    AntwortenLöschen
  2. Sehr guter Artikel.
    Ich glaube, dass weniger ein Gegenkonzept fehlt, sondern vielmehr der einende, knappe Gegengedanke - der Kristallisationspunkt - dann entsteht das Gegengewicht. Oder man wartet ab, bis dem Raubtier (-kapitalismus) die Beute ausgeht und die Räuber die Räuber fressen - mach eine Kultur ist daran gescheitert. Vielleicht sollte man den Prozess sogar beschleunigen, anstatt ihn aufhalten zu wollen, damit schneller in den Ruinen neues, anderes Leben wächst.

    AntwortenLöschen